13.6 Verwirklichung der Erneuerung
13.6.1 Florinspfaffengasse und Mehlgasse
Der Zustand der Bausubstanz
Um die Sanierung der Bausubstanz auch wirklich durchführen zu können, sind Bestandsaufnahmen notwendig, die über die vorläufigen Untersuchungen hinausgehen. Eine erste Dokumentation wurde von der
Sanierungsstelle 1978 durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass die Bewohner einen Großteil der Gebäude nach den schweren Zerstörungen des Pfälzischen Erbfolgekrieges nach 1688 wiederherstellen
ließen. Die Erdgeschosse führte man in der Regel massiv aus. Im Gegensatz dazu sind die oberen Etagen meistens in Fachwerk mit beiderseitigem Verputz ausgeführt worden. Über den Zustand und die
Tragfähigkeit der Hölzer ließen sich deswegen zunächst keine Aussagen machen. Wegen des verwahrlosten Zustandes der teilweise überalterten Bausubstanz war eine schlechte Erhaltung tragender
Holzkonstruktionen zu vermuten.
Durch die Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges hatten vor allem die Dachstühle gelitten. Sie waren Anfang der 50er-Jahre nur ungenügend repariert worden. Schäden am Dachstuhl, an den Deckenbalken und
den Fachwerkständern waren wegen der Witterungseinflüsse keine Seltenheit. Der haustechnische Zustand gab ebenfalls Anlass zur Sorge. Badezimmer gehörten in den wenigsten Wohnungen zur
Grundausstattung. Toiletten befanden sich häufig in den Treppenhäusern auf halber Etage. Be- und Entwässerungsanlagen waren oftmals frei verlegt und daher wegen fehlender Isolierung oder Beheizung
der Räume schlecht erhalten.
Weniger geeignet für die Herstellung moderner Wohnverhältnisse erwiesen sich in vielen Fällen die Grundrisse. Änderungen konnten nicht ohne Weiteres durchgeführt werden, weil dies die mangelhaften
Holzkonstruktionen in einem großen Teil der Gebäude aus statischen Gründen nicht zuließen. Diese schlechten Erhaltungsbedingungen waren auf die Verwendung von Weichhölzern anstelle von Eichenstämmen
beim Bau der Häuser zurückzuführen. Die Ursache für diese Verfahrensweise dürfte wohl der Holzmangel des 18. Jahrhunderts gewesen sein. In jener Zeit hatten die Bauherren keine große Auswahl. Hinzu
kamen überhöhte Preise und Unregelmäßigkeiten bei der Zuteilung von Baumaterialien: Damals wirtschafteten einige Koblenzer Ratsherren gelegentlich gerne in die eigene Tasche.1 Im Vergleich
zur Koblenzer Altstadt war der Erhaltungsgrad historischer Bürgerhäuser in Ehrenbreitstein oft weit besser. Das ist vor allem auf die Verwendung von Eichenholz bei der Errichtung der Gebäude
zurückzuführen.2 In einem gefährlichen Zustand befanden sich stellenweise auch die Treppenhäuser. Dort waren in der Regel die Stufen entweder abgenutzt oder nur provisorisch repariert
worden.
Die schlechte Erhaltung der baulichen Substanz sowie der Mangel an ausreichender Belichtung und Belüftung veranlasste die Ingenieure schon damals, eine Entkernung des Blocks zwischen Mehlgasse und
Florinspfaffengasse zu empfehlen. Diese Maßnahme konnte nicht ohne einschneidende Eingriffe erfolgen, denn oftmals war das Fachwerk von Haupt- und Nebengebäuden ineinander verzahnt. Teilabbrüche
wurden also notwendig.3
Der Bebauungsplan
Der Bebauungsplan für den Block zwischen Florinspfaffen- und Mehlgasse ist seit Juli 1982 rechtskräftig. Mit der Satzung wurde die planungsrechtliche Grundlage für die Sanierung dieses Gebiets
geschaffen. Ziel der Bauleitplanung war es, durch eine weitgehende Entkernung der inneren Bereiche zu einer umfassenden Erneuerung und Verbesserung der Blockstruktur zu kommen. Der Schwerpunkt der
Sanierungsmaßnahmen lag auf der Schaffung familiengerechter Wohnungen, die hinsichtlich ihres Ausstattungsstandards den modernen Ansprüchen genügten. Denkmalpflegerischen Gesichtspunkten sollte durch
die möglichst weitgehende Erhaltung der Fassaden oder durch sich harmonisch einfügende Neubauten entsprochen werden.4
Zur Steigerung der Attraktivität des Quartiers strebte man eine Verstärkung der gemischten Nutzung an. Deshalb wurde festgeschrieben, in den Erdgeschossen Läden, nicht störende Gewerbebetriebe und
Gaststätten unterzubringen, während die Obergeschosse dem Wohnen vorbehalten blieben.5 Um für die Verbesserungen Platz zu schaffen, musste die gesamte Innenblockbebauung beseitigt werden.
Ziel dieser Maßnahmen war die Einrichtung „öffentlicher Kommunikationsflächen”. Zu den Grundgedanken der Bauleitplanung gehörte es auch, den Baublock durch Fußgängerpassagen zu öffnen. Darüber hinaus
sollten Florinspfaffen- und Mehlgasse verkehrsberuhigt werden.6
Die Sanierung des Blocks
In Koblenz wählte man bei der Vorbereitung und Umsetzung d€r Erneuerungspläne einen direkten Weg. Zwar war bei der Realisierung der Sanierung im Abschnitt A zunächst ein privater Träger
zwischengeschaltet worden, doch erkannte die Verwaltung, dass es in den anderen Bereichen der Altstadt besser sei, die Realisierung der Erschließungs- und Erneuerungsmaßnahmen selbst zu
steuern.7 Die städtische Sanierungsstelle hatte jetzt eine besonders wichtige Funktion. Ihre Aufgabe war es nicht nur, zwischen den für Bauaufgaben zuständigen Ämtern und den privaten
Investoren zu koordinieren, sondern auch, an den Planungen aktiv mitzuwirken. Mit dieser Strategie verfuhr man anders als zum Beispiel in Mainz. Dort beauftragten die Verantwortlichen eine private
Gesellschaft mit der Durchführung von Voruntersuchungen und Sanierungsmaßnahmen in der südlichen Altstadt.8
Die Genehmigung des Bebauungsplanes im Sommer 1982 war gleichzeitig der Startschuss für den Beginn der Erneuerung. Von der Sanierung ausgenommen wurden allerdings das Haus „An der Liebfrauenkirche”
199 sowie die Gebäude Florinsmarkt 16, Mehlgasse 4, Florinspfaffengasse l und 3.10 Bei diesen Bauten hatten die Bestandsaufnahmen keine wesentlichen Mängel gezeigt. Die während
der Planungen ins Auge gefassten Ziele setzte die Stadt schrittweise in die Tat um. Der innere Bereich des Blocks wurde im Rahmen der Ordnungsmaßnahmen entkernt. Danach ließ man von 1987 bis 1988
einen Hof anlegen, der heute sowohl von der Mehlgasse als auch von der Florinspfaffengasse aus öffentlich zugänglich ist. Der Wiederaufbau eines Brunnens nach den Plänen des Architekten Wolfgang
Schumacher und die Begrünung der neuen Freifläche erinnern stark an den Zustand dieses Bereiches in der Barockzeit. Diese historische Situation ist gut auf den alten Stadtplänen zu erkennen.
Zu den Verbesserungsmaßnahmen gehörte ferner die Umgestaltung der ehemaligen Fahrbahnen zu Fußgänger- und Andienungszonen. Dabei war es nicht mit der Anbringung eines dekorativen Plattenbelages
getan. Vielmehr machte der schlechte Zustand der Ver- und Entsorgungseinrichtungen die Erneuerung von Rohren und Leitungen erforderlich. Diese Tiefbauarbeiten schlössen die von der Stadt beauftragten
Firmen in der Florinspfaffengasse 1987 und in der Mehlgasse 1989 ab. In diesem Zusammenhang darf nicht der Block zwischen Kornpfortstraße und Florinspfaffengasse vergessen werden. Hier begann man
bereits 1983 mit dem Bau einer Unterflurgarage. Dort, wo ehemals die Häuser Florinspfaffengasse 8 bis 12 gestanden hatten, kam es zur Einrichtung eines Kinderspielplatzes. Nach Abschluss der Ankäufe,
Umsetzungen und Entkernungen setzte die Erneuerung der Bausubstanz ein. Diese leiteten private Investoren in die Wege, nachdem sie die durch Ordnungsmaßnahmen erschlossenen Bauten und Grundstücke von
der Stadt erworben hatten. Bislang kamen folgende Maßnahmen zum Abschluss:
13.6.2 Mehlgasse und Gemüsegasse
In dem von Mehlgasse und Gemüsegasse eingeschlossenen Bereich war die räumliche Situation erheblich schlechter als im Nachbarblock. Die Bestandsaufnahmen zeigten, dass das Klischee von den geräumigen Anlagen der Barockzeit gerade in diesem Abschnitt des Sanierungsgebietes nicht zutraf. Zwar stammt ein bedeutender Teil der Bausubstanz aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, doch hielt man aufgrund des Platzmangels an traditionellen Grundrisslösungen fest. Demnach orientierten sich die Zimmer am Treppenhaus. Eigenständige Wohnungen gab es nicht. Deshalb fehlte auch ein zentraler Flur, der jeden einzelnen Raum erschloss. In der Regel gingen die Zimmer direkt ineinander über. Von symmetrisch geordneten und geräumigen Wohnungen konnte also keine Rede sein. Die Tabelle veranschaulicht die schlechten Raumverhältnisse.11
Die Übersicht fällt noch verhältnismäßig günstig aus, wenn man von der bebauten Fläche pro Obergeschoss ausgeht. Sobald aber der für das Treppenhaus sowie für die Außen- und Trennwände erforderliche
Raum abgezogen wird, ergeben sich weit schlechtere Werte. Darüber können auch nicht die etwas großzügiger angelegten Gebäude hinwegtäuschen, denn hier lagen die Wohnräume ebenso in den hinteren
Bereichen. Wie tief und verschachtelt die Hausgrundrisse waren, zeigt ein Blick in die Dokumentationen der Sanierungsstelle. Der ungünstige Zuschnitt der einzelnen Etagen und die in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgenommenen Aufstockungen verhinderten eine ausreichende Belichtung und Belüftung. Zudem ging sowohl aus den vorbereitenden Untersuchungen als auch aus den späteren
Bestandsaufnahmen hervor, dass in einigen Fällen die rückwärtigen Abschnitte der Gebäude in Mehlgasse und Gemüsegasse unmittelbar aneinanderstießen. Angesichts der fast vollständigen Überbauung der
hinteren Bereiche und des schlechten bautechnischen Zustandes blieb nichts anderes übrig, als den Abbruch der Häuser unter Ausschluss der historisch bedeutenden Fassaden zu empfehlen. Im Gegensatz
dazu ließ der Bereich zwischen Florinspfaffengasse und Mehlgasse bei der Planung der Neugestaltung mehr Möglichkeiten offen, denn dieser Block hatte einen größeren Flächeninhalt. Außerdem war der
Überbauungsgrad nicht so dramatisch. Darüber hinaus befanden sich einige Häuser in einem weit besseren baulichen Zustand. Wie Übersicht 13.2 zeigt, stand in einigen Fällen auch mehr Wohnraum zur
Verfügung.12
Für den Bereich zwischen Mehlgasse und Gemüsegasse gibt es seit Mai 1977 einen rechtsverbindlichen Bebauungsplan. Die Sanierungsbedürftigkeit wurde mit dem allgemein schlechten Zustand der
Bausubstanz und dem Fehlen moderner sanitärer und technischer Einrichtungen begründet. Außerdem bemängelte man die totale Innenblockverbauung und die „feuchten und menschenunwürdigen Wohnungen“. Wie
im Falle des Nachbarblocks hielten die Planer die Entkernung für erforderlich. Endziel war die Schaffung familiengerechter Verhältnisse und die Förderung der gemischten Nutzung.13
Die Verwirklichung
Auch im Sanierungsabschnitt zwischen Mehl- und Gemüsegasse spielte die Stadt Koblenz eine entscheidende Rolle: Alle Ordnungsmaßnahmen wurden von ihr in Auftrag gegeben und finanziert. Gleiches galt
für die Neueinrichtung der Ver- und Entsorgungseinrichtungen in der Gemüsegasse. Die Modernisierungs- und Verschönerungsarbeiten schlössen die beauftragten Firmen 1989 ab. In die Erneuerung der
Bausubstanz investierten dagegen überwiegend private Firmen oder Gesellschaften. Die nachstehende Übersicht zeigt, was sich durch die Sanierung verändert hat:
13.6.3 Gemüsegasse und Münzstraße
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die Gemüsegasse eine der Straßen der Altstadt, in denen sich das Eigentum des ehemaligen Stiftes St. Florin konzentrierte. Dazu gehörten neben Gebäuden auch
einige Gärten, denn vor allem die westliche Seite der Gasse hatte man ursprünglich nicht so dicht bebaut wie heute. Erst der Wohnungsmangel des 19. Jahrhunderts zwang zur Überbauung weiter Teile des
heutigen Innenblocks.
Wie die Tabellen veranschaulichen, waren die räumlichen Bedingungen zwischen Gemüsegasse und Münzstraße weit besser als in den Nachbarblöcken. In vielen Häusern standen in der Regel größere Flächen
zur Verfügung, was oft die Einrichtung abgeschlossener Wohnungen ermöglichte.14
Die günstigeren räumlichen Bedingungen und der oft weit bessere Zustand der Häuser erfordern auch künftig keine einschneidenden Veränderungen. Die Sanierungsexperten wollen deshalb ihr Hauptinteresse
auf das Innere des Blocks richten. Dort stehen jüngere Nebenbauten, die eine ausreichende Belichtung und Belüftung verhindern. Deshalb ist geplant, einige dieser untergeordneten Gebäude zu
beseitigen. Bei den an der Gemüsegasse und der Münzstraße gelegenen Häusern werden meistens einfache Modernisierungsmaßnahmen – zum Beispiel die Erneuerung der sanitären Anlagen – ausreichen.
Obwohl die eigentliche Sanierung des Blocks noch nicht begonnen hat, führte man bereits einige Baumaßnahmen durch. So füllte 1980 ein privater Investor die Baulücke Münzstraße 6 bis 8 mit einem
Neubau, der sich in das historische Ensemble einfügt. Schließlich ließ eine Bauherrengemeinschaft die Häuser Florinsmarkt 2 bis 4 behutsam modernisieren. Auch die Stadt hat Ende 1991 eine erste
Maßnahme zur Aufwertung dieses Bereiches abgeschlossen: Die Münzstraße wurde mit neuen Ver- und Entsorgungseinrichtungen ausgestattet und die einstige Fahrbahn neu gepflastert. Zudem kam der Ausbau
des Fußgängerabschnitts auf der Südseite des Florinsmarktes Anfang 1992 zum Abschluss.
13.6.4 Rund um den Münzplatz
Kriegsereignisse und der ruhende Verkehr hatten dem Münzplatz stark zugesetzt. Der allgemeine Niedergang der Altstadt und die Verlagerung der wirtschaftlichen Schwerpunkte innerhalb von Koblenz
bedeuteten für den Wochenmarkt einen herben Rückschlag. Um eine Wiederbelebung dieses Bereiches zu erreichen, erarbeitete die Stadtverwaltung erste Konzepte. 1990 begann man mit den
Umgestaltungsarbeiten. Damit die benachbarten Straßen in die Neugestaltung einbezogen werden konnten, kam es im Juli 1991 zu einer Erweiterung des Bebauungsplans. Damit schufen die Verantwortlichen
die planungsrechtlichen Voraussetzungen für den Ausbau des Münzplatzes zum Fußgängerbereich, Marktplatz und Kommunikationsschwerpunkt. Die Änderungen betrafen außerdem die Ergänzung der Bebauung im
Süden und nach Abbruch des Kinos auch im Norden.
Im westlichen Teil der Platzfläche war ein freistehender Baukörper vorgesehen. Ferner wollte man die angrenzenden Baublöcke ordnen, ergänzen oder sichern. Darüber hinaus plante die Verwaltung, auch die in den Münzplatz einmündenden Straßen und Freiflächen in Fußgängerzonen umzuwidmen. Der ruhende Verkehr sollte unter dem Innenhof des südlichen Baublocks An der Moselbrücke/Burgstraße/Paradies in einer zweigeschossigen Tiefgarage untergebracht werden.15
Dem Bebauungsplan entsprechend wurde 1990 die Umgestaltung des Altenhofs zur Fußgängerzone abgeschlossen. Weitere Veränderungen sind nicht vorgesehen, da es sich bei den Häusern im nördlichen Bereich
dieser Straße um Bauten handelt, die nach dem Zweiten Weltkrieg neu errichtet oder wiederhergestellt worden sind. Die Umgestaltung der Osthälfte des Münzplatzes kam 1991/92 zum Abschluss.
Die Voraussetzungen für eine Wiederbelebung des Wochenmarktes sind jetzt gegeben. Brunnen, Bäume und Sitzgelegenheiten machen den Platz künftig wieder zu einem Mittelpunkt der Altstadt. Außerdem sollen die Arkaden der Reichschen Häuser in naher Zukunft wieder vollständig begehbar sein.16 Den Abschluss der Sanierungsmaßnahmen bildet die Schließung der noch bestehenden Baulücken auf der Ostseite der Straße An der Moselbrücke.
13.7 Folgen der Altstadtsanierung
Auch in der Koblenzer Altstadt waren die Versäumnisse der Vergangenheit die Hauptursache der meisten Sanierungsprobleme. An vielen Stellen fanden schon seit den 20er Jahren keine grundlegenden
Modernisierungen mehr statt. Die Bauaktivitäten beschränkten sich in der Regel auf notdürftige Reparaturen oder den Ausbau von Geschäften und Werkstätten. Der Grund für diese Entwicklung ist vor
allem in den unsicheren Verhältnissen im damals krisengeschüttelten Deutschland zu suchen. Zudem erstickte der Zweite Weltkrieg jeden Ansatz einer Verbesserung der Verhältnisse.17
Der Wiederaufschwung der 50er- und 60er-Jahre brachte für die noch verbliebene Koblenzer Kernstadt keine Verbesserung – im Gegenteil: Die Anlage neuer Verkehrswege und Geschäftszentren und die damit
verbundene Vernachlässigung der historischen Gebäude führte zum weiteren Verfall. Für viele geschichtlich interessante Gebäude kam das Städtebauförderungsgesetz von 1971 viel zu spät: Die
Holzkonstruktionen der verputzten Fachwerkgebäude waren in einem derart schlechten Zustand, dass ihre Erhaltung alle finanziellen Möglichkeiten gesprengt hätte. Bei der Durchführung der
Altstadtsanierung blieb den Verantwortlichen daher oft keine andere Wahl, als aus statischen Gründen die Entkernung oder den Teilabbruch der historischen Bausubstanz einzuleiten. Mit dieser
Verfahrensweise stand man in Koblenz nicht allein, die meisten Städte wählten diesen Weg. Viele Denkmalpfleger zeigten sich darüber alles andere als begeistert und kritisierten die Entscheidungen.
Albert Knoepfli brachte die Einwände im europäischen Denkmalschutzjahr 1975 auf den Punkt: „[...] Das Auskernen wurde [...] nach Tonnen hinausbeförderten Bauschutts und
nach Kubikmetern neu gewonnenen Luftraums betrieben. Nicht die Neuordnung der Licht- und Lufthygiene ist bedenklich, sondern daß sie aus Unachtsamkeit und Sturheit auch über Leichen hinwegschritt, wo
es gar nicht nötig gewesen, das heißt, wo es ebensogut anders gegangen wäre. Weder die Wirtschafts-noch die Gesundheitsstrategen [...] haben die Altstadt- und Altbausubstanz in ihr
Sanierungsflächen-Kalkül einbezogen. Im besten Falle pflegen sie ihre Anstrengungen auf große Hauptlinien zu beschränken, ihr Augenmerk auf den dergestalt gesundheitsamtlich zwar gesund –
städtebaulich aber krankgeschrumpften, weil ausgelaugten Raster einzurichten […]“18
Hat man sich auch in Koblenz während der Altstadtsanierung nur an den „Tonnen des hinausbeförderten Bauschutts” orientiert? Diese Frage ist sicherlich mit einem klaren „Nein” zu beantworten, denn in
den einzelnen Häuserblocks kamen verschiedene Sanierungsstrategien zum Zuge. Dabei hatten die sinnvolle Blockentkernung, die Auslagerung von störenden Betrieben sowie die Neuordnung und Vergrößerung
von Freiflächen absoluten Vorrang. Ziel war die Schaffung eines attraktiven Wohngebietes mit einer stabilen Bevölkerungsstruktur, um die Abwanderung der Einwohner aus der Altstadt zu stoppen und auch
die Ansiedlung junger Familien mit Kindern zu fördern.19
Die radikalste Erneuerungsform wählte man für den von Gemüsegasse und Mehlgasse eingeschlossenen Bereich, denn hier erfolgte – mit Ausnahme der noch zu rettenden Fassaden – eine durchgängige Neubebauung. Im Nachbargebiet zwischen Florinspfaffengasse und Mehlgasse war der bauliche Zustand besser, sodass einige Häuser fast unverändert blieben. Noch günstiger ist die Situation im Block zwischen Gemüsegasse und Münzstraße, der künftig modernisiert werden soll. Im Falle der an der Straße gelegenen Häuser sind so gut wie keine Veränderungen erforderlich, nur einige in der Nachkriegszeit entstandene Nebenbauten müssen herausgenommen werden. Die gegenwärtige Baudichte bleibt überwiegend erhalten.20
Die unterschiedliche Behandlung der einzelnen Sanierungsabschnitte beweist, dass man sehr wohl in der Lage war, sich den örtlichen Gegebenheiten und dem allgemeinen Zustand der Bausubstanz
anzupassen. Diese Flexibilität verdeutlichen die erarbeiteten Bebauungspläne, die immer wieder geändert oder ergänzt werden konnten. Variabel wurden auch die allgemeinen Bauvorschriften behandelt.
Dies führte zur Verabschiedung von örtlichen Satzungen, die durch Gestaltungsvorschriften die behutsame Eingliederung von Neubauten in die historischen Ensembles förderten.
Ist die Altstadtsanierung bislang ohne Schwierigkeiten verlaufen? Diese Frage muss ebenfalls verneint werden. Während der Erneuerung stellte es sich immer wieder heraus, dass der Zustand einzelner
Häuser weit schlechter war, als ursprünglich angenommen. Deshalb wurde in verschiedenen Fällen die historische Substanz abgebrochen, obwohl man ihre Erhaltung fest eingeplant hatte. Außerdem gab es
eine Reihe von Verzögerungen, die den Zustand der alten Häuser nicht gerade verbesserten. Diese Verschiebungen im Zeitplan hatten mehrere Gründe. So brach zum Beispiel bei Ausschachtungsarbeiten ein
Bagger in einen älteren Keller ein, von dessen Existenz vorher niemand etwas geahnt hatte. Die Folgen solcher unangenehmer Überraschungen sind in der Regel Änderungen der Planungen. Auch kam es vor,
dass ein Investor erst zwei Jahre nach dem Erwerb eines von der Stadt erschlossenen Grundstückes mit den eigentlichen Bauarbeiten begann. Dies führte schließlich zum Abbruch der verbliebenen
historischen Fassade, der die Witterungseinflüsse zu stark zugesetzt hatten.21 Daraufhin ließ man an gleicher Stelle einen historisierenden Neubau errichten, der sich am Vorgängerhaus
orientierte.
Inzwischen sind die meisten Probleme gelöst und ein Großteil der Sanierung abgeschlossen. Insgesamt gesehen wurden die gesetzten Ziele erreicht. In den neuen Wohnungen steht den Anwohnern jetzt mehr
Raum zur Verfügung.22 Durch die Entkernung der Innenblockbereiche verringerte man die einstige Wohndichte. Zudem gehören heute Toiletten, Bäder, Zentralheizungen und isolierverglaste
Fenster zum Ausstattungsstandard der Wohnungen. Die gestiegene Lebensqualität führte auch zu einer Angleichung der Bevölkerungszusammensetzung an die gesamtstädtischen Mittelwerte.23
Die positiven Ergebnisse täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass für die Bauforschung vieles unwiederbringlich verloren gegangen ist. Zwar hat die Koblenzer Sanierungsstelle alle Gebäude
aufgemessen sowie zeichnerisch und fotografisch dokumentieren lassen, doch fehlen in den meisten Fällen Dokumentationen über die verschiedenen Bauphasen der Häuser. Auch gibt es kein neueres
gedrucktes Denkmälerinventar, das die noch erhaltene Bausubstanz in der Kernstadt vollständig berücksichtigt. Aber auch hier ist Koblenz kein Einzelfall, denn lange Zeit haben sich die
Wissenschaftler damit begnügt, in den Städten nur die kunsthistorisch bedeutenden Bauten detailliert zu untersuchen und die anderen Gebäude zu vernachlässigen.24 Zudem sind viele
Versäumnisse auf die Organisation der personell unzureichend besetzten Denkmalfachbehörden zurückzuführen. In Rheinland-Pfalz ist für Erhaltung und Erforschung von Baudenkmälern ausschließlich die
Direktion Landesdenkmalpflege in Mainz zuständig. Besser sieht es im Falle der ebenfalls zur Generaldirektion Kulturelles Erbe gehörenden Direktion Landesarchäologie. Hier gibt es mehrere
Außenstellen, so auch in Koblenz.
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Anmerkungen:
1 Vgl. Müller, Alte Stadt, S. 71.
2 Eine erste Bewertung der historischen Bausubstanz in Ehrenbreitstein bringt: Sanierung Koblenz Ehrenbreitstein.
3 Hausakten der Sanierungsstelle: Erläuternder Bericht zur Bestandsaufnahme von 1978.
4 1986 wurde eine ergänzende Satzung über die Gestaltung von Werbeflächen vorbereitet. Damit sollte die Verunstaltung der Fassaden verhindert werden.
5 In einer späteren Änderung des Bebauungsplanes erlaubte man Ausnahmen. So konnten freiberuflich Tätige auch das erste Obergeschoss nutzen.
6 Hausakten der Sanierungsstelle: Text und Begründung für den Bebauungsplan Nr. 29.
7 Vgl. Hillesheim, S. 9; Städte zum Leben, Hillesheim, S. 22: Auch in Hillesheim/Eifel verzichtete man auf einen Träger, um die Sanierung zu beschleunigen.
8 Delorme, Mainz, S. 277 und 280.
9 Akten der Bauaufsicht: An der Liebfrauenkirche 19. Der Neubau wurde 1964 abgeschlossen.
10 Akten der Bauaufsicht: Mehlgasse 4 sowie Florinspfaffengasse l und 3. Die Wiedererrichtung der Häuser erfolgte zwischen 1948 und 1953.
11 Das Gebäude Mehlgasse 11 (die alten Hausnummern waren 11 und 13) ist ein Doppelbau. Die Geschossfläche betrug also rund 71 Quadratmeter pro Haushälfte. In der Übersicht wurden die
Häuser Mehlgasse 15 sowie Gemüsegasse 12 und 14 nicht berücksichtigt, da diese zusammengehörten. Ebenfalls nicht aufgeführt ist das im Krieg ausgebrannte Eckhaus „An der Liebfrauenkirche” 17.
12 In beiden Übersichtstabellen werden der Einfachheit halber nur die jeweiligen Quadratmeterzahlen der ersten und zweiten Obergeschosse berücksichtigt. Bei der Berechnung der Wohnfläche
(pro Etage) im Block zwischen Gemüsegasse und Mehlgasse sind Dielen, kleinere Vorräume, Kammern, Toiletten oder Bäder nicht berücksichtigt worden. Dadurch ergeben sich beim Vergleich leichte
Verschiebungen.
13 Hausakten der Sanierungsstelle: Text und Begründung für die Satzung über den Bebauungsplan Nr. 28. Später erfolgten noch geringfügige Änderungen und Ergänzungen.
14 Die Tabellen beziehen sich nur auf die ersten und zweiten Obergeschosse. Da fast jedes Haus einen seitlichen oder hinteren Anbau hat, ist die Anzahl der Zimmer pro Etage nicht
nach einzelnen Gebäudeteilen aufgeschlüsselt. Wie schon bei den anderen Übersichten sind Dielen, Kammern, kleinere Vorräume, Bäder oder Treppenhäuser bei der Raumzählung nicht berücksichtigt
worden.
15 Hausakten der Sanierungsstelle: Bebauungsplan Nr. 37.
16 Vgl. Rhein-Zeitung vom 4. Juli 1991.
17 Vgl. Stadt Frankfurt, S. 9.
18 Knoepfli, Altstadt, S. 49.
19 Vgl. Strohmeier, Altstadtsanierung, S. 102.
20 Im Vergleich dazu ging man im Saarbrücker Viertel St. Johann stellenweise noch weiter: Man verzichtete weitgehend auf die Blockentkernung und forderte stattdessen die Begrünung von
Balkonen, Dacheinschnitten und Terrassen.
21 Vgl. Rhein-Zeitung vom 23. April 1984.
22 Für den Block zwischen Mehl- und Gemüsegasse wurde bei der Volkszählung von 1987 eine durchschnittliche Wohnungsgröße von 64,5 Quadratmetern und für jeden Anwohner eine Wohnfläche von
30,6 Quadratmetern errechnet.
23 Eine erste Bewertung der Sozialstruktur bringt: Rüber, Sanierungsgebiet
24 Vgl. Koepf, Stadtinventarisation, S. 27; Mohr, Schnellerfassung, S. 20.
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