Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung
   Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung

8. Bürgerhäuser


8.1 Forschungsstand


Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg leiteten die Abkehr von traditionellen Bauweisen ein. Die Verbesserung der Wohnbedingungen durch Veränderungen der Grundrisse oder durch die Planung von neuen, großzügig angelegten Siedlungen rückte in den Mittelpunkt von Fachdiskussionen. Die Neuorientierung führte zur Vernachlässigung der Erforschung vieler älterer städtischer Wohnbauten, weil man ihren besonderen historischen Wert zunächst nicht erkannte. Diese Einschätzung gilt jedoch nicht für Fachwerkbauten, die schon frühzeitig Gegenstand hauskundlicher Untersuchungen waren. Besonders Otto Gruber (1884–1957),1 Heinrich Phleps (1877–1964),2 Carl Schäfer (1844–1905),3 Heinrich Walbe4 (1865–1954) und Heinrich Winter (1899–1964)5 schufen wichtige Grundlagenwerke.6


Die ältere kunstgeschichtlich orientierte Literatur befaßte sich zwar schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Untersuchung von Bürgerhäusern, ging aber nur in Ausnahmefällen auf die Grundrissentwicklung und konstruktive Fragen ein. Im Mittelpunkt standen vergleichende Beschreibungen von Fassaden.7 Koblenz und Ehrenbreitstein waren von dieser Entwicklung direkt betroffen: Alle baugeschichtlichen Beiträge aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg sind eng mit dieser kunsthistorischen Tradition verbunden. Ideale Beispiele für diese Tendenz sind die Dissertation Otto Peters von 19198 und die Abhandlungen Karl Lohmeyers.9 Grundlegend neue Erkenntnisse brachte erst das auf einem intensiven Studium der schriftlichen und bildlichen Quellen basierende Kunstdenkmälerinventar von Fritz Michel. Das Werk berücksichtigt die meisten der im Zweiten Weltkrieg untergegangenen Gebäude in der Altstadt.10 Aber auch dieser wichtige Beitrag zur Koblenzer Stadtgeschichte lässt hinsichtlich einfacherer Gebäude, die meist nur in wenigen Sätzen Berücksichtigung finden, noch viele Wünsche offen.


Heute ist es nicht leicht, den älteren Ausführungen neue Erkenntnisse hinzuzufügen. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges verhinderten in Koblenz in vielen Fällen eine Dokumentation der historischen Bausubstanz. Zudem haben viele Gebäude unter den gravierenden städtebaulichen Eingriffen der Nachkriegszeit gelitten. Die Erforschung frühneuzeitlicher Grundrisse oder Konstruktionen kann deswegen – mit Ausnahme der Kellergeschosse – nur noch selten vorgenommen werden, zumal Fotos und andere aussagekräftige Bildquellen für viele Altstadtstraßen fehlen (vgl. Kap. 3). Das Koblenzer Beispiel ist kein Einzelfall. In den meisten kriegszerstörten Städten haben die Forscher mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Jetzt rächen sich die Fehler der 30er- und 40er-Jahre, in denen sich die Fachwelt im Rahmen ihrer Suche nach einzelnen „Stammeskulturen” lieber der Erforschung von Bauernhäusern widmete. Trotz der Versäumnisse verfügen wir heute über eine Reihe von Darstellungen zur Entstehung und Entwicklung des Bürgerhauses in den deutschen Landschaften. An dieser Stelle ist vor allem die durch den Marburger Baurat Adolf Bernt ins Leben gerufene Reihe „Das deutsche Bürgerhaus” zu nennen. Mithilfe dieser seit 1958 herausgegebenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen können in vielen Fällen leicht die typischen regionalen oder lokalen Merkmale von Bürgerhäusern erarbeitet werden. Dennoch klaffen Forschungslücken, besonders in Mittel- und Ostdeutschland. Vielerorts muss man auch heute noch auf ältere, oft unvollständige Publikationen von Heimatforschern zurückgreifen. Zudem erschwert das Fehlen von Studien über die sozial- oder berufsbezogene Prägung von Gebäuden die Arbeit wesentlich.11


Besonders schwierig ist die Erforschung städtischer Wohngebäude im Rheinland, denn hier haben gewalttätige Auseinandersetzungen die Bausubstanz besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Dennoch gelang es Hans Vogts, mit seinen Monografien „Das Bürgerhaus in der Rheinprovinz” (1928/29) und „Das Kölner Wohnhaus bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts” (1966) auch heute noch gültige Grundlagen zur Hausforschung in der ehemaligen preußischen Rheinprovinz zu schaffen. Deswegen verzichteten die Herausgeber der Reihe „Das deutsche Bürgerhaus” auf eine Neubearbeitung. Lediglich für Trier und die Mosellandschaft liegen zwei neue Publikationen vor.12


8.2 Das Grundstücksgefüge


Die Entwicklungsgeschichte der Hausgrundrisse ist mit Veränderungen der Grundstücksgefüge in den Altstädten eng verbunden, denn der Idealzuschnitt eines Gebäudes nach den jeweiligen zeitgenössischen Vorstellungen konnte nur da erfolgen, wo es hinreichend Platz gab. Doch gerade in den historisch gewachsenen Zentren fehlte meistens der für die Schaffung von großzügigeren Wohnanlagen erforderliche Raum. Das durch die komplizierten Besitzstrukturen entstandene Parzellengewirr führte in vielen Fällen dazu, dass Baumeister zu individuellen Lösungen griffen.


Im Bereich der Koblenzer Altstadt dominierte in der frühen Neuzeit die Bebauung der direkt an den Straßen gelegenen Grundstücke, denn hinter den Häusern, die verschiedentlich durch Seitenflügel und andere Anbauten ergänzt wurden, befanden sich häufig größere Freiflächen. Außerdem gab es eine Reihe unbebauter Plätze, wie zum Beispiel auf der westlichen Seite der Gemüsegasse und in der Florinspfaffengasse. Diese in der Altstadt noch häufig vorhandenen Freiflächen wurden erst im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts fast vollständig überbaut. Die Folge dieser Entwicklung war die völlig unzureichende Belichtung und Belüftung der Bürgerhäuser. Erste Anzeichen für diese Verschlechterung der Wohnverhältnisse waren bereits am Ende des 18. Jahrhunderts zu beobachten. Damals hatte man damit begonnen, in den Innenhöfen neue Nebenbauten oder Seitenflügel zu errichten. Dies wird vor allem beim Betrachten des Blocks zwischen Mehlgasse und Gemüsegasse sowie der anderen Straßenzüge innerhalb des ehemaligen Stadtgrabens deutlich. Eine besondere Rolle spielte die Kastorgasse. Hier hatte die fast geschlossene Überbauung der stellenweise äußerst schmalen Parzellen eine Tradition, die bis in das Mittelalter zurückreichte.


Geeignete Bildquellen für eine Untersuchung der frühneuzeitlichen Parzellenstruktur gibt es in Koblenz erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals leitete die französische Besatzung die Anfertigung einer Flurkarte und eines Katasterplanes für die Hauptstadt des „Departements de Rhin et Moselle” ein. Hintergrund dieser Maßnahme waren wahrscheinlich Pläne der „neuen Herren” zum weiteren Ausbau der Straßen in der Stadt.


Der 1812 vom Geometer Arnold (Arnaud) Meurer angefertigte französische Katasterplan „schlummerte” jahrzehntelang im Archiv des städtischen Vermessungsamtes.13 Seine Existenz war in Fachkreisen bekannt. Um so mehr überrascht die Tatsache, dass sich die Stadtgeschichtsforschung bislang nicht näher mit diesem wohl bedeutendsten älteren kartografischen Dokument auseinandergesetzt hat. Wenn es um die frühneuzeitliche Topografie von Koblenz ging, hat man bislang immer auf den nur geringfügig älteren Dilbecker-Plan (1794) verwiesen, der aber nicht annähernd die Qualität dieses frühen Katasterplanes erreicht.


Der Plan ermöglicht die maßstabgerechte Wiedergabe von Grundstücksgrenzen (mit Hausnummern) und Parzellengrößen. Mithilfe unterschiedlicher Farben lässt sich nicht nur die Funktion einzelner Gebäude, sondern auch ihre Bauweise näher bestimmen. So sind zum Beispiel öffentliche Gebäude blau eingefärbt, während alle Steinbauten mit roter Farbe kenntlich gemacht wurden. Dunkelgrau wählte Meurer für diejenigen Häuser, die aus Stein und verputztem Fachwerk – also in Mischbauweise – errichtet worden waren. Für reine Fachwerk- oder Holzkonstruktionen verwendete der Zeichner einen hellgrauen Ton. Der Geometer hob auch Freiflächen, Brunnen, Wasserleitungen und die damals schon vorhandenen frühen Kanäle (mit Einfärbungen oder Linien) hervor.


Arnold Meurer fertigte außerdem eine ebenfalls maßstabgerechte Flurkarte an. Sie ist mit Sicherheit etwas älter als der wesentlich detailliertere Katasterplan und entstand wohl zwischen 1807 und 181.14 Auch in diesem Bilddokument sind die Parzellen im Bereich der Altstadt exakt eingezeichnet. Im Gegensatz zum modernen Koblenzer Katasterplan (und auch dem Katasterplan von 1812) sind jedoch die bebauten Flächen innerhalb der einzelnen Grundstücke nicht zu erkennen.15 Da die Farben des Planes weitestgehend verblasst sind, kann es allerdings sein, dass die Gebäude ehemals besonders gekennzeichnet waren. Gegen diese Annahme spricht, dass nicht die Hausnummern, sondern ausschließlich die Flurstücksnummern eingetragen sind.16


Der undatierte Plan lässt sich schon deshalb in die Zeit vor 1811 einordnen, weil noch die alten Umrisse der damals teilweise abgebrochenen Gebäude des Stiftes St. Florin (Kreuzgang, Schulhaus und die an die Kirche grenzenden Bauten) eingezeichnet sind.17 Diese befanden sich einst unmittelbar neben der Kirche in Richtung der Gasse „Unterm Stern” und bildeten einen kleinen Innenhof. Heute findet man an gleicher Stelle die Häuser Florinsmarkt 21 und 23. Sie entstanden nach 1855. In diesem Jahr wurde das ehemalige Dormitorium abgerissen.18


Aufgrund der frühen Entstehungszeit von Flurkarte und Katasterplan besitzt Koblenz im Vergleich zu anderen deutschen Städten eigentlich recht günstige Voraussetzungen, um in Verbindung mit einem modernen Katasterplan eine vergleichend angelegte Untersuchung von Grundstücken durchzuführen. Leider kann man im Falle von Koblenz nur Erkenntnisse für die Zeit nach 1688 gewinnen, denn die schmalen, typisch mittelalterlichen Parzellen lassen sich in größerer Zahl nur im Bereich Kastorstraße und Wöllersgasse feststellen.19 Deswegen sollte man sich hüten, für den ganzen Altstadtbereich auf die Kontinuität mittelalterlicher Grundstücke zu schließen.20

 

Der südliche Teil des Altengrabens, die westliche Seite

der Löhrstraße und die nördliche Seite der Pfuhlgasse

 

Neben den Grundstücken, auf denen die historischen Bauten Löhrstraße 2 und 8 stehen, haben folgende modern bebaute Parzellen ihre ursprüngliche Form behalten: Löhrstraße 4, 6, 10/1221 und 14. Im Altengraben ist mit Ausnahme der mit aus dem 18. Jahrhundert stammenden Häusern bebauten Grundstücke Altengraben 48, 50 und 52 noch der ursprüngliche Raum für das Gebäude mit der Nummer 44 erhalten.22 Auffällig ist auch, dass die beiden Sackgassen zwischen den Häusern Altengraben 48 und 44 sowie zwischen den Gebäuden Altengraben 40 und 24 noch vorhanden sind. Die in Richtung der Hohenfelder Straße gelegenen restlichen Parzellen wurden durch Neueinteilungen stark verändert.

 

Der nördliche Teil des Altengrabens, die westliche Seite

der Marktstraße und die südliche Seite des Altenhofs

 

Die historischen Bauten im nördlichen Teil des Altengrabens haben die Nummern 9 bis 17 sowie 21 bis 27. Direkt neben dem Gebäude Altengraben 25 ist der Rest einer ehemaligen Gasse erhalten. Kontinuitäten lassen sich auch im Falle der Grundstücke der Häuser Altengraben 7, 9 und 19 feststellen.


Auf der westlichen Seite der Marktstraße handelt es sich bei den Häusern Marktstraße l, 3 und 5 um frühneuzeitliche Häuser. Außerdem führte man den Wiederaufbau des Gebäudes Marktstraße 9 annähernd innerhalb der alten Parzellengrenzen durch.


Die Grundstücke Altenhof l und 3 ähneln ebenfalls ihrer Vorkriegsgestalt. Dagegen sind die Parzellen der Bauten Altenhof 5, 7 und 11 nur im Straßenbereich konstant geblieben. Im Bereich zwischen dem nördlichen Teil des Altenhofes und dem Münzplatz sind kaum Hinweise auf einen Fortbestand der Grundstücksgrenzen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts anzutreffen. Diese Diskontinuität überlieferter Parzellenstrukturen ist nicht nur auf die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges zurückzuführen. Vor allem die im Bereich des heutigen Münzplatzes liegenden Flächen erfuhren seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zahlreiche Veränderungen. Zu nennen sind an dieser Stelle die Neubauprojekte des Koblenzer Architekten Conrad Reich und die Veränderungen der Burgstraße, die die Spuren des einstigen kurfürstlichen Marstalls, des Burggrabens und der ehemaligen landesherrlichen Bauten endgültig verwischt haben (vgl. 9.5 und 11.6).


Der Block zwischen Münzstraße und Gemüsegasse

 

In diesem Bereich wurden folgende Bauten vor der Mitte des 19. Jahrhunderts angelegt: Münzstraße 12, 14 und 16, die Gebäude Gemüsegasse l bis 13 sowie die Bauten Florinsmarkt 2 a bis 6.23 Zudem blieben die überlieferten Grundstücksgrenzen der Häuser Münzstraße 2 bis 4 und 10 erhalten. Im Gegensatz dazu haben die Parzellen, auf denen die überwiegend aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammenden Häuser „An der Liebfrauenkirche” l bis 13 stehen, ihre ursprüngliche Tiefe verloren. In diesem Bereich überstanden die an der Straße gelegenen Haupthäuser die Bombennächte weitgehend ohne Gebäude stehen, blieben weitgehend unberührt. Auch im Bereich des Alten Kaufhauses und des Schöffenhauses hat sich nichts geändert, denn die Baugeschichte der beiden Repräsentationsbauten geht in das 15. und 16. Jahrhundert zurück. Im Gegensatz dazu hat sich die Situation auf der Südseite der Gasse Unterm Stern gewandelt. Dort, wo sich ehemals die zum Stift St. Florin gehörenden Gebäude und einige Freiflächen befanden, entstanden im 19. Jahrhundert und nach dem Krieg neue Gebäude. Die Grundrissgestalt der gegenüberliegenden Häuser Kornpfortstraße 27 sowie Unterm Stern 4 und 6 ist auch heute noch erhalten.


Der Bereich Am Plan (südlich), Löhrstraße (östlich), Pfuhlgasse (nördlich) und Görgenstraße (westlich)


Außer dem Grundstück des Gebäudes Am Plan 2 haben die Parzellen, auf denen die Häuser Am Plan 4, 6, 8 und 10 stehen, ihr frühneuzeitliches Aussehen behalten. Während sich beim nach dem Krieg neu erbauten Geschäftshaus Am Plan 14–16 keine Kontinuität mehr feststellen lässt, wurden beim Nachbarbau Am Plan 12 zwei ursprünglich kleinere Flächen zusammengelegt. Im Gegensatz dazu erinnert der sehr schmale Abschnitt Am Plan 18 stark an den Zuschnitt mittelalterlicher Parzellen. Die Grundstücke, auf dem die Wohn- und Geschäftshäuser Am Plan 24, 26 und 28 stehen, haben ihre Breite zum Plan hin erhalten, ihre Tiefe jedoch eingebüßt.


Der Block Pfuhlgasse (südlich), Löhrstraße (östlich),

Altlöhrtor (nördlich), Görgenstraße (westlich)


In diesem Bereich fällt auf, dass auf der östlichen Seite der Löhrstraße drei Nebengassen erhalten geblieben sind. Von diesen Gassen erinnert die Barbaragasse an das 1930 endgültig beseitigte Augustinerinnenkloster. Zudem behielten die Grundstücke der Nachkriegsbauten Löhrstraße 31 bis 35 an der Straße ihre ursprüngliche Breite. Auch die Parzellen der Häuser Löhstraße 41 und 43 haben sich kaum verändert. Ähnliche Aussagen lassen sich für die Gebäude Altlöhrtor l bis 3 machen.


Das Gebiet „Auf der Danne” (südlich), Florinspfaffengasse (östlich),

Kornpfortstraße (westlich) und Braugasse (nördlich)


Neben den Umrissen der überwiegend aus dem 18. Jahrhundert stammenden Bauten Florinspfaffengasse 6 und 14 (Pfarrhof Liebfrauen) sowie Kornpfortstraße 13 und 15 (Eltz-Rübenacher Hof) erinnern die Grundstücke der Häuser Kornpfortstraße l und 3 an die auf der französischen Flurkarte eingetragene alte Parzellierung.


Im Block, der vom Schulgäßchen24, Entenpfuhl und Braugasse begrenzt wird, steht auch heute noch eine Reihe von Gebäuden, die in das 18. und frühe 19. Jahrhundert datieren. Die historische Parzellenstruktur blieb dort weitgehend erhalten.


Firmungstraße (nördlicher Teil) und Kornpfortstraße (östlicher Teil)


Obwohl in diesem Bereich einige Häuser stehen, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert entstanden sind, findet man hier nur wenige Anhaltspunkte für eine Kontinuität der Grundstücksstruktur. Mit Ausnahme der Parzelle, auf dem das Haus Firmungstraße 44 steht, haben fast alle anderen Flächen in Folge der Neuplanung von Eltzerhof- und Görresstraße ab 1888/1889 eine Neuaufteilung erfahren (vgl. 11.6).


Eine Folge des Zweiten Weltkrieges ist dagegen die völlig neue Parzellenstruktur nördlich von Rheinstraße und Nagelsgasse in Richtung Rhein- und Moselufer. Mit Ausnahme der Kastorkirche, der alten Deutschordensballei und der St. Jakobus-Kapelle erinnert in dieser Gegend kaum etwas an die Vorkriegsbebauung der Stadt und die damit verbundene Grundstücksstruktur.


Der Bereich zwischen Görgenstraße (östlich), Entenpfuhl (östlich), Firmungstraße (südlich), Josef-Görres-Platz, Post- und Clemensstraße


Die Parzellen, die vom südlichen Teil der Firmungstraße und der Jesuitengasse eingeschlossen werden, haben sich seit der französischen Zeit kaum verändert, auch wenn in diesem Bereich überwiegend später erbaute Häuser stehen. Auf der Südseite der Jesuitengasse (Ecke Entenpfuhl) sind die ehemaligen Abmessungen der später geteilten Grundstücke der Gebäude Entenpfuhl 26 und 28 noch gut zu erkennen. Die Parzellen der Wohn- und Geschäftsbauten Entenpfuhl 6 und 24 sind zumindest an der Straßenseite konstant geblieben.


Auch in der Görgenstraße lassen sich im Bereich der Häuser mit den Nummern 3, 5 und 7 Gemeinsamkeiten mit der alten Flurkarte feststellen. Dies gilt auch für das Engelsgäßchen und die südliche Seite der Schanzenpforte: Im modernen Katasterplan sind dort die Umrisse der mittelalterlichen Stadtmauern zu erkennen. Die Kontinuität von Flächen und Bauten ist in den angeführten Bereichen bescheiden, denn ältere Spuren wurden durch die Stadtplanung der Nachkriegszeit nahezu komplett beseitigt.25 Von dieser Entwicklung war auch die Balduinstraße (früher Rheingasse) betroffen, die inzwischen fast vollständig verschwunden ist. Östlich dieses Gebietes (bis zum Rheinufer) blieb nur die Straßenführung der in Verbindung mit dem Görresplatz und der Karmeliterstraße stehenden Trassen erhalten.


Der Vergleich des modernen Katasterplanes mit der französischen Flurkarte brachte folgende Ergebnisse:

 

  • Grundstücke und Häuser wurden unter Berücksichtigung alter Straßenführungen im 19. Jahrhundert und in der Nachkriegszeit neu angelegt.
  • An vielen Stellen der Alt- und Innenstadt kam es bereits frühzeitig zur Neuplanung von Straßenzügen und der damit verbundenen Neuaufteilung der Grundstücke.
  • Trotz aller Veränderungen kann man vereinzelt auch dort die Kontinuität einzelner Grundstücke beobachten, wo heute moderne Wohn- und Geschäftshäuser stehen.
  • An den Straßen ist vielfach eine Kontinuität der Parzellengrenzen zu beobachten.
  • Viele Grundstücke haben ihre ursprüngliche Tiefe verloren. Diese Tatsache ist auch an den Stellen zu beobachten, wo auch heute noch alte Häuser stehen, wie zum Beispiel in der Firmungstraße.
  • Vereinzelt sind Parzellenteilungen und -zusammenlegungen zu erkennen.

 

Die Haupterkenntnis des Vergleichs ist jedoch, dass es nur in wenigen Abschnitten der Alt- und Innenstadt zusammenhängende Flächen gibt, auf denen alte Grundstücksformen erhalten sind. Da von diesen Veränderungen der Parzellenstruktur auch vielfach die Neben-, Seiten- und Hintergebäude historischer Häuser betroffen sind, ist eine Rekonstruktion der Grundrisse meist sehr schwer. Hinzu kommt, dass man innerhalb der Häuser die Raumaufteilung mehrfach veränderte. So wurden zum Beispiel Innenwände herausgebrochen oder Kellertreppen und Treppenhäuser verlegt. Vielfach ließen die Hauseigentümer zusätzliche Treppenhäuser und neue Gebäudeflügel anlegen, was die Spuren historischer Grundrisse stark verwischte.


8.3 Entwicklung der Grundrisse


Im Rheinland schränkt die große Zahl zerstörter oder nicht mehr original erhaltener Bürgerhäuser die Möglichkeit, Bauuntersuchungen durchzuführen, stark ein (vgl. 8.1). Diese ungünstige Entwicklung ist nicht nur auf den Zweiten Weltkrieg zurückzuführen. Bereits 1929 brachte Hans Vogts die Schwierigkeiten auf den Punkt: „[...] Nirgends wie hier sind die städtischen Verhältnisse im lebendigen Laufe der Jahrhunderte so oft umgestaltet, nirgends das Ursprüngliche und Charakteristische so von der Entwicklung des letzten Jahrhunderts verwischt worden, so daß oft blasse archivalische Quellen und Bildersammlungen an die Stelle lebendiger Zeugen treten müssen, nirgends der alte Zusammenhang so zerrissen ist; nirgends in Deutschland hat wie in diesem westlichen Grenzland immer wieder feindliche Zerstörungslust gewaltet und damit auch zu neuem Aufbau angetrieben [...]“26


Die Einschätzung von Hans Vogts betrifft auch Koblenz, obwohl in einigen Bereichen der Altstadt die Untersuchung der historischen Bausubstanz noch möglich ist. Wegen des weitgehenden Fehlens geeigneter Bauaufnahmen rücken die „blassen archivalischen Quellen” in den Mittelpunkt des Interesses. Durch Einsicht von Bauakten und Ratsprotokollen wird die Datierung der Objekte oft erleichtert. Trotzdem muss man im Regelfall davon ausgehen, dass es mithilfe historischer Pläne kaum möglich ist, immer und eindeutig Bauphasen von Bürgerhäusern herausarbeiten zu können. In den alten Grundrisszeichnungen werden nämlich bestehende und neue Fachwerk- oder Steinkonstruktionen nur selten farblich voneinander unterschieden. Dieser Mangel behindert vor allem eine intensivere Erforschung derjenigen Hausgrundrisse, die heute nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form erhalten sind. Da auch die neueren Pläne und Zeichnungen keine Wandkennzeichnungen nach Bauperioden enthalten, ist es in der Regel nur noch möglich, die Entwicklung der Raumaufteilung in groben Zügen darzustellen. Aufgrund der Schicksalsschläge für die Stadt im 17. Jahrhundert nimmt in den folgenden Abschnitten das Baugeschehen in der Barockzeit zwangsläufig eine zentrale Stellung ein.


8.3.1 Gebäudebreite und -tiefe


In Städten, die ihre mittelalterlich-frühneuzeitliche Gestalt bewahrt haben, trifft man nicht selten auf Gebäude von erstaunlich geringer Breite. Bei den Bauparzellen der „Normalbürger” waren Maße zwischen drei und fünf Metern üblich. Ausnahmen machten die Häuser kapitalkräftigerer und einflussreicher Familien, die mehrere zusammenhängende Grundstücke besaßen und darauf größer angelegte Bauten errichteten.27


Eine Ursache für die alles andere als großzügigen Abmessungen vieler Bürgerhäuser dürfte wohl bei den im Laufe der Jahrhunderte immer wieder vorgenommenen Teilungen der Baugrundstücke zu suchen sein. Am Anfang der Entwicklung der städtischen Parzellenstruktur standen vielerorts – wie zum Beispiel im Häuserblock zwischen Mehlgasse und Florinspfaffengasse in Koblenz (vgl. 3.2 und 3.3) – größere Höfe der gehobenen Schichten. Durch Vererbung oder Verkauf kam es dann zur Zersplitterung der ursprünglich weit größeren Flächen. Als die Bevölkerungszahl in den befestigten mittelalterlichen Gemeinden stieg, kam es schließlich zur Aneinanderreihung der Häuser. Dabei achteten die Bauherren darauf, dass zumindest Giebel und Eingangsbereiche der Bauten direkt an den städtischen Straßen oder Gassen lagen. Der schmale Zuschnitt von Grundstücken und Grundrissen hatte aber noch weitere Ursachen: Um den Transport zu erleichtern, wurden Bauhölzer für Deckenbalken und Dachstühle auf Längen zwischen 4,50 Metern und höchstens sechs Metern zurechtgesägt.

 

ieses Verfahren ermöglichte die stützenlose Überspannung von Räumen nur bei geringen Hausbreiten. Die Beschränkung der Längen hatte aber auch statische Gründe, denn man wollte auf diese Weise eine Durchbiegung der Decken verhindern, die bei Überschreitung des Höchstmaßes von sechs Metern wegen des Holzquerschnittes auf jeden Fall eingetreten wäre.28 In Koblenz befanden sich derartige in mittelalterlicher Tradition stehende Grundrisse vor allem in der Kastorstraße und im Bereich der Wöllersgasse. Beide Straßen wurden nach dem Krieg jedoch völlig neu angelegt, sodass dieser Grundrisstyp (Typ 1) in der Altstadt nur noch selten vertreten ist.29


Als Beispiel für den ältesten Typ mittelalterlich-frühneuzeitlicher Grundrisse sei die Raumaufteilung des im Kern wahrscheinlich noch aus dem 16. Jahrhundert stammenden Bürgerhauses Kornpfortstraße 2 genannt. Das nachträglich um zwei Etagen erhöhte Fachwerkhaus steht auf einem Grundstück mit einer Breite von etwa 4,70 Metern. Im Erdgeschoss befinden sich auf der linken Seite Eingang, Flur sowie die Treppen zum Keller und den oberen Geschossen. Im rechten Abschnitt dieser Ebene lagen zwei hintereinander angeordnete Ladenräume. Nach hinten wurde das Erdgeschoss durch einen größeren Lagerraum abgeschlossen.


In den Obergeschossen des Gebäudes Kornpfortstraße 2 sind an der Straßenseite jeweils zwei Zimmer nebeneinander angeordnet. In der Mitte dieses Geschosses befinden sich die Treppe und zwei kleinere, unbelichtete Kammern. Vor den Umbauarbeiten zu Beginn unseres Jahrhunderts waren im rückwärtigen Teil eine Toilette und sechs kleinere Kammern eingebaut, von denen nur die beiden äußeren direkte Belichtungsmöglichkeiten hatten.30


Der schmale, ungünstige Zuschnitt mit zum Teil nur indirekt belichteten und belüfteten Räumen scheint in Koblenz keine Ausnahme gewesen zu sein. Wie aus einem Bericht des „Königlichen Kreisbauinspektors” Peters vom Juni 1882 hervorgeht, gab es vor allem in der Kastorstraße eine ganze Reihe von Häusern, die nach demselben oder einem ähnlichen Schema aufgebaut waren.31


Die wenigen, heute noch erhaltenen Varianten schmaler Grundrisse stammen aus der Barockzeit. Zu nennen ist vor allem das Haus Mehlgasse 16, das 1978 von der Sanierungsstelle der Koblenzer Stadtverwaltung aufgemessen wurde. Der äußerst knappe Zuschnitt der Parzelle ist nicht auf mittelalterliche Grundstücksteilungen zurückzuführen, sondern ist das Ergebnis von Besitzveränderungen, die wahrscheinlich im 17. Jahrhundert abgeschlossen waren (vgl. 3.2).32 Im Erdgeschoss befanden sich neben dem auf der rechten Seite gelegenen Eingangsbereich die Treppen zum Keller und den Obergeschossen. Links neben den Flur hatte man drei Räume hintereinander angeordnet. Diese Aufteilung wiederholte sich in den Obergeschossen. Zusätzlich waren dort alle Zimmer direkt miteinander verbunden, während der straßenseitig gelegene Raum im Erdgeschoss nur vom Flur her betreten werden konnte.33 Wie bereits beim Gebäude Kornpfortstraße 2 dürften die Lebensbedingungen in den mittleren Räumen am schlechtesten gewesen sein, denn auch hier bestanden nur indirekte Belichtungs- und Belüftungsmöglichkeiten.


Eine Variante des Grundschemas (Typ 1) war bis zu den Bombennächten des Jahres 1944 am Haus Altengraben 21 zu beobachten. Die Baugeschichte dieses Gebäudes begann allerdings erst im 17. oder 18. Jahrhundert. Der Grundriß des Vorderhauses erinnerte an den Bau Mehlgasse 16, jedoch befand sich die Treppe zu den oberen Geschossen in einem kleinen Lichthof. Da der ungewöhnliche Zuschnitt der Parzelle Erweiterungen nach hinten zuließ, wurde das Bürgerhaus durch ein Hintergebäude ergänzt, das etwa die doppelte Breite des Vorderhauses besaß. Dieser Erweiterungstrakt nahm Küche, Waschküche und weitere Wohnräume auf, während im Haupthaus neben Zimmern auch ein Geschäft untergebracht war.34


In den meisten Städten blieben wegen des Zuschnittes der Grundstücke bis zur Renaissance giebelständige Häuser weit verbreitet, auch wenn man die Traufschwenkung und die damit verbundene Einführung von Brandgiebeln und hohen, steilen Dächern bereits kannte. Üblicherweise wurden die Gebäude durch Brandgässchen voneinander getrennt. Für die Entstehung dieser Traufgassen gibt es nicht nur Sicherheitsgründe, sondern auch baurechtliche Motive. Zwar hatte man bei der Verwirklichung von Bauvorhaben im Mittelalter größere Freiheiten als in den späteren Epochen, doch mussten bereits damals bestimmte Grenzabstände gewahrt werden, um die Verletzung der Rechte des Nachbarn zu verhindern.35


Bedingt durch die Ausrichtung der Gebäude ergaben sich – wie wir bereits an den wenigen Koblenzer Beispielen gesehen haben im Grundriss der Bürgerhäuser vom ausgehenden Mittelalter bis zum Dreißigjährigen Krieg (vielerorts weit darüber hinaus) nur geringe Veränderungen.36 Allerdings führte der zunehmende Bedarf an Wohn- und Wirtschaftsräumlichkeiten in den Städten zur Errichtung von Anbauten. Zu diesem Zweck verbreiterte man Häuser häufig um einen seitlich angefügten Baukörper oder errichtete auf größeren Traufgassenflächen selbstständige Häuschen, die eine Breite von lediglich ein oder zwei Fensterachsen hatten.37 Gab es an den Stadtstraßen keine Erweiterungsmöglichkeiten mehr, kam es – wie Hans Vogts am Beispiel der Kölner Bürgerhäuser ausführte – zur Bildung von Hinterhäusern. Diese Erweiterungsbauten hatten oft besondere Zugänge und eigene Treppen, entweder gerade, offene einläufige Holztreppen oder angebaute steinerne Wendeltreppen. Oft schlössen sich an das eigentliche Wohngebäude Seitenflügel an, welche als selbstständige Baukörper Wirtschafts- oder Wohnräume enthielten.38


8.3.2 Geschossbildung und Raumaufteilung


Mit der zunehmend dichteren Bebauung der Städte konnte man die Baukörper wegen der geringen Breite der Parzellen in vielen Fällen nicht mehr verbreitern. Vielerorts kam es deshalb zum Bau von Obergeschossen. Dennoch hatte sich im 16. Jahrhundert die Aufstockung noch nicht überall durchgesetzt. Vor allem außerhalb repräsentativerer Straßen und Plätze gab es noch einfache, eingeschossige Häuschen.39


In der nördlichen Hälfte Deutschlands dienten die in Straßenhöhe gelegenen Erdgeschosse nicht nur handwerklichen oder gewerblichen Zwecken; sie wurden vielmehr auch zum Wohnen genutzt. In den südlichen Gebieten (auch in Koblenz) ist dagegen die Trennung von Wohn- und Arbeitsbereichen zu erkennen. In den Erdgeschossen befanden sich Handwerksbetriebe oder Geschäfte, in den oberen Etagen die Zimmer für die Bewohner.40


In der Südhälfte Deutschlands ist die Entwicklung von einzelnen Kammern auf die Unterteilung bestehender Grundrisse zurückzuführen. Im Gegensatz dazu wurde – orientiert an den ländlichen Gebieten – in den nördlichen Regionen die Raumaufteilung verändert, indem man nach Möglichkeit das Vorderhaus durch rückwärtige Anbauten ergänzte.41 Diese Grundregeln bedeuten jedoch nicht, dass im Süden keine Vergrößerungen bestehender Anlagen erfolgten. Konnten Grundrisse nicht mehr aufgeteilt werden, entstanden Erweiterungen durch das Aufsetzen weiterer Stockwerke oder durch abgesetzte Ergänzungsgebäude im Hof. Durch Zwischenbauten oder Arkaden stellten die Bauhandwerker eine Verbindung mit den Haupthäusern her.42


Hauseingänge und Kellerhälse


Nachdem mit der Überbauung der Traufgassen der unmittelbare Zugang zu den rückwärtig gelegenen Grundstücksteilen weggefallen war, musste man in den Häusern selbst neue Zugangsmöglichkeiten schaffen. Zu diesem Zweck wurde von dem zum Hof gelegenen Raum des Erdgeschosses ein schmaler Gang abgetrennt, der die Verbindung mit dem Vorderhaus herstellte. War die Breite des an der Straße gelegenen Baukörpers groß genug, ließ der Eigentümer den Gang bis zur Haustür verlängern.43


Neben dem Hauseingang lag häufig eine geradläufige Treppe, die in den Straßenraum hineinreichte. Sie führte in den Keller hinab. Derartige Anlagen sind bereits seit dem 13. Jahrhundert Gegenstand der Bauordnungen: Durch Statute wurde schließlich die Einrichtung dieser „Kellerhälse” geregelt oder überhaupt nicht mehr gestattet. Als Folge der Verbote legte man die Kellertreppe im städtischen Haus meist in eine Ecke des Vorderhauses.44

 

In Koblenz waren Kellerhälse offenbar noch im 19. Jahrhundert weit verbreitet gewesen zu sein, denn die Bauordnungen von 1847 und 1854 untersagten bei Neubauten die Einrichtung weiterer derartiger Konstruktionen.45 Bei einigen älteren Häusern blieben die direkt von der Straße zugänglichen Keller erhalten. Beispiel hierfür ist das ehemalige Wohnhaus des Münzmeisters (Münzstraße 1).


Aufteilung der Erdgeschosse


Im Falle der nach dem süd- und mitteldeutschen Muster aufgebauten Gebäude gelangte man von der Straße her unmittelbar in das Vorhaus, in dem sich der Aufgang ins Obergeschoss und der häufig mit einer Falltüre abgedeckte Eingang zum Keller befanden. Die Treppen lagen in einer Ecke des Vorderhauses. Im Rheinland und in den Niederlanden herrschte die gewendelte Treppe vor; sie wurde vielfach erst im 17. Jahrhundert durch geradläufige oder angewendelte Treppen ersetzt.46 Ab dem 16. Jahrhundert saßen die Wendeltreppen vielfach in eigenen, massiven Türmen, die entweder sichtbar im Hof standen oder in die Häuser integriert waren. Diese Beobachtung machte man vor allem in Mainz und Trier,47 während Treppentürme in Koblenz weitgehend fehlen.48


Wie die Erdgeschossbereiche der Koblenzer Häuser im 16. und 17. Jahrhundert aussahen, kann man heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Da einige Bürger neben ihrem Beruf etwas Landwirtschaft oder Weinbau betrieben haben dürften, ist davon auszugehen, dass die Hauseingänge stellenweise torartig angelegt waren, um die Durchfahrt eines Wagens in den Hofbereich zu ermöglichen. Späte Beispiele für diese Bauweise sind das aus dem Jahre 1702 stammende Haus Florinspfaffengasse 5 und das Gebäude Am Rhein 10 im bis 1891 selbstständigen Neuendorf, das 1732 unter Major Nell erbaut wurde.49 Für den täglichen Personenverkehr diente eine in das Tor eingelassene Schlupfpforte. Vereinzelt scheint auch neben einer Hauseinfahrt noch eine besondere Tür bestanden zu haben.50


Läden und Schaufenstereinbauten


In den Städten hat man das Erdgeschoss des Vorderhauses vor allem als Werkstatt oder Laden genutzt. Oftmals enthielt diese Ebene neben dem Hauptgeschäftsraum und dem Treppenhaus im hinteren Bereich noch einen weiteren Raum, den man entweder ebenfalls als Ladenstube oder als Vorratsraum benutzte. Bei rheinischen Bürgerhäusern des Spätmittelalters und des 16. Jahrhunderts hatte diese Geschäftsebene vielfach eine auffallende lichte Höhe: Die großen Grundstückstiefen machten es erforderlich, möglichst viel Licht in das Hausinnere zu führen, weil Warenlager, Verkaufsraum oder Werkstatt Helligkeit benötigten. Wegen des zunehmenden Raumbedarfs baute man trotz der zu erwartenden Beeinträchtigung der Belichtung Zwischengeschosse ein.51

 

In Koblenz sind Erdgeschosshöhen von annähernd fünf Metern selten geworden. Die erhaltenen Beispiele stammen aus der Barockzeit und wurden im 19. Jahrhundert stark verändert. Zu nennen sind das Bürgerhaus An der Liebfrauenkirche 652 und das Wohn- und Geschäftsgebäude Firmungstraße 11. Das Vorderhaus des letztgenannten Hauses stammt zwar weitgehend aus dem Jahre 1903, doch hat man sich beim Neubau des Erdgeschosses wahrscheinlich am Vorgängerbau orientiert und ein Zwischengeschoß eingezogen.53


Gerade das Koblenzer Beispiel zeigt, dass fast alle Erdgeschosse durch den nachträglichen Einbau von Schaufensteranlagen und Eisenträgern im 19. Jahrhundert völlig verändert wurden. Ernst Stephan ging bei der Untersuchung der Mainzer Bürgerhäuser davon aus, dass diese im Erdgeschoss halbrunde Fenster mit herunterklappbaren Tischen besaßen, die nachts wie Klappläden die Öffnungen verschlossen. Diese Gestaltung der Geschäftsbereiche hielt sich spätestens bis in das 18. Jahrhundert. Zu diesem Zeitpunkt setzte sich die Verglasung der Ladenbereiche durch, die in Süddeutschland auch oft in Laubengängen lagen. In Mainz wies man für die Augustinerstraße eine große Verbreitung dieser frühen Schaufensteranlagen nach. Sie wurden vielfach nachträglich in ältere Häuser eingebaut.54

 

Halbrunde Schaufensteranlagen der Barockzeit sind in Koblenz verschwunden. Eine vom Oktober 1913 stammende Bauaufnahme des Hauses Florinsmarkt 18 zeigt, dass die Vorläufer der späteren Schaufensteranlagen in den Geschäftsstraßen der Stadt ähnlich wie in Mainz ausgesehen haben könnten.55


Aufteilung der Obergeschosse


Die Obergeschosse spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Häuser waren in der Tiefe dreigeteilt. Vor allem bei den tieferen Häusern lagen zwischen den Räumen an der Straße und den rückwärtig angeordneten Zimmern noch einmal weitere Kammern.56 Der mittlere unbelichtete Raum, der auch die um einen Mittelpfosten gewendelte Treppe enthielt, nahm – war das Erdgeschoss nicht gewerblich genutzt – den Herd auf. Zur Straße hin war eine Wohnstube durch eine Fachwerkwand abgeteilt, zum Hof gewandt lagen die Schlafkammern. Dieser Grundtyp war weit verbreitet: In Städten wie Breslau, Dan-zig, Königsberg, Rostock, Hildesheim, Lüneburg, Miltenberg, Kitzingen, Straßburg und Basel sind oder waren typische Beispiele zu finden. Erst spät erfolgten Veränderungen dieses Schemas. Die noch im Mittelalter entstandenen Grundrisslösungen hielten sich hartnäckig, vielerorts bis ins 17. Jahrhundert und darüber hinaus.57


Auch in Koblenz gab es wohl ursprünglich eine große Zahl von Bürgerhäusern mit dieser frühen Raumaufteilung. Kriegszerstörungen haben jedoch eine Untersuchung am Ort unmöglich gemacht. Wir sind daher auf die noch erhaltenen Pläne in den alten Bauakten angewiesen. Als Beispiel für diesen Grundrisstyp (Typ 2) sei das heute nicht mehr bestehende, im Kern noch aus dem 16. Jahrhundert stammende Haus Kornpfortstraße 4 genannt. Während im Erdgeschoss und in der ersten Etage der Barockgrundriss mit mittig angeordnetem Eingangsbereich und Treppenhaus dominierte, konnte man im zweiten Obergeschoss noch Spuren des ursprünglichen Schemas finden. An der Straße lagen drei Zimmer, während im mittleren Teil dieses Stockwerks die in das Dachgeschoss führende Wendeltreppe und eine indirekt belichtete Kammer eingebaut waren. Im hinteren Bereich befand sich neben zwei Kammern die nachträglich eingebaute Haupttreppe. Zwei weitere Kammern waren in einem ebenfalls später hinzugefügten kleinen Seitenbau untergebracht.58
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Anmerkungen:


1 Gruber, Bauern- und Ackerbürgerhaus; Gruber, Bauernhäuser am Bodensee.
2 Phleps, Deutsche Fachwerkbauten; Phleps, Alemannische Holzbaukunst.
3 Schäfer, Holzarchitektur.
4 Walbe, Fachwerk.
5 Winter, Bürgerhaus.
6 Binding, Fachwerkbau, S. VII: Die Beiträge dieser Wissenschaftler wurden allerdings erst zwischen 1937 und 1967 veröffentlicht.
7 Griep, Bürgerhaus, S. 3.
8 Peters, Bürgerhaus.
9 Lohmeyer, Barocke Kunst; Lohmeyer, Seiz.
10 Michel, Kunstdenkmäler.
11 Griep, Bürgerhaus, S. 3.
12 Freckmann, Bürgerhaus Trier; Schmidt, Hausgeschichte.
13 StAK, K-244. Text: „Karte der Stadt Coblenz. Au/genommen im Jahr 1812 zufolge des Gesetzes vom 16. September 1807 zum behufe des vorzunehmenden Aligne.me.nts und Erweiterung der Strassen unter der Direction des Herrn Christ Ingenieur verificateur durch Arnold Meurer Geometre vom Cadastre.” Der Katasterplan (M = l : 666 2/3) wurde im Frühjahr 1992 an das Stadtarchiv Koblenz abgegeben.
14 LHA Ko, Best. 730, Nr. 341. Text: „ Commune de Coblenz, Section A de Ville, En trois Feuilles levee par Mr. Arnaud Meurer, Geometre. Echelle d’un ä 1250″ (M = l : 1250).
15 Katasteramt Koblenz; städtisches Vermessungsamt Koblenz: Katasterplan, der seit seiner Anfertigung 1978 immer wieder auf den neuesten Stand gebracht wird.
16 Vgl. StAK, Best. 623, Nr. 2418: Die Nummerierung der Häuser (1839–1854). Die alte, durchgehende Zählung der Häuser hatte bis 1852 Bestand, blieb also auch während der französischen Herrschaft (1794-1813/14) unangetastet. Die auf der Flurkarte angegebenen Ziffern weichen deutlich von den in den Adressbüchern angegebenen ab. Die Mehlgasse hatte beispielsweise damals die Hausnummern 90 bis 99 und 102 bis 112. Die Eintragungen auf dem Plan geben jedoch für die Mehlgasse die Nummern 41 bis 50 und 55 bis 68/69 an. Damit dürfte es erwiesen sein, dass es sich im Falle der vorliegenden alten Flurkarte tatsächlich um heute nicht mehr bestehende Flurstücksnummern handelt.
17 Vgl. Michel, Kirchliche Denkmäler, S. 69.
18 Michel, Kirchliche Denkmäler, S. 73; vgl. MM, G 1223, Ma 38 (klein): Die um 1830 entstandene Lithografie des Grafikers Anton Gastauer zeigt den Florinsmarkt, auf dessen Nordseite noch die beiden dreigeschossigen Vorgängerbauten mit ihren ausgeprägten Zwerchhäusern zu sehen sind. Eine ähnliche Situation spiegelt eine ebenfalls um 1830 entstandene Ansicht des Florinsmarktes (Aquatinta-Technik) wieder (MM, G 272, Ma 13).
19 Vgl. Kapitel 1: Beide Bereiche wurden nach dem Krieg völlig neu bebaut.
20 Die größte Kontinuität der Parzellenstruktur war bis zum Beginn der Sanierungsmaßnahmen zwischen Florinspfaffengasse und Gemüsegasse zu beobachten. Die Struktur der Grundstücke wird deshalb nicht an dieser Stelle, sondern erst in Kapitel 13 beschrieben.
21 Der heutige Neubau vereinigt die beiden Parzellen.
22 Heute steht an gleicher Stelle ein Neubau, der das ehemalige Nachbargebäude Altengraben 42 mit einschließt.
23 Die anderen Häuser auf der Ostseite der Münzstraße wurden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts oder später errichtet.
24 Der Straßenname „Schulgäßchen” wird nur noch inoffiziell benutzt. Die kleine Nebenstraße gehört heute zum Entenpfuhl
25 Die Gymnasialstraße wurde bereits im vergangenen Jahrhundert geplant und neu angelegt (vgl. 9.5).
26 Vogts, Bürgerhaus, S. 10.
27 Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau, S. 56.
28 Hofrichter/Grassnick, Bürgerhäuser, S. 32/33.
29 Konstruktion und Baumaterialien werden in Abschnitt 8.4 erläutert.
30 StAK; Fach 50: Kornpfortstraße 2. Pläne des Bauunternehmers P. Polcher zum Baugesuch vom 18. März 1903. Ob die damals angegebenen Umbauwünsche (Verlegung der Kellertreppe und Maßnahmen zur besseren Belichtung und Belüftung der rückwärtig gelegenen Räume) tatsächlich erfolgt sind, geht aus der Akte nicht hervor. Der moderne Katasterplan zeigt jedoch, dass das Gebäude nicht mehr die ursprüngliche Tiefe besitzt (13 Meter), sondern um fast zwei Meter verkürzt wurde.
31 StAK, Fach: Kornpfortstraße 2. Pläne des Bauunternehmers P. Polcher zum Baugesuch vom 18. März 1903. Ob die damals angegebenen Umbauwünsche (Verlegung der Kellertreppe und Maßnahmen zur besseren Belichtung und Belüftung der rückwärtig gelegenen Räume) tatsächlich erfolgt sind, geht aus der Akte nicht hervor. Der moderne Katasterplan zeigt jedoch, dass das Gebäude nicht mehr als die ursprüngliche Tiefe besitzt (13 Meter), sondern um fast zwei Meter verkürzt wurde.
32 StAK, Best. 623, Nr. 4244, S. 54/55: Bericht des Königlichen Kreisbauinspektors Peters über die Zustände in der Kastorstraße vom 24. Juni 1892. Diese Ausführungen werden in Kapitel 10 (10.3) ausführlich behandelt.
33 Vgl. LAD Koblenz, FB, Nr. 84/138.
34 Hausakten der Sanierungsstelle: Mehlgasse 16. Bestandsaufnahme vom 27. Februar 1978. Im Zuge der Altstadtsanierung wurde das Haus bis auf den Keller vollständig abgerissen.
35 Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau, S. 66; Hofricher/Grassnick, Bürgerhäuser, S. 32/33.
36 Hofrichter/Grassnick, Bürgerhäuser, S. 43.
37 Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau, S. 66/67.
38 Vogts, Kölner Bürgerhaus, Bd. l, S. 68 und 97
39 Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau, S. 70.
40 Griep, Bürgerhaus, S. 4.
41 Griep, Bürgerhaus, S. 271.
42 Bernt, Bürgerhaus, Sp. 86.
43 Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau, S. 78.
44 Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau, S. 78.
45 LHA Ko, Best. 441, Nr. 19306: Bauordnung vom 19. Oktober 1847, §31; LHA KO, Best. 441; Nr. 19294: Bauordnung vom 19. Dezember 1854, §19.
46 Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau, S. 75; Vogts, Kölner Wohnhaus, Bd. l, S. 73. Auch in Koblenz und Ehrenbreitstein wurden aus Platzgründen auch im 18. Jahrhundert Wendeltreppen eingebaut.
47 Stephan, Bürgerhaus in Mainz, S. 65; Freckmann, Bürgerhaus Trier, S. 42; Mielke, Geschichte, S. 77.
48 Zu den Ausnahmen gehören die Treppentürme in der Alten Burg (Bestandteil des Ostbaus von 1557) und im um 1770 erbauten Haus Jesuitenplatz 4. Das Gebäude Unterm Stern 4 hat ebenfalls einen Treppenturm. Fritz Michel (Kunstdenkmäler, S. 357) datiert diese Konstruktion in das 16. Jahrhundert. Bauuntersuchungen zur Bestätigung dieser Beobachtung wurden nicht durchgeführt.
49 Beim giebelständigen Haupthaus des im Jahre 1700 erbauten Deutschherrenhofs (Am Ufer 18) in Neuendorf war die Durchfahrt neben dem Baukörper angeordnet.
50 Vgl. Berchtenbreiter, Bürgerliche Wohnbauten, S. 22.
51 StAK, Fach 107: Marktstraße 20,
52 Vogts, Bürgerhaus, S. 38.
53 StAK, Fach 14: Firmungstraße 11.
54 Stephan, Bürgerhaus in Mainz, S. 67–61.
55 StAK, Fach 23: Florinsmarkt 18.
56 Berchtenbreiter, Bürgerliche Wohnbauten, S. 18.
57 Ropertz, Kleinbürgerlicher Wohnbau, S. 77/78; Vogts, Bürgerhaus, S. 235.
58 StAK, Fach 50: Kornpfortstraße 4. Plan zum Umbau vom Januar 1920. Zeichner: Bode.

 

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