Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung
   Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung

Neues Gesetz und mögliche Folgen

1. „Langzeittherapie“ an Kliniken – die Vorgeschichte

 

Krankenhäuser sind selbst zu Dauerpatienten geworden. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man die Berichterstattung in den Medien verfolgt. Wer oder was ist an der wirtschaftlichen Schieflage in vielen Klinken schuld? Wirklich nur der Staat oder auch die Träger selbst oder womöglich auch die Krankenkassen, die jegliche Verantwortung für die Misere von sich weisen? Um es vorwegzusagen: Die Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden. Ist doch die aktuell äußerst schwierige Lage, in der sich selbst traditionsreiche und renommierte Einrichtungen befinden, das Ergebnis von gut gemeinten, aber letztendlich wenig erfolgreichen „Therapien“ in jünger und jüngster Vergangenheit. Aus heutiger Sicht kann man durchaus sagen, dass eine der vielen Ursachen für die Fehlentwicklungen die Dominanz rein betriebswirtschaftlicher Betrachtungen war.

 

Die Erfahrung hat gezeigt: Der Umbau von Kliniken zu „Profit-Centern“ hat vor allem im Bereich der Grund- und Regelversorgung nicht den erhofften Erfolg gebracht. Ganz im Gegenteil: Viele Einrichtungen sind in die roten Zahlen gerutscht. An dieser Erkenntnis ändern die zahlreichen, vor allem auf wirtschaftlichen Argumenten begründeten Klinikfusionen seit den späten 1990er-Jahren wenig – obwohl sie im Kontext mit der Zusammenführung oder Schließung von Standorten immer noch als probates Mittel gesehen werden, die Schwierigkeiten auf Dauer in den Griff zu bekommen.

 

1.1 Wie der Gesetzgeber Kliniken

in Schwierigkeiten brachte

 

Waren die 1960er- und auch noch die 1970er- Jahre noch von prestigeträchtigen, großen Baumaßnahmen im Bereich der „Gesundheits-Infrastruktur“ geprägt, sollte die infolge der deutlichen Verbesserungen entstandene Euphorie in den Reihen der örtlichen Verantwortlichen schnell verfliegen. Denn schon damals liefen die Kosten im Gesundheitswesen Gefahr, völlig aus dem Ruder zu laufen. Der Gesetzgeber reagierte. Den Anfang machte das „Gesetz zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung“ (Krankenversicherungskostengesetz – KVKG) vom 27. Juni 1977. Mit diesem Gesetz wollte man für die gesetzlichen Krankenkassen eine Beitragsstabilität für Arbeitgeber und Arbeitgeber erreichen.

 

Bereits das KVKG zielte darauf, die Kostenentwicklung in den Krankenhäusern in den Griff zu bekommen. Der nächste Schritt folgte am 22. Dezember 1981 mit dem „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze“ (Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz), das die Position der Krankenkassen bei der Bedarfsplanung bei künftigen Klinikprojekten deutlich stärkte. Trotz dieser gravierenden Einschnitte folgten dennoch immense Investitionen, obwohl sich der Bund inzwischen von der Förderung von Krankenhausprojekten zurückgezogen hatte und die Last nun ausschließlich auf den Bundesländern und den Trägern lag.

 

Mit Blick auf die erforderlichen Einsparungen war schnell klar, dass bestehenden gesetzlichen Grundlagen nicht mehr ausreichen würden. Und so wurden mit dem „Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzierung“ vom 20. Dezember 1984 weitere Einschnitte auf den Weg gebracht. Kernpunkt war, dass die Pflegesätze nun von vornherein und nicht rückwirkend zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern ausgehandelt werden mussten. Die „flexible Budgetierung“ machte es für die Krankenhäuser zwar möglich, Mindereinnahmen nachträglich geltend zu machen, doch wurden diese eben nur noch zu 75 Prozent erstattet. Der nächste Schritt: Das „Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen“ (Gesundheits-Reformgesetz – GRG) vom 20. Dezembern 1988. Von nun an war es möglich, nicht kostengünstig und -deckend arbeitende Krankenhäuser zu schließen. Das war der Auftakt für eine tiefgreifende Veränderung der deutschen Krankenhauslandschaft in den folgenden Jahren.

 

1.2 „Sündenfälle“ im Reformprozess

 

Weitere drastische Maßnahmen gingen mit dem deutschen Einigungsprozess einher. Denn nach dem Fall der Mauer und dem folgenden Prozess der Wiedervereinigung mussten in den neuen Bundesländern kostenintensive Infrastrukturmaßnahmen finanziert werden. Außerdem sahen sich die Verantwortlichen in der Pflicht, die rechtlichen Grundlagen zu vereinheitlichen. Das galt natürlich auch für das Gesundheitswesen, in dem angesichts der Kostenentwicklungen der Ruf nach weiteren unpopulären Maßnahmen immer lauter wurde. Dabei hatten die bestehenden Gesetze bereits zu einschneidenden Maßnahmen in der Krankenhauslandschaft geführt. War man an den örtlichen Krankenhäusern früher stolz auf die Dimensionen, die sich in steigenden Bettenzahlen bemerkbar machten, standen die Zeichen jetzt auf Abbau von womöglich entbehrlichen Kapazitäten. Aus Sicht des Gesetzgebers reichte das aber nicht aus. Den Krankenhausträgen wurde eine böse Überraschung beschert – die Budgets wurden zum Stichtag 1. Januar 1992 eingefroren. Doch damit nicht genug. Der Deutsche Bundestag verabschiedete schließlich in seiner Sitzung am 9. Dezember 1992 das Gesundheits-Strukturgesetz (GSG 93), das bereits am 1. Januar 1993 in Kraft trat.

 

Das neue Bundesgesetz bedeutete in der Konsequenz schmerzhafte Einschnitte. Wurden doch Budgets als Obergrenze der Ausgaben von Krankenhäusern und Praxen eingeführt. Seitdem tragen die gesetzlichen Krankenversicherungen grundsätzlich die anfallenden Kosten nur bis zu einer festgeschriebenen Höhe. Budgetüberschreitungen gingen fortan zu Lasten der niedergelassenen Ärzte und der Kliniken. Geregelt wurde das über die Bundespflegesatzverordnung vom 26. September 1994 (Bundesgesetzblatt I, S. 2750). Damit wurden erstmals Fallpauschalen und pauschalisierte Sonderentgelte vorgegeben, „deren Entgelthöhe auf Landesebene und damit unabhängig von den Kosten des einzelnen Krankenhauses“ vereinbart wird. Die Folge: Ab 1996 mussten alle Krankenhäuser, die die Bestimmungen der Bundespflegesatzverordnung zu beachten hatten, die neuen Entgelte anwenden.

 

Viele Einrichtungen kamen mit der Budgetierung mehr schlecht als recht zurecht. Trotzdem machten die Krankenkassen weiter Druck. So ließen sie die durchschnittliche Verweildauer der Patienten in Kliniken in den Jahren von 1991 bis 1995 untersuchen. Ergebnis: Waren früher mehrwöchige Krankenhausaufenthalte fast die Regel, sank nun die stationäre Verweildauer deutlich. Sie sollte 1996 durchschnittliche bei 10,8 Tagen liegen – Tendenz weiter sinkend. Das zeigt sich auch beim Blick auf die Verhältnisse in Rheinland-Pfalz. Hier erreichte die durchschnittliche Verweildauer 2004 einen Wert von 8,4 Tagen, der auch im Ländervergleich sehr gut war.

 

Bis Ende 2019 sollte die durchschnittliche Aufenthaltsdauer sogar auf sieben Tage sinken, wie das Statistische Landesamt am 23. Dezember 2000 in einer Pressemitteilung bekanntgab.3 Demnach wurden im Laufe des Jahres 2019 an den Krankenhausstandorten mit ihren rund 43.000 Vollzeitkräften fast 945.000 Personen vollstationär versorgt. Das waren 1 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Summe der Belegungstage lag bei rund 6,6 Millionen. Aus dem Barmer Krankenhausreport 2022 geht hervor, dass die Verweildauer bei den rein somatischen (körperlichen) Fällen 2021 sogar auf 5,9 Tage zurückgegangen war. 2010 hatte sie noch bei 6,7 Tagen gelegen. Dagegen lag die durchschnittliche Verweildauer unverändert bei 7,2 Tagen, was vor allem auf die Entwicklung bei der Behandlung von psychischen Krankheiten zurückzuführen ist. Hier ist die Verweildauer im Zeitraum von 2010 bis 2021 von 26,4 auf 30,7 Tage gestiegen. Im Ländervergleich schneidet Rheinland-Pfalz aus rein wirtschaftlicher Sicht neben Mecklenburg-Vorpommern am besten ab. Hier lag die durchschnittliche Verweildauer bei 6,7 Tagen. Am Ende der „Rangliste“ lag Bremen mit einem Durchschnitt von 8,2 Tagen.

 

Das Sinken der durchschnittlichen Verweildauer stieß schon in der Anfangszeit der eingeleiteten Reformen nicht auf ungeteilte Zustimmung. Kritiker sprachen von „blutigen“ Entlassungen, weil die Patienten auch angesichts des zunehmenden Trends zu ambulanten Eingriffen gezwungen waren, sich zu Hause auszukurieren. Trotz aller Kritik war die Entwicklung unumkehrbar: Bereits der neue Krankenhausplan für Rheinland-Pfalz vom Herbst 1996 gab vor, dass landesweit 3761 Betten wegfallen sollten. Aus Sicht der unmittelbar betroffenen Standorte war dies eine Katastrophe.

 

Es kommt nicht von ungefähr, dass sich Widerstand regte. Meist vergebens. Die Zahl der Krankenhausbetten in Rheinland-Pfalz sollte bis 2018 auf 24.614 sinken, wobei das Statistische Bundesamt eine Auslastung von 74,9 Prozent ermittelte. Regionale und lokale Besonderheiten konnten dabei naturgemäß nicht erfasst werden. Zum Vergleich: Der höchste Auslastungsgrad wurde für Berlin (84,1 Prozent), der niedrigste für Sachsen-Anhalt (73,7 Prozent) ermittelt. In der Konsequenz sollte die Zahl der Krankenhausbetten noch einmal leicht sinken. Für das Jahr 2021 wurden für Rheinland-Pfalz schließlich 569,8 Krankenhausbetten je 100.000 Einwohner gemeldet6, was bei einer Gesamtzahl von aktuell rund 4,16 Millionen Rheinland-Pfälzern (Stand 20227) rein rechnerisch einer Gesamtsumme von rund 23.700 Betten entspricht.

 

Auch die Debatte um den Abbau von Bettenkapazitäten ist nicht neu. So ist aus Koblenz überliefert, dass bereits am 24. September 1996 Personalvertreter der späteren Fusionskandidaten Evangelischen Stifts, des Marienhofs, des Brüderkrankenhauses und des Kemperhofs ein Schreiben verabschiedeten, in dem sie die Politik auf die prekäre Situation in Koblenz aufmerksam machten. Die Kernaussage: Durch die Reduzierung von 18 Prozent der Betten bei einer Belegung von jetzt schon 85 Prozent sei eine Unterversorgung der Bevölkerung vorprogrammiert. Auch mit Blick auf die Region gab es Kritik.

 

Nach Darstellung der Personalvertreter schnitt der Bereich Mittelrhein-Westerwald im Vergleich zu anderen Gebieten (5,7 Krankenhausbetten auf 1000 Einwohner) besonders schlecht ab. Nach ihren Berechnungen lag der Schnitt in den Versorgungsgebieten Trier und Rheinhessen-Nahe beim besseren Wert von 6,6 Betten. Die Verantwortlichen in den örtlichen Krankenhäusern wiesen ferner darauf hin, dass neben Verschlechterungen für die Patienten auch ein Abbau von mehreren hundert Arbeits- und Ausbildungsplätzen drohe. Eine weitere Aussage: Durch die Reduzierung des Budgets werde bereits jetzt überall Personal eingespart. Die Folge: Bereits damals existierte eine Art „Patiententourismus“, weil die Kapazitäten der einzelnen Häuser, so die Kritiker, bereits erschöpft gewesen waren. Auch gebe es quasi keine freie Arztwahl mehr. Diesen Vorwurf wies das Mainzer Sozialministerium jedoch zurück.

 

Auch wenn die beschriebene Episode bereits 27 Jahre alt ist, klingt sie ebenso aktuell wie der Ansatz des damaligen Sozialministers Florian Gerster (SPD) – er wollte durch das Vorantreiben von Spezialisierungen einen Spareffekt erzielen. Das erklärte Ziel: Jedes Krankenhaus sollte einen eigenen Versorgungsschwerpunkt aufbauen, auch um zu verhindern, dass Mitbewerber Patienten in ihre Einrichtungen locken. Dieser Ansatz nahm vieles vorweg, was im weiteren Reformprozess deutliche Konturen annehmen sollte. So wurden die Kliniken gezwungen, Allianzen zu schmieden und perspektivisch zu fusionieren – wenn nötig, sogar in überörtlichen Verbindungen, wie heute die Beispiele Westpfalz-Klinikum, Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein und Katholisches Klinikum Koblenz-Montabaur zeigen.

 

Aus heutiger Sicht gilt vor allem die Einführung diagnosebezogener Fallpauschale zum 1. Januar 1994 als unmittelbare Folge des neuen Gesundheitsstruktur-Gesetzes als Sündenfall. Die neue Regelung, die einige Häuser bereits im Laufe des Jahres 1993 eingeführt hatten, galt fortan für alle Krankenhäuser. Nur die psychiatrischen Einrichtungen waren ausgenommen. Die durchgängige Abrechnung über insgesamt 600 diagnosebezogene Fallpauschalen – kurz DRG (Diagnosis Related Groups) genannt – löste das bisherige Mischsystem aus tagesgleichen Pflegesätzen, Fallpauschalen und Sonderentgelten ab.

 

Was auf den ersten Blick nach Vereinfachung und Entbürokratisierung aussah, sollte sich schon bald der Schlüssel zu einer Fehlentwicklung werden, der die finanzielle Schieflage der Krankenhäuser verschärfte – vor allem deshalb, weil sie seit Einführung der Reform nur für tatsächlich erbrachte Leistungen bezahlt wurden. Dem Aspekt, dass Kliniken ein bestimmtes Angebot vorhalten müssen, um die Grund- und Regelversorgung in der Fläche gewährleisten zu können, wurde dabei zu wenig Beachtung geschenkt. Dazu kam, dass die Fallpauschalen nur unzureichend an die allgemeine Kostenentwicklung angepasst wurden, sodass die Krankenhausträger am Ende immer wieder drauflegen mussten und immer weiter in die roten Zahlen rutschten. Vor diesem Hintergrund sind weitere schwerwiegende Reformen vorgesehen, die von den Ampel-Regierungen in Berlin und Mainz zwar als Erfolg dargestellt werden, in der Praxis aber gravierende und nachteilige Folgen für die Patienten haben könnten.

 

2. Die Krankenhausreform aus Sicht von Kritikern

 

Die Bundesregierung arbeitet in Abstimmung mit den Ländern in mehreren Runden an einer großen Krankenhausreform, über die nach den Parlamentsferien 2023 abschließend beraten werden sollte. Der ursprünglich anvisierte Starttermin 1. Januar 2024 konnte nicht eingehalten werden kann. Einen genauen neuen Termin gibt es nicht, das Gesetz könnte angesichts der aktuellen Entwicklungen Ende 2024 verabschiedet werden.

 

Ursprünglich hatte das Ärzteblatt auf eine Aussage des baden-württembergischen Gesundheitsministers Manfred (Manne) Lucha (Grüne), der auch Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz ist, verweisen. Hintergrund ist, dass die Bundesländer bis Mitte November 2023 Zeit haben sollten, die Details des Reformwerks zu prüfen. Erst danach könne das Gesetzgebungsverfahren in Bundestag und im Bundesrat beginnen.8 Im Januar 2024 wurde schnell klar, dass auch der neue Termin nicht zu halten war. Inzwischen ist vom 1. Januar 2025 die Rede.

 

Zum Gesamtpaket gehört auch das sogenannte Krankenhaustransparenzgesetz. Dieses Gesetz wurde am 13. September 2023 im Bundeskabinett vorgestellt und am 21. September 2023 in erster Lesung im Bundestag beraten. Am 19. Oktober 2023 stimmten die Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und FDP für das Gesetz. Jetzt fehlte nur noch die Zustimmung des Bundesrates. Weil die Länder im Rahmen der Verhandlungen in Frühjahr und Sommer den besprochenen Eckpunkten der Reform zustimmten, gingen nicht nur Optimisten davon aus, dass das Gesetz auch den Segen der Länderkammer finden und damit eine Empfehlung des Gesundheitsausschusses befolgt würde. Doch es kam ganz anders. Der Bundesrat entschied in seiner Sitzung am 24. November 2023 nach mehreren kritischen Reden der zuständigen Minister und Senatoren, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um nachzubessern.

 

Erst am 22. März 2024 gab der Bundesrat grünes Licht. Fünf Tage später, am 27. März 2024, trat schließlich das Gesetz mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Damit war dann auch der Weg für den Start des flankierenden Onlineverzeichnisses über Behandlungen in den Krankenhäusern ab dem 1. Mai 2024 frei.

 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte in der Aussprache der Bundesratssitzung eindringlich für das Gesetz geworben, das nach seiner Darstellung einen großen Zeitgewinn bedeutete. Der „großen Reform“ vorgeschaltet, sollte es auch den Weg zu einer auskömmlicheren Finanzierung der Kliniken ebnen. Offenbar wollten nur noch die Wenigsten dieser Darstellung glauben. Hinter vorgehaltener Hand befürchten Experten inzwischen, dass nicht erst 2026, sondern erst 2027/28 zusätzliches Geld fließen wird. Die Kritiker des Gesetzes ließen in der Bundesratssitzung durchblicken, dass sie eine wirkungsvolle Zwischenfinanzierung der Krankenhäuser weiterhin vermissen. Auch witterten sie einen Eingriff des Bundes in die Planungshoheit der Länder.

 

Das Transparenzgesetz soll die geplante Krankenhausreform flankieren. Ziel ist es, dass Patienten erkennen können, welches Krankenhaus in ihrer Nähe welche Leistung anbietet und wie diese Klinik im Hinblick auf Qualität sowie ärztliche und pflegerische Personalausstattung abschneidet. Das Ganze lässt sich nur im Gesamtkontext richtig verstehen. Das Paket ist aus Sicht von Kritikern insgesamt eine Mogelpackung, weil die Regelversorgung nicht berücksichtigt wurde. Diese findet in der neuen Klassifizierung einfach nicht statt. Es drohen massive Probleme für Kleine Regelversorger im ländlichen Raum, weil sie wahrscheinlich ich ihre „Spezialleistungen“ wie zum Beispiel in der orthopädischen Chirurgie nicht mehr abrechnen können.

 

Bedingt durch die Bedenken der Länder gegen das Krankenhaustransparenzgesetz gab es auch Verzögerungen beim sogenannten Krankenhaustransparenzverzeichnis. Dieses ist quasi ein Online-Klinikatlas, aus dem hervorgehen soll, was eine Klinik in welcher Qualität anbietet. Der sogenannte Bundes-Klinik-Atlas sollte ursprünglich im April 2024 online sein, ging aber dann mit dem Start des Transparenzgesetzes am 1. Mai 2024 einher. 

 

Zweifel an dieser Terminierung blieben bestehen. Frank Heimig, Geschäftsführer des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) kritisierte am 28. März 2024 im Ärzteblatt den zu knapp bemessenen Zeitrahmen. Er ging davon aus, das Verzeichnis werde vermutlich zunächst nur mit einem Teil der vorgesehenen Daten starten. Das gelte vor allem für die Informationen über Zertifikate und Qualitätssiegel für die einzelnen Krankenhausstandorte, die eigentlich den Patienten als Information über die zu erwartende Behandlungsqualität dienen sollten.

 

Das Ärzteblatt hatte bereits im Oktober 2023 die Verschiebung damit begründet, dass eine bessere Validierung der Daten durch das InEK ermöglicht und dadurch die Datengrundlage abgesichert werden sollte. Weiter heißt es, dass der Zeitplan des Bundesgesundheitsministers in einem ersten Schritt bis Ende September eine Darstellung des Leistungsumfanges der einzelnen Krankenhäuser vorsieht. Demnach sollte die geplante Differenzierung des Leistungsumfanges nach Leistungsgruppen ab dem 1. Oktober 2024 erfolgen. Ein weiterer Punkt: Ab dem Inkrafttreten des Gesetzes soll der vorläufige Pflegeentgeltwert von 230 auf 250 Euro erhöht werden. Zum Gesamtpaket gehört auch, dass Kliniken einen schnelleren Ausgleich der noch nicht finanzierten Pflegekosten erhalten können.

 

Aber auch die Inhalte des Klinikatlas, der am 17. Mai 2024 offiziell vorgestellt wurde, standen von Anfang an in der Kritik. „Falsch, veraltet, irreführend“, titelte denn auch der Fachdienst Thieme kma Online.15 „Lauterbachs Klinik-Atlas erfüllt leider nicht ansatzweise sein Versprechen, mehr Transparenz in der Krankenhauslandschaft zu schaffen. Im Gegenteil, zahlreiche falsche und fehlende Daten leiten Patientinnen und Patienten massiv in die Irre“, wird Dr. Henriette Neumayer, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, zitiert. Mehr noch: Die DKG riet im Mai 2024 Informationssuchenden davon ab, den Atlas mit größter Vorsicht zu nutzen.

 

Kritisiert wurden unter anderem falsche Angaben zu Ausstattungen, Notfallstufen und Fallzahlen. Außerdem würden Kliniken mit einer roten Ampel dargestellt, die die Personalvorgaben noch nie unterschritten hätten. „Auch bei diesem Atlas hat er [Lauterbach] auf die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern verzichtet“, teilte die DKG weiter mit. Und Werner Lullmann, Geschäftsführer der Niels-Stensen-Kliniken mit Hauptsitz in Osnabrück, legte nach: „Solche Fehler sind grob fahrlässig und irreführend“. Lullmann ärgerte sich vor allem über veraltete Fallzahlen einzelner Abteilungen.

 

Scharfe Kritik kam auch aus den Krankenhäusern im Raum Trier. „Falsche Zahlen beim Pflegepersonal oder Fachbereiche, die keine Erwähnung finden“, fasste der SWR in einem Bericht vom 24. Mai 2024 zusammen. So kritisierte die Marienhaus-Gruppe gravierende Mängel im Bereich Geburtshilfe.

 

Wer sich selbst einmal mit dem Bundes-Klinik-Atlas befasst hat, wird sehr schnell feststellen, dass Fallzahlen und Personalausstattung die wichtigsten Bewertungskriterien sind. Diese sagen aber tatsächlich nichts über die tatsächliche Behandlungsqualität aus. Das wird unter anderem bei der Durchsicht der Kategorie „Schlaganfall durch Verschluss eines Blutgefäßes im Gehirn – Hirninfarkt“ deutlich. Gerade bei solchen Fällen kommt es quasi auf jede Minute an. Angehörige müssen der Einschätzungen der Notfallmediziner vertrauen, die den schnellstmöglich verfügbaren Platz in einer der nächstgelegenen Stroke-Units ansteuern. Angehörigen bleibt da einfach keine Zeit, sich ausführlich zu informieren. Dazu kommt, dass im Deutschlandvergleich renommierte Einrichtungen wie beispielsweise das bundesweit anerkannte, zum Katholischen Klinikum Koblenz-Montabaur gehörende Brüderhaus in Koblenz unter „ferner liefen“ aufgeführt werden.

 

Erst die Suche nach Bundesländern gibt eine Erstorientierung. Mehr nicht. Also gab es direkt nach der Freischaltung des Verzeichnisses bereits erheblichen Nachbesserungsbedarf. Noch größer waren die Mängel im Bereich Chirurgie/Schwerpunkt Unfallchirurgie. Hier zeigte der Bundes-Klinik-Atlas am 27. Mai 2024 gerade mal vier Suchergebnisse an. Ausgerechnet das Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein, das einen Versorgungsschwerpunkt in diesem Bereich hat, fehlt.

 

Man muss aber auch sagen, dass es ganz normal ist, das beim Start eines Onlineportals und auch danach laufend inhaltlich nachgebessert werden muss. Doch gerade, wenn es um die Akutversorgung geht, müssen die Ergänzungen schnellstmöglich erfolgen.

 

Ein wichtiger Kritikpunkt wird aber trotz aller Nachbesserungen bleiben: Viele Fallzahlen und eine zufriedenstellende Personalausstattung bedeuten noch lange nicht, dass es für Patienten auch immer einen freien Platz gibt. Schon jetzt haben die Rettungsdienste Schwierigkeiten, Patienten unterzubringen. Betroffene berichten nicht selten von einer Odyssee. Dass sich aus Sicht mancher Experten die Situation ausgerechnet durch Standortkonzentrationen und einem weiteren Bettenabbau verbessert, ist angesichts der Praxiserfahrungen fraglich.

 

An der kritischen Position der FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion in Mainz hat sich angesichts dieser Hintergründe nichts geändert. „Das Krankenhaustransparenzverzeichnis steht nicht nur für einen massiven, verfassungswidrigen Eingriff in die Krankenhausplanung der Länder, es geht auch an den Realitäten vorbei. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Krankenhäuser im Land schon allein mit Blick auf die Betriebskosten chronisch unterfinanziert sind, was natürlich auch Auswirkungen auf die Qualität haben kann“, kommentierte Helge Schwab.

 

Der Gesundheitspolitische Sprecher argumentierte auf Grundlage von Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Demnach wurden die Basispreise für erbrachte Leistungen für das Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr lediglich um 4,37 Prozent erhöht. Diesem Wert stehen aber Kostensteigerungen von durchschnittlich 7 Prozent gegenüber. Der Landtagsabgeordnete verwies darüber hinaus noch einmal auf den großen Sanierungsstau an den rheinland-pfälzischen Kliniken hin. Um diesen zu beheben, müsste das Land nach Darstellung der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz jährlich rund 300 Millionen Euro investieren. Tatsächlich wurden für 2023 aber lediglich 143,8 Millionen Euro bereitgestellt, und für 2024 wurden rund 145 Millionen Euro eingeplant. Die Gesellschaft beruft sich dabei unter anderem auf Berechnungen des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus und Prof. Dr. Bert Rürup vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.

 

Was sagt die Landesregierungen zu den Folgen der Verzögerungen? „Das verzögerte In-Kraft-Treten bundesgesetzlicher Vorgaben hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Einrichtungen in Rheinland-Pfalz. Erst die Umsetzung in landesrechtliche Regelungen entfaltet Wirkung für die Krankenhäuser.“ So lautete die Antwort von Clemens Hoch vom 9. Oktober 2023 auf eine Kleine Anfrage von Helge Schwab, Gesundheitspolitischer Sprecher der FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion.

 

Der Gesundheitsminister zeigte sich überzeugt, dass die geplante Krankenhausstrukturreform zu einer nachhaltigen Verbesserung der Gesamtsituation der Krankenhäuser führen werde. „Die Landesregierung steht im ständigen Austausch mit Krankenhäusern, Kostenträgern und weiteren Vertragspartnern, sodass das Land im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten bereits heute eine gezielte Versorgungssteuerung vornimmt und dabei auch die Qualität der angebotenen Versorgung in den Vordergrund stellt“, so Hoch wörtlich. Er stellte sich damit hinter die Darstellung von Karl Lauterbach. In einer Pressemitteilung nach der Bundesratssitzung sprach der Minister sogar von einer Blockade und warnte vor einem Scheitern der Krankenhausreform.

 

Wie auch der Bundesgesundheitsminister zeigte sich auch Clemens Hoch überzeugt, dass mit der großen Krankenhausreform eine Qualitätssteigerung in der medizinischen Versorgung und eine Verbesserung der Finanzierung erreicht werde.20 Das bezweifeln nicht nur die FREIEN WÄHLER. Kritiker befürchten einen weiteren Kahlschlag im deutschen Krankenhaussystem, vor allem im ländlichen Raum. Es kommt nicht von ungefähr, dass 71 bayerische Landräte im Juli 2023 in einem Brief an den Gesundheitsminister vor dramatischen Folgen der geplanten Krankenhausreform und mit ihr womöglich irreparablen Schäden für die Grund- und Regelversorgung gewarnt hatten.

 

In einem Gespräch mit der Rhein-Zeitung Mitte November 2023 hatte Gesundheitsminister Hoch betont: Obwohl die geplante große Reform wohl erst 2026 im vollen Umfang wirken wird, steht in Rheinland-Pfalz ein anderer Termin. Bereits zum Stichtag 1. Januar 2025 soll alles umgesetzt sein, allem voran die Zuweisung der geplanten Leistungsgruppen.

 

Offenbar verspricht sich die Landesregierung einen Wettbewerbsvorteil. Im luftleeren Raum agiert sie dabei nicht. Die bereits in Nordrhein-Westfalen vollzogenen Veränderungen gehören zu den Vorbildern für die ganz große Reform, wobei allerdings kritisiert wird, dass die stationäre psychiatrische Versorgung in den Planungen nicht in ausreichendem Maß berücksichtigt wurde. In einem Interview mit der Rhein-Zeitung auf die Finanzierung angesprochen, wurde der Minister deutlicher als sonst.

 

„Bis zum Inkrafttreten der Reform ist viel zu wenig Geld im System. Es kann nicht sein, dass etliche Krankenhäuser gar nicht mehr in der Lage sind, bis zur Reform zu überleben“, so Clemens Hoch wörtlich. Der Minister sprach also genau das aus, was die FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion immer wieder in öffentlichen Gremiensitzungen und in Pressemitteilungen moniert hat. Ein Kritikpunkt war dabei auch das Vorschaltgesetz, dessen Eckpunkte Hoch noch einmal zusammenfasste. Demnach sollen bis Frühjahr 2024 noch einmal 3,2 Milliarden Euro an Energiehilfen fließen. Außerdem würden den Krankenhäusern laut den Planungen 6 Milliarden Euro für die Pflege zusätzlich fließen. Weitere, über diese Beträge hinausgehende Hilfen hatte Bundesgesundheitsminister Lauterbach abgelehnt.

 

Eine Pressemitteilung der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz (KGRP) vom 22. November 2023 ließ jedoch Zweifel daran aufkommen, dass die Bundesmittel tatsächlich so fließen werden wie von Clemens Hoch dargestellt. Die KGRP berief sich dabei auf Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Demnach hatten die vom Bund angekündigten Liquiditätshilfen bislang lediglich ein Gesamtvolumen von 2,4 Milliarden Euro anstatt der eigentlich vorgesehenen 6 Milliarden Euro erreicht. Für Rheinland-Pfalz hieß das: Statt der angekündigten Hilfen von rund 300 Millionen Euro sollten nur 120 Millionen Euro fließen. Klarheit brachte eine Pressemitteilung des Mainzer Gesundheitsministeriums vom 1. Dezember 2023. Demnach hatten 78 rheinland-pfälzische Krankenhäuser von Februar bis April 2023 Zahlungen zur Abfederung der steigenden Energiekosten in Höhe von insgesamt 75 Millionen Euro erhalten. Im Zuge einer zweiten Ausgleichzahlung wurden noch einmal genau 41.144.685 Euro bewilligt.

 

Fazit: Mit Blick auf die Ereignisse seit 2020 müssen die neuen Entwicklungen, die zwangsläufig zu weiteren Krankenhausschließungen führen werden, trotz der Aussagen von Clemens Hoch weiterhin kritisch hinterfragt werden. Wurde doch vor dem Hintergrund der Corona-Epidemie auf Bundes- und Landesebene immer wieder vor der drohenden völligen Überlastung des Gesundheitswesens gesprochen und dabei auf die Ausnahmesituation an Krankenhäusern hingewiesen – vor allem in den intensivmedizinischen Bereichen. Anstatt aus der Corona-Krise die Konsequenzen zu ziehen, indem man das Gesundheitswesen entlastet und optimiert, ist nun unter anderem von einem Abbau angeblicher Überkapazitäten die Rede, von dem ausgerechnet die Grund- und Regelversorgung für Patienten im stationären Bereich besonders stark betroffen ist.

 

Es scheint fast so, als hätten die Verantwortlichen die Covid-19-Ausnahmesituation vergessen. Und nicht nur das. Wie wir im Folgenden noch sehen werden, rechnen Experten vor, dass der Abbau von weiteren 100.000 Krankenhausbetten keine Auswirkungen auf die Qualität der Krankenhausversorgung haben würde. Aus Sicht der FREIEN WÄHLER-Landtagsfraktion müssen derartige Aussagen schon allein vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklungen hinterfragt werden. Eine Folge: Die zunehmende Multimorbidität, der mit einem Abbau der Grund- und Regelversorgung in der Fläche eben nicht begegnet werden kann.

 

2.1 Insolvenzgefahr wird nicht abgewendet

 

Die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, die diagnosebezogenen Fallpauschalen, die die Kliniken oft in eine Schieflage gebracht haben, durch verbesserte Vorhaltepauschalen zu ergänzen, verbessert die Gemütslage bei den Kritikern der Reform nicht. Dabei sieht das Vorhaben auf den ersten Blick recht gut aus: Krankenhäuser sollen künftig auch für Leistungen bezahlt werden, die sie vorhalten. Mit diesem Schritt soll der Druck, aus wirtschaftlichen Gründen möglichst viele Patienten zu behandeln, von den Einrichtungen genommen werden. Geplant ist, dass 60 Prozent der Kosten von Kliniken über sogenannte Vorhaltepauschalen gedeckt werden.

 

Allerdings soll die Reform erst nach einer Übergangszeit voll umfänglich greifen – also frühestens ab 2026. Das ist aber nicht der einzige Punkt, der in der Kritik steht. Auch richtet sich der Blick auf die geplante Vergütung nach einem System aus 65 Leistungsgruppen, für das die Qualitätskriterien erst noch festgelegt werden sollen. Und schließlich ist die Einteilung der Krankenhäuser in Grund-, Schwerpunkt- und Maximalversorger in der Kritik – vor allem deshalb, weil sie für kleinere Häuser Nachteile bringen dürfte, weil sie voraussichtlich nicht mehr alle der von ihnen erbrachten Leistungen erbringen und abrechnen dürfen.

 

Landtagsabgeordneter Helge Schwab, seit 15. Juli 2024 auch Vorsitzender seiner Fraktion, geht davon aus, dass die angekündigte Verbesserung der sogenannten Vorhaltepauschalen vor allem für kleine Krankenhäuser im ländlichen Raum zu spät kommt. Er verweist auf den Krankenhaus Rating Report 2023. Die Autoren der vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Zusammenarbeit mit dem Institute of Healthcare Business (hcb) und der Bank im Bistum Essen (BIB) erstellten Studie gehen davon aus, dass rund 25 Prozent der Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz und im Saarland akut insolvenzbedroht sind.26 Beide Bundesländer rangieren damit gemeinsam mit Baden-Württemberg an der Spitze der „Negativ-Tabelle“.

 

Allerdings beruht die Untersuchung auf Daten aus dem Jahr 2021, doch muss man aufgrund der aktuellen Kostenentwicklung und der alles andere als positiv stimmenden Berichterstattung in den Medien davon ausgehen, dass sich seitdem die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser weiter verschlechtert hat. Nicht umsonst fordert Helge Schwab zusätzliche Übergangsfinanzierungen durch Bund und Land. Denn: Mit Blick auf die aktuell rund 1900 Krankenhäuser in Deutschland reichen die vom Bund bislang zugesagten Mittel für das Auffangen der Kostensteigerungen – vor allem in den Bereichen Energie und Material – bei weitem nicht aus. Schwab weist ferner darauf hin, dass zusätzliche Hilfen im Rahmen eines Vorschaltgesetzes zumindest so lange fließen müssten, bis im Zuge der Krankenhausreform die Finanzierung der Einrichtungen tatsächlich verbessert wird. Er betont auch, dass der Bund derzeit keine finanziellen Spielräume für das von den FREIEN WÄHLERN geforderte Überbrückungsprogramm für die Zeit bis 2026 sieht.

 

Offenbar ist das Überleben von kleineren Einrichtungen, die – unabhängig von den rein betriebswirtschaftlichen Bewertungen – vor allem im ländlichen Raum einen wichtigen Part der Daseinsvorsorge übernehmen, zumindest aus bundespolitischer Perspektive weder ökonomisch noch politisch gewollt. Darauf deuten auch die Ausführungen der Autoren des Krankenhaus Rating Reports 2023 hin. Sie werteten 521 Jahresabschlüsse aus dem Jahr 2000 und 525 aus dem Jahr 2021 aus, thematisierten ein „Zielbild der künftigen Krankenhausstruktur“ in der geplanten Krankenhausreform und rechneten vor: Im Jahr 2021 waren die rund 437.000 Betten in den deutschen Allgemeinkrankenhäusern zu 66 Prozent ausgelastet. „Bei einer Zielauslastung von 85 Prozent und bei fortschreitender Ambulantisierung bestünde ein Zielbild von nur etwa 316.000 Betten beziehungsweise rund 1200 Standorten. Eine flächendeckende Versorgung ist damit weiterhin gut möglich“, heißt es in der Mitteilung zum Bericht wörtlich.

 

Daraus folgt: In der Fläche dürften mittelfristig eine Vielzahl von Krankenhausstandorten entfallen, zumal der Bund im Kampf um den Erhalt von Krankenhäusern in einzelnen Regionen den Ball an die Länder zurückspielt. Letztere sind grundsätzlich für den Erhalt und die Verbesserung der Infrastruktur zuständig. Dieser Verantwortung kommen die Länder mehr schlecht als recht nach, wie der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) in einer Pressemitteilung vorrechnete. Demnach stellte das Land Rheinland-Pfalz für das Jahr 2023 Investitionsmittel in Höhe von insgesamt 142 Millionen Euro bereit (das Land nennt 143,8 Millionen Euro). Notwendig gewesen wären nach vdek-Angaben jedoch 330 Millionen Euro. Der Verband berief sich dabei auf Berechnungen des Entgeltsystems im Krankenhaus. „Dass diese Finanzierungslücke auf Dauer zu finanziellen Problemen bei den Krankenhäusern führt, überrascht nicht wirklich, dass die Krankenhäuser seit Jahren gezwungen werden, aus den Zahlungen der Krankenkassen im Rahmen der Betriebskostenfinanzierung (DRG-System) auch Mittel für Investitionen zu verwenden. Seit Jahren forderte die GKV daher eine massive Erhöhung der Investitionskosten durch das Land“, so das Fazit des vdek.

 

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Sichtweise der Kassen nicht ohne Wiederspruch blieb und bleibt. So wies der Virchow-Bund, der Verband der niedergelassenen Ärzte, jüngst vor, dass die gesetzlichen Krankenkassen besser dastehen als von ihnen dargestellt. So hätten diese Krankenkassen 2022 ein Plus von 451 Millionen Euro erwirtschaftet. Ursprünglich war man für 2022 von einem Minus von 1,45 Milliarden Euro ausgegangen. Von dem vom Bundesvorsitzenden Dr. Dirk Heinrich kritisierten Punkten lassen sich viele auch auf die Krankenhäuser übertragen, vor allem die rapide Steigerung der Betriebskosten und die schlechten finanziellen Perspektiven für das Fachpersonal. „Während Krankenkassenmitarbeiter und Politiker Gehaltssteigerungen für sich reklamieren, verwehren sie gleichzeitig den Medizinischen Fachangestellten gerechte Gehälter und den lange überfälligen Coronabonus“, so Dirk Heinrich wörtlich.

 

Die beiden Beispiele zeigen: Die Diskussionen werden vor allem von einer Art „Verantwortungs-Ping-Pong“ geprägt, bei der die eine Seite die andere für die Misere verantwortlich macht. Konzertierte Aktionen, bei denen auch die gesetzlichen Krankenkassen ihren Part übernehmen, sind nicht in Sicht. Deswegen bleibt im Falle der rheinland-pfälzischen Krankenhäuser aktuell nur eine Frage: Was könnte das Land zusätzlich tun?

 

Helge Schwab machte im Vorfeld der Sitzung des Gesundheitsausschusses in Mainz am 14. Juli 2023 auch einen konkreten Vorschlag, wie eine Überbrückungshilfe durch das Land aussehen könnte. Ein probates Mittel könnten aus Schwabs Sicht Landesbürgschaften in einer Größenordnung von 40.000 bis 45.000 Euro pro Bett sein. Als ergänzendes Instrument brachte der Gesundheitspolitische Sprecher der FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion vorübergehende Änderungen der Bezuschussung von Investitionen in die Krankenhausinfrastruktur in Spiel. Demnach soll der Anteil des Landes in Höhe von 90 Prozent der förderfähigen Kosten vorübergehend auf 100 Prozent erhöht werden, wobei der Aufschlag von 10 Prozent als Kredit zu verstehen ist. Aus Sicht von Helge Schwab würde ein solcher Ansatz dazu beitragen, die Kliniken in der Übergangszeit liquide zu halten.

 

Was der Gesundheitsminister dazu sagt? Clemens Hoch lehnte in der Ausschusssitzung am 14. Juli 2023 den Vorschlag pauschal ab und verwies auf die Zuständigkeit des Bundes. Er wollte offensichtlich keinen Präzedenzfall schaffen, der irgendwann einmal zur Regel mutiert.  Auch verwies der Minister darauf, dass Landesbürgschaften für die Krankenhäuser schon allein gesetzlich nicht möglich seien. Initiativen der Landesregierung auf Bundesebene, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ändern, sind nicht zu erkennen und wohl auch nicht gewollt. Das gilt auch für die mögliche Umwandung defizitärer Häuser von gemeinnützigen Gesellschaften mit beschränkter Haftung (gGmbH) zu Anstalten öffentlichen Rechts. Diese Umwandlung würde eine Ausweitung von Landeszuschüssen ermöglichen, wie die Beispiele der Universitätsmedizin in Mainz und des Landeskrankenhauses mit seinen 17 Standorten und Hauptsitz in Andernach zeigen.

 

Die Weigerung der Landesregierung, unter Verweis auf Zuständigkeiten mögliche Auswege mit Langzeitperspektive aus der „Betriebskostenkrise“ in den Krankenhäusern zu finden, ist ein weiteres Indiz dafür, dass Bund und Länder das Aus für finanzschwache Krankenhäuser ganz bewusst in Kauf nehmen, auch wenn in den Pressemitteilungen der Ministerien ein ganz anderer Eindruck erweckt wird. So verkündete Minister Hoch nach der Vorstellung des bei der Bund-Länder-Konferenz am 10. Juli 2023 erarbeiteten Eckpunktepapiers: „Größe allein ist kein Qualitätskriterium. Unsere Kliniken im Land leisten hervorragende Arbeit; diese kann jetzt grundsätzlich auch für die Zukunft sichergestellt werden.“ 

 

Zweifel an dieser Aussage erschienen berechtigt. Doch ganz offensichtlich fruchteten schließlich die Proteste seitens der Kliniken, der Verbände, der Kommunen und der Opposition im rheinland-pfälzischen Landtag. Am 22. September 2023, also zwei Tage nach einem bundesweiten Protesttag, teilte das Gesundheitsministerium mit, es habe mit den Krankenkassen einen bis Ende des Jahres 2023 geltenden Liquiditätspakt geschlossen, dessen Volumen rund 275 Millionen Euro betrage.

 

In der Mitteilung räumte das Ministerium ein, dass Lauterbachs Krankenhausreform für einige Standorte womöglich zu spät komme. Weiter hieß es: „Die Mittel setzen sich zusammen aus rund 150 Millionen Euro Auszahlungen aus den Pflegebudgets. Hier stockt wegen ausbleibender Fälle auch die Rechnungsstellung. Dies wird nun beschleunigt. Hinzu kommen die Auszahlungen der Energiehilfen des Bundes durch das Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit und durch die Krankenkassen bis zum Jahresende in Höhe von rund 85 Millionen Euro sowie Mittel aus dem Krankenhauszukunftsfonds in Höhe von 40 Millionen Euro.“

 

In seiner Antwort auf die Kleine Anfrage von Helge Schwab vom 9. Oktober stellte Minister Clemens Hoch klar: „Eine Übernahme von Betriebskosten ist dabei nicht vorgesehen. Hierfür ist im Rahmen der dualen Finanzierung der Bund zuständig. In Bezug auf die Energiepreisentwicklung erhalten zugelassene Krankenhäuser bundesweit gemäß § 26f Abs. 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) für den Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis 30. April 2024 zwei krankenhausindividuelle Ausgleichszahlungen aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zum pauschalen Ausgleich von mittelbar durch den Anstieg der Energiepreise verursachten Kostensteigerungen. Die erste Ausgleichszahlung gemäß § 26f Abs. 2 KHG haben die Einrichtungen bereits erhalten, die zweite wird in drei Teilzahlungen bis Mitte 2024 ausgezahlt.“

 

Die Kliniken erhielten bis einschließlich 6. Oktober 2023 Zeit, ihren Anpassungsbedarf bei ihren jeweiligen Verhandlungspartnern zu melden. Das Gesundheitsministerium sprach laut Medieninformation selbst von einer „Verschnaufpause“. Der Pakt war also eine Überbrückungshilfe. Nicht mehr und nicht weniger. Die Klinikbetreiber und ihre Spitzenverbände warten weiterhin auf den großen Wurf zur auskömmlichen Finanzierung der laufenden Betriebskosten – und zwar auf Dauer. Das brachten auch Dr. Hartmut Münzel (Vorsitzender) und Andreas Wermter (Geschäftsführer) von der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz zum Ausdruck. Sie baten am 5. Oktober in einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden im Mainzer Landtag die Abgeordneten, sich für einen Inflationsausgleich bei der Anpassung der Krankenhaus-Entgelte einzusetzen. „Das Vorziehen der Auszahlung rechtsverbindlicher Forderungen der Krankenhäuser gegenüber den Krankenkassen löst weder das Problem der strukturellen Unterfinanzierung noch verhindert es die Fortsetzung der laufenden Insolvenzwelle. Unverzichtbar ist ein sofortiges gesetzliches Handeln des Bundes zur Aufstockung der Finanzierung der Krankenhäuser für 2023 und die Folgejahre!“ 

 

Der Brief war ganz bewusst im Vorfeld der Herbst-Ministerpräsidentenkonferenz verschickt worden. Diese fand vom 11. Bis 13. Oktober 2023 in Frankfurt statt. Bereits im Vorfeld der Zusammenkunft war durchgesickert, dass die Bundesländer bei der Krankenhausfinanzierung den Bund stärker in die Pflicht nehmen wollen.

 

2.2 Perspektiven sind nicht rosig

 

Auch die Aussichten für vermeintlich besser aufgestellte Häuser sind alles andere als rosig. Darauf lassen die Ergebnisse einer Blitzumfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) schließen, deren Ergebnisse Ende Juli 2023 im Onlineauftritt des Deutschen Ärzteblatts veröffentlicht wurden. An der bundesweiten Repräsentativbefragung waren 448 Allgemeinkrankenhäuser beteiligt. Die Ergebnisse sind vor allem aus Sicht einer flächendeckenden Versorgung niederschmetternd: 44 Prozent der Befragungsteilnehmer rechnen mit Schließung von Fachabteilungen für ihr Haus, weitere 27 Prozent gehen von Schließungen einzelner Krankenhausstandorte aus und 15 Prozent von der Schließung des Krankenhauses insgesamt. Wörtlich heißt es: „Einen wirtschaftlichen Nutzen der Krankenhausreform für ihr eigenes Haus können die Krankenhäuser größtenteils nicht erkennen. 72 Prozent der Krankenhäuser erwarten mittel- bis langfristig keine Verbesserung und sogar 56 Prozent eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage.“

 

Die Befragungsteilnehmer zeigten sich auch mit Blick auf die aktuelle wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser pessimistisch. Demnach sehen 69 Prozent der Kliniken die aktuelle wirtschaftliche Situation kurz- und mittelfristig gefährdet. Denn: In fast keinem der in der Umfrage berücksichtigten Krankenhäuser können die Ausgaben aus den laufenden Einnahmen gedeckt werden. Auch wenn die vorgesehene Ergänzung der diagnosebezogenen Fallpauschalen durch Vorhaltepauschalen grundsätzlich begrüßt wird, glauben die Befragten nicht, dass die Krankenhausreform „in wesentlichen Feldern Verbesserungen“ bringen würde. Und: Nur 11 Prozent der Befragten erwarten, dass infolge der Reform mehr Personal gewonnen werden kann.

 

Die weiteren ernüchternden Ergebnisse der Umfrage: 68 Prozent der Befragten halten die Ankündigung der „Entökonomisierung“ für ein leeres Versprechen. Auch gehen 91 Prozent der Umfrageteilnehmer davon aus, dass es in Sachen Bürokratie keinerlei Entlastungen geben wird. Dabei besteht besonders auch in diesem Bereich Handlungsbedarf. So weist DKG-Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß darauf hin, dass Pflegekräfte heute drei Stunden ihres Arbeitstages mit Dokumentationsarbeiten verbringen müssten. Gaß ist überzeugt, dass eine konsequente Entbürokratisierung enorme Arbeitskräftepotenziale freisetzen könnte.

 

3. Sind Insolvenzen politisch gewollt?

 

Auch Dr. med. Manfred Reeb, ein Mediziner mit langjähriger Erfahrung auf Krankenhaus- und Verbandsebene, beleuchtet die aktuelle wirtschaftliche Situation der Kliniken und die Eckpunkte der Krankenhausreform kritisch. Der Fraktionsvorsitzende der FREIEN WÄHLER im Stadtrat Kaiserslautern hebt hervor, dass auch der Gesundheitsminister davon ausgeht, dass „viele Krankenhäuser in die Insolvenz gehen werden, bis die Reformen greifen.“  Reeb, Facharzt für Innere Medizin, der sich unter anderem auf das Gebiet Onkologie spezialisiert hat, verweist in diesem Zusammenhang auf einen Artikel in der Rheinpfalz und die folgende vom Bundesgesundheitsminister im ZDF- Morgenmagazin getätigte Äußerung: „Es macht keinen Sinn, Kliniken zu unterstützen, die sich wirtschaftlich nicht tragen, wo die Qualität in diesen Bereichen nicht so gut ist und die man für die Sicherstellung auch nicht braucht.“ Demnach sieht Karl Lauterbach keine finanziellen Spielräume für weitere Unterstützung der Kliniken bei der Bewältigung ihrer ständig steigenden Betriebskosten. Ganz im Gegenteil.

 

Sind Schließungen von defizitären Krankenhäusern mit angeblichen Qualitätsmängeln wirklich der kostengünstigste Weg? Manfred Reeb beantwortet die Frage mit einem klaren Nein und rechnet an einem Beispiel des lange existenzbedrohten Kreiskrankenhauses Groß-Gerau auch die Kosten einer möglichen Schließung des 220-Betten-Hauses durch: Die Kosten für abzulösende Kredite, Abfindungen für Mitarbeiter, Auszahlung der Betriebsrenten und in anderen Bereichen würden sich auf 90 Millionen Euro summieren. Sogar der Kreis Groß-Gerau, der zu den 16 reichsten Landkreisen in Deutschland gehört, könnte das Geld nicht aufbringen. Reeb wies darauf hin, dass Schließungen von kommunalen Kliniken in strukturschwachen Gebieten auch aus rein finanzieller Sicht noch schlimmere Folgen haben könnte. Würde man zum Beispiel ein kommunales Verbundkrankenhaus mit rund 1300 Betten schließen, könnten eine solche Entscheidung leicht Folgekosten in einer Höhe von 450 Millionen Euro auslösen – und das bei einem Totalausfall von dringend benötigten Krankenhauskapazitäten. Das heißt: Steuer- und Beitragszahler müssten immense Mittel aufzubringen – um am Ende nichts zu haben. Wie es anders gehen könnte, hat ebenfalls das Kreiskrankenhaus Groß-Gerau vorgemacht. Hier wurden sämtliche Strukturen auf den Prüfstand gestellt, vor allem aber auch investiert, unter anderem in einen in Europa einmaligen Magnetresonanztomographen (MRT). Kosten: Rund 2 Millionen Euro.

 

Auch weist Manfred Reeb darauf hin, dass Lauterbach die Unterdeckung in den Krankenhäusern offenbar mit Billigung der Landesregierung selbst ausgelöst habe, in dem am 4. Oktober 2022 ein „Spargesetz“ auf den Weg gebracht und durchgesetzt hat. Demnach würden die Krankenhäuser vor allem bei der Finanzierung der Vorhaltekosten für zu erbringende Leistungen kompensationslos geschmälert. Ergebnis: In den folgenden Monaten seien 82 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser in die Verlustzone gerutscht. Allein das Westpfalz-Klinikum müsse wegen der Veränderung allein 2023 Einnahmeverluste in Höhe von 20 Millionen Euro bewältigen – wohl gemerkt im laufenden Jahr. Zu dieser Einschätzung passt auch ein Bericht in der Rheinpfalz. Demnach war bereits im April bekannt, dass das Defizit sogar bei 22,5 Millionen Euro liegen würde. Wie wir noch sehen werden, ist die Geschichte damit noch lange nicht zu Ende erzählt.

 

Manfred Reeb, der selbst Aufsichtsratsmitglied des Westpfalz-Klinikums ist, verweist darauf, dass die Einrichtung eigentlich infolge ihrer Spezialgebiete grundsätzlich gut aufgestellt ist und selbst in den schwierigen Jahren 2020 und 2021 keine größeren finanziellen Probleme hatte. Die Gründe für die derzeitige Verschärfung der Lage beim Handeln des Bundesgesundheitsministeriums.

 

„Herr Lauterbach hat das Gegenteil gemacht als in seiner Reform angekündigt“, kritisiert Manfred Reeb. Denn: Die Unterstützung bei den Vorhaltekosten wurde zunächst einmal geschwächt, bevor sie ab 2024 wieder gestärkt werden soll.  Einen weiteren Grund für die aktuelle Schieflage sieht Manfred Reeb auch bei den massiven Kostensteigerungen im Bereich der Maximalversorgung und verweist exemplarisch auf die Bereiche Prothetik und der Behandlung der Aortaklappenstenose in der Herzchirurgie.

 

Auch die im Rahmen der von der Bundesregierung im Rahmen der „Qualitätsoffensive“ vorgesehene „Zwangsunterteilung“ in Krankenhäuser der Grund-, Schwerpunkt- und Maximalversorgung steht in der Kritik – gerade mit Blick auf die kleineren Häuser, die womöglich Leistungen, die sie bisher erfolgreich erbracht haben, künftig nicht mehr anbieten können, weil sie diese nicht mehr abrechnen dürfen. Nicht umsonst betont Manfred Reeb: „Tatsächlich haben die noch verbliebenen kleineren Krankenhäuser dadurch überlebt, dass sie sich sinnvoll spezialisiert haben.“ Er nennt am Beispiel von drei der vier Standorte des Westpfalz-Klinikums die Schaffung eines Darmkrebszentrums mit Schwerpunkt bariatrische Chirurgie und die spezielle Orthopädie in Kirchheimbolanden,  die Geriatrie in Rockenhausen sowie die Bereiche Gefäßchirurgie, Angiologie (Behandlung von Gefäßerkrankungen), Wirbelsäulenchirurgie  und neurologische Frührehabilitation in Kusel. Ferner verweist er auf die Phlebologie (Venenheilkunde) und orthopädische Operationen am Kreiskrankenhaus Grünstadt und die Palliativmedizin im DRK-Krankenhaus Alzey.

 

Manfred Reeb befürchtet, dass die „Zwangseinteilung“ in drei Gruppen die Spezialisierungs- und Aufbauarbeit perspektivisch zunichtemachen könnte. „Durch die geplante Verweigerung der Durchführung und Abrechenbarkeit spezialisierter Verfahren in Grundversorgungshäusern wird genau diese Aufbauarbeit dann wieder unterbunden beziehungsweise rückabgewickelt. Das führt dann paradoxerweise zur Schließung aus wirtschaftlichen Gründen, ob wohl es gerade die Spezialisierung war, die diesen Einrichtungen die erforderlichen Mehreinnahmen beschert hat“, so Reeb wörtlich.

 

Wie eingangs bereits geschildert, ist neben der Einteilung von Krankenhäusern in drei Kategorien neben den Vorhaltepauschalen ein System aus 65 Leistungsgruppen eingeführt werden, für die Qualitätskriterien erarbeitet werden sollen. „Neben der Abrechnungsrestriktion nach Leistungsgruppen sollen diese zusätzlich noch in Grund-, Schwerpunkt- und Maximalversorgung verteilt werden, was schon aufgrund der Häufigkeit, dass bei vielen multimorbiden Patienten die Erbringung mehrerer Leistungsgruppen nötig ist, unmöglich in der Breite funktionieren kann. Es handelt sich also um ein Beschäftigungsprogramm für Bürokraten und Juristen zu Lasten von Patienten und am Patienten Tätigen“, kommentiert Manfred Reeb. Für ihn steht fest: Die Reform wird keines der bestehenden Probleme lösen, sondern diese vergrößern, weil die Reform mit einem massiven Kapazitätsabbau verbunden wäre. Aus seiner Sicht wäre genau das Gegenteil erforderlich –  ein echter Kapazitätsaufbau.  Die Krankenkassen, deren Mitarbeiterzahl größer ist als die der niedergelassenen Ärzte, sieht er dabei in einer Schlüsselrolle. Im Bürokratieabbau und in der Verhinderung von für Patienten unnötigen Untersuchungen sieht Manfred Reeb geeignete Möglichkeiten zum Gegensteuern.

 

3.1 Reform zum Nachteil der Regelversorgung?

 

Ein weiterer schwerwiegender Kritikpunkt ist aus Sicht der FREIEN WÄHLER in Kaiserslautern, dass die Regelversorgung in der geplanten neuen „Zwangsunterteilung“ überhaupt nicht berücksichtigt wurde. Dabei ist die Regelversorgung aus Sicht von vielen Medizinern der wichtigste und quantitativ bedeutendste stationäre Versorgungsumfang – der außerdem von einer sozialen Komponente geprägt wird, auf die dezentralen kleineren Einheiten besser Rücksicht genommen werden kann als an zentralen Großstandorten. Manfred Reeb weist darauf hin, dass gerade im Bereich der Regelversorgung das Gros der hospitalisierten Patienten hochbetagt und meist massiv multimorbide ist, „wobei jeweils mehr als zehn chronische und akute Diagnosen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind“, betont der Mediziner. Für ihn ist klar: In der Regelversorgung sind erfahrene, breit aufgestellte Versorger sehr oft wichtiger als Spezialisten, weil diese oft besser darin sind, mehrere Krankheitsbilder gleichzeitig zu erkennen und die erforderlichen Behandlungen zu veranlassen.

 

3.2 Qualitätsverlust in der Notfallversorgung?

 

Eine Schwächung der Regelversorgung könnte qualitativ nachteilige Auswirkungen auf einen Bereich haben, der so selbstverständlich geworden ist, dass offenbar nur noch wenige an ihn denken: die Notversorgung, die auch an den Grundversorgungshäusern angesiedelt sein muss. Auch hier sehen die FREIEN WÄHLER gravierende Mängel in der bevorstehen Krankenhausreform. „Wie soll eine ,Notversorgung‘ an einem nach Lauterbachschen Kriterien überlebenden Grundversorgungshaus denn qualitativ aussehen, wenn die dort tätigen Ärzte die spezielleren Krankheitsbilder nicht mehr behandeln dürfen und dadurch längerfristig auch keine Erfahrung in deren Erkennung und Behandlung haben können?“, fragt Manfred Reeb. Er sieht nicht nur Nachteile für Patienten, sondern auch für die Mediziner. Er geht davon aus, dass ein herabgestuftes Krankenhaus nicht nur wirtschaftlich in die Schieflage geraten wird und seine Attraktivität für Ärzte erheblich nachlassen wird. Unter anderem droht die Gefahr, dass an solchen Häuser die zur Facharztqualifikation erforderlichen spezielleren Krankheitsbilder bei Grundversorgern nicht mehr behandelt werden dürfen.

 

Manfred Reeb weist darauf hin, dass die Stellenbesetzung schon jetzt schwierig oder gar unmöglich ist. Daraus ergibt sich ein weiteres Problem: Das nicht abweisbare nächtliche Notfalleingriffe von guter Qualität an kleineren Häusern künftig kaum noch möglich sind, zumal nicht feststeht, wie die operative Ausstattung dieser Kliniken finanziert werden soll. Die Konsequenz wird wohl auf Dauer sein, dass solche nächtlichen Noteingriffe künftig an großen Kliniken erfolgen, die schon jetzt überlastet sind, weil auch hier Kapazitäten infolge des Mangels an Fachkräften, vor allem im Bereich Pflege, fehlen.

 

3.3 Klassifizierung und Qualitätskriterien

nicht neutral definiert

 

Weiterer Kritikpunkte sind die Klassifizierung der Krankenhäuser und die Festlegung der Qualitätskriterien, die einzelne Einrichtungen erfüllen müssen. Denn Einteilung und Festlegungen der Standards sollen nicht durch neutrale Institutionen, sondern durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) erfolgen.

 

„Die Qualitätsentscheidung übergibt der Gesetzgeber also nicht praktisch erfahrenen, von der Regierung demokratisch beauftragten, am Patienten praktizierenden Medizinern, sondern Ärzten, die sich durch eine Entscheidung für den MDK als den direkten Umgang mit Patienten verweigernd ,geoutet‘ haben. Wer im Krankenhaus, Krankenhauscontrolling oder als niedergelassener Arzt schon mit MDK und Kassen zu tun hatte, weiß, wovon ich rede. Hier sind maximale Streitigkeiten und patientenfeindliche Entscheidungen systematisch strukturell vorprogrammiert“, ist Manfred Reeb überzeugt. Der Mediziner geht von einem faktischen Qualitätsabbau und einer finanziellen Austrocknung von Krankenhäusern aus. Aus seiner Sicht wird die Krankenhausreform den seit Jahren anhaltenden Trend steigender Kosten bei kaum steigenden Vergütungen nicht aushalten.

 

Aus Sicht der FREIEN WÄHLER sind auch Zweifel an der Behauptung angebracht, dass sich die Behandlungsqualität an großen Krankenhäusern oder zusammengelegten Einrichtungen verbessern würde. „Die ,Studien‘, die belegen sollen, dass die Behandlungsqualität an großen Häusern besser sei als an kleineren, haben ausnahmslos nicht oder nur in kleinen Bereichen die Evidenz, dies wirklich in der Breite zu behaupten. Die Daten zur Patientenselektion, Patientenalter, Morbiditäten, sowie über Elektiv- und Notfalleingriffe sind dabei überwiegend nicht berücksichtigt oder vorhanden. Das gilt auch für den sozialen Stand der Patienten“, kritisiert Manfred Reeb. Er führt weiterhin aus, dass sich beispielsweise hochbetagte Patienten, die aus Altersgründen notwendige Eingriff immer wieder aufgeschoben haben, erst zur Notfallbehandlung in das nächstgelegene Krankenhaus begeben. Man sieht: Die vermeintlich schlechteren Überlebenschancen außerhalb der großen Fachzentren hat normalerweise nichts mit der Qualität der kleineren Regelversorger zu tun, sie sind auf Ängste und das damit einhergehende Zögern von Betroffenen zurückzuführen. Umgekehrt suchen gut informierte Patienten gern und vor allem rechtzeitig die großen, spezialisierten Einrichtungen auf.

 

Ein entscheidendes Argument, kleinere Standorte aufrechtzuerhalten, ist die gute Pflegequalität infolge kürzerer Wege und weniger Reibungsverlusten. Manfred Reeb verweist auch auf die bessere Betreuungskontinuität durch Ärzte und Pfleger, was besonders bei der Betreuung von Multimorbiditäten wichtig ist. Aus Sicht des Mediziners sind deshalb Kooperationen von kleineren Standorten mit Großkliniken in der Regel besser als Schließungen.

 

3.4. Ambulante Lösungen statt stationäre Grundversorgung

 

Mit Blick auf die medizinische Versorgung in der Fläche gibt es kein einheitliches Meinungsbild. Ganz im Gegenteil: Die unterschiedliche Interessenlage birgt erhebliches Konfliktpotenzial. Grundsätzlich lassen sich zwei „Strömungen“ herauskristallisieren: Die erste möchte die Krankenhausversorgung möglichst komplett aufrechterhalten, die zweite will die Kliniken modernisieren, an zentralen Standorten konzentrieren und die ambulanten Angebote der Einrichtungen ausbauen. Und über allem schwebt der Begriff der „Transformation“, man spricht gern von übergreifenden Versorgungsmodellen, in dem stationäre und ambulante Einrichtungen – auch die der niedergelassenen Ärzte übergreifend – zusammenarbeiten. Das Ziel: Grenzen Zug um Zug zu beseitigen. Die Digitalisierung – prominente Beispiele sind da E-Rezept und die Digitale Patientenakte – soll es richten.

 

Die Praxis zeigt jedoch, dass einiges im Argen liegt. Dazu kommen sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich die massiven personellen Probleme, vor allem beim Pflegepersonal und den medizinischen Fachangestellten. Schon allein deshalb muss man sich darüber wundern, dass viele niedergelassene Ärzte offenbar bereit sind, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, um quasi durch Schließungen oder Rationalisierungsmaßnahmen an Kliniken entstanden Lücken zu schließen. Vor allem die gesetzlichen Krankenkassen signalisieren bereits, dass sie solche Initiativen gern sehen. Der Blick auf die reinen Zahlen lässt sehr schnell erkennen, warum.

 

In sogenannten „Parlamentarischen Dialog“ der Barmer Ersatzkasse mit Mitgliedern des Mainzer Gesundheitsausschusses, der am 29. November 2023 im Deutschhaus stattfand, forderte Dunja Kleis einen mutigen Umbau der Krankenhausstrukturen, der im Sinne der Patientensicherheit überfällig war. Die Landesgeschäftsführerin der Barmer in Rheinland-Pfalz und im Saarland ließ aber schnell durchblicken, worum es wirklich ging: Um sehr viel Geld und mögliche Einsparpotenziale. Sie beklagte eine bereits seit Jahrzehnten schleichende Erosion der dualen Finanzierung des Krankenhauswesens und betonte: „Es ist nur Theorie, dass Bundesländer und Krankenkassen die Kosten der Krankenhausfinanzierung gemeinsam tragen.“

 

Besonders eine von ihr präsentierte Zahl des GKV-Spitzenverbandes ließ aufhorchen: Demnach stellten die gesetzlichen Kassen und Ersatzkassen allein im Jahr 2022 insgesamt rund 88,3 Milliarden Euro zur Finanzierung der stationären Versorgung bereit. Das war knapp ein Drittel aller von den Beitragszahlern aufgebrachten Mittel für die medizinische Versorgung. Davon flossen 5,4 Milliarden Euro in die rheinland-pfälzischen Krankenhäuser.

 

Dagegen stellten die Bundesländer im gleichen Jahr insgesamt „nur“ 3,2 Milliarden Euro für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen, davon 142 Millionen Euro in Rheinland-Pfalz, was auch nach Einschätzung der örtlichen Landeskrankenhausgesellschaft nur die Hälfte von dem ist, was eigentlich erforderlich wäre. Dunja Kleis wies auch darauf hin, dass deutschlandweit jährlich Mittel von insgesamt rund 4 Milliarden Euro für Investitionen in die Klinik-Infrastruktur fehlen.

 

Dazu passt, dass die Krankenhaus-Investitionsquoten in Deutschland seit 30 Jahren rückläufig sind. Nach Darstellung der Kassen werden inzwischen Investitionen in erheblichem Umfange von den gesetzlichen und privaten Kassen finanziert.

 

Zum Widerspruch regte die These an, dass die Krankenhausdichte in der Bundesrepublik, die hier auch aus internationaler Sicht in der Spitzengruppe rangiert, immer noch hoch ist. Das Problem ist nur, dass sich die präsentierten Statistiken nur auf den Bundesdurchschnitt bezogen, bundesländerspezifische Statistiken aber nicht vorliegen. Es sei allerdings möglich, den Durchschnitt für einzelne Regionen zu ermitteln, was allerdings nur individuell und mit großem Aufwand möglich sei, so eine Aussage der Referentin. Das heißt: Die Besonderheiten von Rheinland-Pfalz mit seinem hohen Anteil an ländlichen Räumen lassen sich aus den gängigen Statistiken nicht herausfiltern.

 

Genau deshalb waren beim „Parlamentarischen Dialog“ auch meistens nur allgemeine Aussagen möglich. So passt die Feststellung, das 40 Prozent der Bevölkerungen zehn oder mehr Grundversorger innerhalb einer Fahrzeit von 30 Minuten erreichen, nicht zu den rheinland-pfälzischen Verhältnissen – ebenso wenig die Darstellung, dass 98 Prozent der Bevölkerung einen Grundversorger in weniger als 30 Minuten erreichen. „Das mag in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet der Fall sein, aber nicht bei uns“, so die spontane Aussage von Helge Schwab.

 

Eine Erkenntnis aus der Nachmittagsveranstaltung war: Die große Krankenhausreform, die aktuell in Berlin vorangetrieben wird, könnte vor allem den Interessen der Krankenkassen entsprechen. Diese wittern angesichts des steigenden Kostendrucks in allen Bereichen des Gesundheitswesen Sparpotenziale. Es kommt nicht von ungefähr, dass man beim Verband der Ersatzkassen (vdek) die Diskussion mit Spannung verfolgt. Nicht umsonst betonte Martin Schneider, Leiter der vdek-Landesvertretung in Mainz, bereits 2020, dass die Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz im Bundesvergleich die zweitniedrigste Auslastung haben. „Jedes vierte Bett in Rheinland-Pfalz steht leer“, so Schneider. Er wies darauf hin, dass der Auslastungsdurchschnitt bundesweit aktuell bei 77,8 Prozent liege, in Rheinland-Pfalz dagegen bei nur 74,4 Prozent.

 

Ein weiterer Punkt: Die rheinland-pfälzischen Krankenhäuser hätten im Bundesvergleich zu niedrige Fallschweren, weil viele leichte Fälle in Kliniken behandelt würden. Das führe zu geringeren Erlösvolumina. Schneider folgerte daraus, dass es enorme Potenziale für mehr ambulante Behandlungen an rheinland-pfälzischen Kliniken gebe. Auch seien für Rheinland-Pfalz die höchsten Landesbasisfallwerte eingeführt worden. „Die Krankenkassen zahlen hier also bundesweit die höchsten Krankenhauspreise.“

 

Ganz klar war die Botschaft des Forums „Stadt, Land, Dorf – wie gelingt eine gut zukünftige Gesundheitsversorgung?“, das am 23. November 2023 im Mainzer Atrium-Hotel stattfand. Eingeladen hatte die Landesvertretung des Verbands der Ersatzkassen, und es war wieder Martin Schneider, der als Moderator spannende Zahlen präsentierte. Der Leiter der Landesvertretung wies darauf hin, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen laut Berechnungen des Schätzerkreises für 2024 genau 5,7 Prozent mehr für die gesundheitliche Versorgung ihrer Mitglieder ausgeben müssen als noch im laufenden Jahr.

 

Konkret heißt das: Allein für die gesetzlichen Krankenkassen werden die Gesamtkosten auf 317 Milliarden Euro steigen. Vor diesem Hintergrund gab Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen, die Devise der Veranstaltung vor: „Ambulant und stationär zusammen gedacht: Vorschläge der Ersatzkassen für moderne Strukturen der Gesundheitsversorgung am Ort“.

 

In der folgenden Diskussionsrunde mit Medizinern, Politikern und Praktikern aus der Kommunalverwaltung war oft von Transformation, vor allem aber auch von Digitalisierung die Rede. Der neutrale Beobachter hatte vor allem einen Eindruck: Dass die Hoffnung auf den Erfolg der neuen Technik offenbar so groß ist und dass man mit ihrer Hilfe einmalige Möglichkeiten zur Kosteneinsparung ohne Qualitätsverluste erschließen kann. Auch sollen die Grenzen zwischen stationären und ambulanten Strukturen aufgebrochen, wobei die ambulant tätigen Ärzte offenbar Potenziale sehen, trotz des Fachkräftemangels Aufgaben zu übernehmen, die bislang im Zuständigkeitsbereich von Kliniken liegen – getreu dem Motto „Organisation ist alles“.

 

Es drängte sich der Verdacht auf, dass die tatsächlichen Verhältnisse in rheinland-pfälzischen Praxen ganz andere sind als man es sich wünscht – und das nicht nur im ländlichen Raum. Auch in Mittel- und Oberzentren sind die Praxen oft so überfüllt, dass sogar Notfälle umgeleitet oder abgewiesen werden müssen. Angesichts solcher Situationen muss man sich fragen, ob das beschriebene Szenario nicht reines Wunschdenken ist, zumal auch die Technik nicht immer so funktioniert wie sie soll.

Die besten Argumente gegen die Schwächung der ambulanten medizinischen Versorgung im ländlichen Raum lieferte ausgerechnet die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz Mitte November 2023 selbst – und zwar mit der Ankündigung, zu Beginn des Jahres  2024 sieben der insgesamt 43 Bereitschaftspraxen für die ärztliche Akutversorgung zu schließen und womöglich in den verbleibenden 36 Praxen die Öffnungszeiten stark einzuschränken (montags, dienstags und donnerstags sollten sie ganz geschlossen bleiben), wobei die Nachtdienste sogar ganz gestrichen werden sollten.

 

Aktueller Anlass war einem Urteil des Bundessozialgerichtes, in dessen Folge die KV ankündigte, die Verträge mit allen 427 Poolärzten zu kündigen, die bislang rund 60 Prozent der Bereitschaftsdienste abdeckten. Begründung: Das bisherige System könne nach dem Urteil aus Kassel nicht mehr weitergeführt werden. Demnach können auch die sogenannten Poolärzte sozialversicherungspflichtig sein, auch die Mainzer KV muss deshalb Beiträge für die betroffenen Mediziner abführen – sogar rückwirkend.

 

Wie so oft gibt es eine längere Vorgeschichte. Diese war ausgerechnet von einem Mediziner angestoßen worden: Ein Zahnarzt aus Baden-Württemberg, der nach der Schließung seiner Praxis im Auftrag der zuständigen kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) Bereitschaftsdienste übernommen hatte, erhob – in Ergänzung zu seinem Honorar – Ansprüche auf Beiträge zur Sozialversicherung. Er klagte zunächst Landessozialgesetz Baden-Württemberg, in der zweiten Instanz beim Bundessozialgericht, wo ihm Recht gegeben wurde.

Das Urteil hat womöglich bundesweit Folgen für alle Poolärzte, also die Mediziner, die nach Aufgabe ihrer Praxen oder zusätzlich, also freiwillig, am ärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen. Sie gelten nämlich nicht grundsätzlich als selbstständig, es komme auf den individuellen Fall an, so das Gericht. Aus Sicht der KVen und die KZVen stimmt die Kalkulation nicht mehr.

 

Auch in Rheinland-Pfalz entschloss man sich deshalb, die Reißleine zu ziehen – und das, obwohl noch keine schriftliche Urteilsbegründung vorlag und auch die Größenordnung der möglichen Folgen noch nicht feststanden. Aus Sicht des Gesundheitsministeriums war der Zeitpunkt völlig verfrüht, was auch Ministerialdirektor Daniel Stich in seinem Bericht im Rahmen der Sitzung des Gesundheitsausschusses am 29. November 2023 deutlich machte. Er schloss sich damit der Kritik von Gesundheitsminister Hoch an, der seinen Unmut über die KV-Entscheidung in der Rhein-Zeitung so formulierte: „Nach der derzeitigen Rechtslage hat die KV bei der Ausgestaltung des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes einen weiten Gestaltungsspielraum. Wir haben aber den Eindruck, dass es der KV allein ums Geld geht und es sich hier mit der Entscheidung sehr leicht macht – zulasten der Krankenhäuser.“

 

Anders die KV: Sie ging davon aus, dass im kommenden 50 Prozent der Poolärzte keine Dienste mehr übernehmen wollten, weil sie nicht bereit waren, Sozialabgaben zu zahlen. Das Ministerium bewertet die Folgen des Gerichtsurteils weniger dramatisch: Nur 10 Prozent der Poolärzte seien von den Folgen des Gerichtsurteils wirklich betroffen, hieß es aus Mainz.

 

„Wenn man bedenkt, dass die Bereitschaftspraxen in Altenkirchen, Andernach, Emmelshausen, Frankenthal, Gerolstein, Ingelheim und Landstuhl geschlossen werden sollen, fragt man sich schon, inwieweit die ärztlichen und zahnärztlichen Selbstverwaltungen noch ihren ureigenen Auftrag erfüllen können – nämlich die Bereitstellung einer flächendeckenden Versorgung“, hatte Helge Schwab bereits in einer Pressemitteilung vom 17. November 2023 betont – verbunden mit der Forderung, das nun alle beteiligten Seiten gemeinsam eine Lösung finden müssten.

In der Tat fanden die Gespräche zwischen Gesundheitsminister Clemens Hoch und Vertretern der ärztlichen Selbstverwaltung statt. Den erhofften Durchbruch gab es jedoch nicht.

 

„Die KV hält stur an Praxisschließungen fest“, titelte denn auch die Rhein-Zeitung. Das hieß: Ab dem 1. Januar 2024 sollten die Bereitschaftspraxen in Altenkirchen, Andernach, Emmelshausen, Frankenthal, Gerolstein, Ingelheim und Landstuhl schließen, vor allem deshalb, weil die niedergelassenen Ärzte sich nicht in der Lage sahen, die Dienste der Poolärzte zusätzlich zu übernehmen. Am Ende stand ein dünner Kompromiss: Alle, die in der Nacht medizinische Hilfe benötigen, können ab dem 1. Januar 2024 zunächst unter 116 117 anrufen. Unter dieser Nummer erfolgt zunächst eine medizinische Ersteinschätzung. Wenn erforderlich, wird auch ein direkter Arzt-Patienten-Kontakt hergestellt. Hausbesuche in akuten Fällen sind also weiterhin möglich. Die Konsequenz wir sein, dass sich Patienten künftig noch schneller an die Notdienste in den Krankenhäusern wenden.

 

Angesichts dieser Tatsachen bleibt die berechtigte Frage, inwieweit die niedergelassenen Ärzte neue Aufgaben nach der Umorganisation der medizinischen Versorgung in der Fläche übernehmen und die Kliniken entlasten können. Zur Wahrheit gehört auch, dass es gerade die Krankenhäuser sind, die sich mit neuen, eigenen Angeboten auf den Trend der Ambulantisierung der medizinischen Versorgung einstellen. Vor diesem Hintergrund überraschte die Meldung der Allgemeinen Zeitung, dass die Universitätsmedizin in Mainz bereits der größte Ambulanzbetrieb ist und weiterhin steigende Behandlungszahlen meldet. Aktuell werden rund 570.000 Patientenbesuche im Jahr gemeldet. Aktuell geht man davon aus, dass in jedem Jahr ein Plus von 5 Prozent dazukommt. Demnach würde bis 2025 die Zahl der Ambulanzbesuche auf rund 1,1 Millionen Euro steigen.

 

Dass die Einschränkungen bei den Öffnungszeiten der Bereitschaftspraxen die befürchteten Folgen haben sollte, wurde Anfang 2024 sehr schnell deutlich. So berichtete die Nahe-Zeitung bereits am 15. Januar online, dass die Zentrale Notaufnahme des Klinikums Idar-Oberstein zum Jahresbeginn einen starken Anstieg der Fallzahlen meldet, vor allem in den Zeiten, in denen die Bereitschaftspraxen nun geschlossen haben. Konkrete Zahlen wurden allerdings noch nicht genannt.

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© Reinhard Kallenbach 2024

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