Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung
   Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung

Kein guter Start ins Reformjahr 2024

1. Reform scheibchenweise serviert

 

Verzögerungen im parlamentarischen Verfahren, Probleme bei der Vorbereitung der Umsetzung der großen Krankenhausreform – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte sich den Start ins Jahr 2024 sicherlich ganz anders vorgestellt. Eigentlich hatte die Krankenhausreform schon längst auf die Zielgerade bringen wollen. Doch es kam anders. Im Mai 2025 ging die Bundesregierung inzwischen von einem Inkrafttreten zum Stichtag 1. Januar 2025 aus.

 

Erst am 17. Mai 2024 konnte der, wie bereits geschildert, noch stark ergänzungsbedürftige Bundes-Klinik-Atlas vorgestellt werden, vier Tage später, also am 21. Mai, folgte der Kabinettsbeschluss zur Krankenhausreform, die erste Lesung zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) sollte noch vor den Parlamentsferien stattfinden. Wer jetzt gedacht hatte, das Ganze befinde sich endlich erfolgreich auf der Zielgerade unterwegs, hatte sich getäuscht. Die Kritik auf Landesebene und in den Fachverbänden war nach wie vor massiv, so dass man mit weiteren massiven Verzögerungen rechnen musste.

 

In diesem Zusammenhang ist das Mittags-Bulettin des Ärzteblatts vom 27. Mai 2024, das per E-Mail an Abonnenten verschickt wurde, sehr aufschlussreich. Darin sprach Chefredakteur Michael Schmedt von einem zerrütteten Verhältnis zwischen dem Bund und der auf Länderebene zuständigen Gesundheitsminister infolge von Karl Lauterbachs Alleingängen. Schmedt verwies auf eine Einschätzung von Prof. Dr Kerstin von der Decken (CDU), Ministerin für Justiz und Gesundheit und der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz. Demnach muss damit gerechnet werden, dass es zu Klagen gegen das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) kommen wird – bis hin zum Bundesverfassungsgericht.

 

Diese erheblichen Verzögerungen dürften die Insolvenzen in der deutschen Krankenhauslandschaft weiter beschleunigen. Zu allem Überfluss sollte sich die Pflegesituation dramatisch verschärfen. „Welt“ und Ärzteblatt (online) berichteten von einem explosionsartigen Anstieg bei den Pflegebedürftigen im Jahr 2023 und beriefen sich auf Aussagen des Bundesgesundheitsministers. Offenbar hatte Karl Lauterbach mit „nur“ 50.000 Pflegefällen gerechnet, tatsächlich gab es aber ein Plus von 360.000. Der Minister begründet die dramatische Entwicklung mit einem „Sandwich-Effekt“.

 

 „Zu den sehr alten, pflegebedürftigen Menschen kommen die ersten Babyboomer, die nun ebenfalls pflegebedürftig werden“, zitiert die „Welt“ Lauterbach. Weiter hieß es: „Erstmals gebe es zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen seien“. Dass es damit in der nächsten Legislaturperiode eine große Reform der Pflegeversicherung mit gravierenden Auswirkungen auf die Beitragsentwicklung geben wird, ist damit sicher. Spannend waren in diesem Zusammenhang die Leserkommentare, in denen das ausgesprochen wurde, was in der Politik nur ungern gesagt wird. Wichtige Punkte waren dabei das unsaubere Abrechnen durch private Pflegedienste, die Migration in die Pflege sowie die Folgen der Covid-Impfungen und Long Covid. Also alles Punkte die, wenn überhaupt nur sehr zögerlich aufgearbeitet werden. Die FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion, genauer gesagt ihr pflegepolitischer Sprecher Patrick Kuntz, machten die aktuelle Situation in der Pflege zum Thema in der aktuellen Debatte der Plenarsitzung am 12. Juni 2024. Die Illusion, dass dieser Vorstoß im Landtag schnell etwas bewirken würde, machte sich wohl kein Parlamentarier am Rednerpult.

 

„Fehlende Anschlussbehandlungen nach einem Krankenhausaufenthalt, pflegende Angehörige, die kaum Entlastung finden, und Pflegedienste, die Bedürftige ablehnen müssen: Die pflegerische Versorgung in Rheinland-Pfalz hat sich in den vergangenen Monaten zugespitzt – und steht mittlerweile auf der Kippe“: So fasst die Allgemeine Zeitung die Situation in ihrem Bericht „Pflege am Limit“ die Gesamtsituation zusammen. Anlass war ein Pressegespräch in Mainz, zu dem die Pflegegesellschaft Rheinland-Pfalz, die Landespflegekammer und der Sozialverband VdK Rheinland-Pfalz eingeladen hatten. Autorin Sonja Werner fasste weiter zusammen, dass dem Mainzer Sozialministerium und der Pflegekasse inzwischen seit einem Jahr Positionspapiere von Kammer und Verbänden vorliegen, man aber auf tatsächliche Lösungen weiter warten müsse. Man habe die Befürchtung, dass die schwierige Situation nicht ernst genommen werde. Das war eine deutliche Kritik an den zuständigen Minister Alexander Schweitzer, der in der Landtagssitzung am 10. Juli 2024 die bisherige Ministerpräsidentin Malu Dreyer im Amt ablösen sollte.

 

Das im Pressegespräch geschilderte Hauptproblem ist schon seit Monaten auch Nichtexperten bestens bekannt: Der Personalmangel hat insgesamt zu einer sinkenden Auslastung der Pflegeheime geführt, was sich wiederum äußerst negative Auswirkungen auf die Gesamtsituation der Einrichtungen hatte, die nicht mehr den erforderlichen Belegungsgrad von 85 Prozent erreichten. Darauf wiesen Jutta Schier und Gerhard Lenzen, Vorsitzende der Pflegegesellschaft hin. Und nicht nur das: Auch die mobilen Pflegedienste konnten infolge der Personalprobleme nicht mehr die gewohnten Leistungen erbringen. Sie müssten sogar Pflegebedürftige abweisen, heißt es weiter. Ein weiterer Punkt: Infolge der durch den Mangel gestiegenen Überbelastung meldeten sich die verbleibenden Pflegekräfte häufiger krank. Markus Mai, Präsident der Landespflegekammer, rechnete vor: Inzwischen fallen Pflegekräfte im Durchschnitt 32 Tage pro Jahr wegen Krankheit aus. Eine Folge ist, dass die Angehörigen der zu Pflegenden schon jetzt überlastet werden.

 

Moritz Ehl, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Sozialrecht beim VdK Rheinland-Pfalz machte deutlich, dass aktuell 17 von 20 Pflegebedürftigen zu Hause versorgt würden. Wenn die Unterstützung der Angehörigen durch die Pflegedienste fehle, würde die Versorgung zusammenbrechen. Das hat auch Auswirkungen auf die Krankenhäuser: Dort würden die Liegezeiten steigen, weil in den Pflegeeinrichtungen und bei den ambulanten Pflegediensten die Kapazitäten fehlen, führte Klaudia Klaus-Höhl, Abteilungsleiterin Soziale Betreuung im Brüderhaus Trier aus. Die Konsequenz ist, dass er Beratungsbedarf für die Angehörigen steigt, weil sofort Hilfe benötigt wird. Doch seien die Möglichkeiten für die Beratungs- und Koordinierungsstellen, schnelle Hilfe zu organisieren, erklärte Regina Bernhart vom Caritasverband Speyer.

 

Zwischenfazit: Das erste Halbjahr 2024 war genau so gelaufen, wie es Kritiker befürchtet hatten, wobei die Entwicklungen in den Pflegeeinrichtungen die Gesamtsituation noch zusätzlich verschärfte. Es gab es neue Klinikinsolvenzen, weitere kündigten sich an, sogar große Maximalversorger wie das Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein waren ins Taumeln geraten.

 

Leider war die Entwicklung am Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein nur ein Beispiel von vielen. In ihrem Geschäftsbericht für 2023 stellte die Deutsche Krankenhausgesellschaft fest, dass das Defizit der deutschen Krankenhäuser auf insgesamt 10 Milliarden Euro angewachsen war, was aus Sicht der DKG vor allem daran lag, dass die Kliniken für ihre Arbeit nicht in ausreichender Höhe bezahlt wurden. Die DKG erinnerte an eine Mitte des Jahres 2023 durchgeführte Umfrage. Demnach konnten 96 Prozent der Krankenhäuser ihre Ausgaben nicht mehr durch die laufenden Einnahmen decken. Die Gesellschaft verwies ferner darauf, dass im November 2023 60 Prozent der Kliniken das Weihnachtsgeld für ihre Mitarbeiter nur mit Hilfe zusätzlicher Schulden auszahlen konnten. Die DKG sprach von einem Schlag ins Gesicht der Beschäftigten, zumal es in der Diskussion um deren bessere Bezahlung nur bei Lippenbekenntnissen geblieben sei.

 

Die DKG weist ferner darauf hin, dass von der wirtschaftlichen Schieflage vor allem Kliniken im ländlichen Raum und in Kleinstädten betroffen sind. „Nur drei Krankenhäuser in Insolvenzverfahren liegen in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern. Das zeigt, wohin der kalte Strukturwandel führt. Wir laufen Gefahr, dass die Krankenhausversorgung vor allem dort verschwindet, wo man nicht mit einem unwesentlich längeren Weg in eine andere Klinik ausweichen kann und das Krankenhaus mittlerweile immer mehr Aufgaben der wegbrechenden niedergelassenen Versorgung übernimmt. Eines der großen politischen Ziele der Nachkriegsgeschichte, die gleichwertigen Lebensverhältnisse in Stadt und Land, wäre damit aufgegeben“, stellte die DKG weiter fest und formulierte ein weiteres bitteres Fazit: „Es ist davon auszugehen, dass diese Entwicklung den Absichten im Bundesgesundheitsministerium, die Zahl der Krankenhäuser radikal zu reduzieren, nicht ungelegen kommt. Bietet sie doch die Chance zur Strukturbereinigung, ohne sich selbst vor den eigenen Wählerinnen und Wählern für planmäßige Schließungen verantworten zu müssen.“

 

Zu allem Überfluss gab es im ersten Quartal 2024 keine messbaren Ergebnisse, die im Allgemeinen zu einer Verbesserung der Situation für die deutschen Krankenhäuser hätten führen können: Anders als gewünscht, wurden im Vermittlungsausschuss des Bundesrates in Sachen Transparenzgesetz nicht die erhofften Ergebnisse erzielt. Wieder meldete sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft zu Wort. DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß äußerte sich am 22. Februar 2024 in einer Pressemitteilung wie folgt: „Angesichts der unübersehbaren wirtschaftlichen Notlage der Krankenhäuser hat die Mehrheit im Vermittlungsausschuss aus Bundesregierung und SPD-Ländern die Chance verpasst, der Insolvenzwelle in der Krankenhauslandschaft wirksam entgegenzutreten. Die bloße Ankündigung des Bundesgesundheitsministers, dass die Landesbasisfallwerte für das laufende Jahr erhöht werden sollen, um die Erlöse der Kliniken an die inflationsbedingt gestiegenen Kosten anzupassen, ist eine wertlose Beruhigungspille für die Krankenhäuser. Es bleibt auch nach dem Vermittlungsausschuss und dem heutigen Pressestatement des Ministers völlig unklar, wie der sich täglich verschärfende kalte Strukturwandel gestoppt werden soll.“

 

Die DKG kritisierte vor allem die SPD-geführten Bundesländer. Diese hatten im Vermittlungsausschuss zugestimmt, ohne dass ein kurzfristig wirksamer Inflationsausgleich vereinbart wurde. Der Vorwurf der Gesellschaft: Diese seien nun in ganz besonderer Weise für das Kliniksterben in Deutschland verantwortlich. Ursprünglich hatte der Bundesrat eine Initiative verabschiedet, die Krankenhausfinanzierung um vier Prozent zu erhöhen, doch blieb es bislang bei der Ankündigung. Die Folge: Die Kliniken in der Bundesrepublik müssten bislang jeden Monat 500 Millionen Euro zuschießen, um die Patientenversorgung aufrechtzuerhalten – ohne das Geld wirklich zu haben. Und der geplante Ausgleich reiche aus DKG-Sicht hinten und vorn nicht aus. Dazu Gerald Gaß: „Die vage Ankündigung von Minister Lauterbach, die Landesbasisfallwerte zu erhöhen, um die Tariflohnsteigerungen besser abzubilden, ist bei genauer Betrachtung praktisch wertlos. Eine solche Anpassung würde lediglich weniger als 0,2 Prozent oder auf das Gesamtjahr gerechnet 125 Millionen Euro bedeuten. Der aktuelle monatliche Fehlbetrag würde damit von heute 500 Millionen auf 490 Millionen Euro reduziert. Damit kann kein einziges Insolvenzverfahren gestoppt werden. Geschäftsführungen, Banken und Insolvenzverwalter brauchen deshalb belastbare Fakten, um die Krankenhäuser wieder in sicheres Fahrwasser zu führen.“

 

Andere Maßnahmen kommen aus Sicht der Krankenhausgesellschaft einfach zu spät – allem voran der 50 Milliarden schwere Transformationsfonds, der zwar ab 2025 eingeführt werden soll, aber frühestens ab 2026 zu einer spürbaren Entlastung bei den dringend erforderlichen Krankenhausinvestitionen führen wird.

 

2. Sollen 30 Prozent der Krankenhäuser im Land

geschlossen werden?

 

Die bereits zu Beginn dieser Zusammenstellung behandelte Studie „Zukunft der Krankenhausstrukturen in Rheinland-Pfalz und im Saarland“ des Institute for Health Care Business GmbH (Essen) dürfte die Richtung für die weitere Planung der Entwicklung der Krankenhausstandorte in beiden Bundesländern vorgeben, zumal die Aussagen zur Wirtschaftlichkeit auf Grundlage des Kranken Rating Reports 2023 getroffen wurden. In diesem Zusammenhang sei noch einmal daran erinnert, dass dieser Studie die Auswertung von 521 Jahresabschlüssen zugrunde lag.

„30 Prozent weniger Kliniken, Schwerpunktbildung und Zentralisierung“: So brachte es die Rhein-Zeitung in ihrem ausführlichen Bericht über das Gutachten bereits in der Unterzeile auf den Punkt. Besonders hervorgehoben wird in dem Bericht die schwache Auslastung der kleineren Einrichtungen der Kliniken im ländlichen Raum, der bei rund 66 Prozent liegt. Nicht erwähnt wird in dem Beitrag, dass die mangelnde Auslastung unter anderem auch auf das sinkende Vertrauen der Patienten in die Einrichtungen und das Verschieben von Behandlungen infolge der Corona-Pandemie zurückzuführen war.

 

Laut Gutachten war die Leistungsmenge allein im Jahr 2020 um insgesamt 14 Prozent zurückgegangen.10 Das bestätigte auch die Expertenanhörung zur Aufarbeitung der Corona-Jahre im Gesundheitsausschuss, der am 19. und 20. Juni 2024 im Mainzer Landtag zusammenkam. Demnach wurden die Patientenzahlen der Vor-Corona-Jahre noch nicht wieder erreicht. Dieser Einbruch hatte gravierende Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Gutachter gingen davon aus, dass 25 Prozent aller Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz und im Saarland insolvenzgefährdet sind. Das sind deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt, der bei 11 Prozent liegt. Aus Sicht der Experten sind kleine Häuser mit weniger als 150 Betten zu teuer, und sie binden Fachkräfte, die andernorts besser eingesetzt werden könnten. Für die Gutachter liegt die optimale Betriebsgröße zwischen 500 und 900 Betten.

 

Aufhorchen ließ der Vorschlag zu trägerübergreifenden Zusammenschlüssen an den noch verbliebenen 87 Krankenhäusern, um Doppelstrukturen abzubauen und damit Kosten zu senken. Dass dies nicht der Weisheit letzter Schluss ist, haben die Entwicklungen rund um das Gemeinschaftsklinikums Mittelrhein gezeigt, das aus einem Zusammenschluss von kommunalen Trägern und Stiftungen mit kirchlichem Hintergrund entstanden ist. Das prestigeträchtige Projekt scheiterte letztendlich auch an den begrenzten finanziellen Möglichkeiten der kirchlichen Träger evangelischer und katholischer Konfession. Das Klinikum wurde zum Sanierungsfall wie so viele andere auch. Nun standen unter anderem folgende Beispiele von Fusionen und möglichen Zusammenlegungen im Raum:

 

  • Diakonie-Krankenhaus und St. Marienwörth in Bad Kreuznach
  • Marienkrankenhaus Cochem und St.-Josef-Krankenhaus Zell
  • Krankenhaus Maria Stern Remagen und Franziskus-Krankenhaus in Linz
  • Marienhaus-Klinikum St. Elisabeth Neuwied und DRK-Krankenhaus Neuwied
  • DRK-Krankenhäuser in Hachenburg, Altenkirchen und Kirchen sowie die Evangelischen Krankenhäuser in Dierdorf und Selters.

 

Für ganz Rheinland-Pfalz identifizierten die Gutachter ein Zentralisierungspotenzial für insgesamt 30 Standorte, die zu 13 Zentralkliniken zusammengelegt werden können. Die eigentliche Zahl der Standorte bleibe im Wesentlichen unverändert, doch sollten Leistungsgruppen an Schwerpunkten gebündelt werden. An den frei werdenden Standorten sollte zum Beispiel ambulante Ersatzlösungen geschaffen werden. Die Autoren zeigten sich überzeugt, dass die Fokussierungen erheblich dazu beitragen können, die Personalprobleme an einzelnen Standorte zu lösen. Und: Aus ihrer Sicht können aktuell jeder fünfte bis sechste derzeit stationär erbrachte Fall potenziell auch ambulant erbracht werden.

 

Die Gutachter betonten ferner, dass sie das größte Potenzial im Westerwald sehen. Dort könne man auf 63 Prozent der Standorte verzichten. Allerdings wären im Zuge der Vorbereitung der Zusammenlegung umfassende Investitionen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro erforderlich. Damit könnten neue Kapazitäten von insgesamt 2870 Betten entstehen. Gedeckt werden könnten die Kosten über den von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplanten Transformationsfonds. Aus diesem könnten ab 2026 rund 2,5 Milliarden Euro nach Rheinland-Pfalz fließen. Damit wäre auch die in Müschenbach geplante neue Westerwaldklinik zumindest aus Landessicht finanzierbar.

 

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der zu erwartende Modernisierungsschub insgesamt gesehen zu einem weiteren Abbau der Bettenkapazitäten führen wird. Besteht womöglich die Gefahr, dass künftig nicht mehr 99 Prozent der Rheinland-Pfälzer ein Krankenhaus einer Notfallstufe erreichen können?  Aus Sicht der Gutachter stellt sich die Frage nicht, weil ja nur kleinere Einrichtungen von den Überlegungen betroffen sind. Dennoch bleibt die Frage, wo und wie Reservekapazitäten für den Katastrophen- und Kriegsfall vorgehalten werden können.

 

Auch stellt sich die Frage, wie das alles zusammenpassen soll. Die Gutachter erwarten selbst bis 2030 einen alterungsbedingten Anstieg der Fallzahlen in Rheinland-Pfalz und 4,8 Prozent im Saarland. Die Autoren argumentieren aber mit einen Ambulantisierungspotenzial von mindestens 12 Prozent und einem Rückgang der stationären Fallzahlen um mindestens 8 Prozent. Sie rechnen für beide Länder damit, dass der Bettenbedarf um stolze 28 Prozent sinkt.13 Wer schon einmal erlebt hat, wie schwer es aktuell ist, möglichst wohnortnah ein Krankenbett zu erhalten, wird an dieser Darstellung zweifeln, zumal es auch schwierig ist, eine flächendeckende ambulante Versorgung aufrecht zu erhalten.

 

Die Gutachter weisen selbst darauf hin, dass Rheinland-Pfalz bereits jetzt eine unterdurchschnittliche Hausarztdichte hat. Und: Bereits 2022 war bereits jeder fünfte Hausarzt älter als 65 Jahre. Dazu kommt, dass bereits zwölf Kreise in Rheinland-Pfalz und im Saarland von einer hausärztlichen Unterversorgung betroffen sind.

Außerdem gibt es noch organisatorische Probleme, weil es in Deutschland keine sektorenübergreifende Planung ambulanter und ambulant erbringbarer Leistungen gibt.

 

Bekanntlich planen die Länder im stationären Bereich über die Landeskrankenhauspläne, während im kassenärztlichen Bereich die Kassenärztlichen Vereinigungen die Planungen übernehmen. Dabei wird die Experten ins Auge gefasste umfassende ambulante Patientenversorgung über Medizinische Versorgungszentren, die während der Pandemiejahre einen Schub erlebte, eine sektorenübergreifende Planung erforderlich machen. Dieser Mangel wurde bereits erkannt, Vorbereitungen, ihn zu beheben, laufen. Auch das Gutachten beschreibt Modelle und Phasen einer Sektorenübergreifenden Versorgungsplanung.

 

Auch wenn mehrere Szenarien durchgespielt werden, birgt das Gutachten doch ein düsteres Zukunftsszenario. Geht es doch perspektivisch um einen Kahlschlag in der Fläche, durch eine deutliche Reduzierung der Standorte und die Errichtung zentraler Standorte mit Hauptzentren und Unterorganisation, in die Patienten in einer Fahrzeit von 30 bis 40 Minuten gebracht werden können. Zumindest in der Theorie. In der Praxis zeigt sich schon jetzt, dass sich Krankentransporte angesichts des Zustands und der Frequentierung der Straßen deutlich verlängern könnten. Es ist schon erstaunlich, dass gerade in Zeiten, in denen überall von Nachhaltigkeit gesprochen wird, Zentren auf der grünen Wiese als Lösung empfohlen wird. Das steht dem Grundansatz der FREIEN WÄHLER, möglichst viele Krankenhausstandorte zu erhalten, diametral entgegen. Und selbst, wenn die Alternativmodelle das halten, was sie versprechen, müsste jetzt die Diskussion um einen massiven Ausbau der Luftrettung beginnen. Wenn dieser unterbleibt, braucht man kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass die „Chancen“ für Patienten steigen, auf dem Weg ins Krankenhaus zu sterben.

 

3. Probleme an den Krankenhäusern wachsen

 

Dass sich auch anderen großen Häuser wie zum Beispiel dem Westpfalz-Klinikum in Schwierigkeiten befinden, bestätigte Kritiker der Krankenhausreform in der Annahme, dass die drohenden Engpässe in der Gesundheitsversorgung politisch bewusst in Kauf genommen werden, um komplette Privatsierungen von Kliniken zu beschleunigen oder zumindest die Zusammenlegung von Standorten zu fördern. Wie dem auch sei: Die Situation, die sich auch in den ersten Wochen des Jahres 2024 an manchem rheinland-pfälzischen Klinikstandort abzeichnet, ist keineswegs landespezifisch. Als Beispiel bietet sich in diesem Zusammenhang die finanziellen Turbulenzen im länderübergreifenden Krankenhausverbund Regiomed-Klinikum Coburg/Sonneberg mit seinen insgesamt 5000 Beschäftigten an.

 

Nachdem sich die Trägerkommunen geweigert hatten, die angehäuften Fehlbeträge zu übernehmen, zeichnet sich  aktuell sich eine Zerschlagung des Verbunds an, wobei bekannt wurde, dass der Landkreis Sonneberg bereit ist, die Standorte Sonneberg und Neuhaus am Rennweg zu übernehmen. Deswegen steht eine Erhöhung der Kreisumlage im Raum. Auch stehen sämtliche neu zu besetzende Stellen auf dem Prüfstand. Ein ähnliches Szenario könnte perspektivisch auch dem Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein drohen. In diesen Tagen wird deutlich: Die vor allem Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre mit viel Enthusiasmus geschmiedeten, oft in mehreren Stufen vollzogenen Klinikallianzen kommunaler und kirchlicher Träger haben sich offenbar in etlichen Fällen nicht bewährt.

 

Und auch in den privaten Krankenhauskonzernen scheinen die Jahre der Goldgräberstimmung vorbei zu sein, was nicht nur der Ausstieg von Sana aus den zweijährigen Verhandlungen über die Mehrheitsbeteiligung am Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein zeigt. So wies Manfred Reeb darauf hin, dass der in Bad Homburg beheimatete Konzern Fresenius die Rendite, die in den 20 Jahren zuvor überdurchschnittlich hoch gewesen sei, für 2023 auf null festgesetzt hatte. Die Gründe hierfür sind in der Entwicklung der Tochtergesellschaft Fresenius-Helios zu suchen, die an rund 87 Krankenhäusern, 240 medizinischen Versorgungszentren und 21 arbeitsmedizinischen Zentren beteiligt ist.

 

Die Süddeutsche Zeitung berichtete hierzu bereits Anfang Dezember 2023, dass der Vorstand entschieden habe, Energiehilfen von rund 300 Millionen Euro einzubehalten und nicht zurückzuzahlen. Mit der Entscheidung war auch verbunden, keine Boni an das Management auszuzahlen – was allerdings auch gesetzlich vorgeschrieben ist. Der Hintergrund laut „Süddeutsche“: Fresenius hatte bis Ende September knapp 160 Millionen Euro aus dem „Entlastungspaket Energiehilfen“ von der Bundesregierung erhalten. Mit der Annahme des Geldes wurde ein gesetzlicher Schwellenwert überschritten, womit für 2023 keine Managerboni und Dividenden gezahlt werden durften.

 

Zu den jüngsten Entwicklungen passt nicht, dass die Krankenhäuser Ende 2023 und in den ersten Wochen des Jahres 2024 vielerorts voll waren. Das gilt, Berichten von Mitarbeitern, Patienten und anderen Betroffen zum Beispiel nicht nur für den Raum Koblenz, sondern auch für weite Teile der Pfalz. Es scheint fast so, dass die Unterbelegung nur in den Gutachten von Gesundheitsökonomen gibt. Ungeachtet dessen kündigte Bundesgesundheitsminister Lauterbach für April 2024 an, das Reformpaket im Kabinett verabschieden zu lassen. Mit diesem Schritt wäre eine erste große Hürde auf dem Weg zur Umsetzung überwunden.

 

Die Überschrift in der Onlineausgabe des Handelsblatts vom 30. Januar 2024 „Tausende vermeidbare Todesfälle – Lauterbach warnt mit Ökonomen-Studie für Klinikreform“19 verriet vor allem, dass der Minister trotz aller Widerstände an seinem Kurs festhalten würde. Aus seiner Sicht, die er in der Bundespressekonferenz am 30. Januar 2024 noch einmal darlegte, sind schon allein wegen der großen Qualitätsunterschiede zu viele Krankenhäuser in der Fläche präsent. Jede dritte Krebsbehandlung würde in jenen zwei Dritteln der deutschen Kliniken durchgeführt, die dazu mangels Erfahrung nicht geeignet seien. Die Folge: Schwere Komplikationen, die oft sogar zum Tod führen.

 

Unterstützung erhielt der Minister vom Berliner Mediziner Dr. Reinhard Busse. Der Professor für Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der Technischen Universität Berlin zeigt sich überzeugt, dass bei der Behandlung von Herzinfarkten, Schlaganfällen oder Lungenentzündungen Todesfälle vermieden werden könnten, wenn sich mehr von ihnen in den besten Kliniken behandeln lassen würden.

 

Eine steile These, die mündlichen „Empfehlungen“ von Betroffenen für den Verfasser dieser Zusammenstellung ergeben ein ganz anderes Bild. Demnach war unabhängig von Größe oder Ansehen der einzelnen Kliniken die Personallage derart kritisch, dass Operationstermine nicht wie vereinbart durchgeführt werden konnten oder gerade für Senioren die Behandlungen auf den Stationen stark zu wünschen übrigließen. Auch wenn es sich dabei nur um eine rein private, nicht repräsentative „Momentaufnahme“ handelte, ließen die Berichte tief blicken, zumal es keinen regionalen Schwerpunkt gab. Sie reichten von München über die Lahn-Region bis an den Rhein.

 

Bezeichnend ist ein „Fall“ aus Koblenz, der dem Verfasser dieser Bestandsaufnahme aus dem Bekanntenkreis berichtet wurde. Demnach musste eine Seniorin im Spätjahr 2023 sofort ins Krankenhaus. Da in Koblenz und in der näheren Umgebung kein Bett für sie frei war, landete die Frau schließlich in Bad Neuenahr, wo sie zunächst einmal für einige Stunden nicht versorgt wurde.

In einem aus dem privaten Umfeld des Autors dieser Schrift übermittelten Fall aus Nordhessen wurde nach zehnstündiger Verzögerung eine einfache Mandeloperation so unprofessionell ausgeführt, dass zweimal nachoperiert werden musste. Wohl gemerkt: Es wurde in einem einst weit über die Landesgrenzen hinaus renommierten Universitätsklinikum operiert, in dem es seit Privatisierung und Fusion offenbar schon seit vielen Jahren drunter und drüber geht.

 

Vorkommnisse wie diese sind nicht neu. Entsprechende Medienberichte, auch in bekannten Magazinen wie zum Beispiel dem „Stern“, reichen bis in die frühen 2000er-Jahre zurück. Inzwischen zeigt sich noch deutlicher, dass der Personalmangel infolge des Sparzwangs hausgemacht war. Dazu kam, dass die Fehltage in deutschen Betrieben in den Jahren 2022 und 2023 rekordverdächtige Dimensionen angenommen hatten (auch für 2024 sieht es nicht so aus, dass sich an dieser Entwicklung etwas grundsätzlich ändern würde), sodass ganze Stationen auf Sparflamme liefen, manche Pfleger angesichts solcher Rahmenbedingungen endgültig das Handtuch warfen und in der Folge den Beruf wechselten oder ins europäische Ausland abwanderten. Zahlen und Vergleichswerte, aus denen sich die richtigen Schlüsse ableiten lassen, sind offenbar nicht in der Qualität und in der Dichte vorhanden, die für eine sorgfältige Aufarbeitung von grenzwertigen Fällen, wie sie oben geschildert wurden, erforderlich wären.

 

4. Pflegepersonal und Ärzte werfen das Handtuch

 

Immerhin gibt es Untersuchungen, die einen Eindruck von der Gefühlslage des Personals auf deutschen Krankenhausstationen vermitteln. So fand eine repräsentative Pflegestudie der Barmer Ersatzkasse und des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) ein breites Medienecho. Im Rahmen der Studie waren im Juli 2023 rund 1000 ambulant und stationär tätige Pflegekräfte zu ihrer aktuellen Arbeitssituation befragt worden.20 Das erschreckende Ergebnis: Vor allem jüngere Pflegekräfte denken darüber nach, ihren Beruf aufzugeben. Das ist kein gutes Signal für eine Branche, die es ohnehin immer schwerer hat, Nachwuchs zu finden.

 

Nicht minder alarmierend ist die Aussage, dass sich nur knapp jede dritte befragte Pflegekraft mit leitender Tätigkeit vorstellen kann, ihren Beruf bis zur Rente auszuüben. In diesem Zusammenhang verweisen die Autoren auf eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoppers (PwC) Deutschland, das im Jahr 2035 rund 1,8 Millionen offene Stellen nicht mehr besetzt werden können.

Der sich weiter verschärfende Personalmangel dürfte vor allem auch hausgemacht sein. Nicht umsonst weist die Barmer-Studie darauf hin, dass die Zufriedenheit der Pfleger mit ihrem Arbeitsumfeld rapide nachgelassen hat – vor allem während und nach der Corona-Pandemie. Auch auf die Folgen der ständigen Überbelastung des Pflegepersonals, die unter anderem zu einem Burnout-Syndrom führen kann, wurde hingewiesen, wobei ein neues Phänomen beschrieben wurde: Das sogenannte „Coolout“, einen Prozess der moralischen Desensibilisierung bei Pflegekräften, von dem auch Patienten immer wieder berichten.

 

66 Prozent der befragten Pflegekräfte gaben an, oft oder immer sehr schnell arbeiten zu müssen. Zum Vergleich: Vor der Pandemie waren es „nur“ 53,6 Prozent gewesen. Eine weitere Haupterkenntnis war, dass mehr als die Hälfte der befragten Pflegekräfte angab, oft oder nicht genügend Zeit zu haben, um alle Aufgaben zu erledigen. In Zahlen heißt das: Es waren 53,3 Prozent. Daraus lässt sich schließen, dass der Belastungsgrad in vielen Stationen höher ist als er sein sollte. Dazu passt, dass 45,4 Prozent der befragten Pflegekräfte angaben, oft oder immer Überstunden zu machen. Und: 43,6 Prozent der Pflegekräfte hoben hervor, dass sie selten oder nie Pausen einlegen können. Angesichts solcher Werte verwundert es nicht, dass 54 Prozent der Pflegekräfte das Gefühl haben, oft oder immer ausgelaugt zu sein.

 

Ein schwacher Trost ist mit Blick aufs Ganze, dass die Zufriedenheit der Pfleger mit ihrer Arbeit wieder gestiegen ist. Sie lag nun bei 51,6 Prozent. Während der Corona-Pandemie hatte sie mit 32,6 Prozent einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Für die Zeit vor der Pandemie wurde ein Wert von 49,5 Prozent ermittelt.

 

Diese Punkte mögen als Beispiele genügen. Sie scheinen laut Medienberichten die Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach und Reinhard Busse nur am Rande zu interessieren. Aus ihrer Sicht scheint es ausreichend zu sein, die Einrichtungen vor allem aus wirtschaftlicher Sicht neu auszurichten. Ein höherer Spezialisierungsgrad und „Qualitätsranglisten“ erscheinen für die beiden Mediziner probate Mittel, alle Probleme in den Griff zu bekommen. Den Rückhalt in der Bevölkerung haben sie anscheinend. Dafür spricht das Ergebnis einer Umfrage, über die das Handelsblatt berichtete. Demnach würden 94 Prozent der Menschen in Deutschland für eine geplante Operation in eine spezialisierte Klinik fahren – auch wenn sie weiter entfernt liegt. Und: 66 Prozent bewerteten das Reformziel, komplizierte Behandlungen in spezialisierten Kliniken durchführen zu lassen, als gut.

 

Offenbar ist in der Bevölkerung nicht angekommen, dass die Bedingungen selbst in den hoch spezialisierten Krankenhäusern alles andere als optimal sind. Dass die Kritik an den Rahmenbedingungen und der Bezahlung weiterhin sehr hoch ist, zeigte ein bundesweiter Warnstreik, zu dem der Marburger Bund für den 30. Januar 2024 aufgerufen hatte. Mit Erfolg: An 23 ländereigenen Universitätskliniken legten mehrere Tausend Ärzte ihre Arbeit nieder. Die Forderung: Höhere Zuschläge für Regelarbeit in der Nacht, an Wochenenden und an Feiertagen. Außerdem wurde eine lineare Gehaltssteigerung von 12,5 Prozent für ein Jahr verlangt.

 

Die Forderungen wirkten nur auf den ersten Blick überzogen. Ein Beitrag in der Online-Ausgabe des Ärzteblatts überraschte mit der Information, dass das Grundgehalt der Mediziner an Universitätskliniken 200 bis 600 Euro unter dem der kommunalen Krankenhäuser liege – und das bei längeren Arbeitszeiten. Der Hintergrund: Etliche Universitätskliniken zahlen nicht nach dem verhandelten Tarifvertrag, örtlich können Haustarifverträge gelten, unter anderem auch in Mainz, was eine Erklärung für den gravierenden Personalmangel  an diesen Einrichtungen sein könnte.

 

Mit Blick auf die rheinland-pfälzischen Krankenhäuser zeigte sich in den ersten Wochen des Jahres 2024, dass sich die personelle Situation weiter verschärft hatte –  und dass die Rufe der Mahner ungehört verklungen waren. Vor allem in den Notaufnahmen meldeten sich deutlich mehr Patienten. Grund hierfür waren vor allem die Verringerung der Öffnungszeiten samt Streichung der Nachtdienste in den Bereitschaftspraxen beziehungsweise die komplette Schließung von sieben dieser Einrichtungen, für die die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz zuständig sind. Die Folge: Patienten wichen in die Kliniken aus – auch bei Bagatellfällen, in denen nur eine Krankschreibung oder ein Rezept benötigt wurden. Und so nannte beispielweise das Klinikum Idar-Oberstein ein Plus von 25 Prozent bei den Patienten in der Notaufnahme, am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz und Marienhaus Klinikum in Mainz waren es jeweils 20 Prozent.

 

„Diese Patienten konkurrieren leider um Behandlungskapazitäten echter Notfälle und verbrauchen unnötige, für das Krankenbild oftmals nicht notwendige Personal- und Zeitressourcen“, kommentierte eine Marienhaus-Sprecherin. Und auch die Reaktionen der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz waren kritisch. Dort befürchtet man, dass die Bereitschaftsdienste letztendlich komplett an den ohnehin überlasteten Kliniken landet.

 

Gefragt sind also zukunftsfähige Konzepte, von denen eines bereits seit 2019 an der Universitätsmedizin Mainz umgesetzt wird: Um eine Überlastung der Notfallaufnahme zu verhindern, wurde eine „Allgemeine Medizinische Praxis am Campus der Universitätsmedizin“ (APC) eingerichtet. Ursprünglich war das Modell zeitlich begrenzt, da es aber erfolgreich war, wurde es kürzlich verlängert. Allein bis März 2023 kamen laut Nachrichtendienst „Merkurist.Mainz“ mehr als 4000 Patienten in die APC. Davon konnten 71 Prozent direkt behandelt werden, weitere 18 Prozent wurden an die Notfallaufnahme weitergeleitet. Die restlichen Patienten waren zu weiteren Untersuchungen geschickt worden. Dennoch bleiben die Belastungen für die Notfallaufnahme erheblich. Allein 2023 kamen 15.200 Patienten.

 

5. Das Land investiert – aber zu wenig

 

Die Beispiele zeigen: Die personellen, organisatorischen und vor allem wirtschaftlichen Herausforderungen in den kommenden Monaten und Jahren sind gewaltig. Dazu kommt, dass immense Summen in die rheinland-pfälzische Krankenhausinfrastruktur investiert werden müssen. Das ist schon allein ein Punkt, der das Land an seine finanzielle Belastbarkeitsgrenze führen wird. Da wird schon an einer Einrichtung deutlich, die in dieser Zusammenstellung noch gar nicht erwähnt wurde – dem Klinikum Idar-Oberstein, das ein Standort der SHG Saarland-Heilstätten gGmbH mit Sitz in Saarbrücken25 ist.

 

Allein an den Baumaßnahmen des Krankenhauses wird sich das Land mit einem Anteil von rund 108,5 Millionen Euro beteiligen. Vorgesehen ist ein Neubau mit einer Nutzfläche von rund 9200 Quadratmetern, der in insgesamt drei Bauabschnitten realisiert werden soll, wobei die Fertigstellung für 2031, 2036 und 2040 vorgesehen.26 Ob die Fördersumme, die 90 Prozent der förderfähigen Kosten entspricht, ausreichen wird, bleibt angesichts des Zeitrahmens und der Kostenentwicklung fraglich.

 

Mit Blick auf die vielen anderen Krankenhaus-Neubauprojekte in Rheinland-Pfalz fragt man sich angesichts der stürmischen politischen und wirtschaftlichen Gesamtlage, wie das Land die insgesamt wohl mehrere Milliarden Euro schweren Investitionen stemmen will. Wir erinnern uns: Allein die Baumaßnahmen an der Mainzer Universitätsmedizin werden mehr als 2 Milliarden Euro kosten. Auch wenn die Gelder in Teilbeträgen über mehrere Jahre fließen werden, ist die Furcht vor einer kaum zu kontrollierenden Kostenlawine berechtigt, zumal „Retter“ nicht in Sicht sind. Die Haltung der Bundesregierung ist klar, die von potenziellen privaten Partnern auch. Das unrühmliche Ende der Verhandlung über den Sana-Einstieg ins Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein mag an dieser Stelle als Beispiel genügen.

 

5.1 Krankenhausinvestitionsprogramm 2024

 

Die Pressmitteilung des Mainzer Gesundheitsministeriums zum Krankenhausinvestitionsprogramm 2024, die am 27. Februar 2024 veröffentlicht wurde, hörte sich an wie eine Erfolgsmeldung, war aber eigentlich gar keine. Denn die verkündete Gesamtsumme von 145,5 Millionen Euro war im Großen und Ganzen das, was im Haushaltsansatz für das neue Jahr festgeschrieben war.27 Die Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 3,5 Millionen Euro dürfte ab vor dem Hintergrund der allgemeinen Kostenentwicklung „aufgefressen“ werden und daher zu keinem Mehreffekt führen. Auch die Landesregierung wies darauf hin, dass Kostenerhöhungen bei den Baupreisen in einer Höhe von 2,3 Millionen Euro eingepreist seien. Dennoch bleibt es also bei dem, was die Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz grundsätzlich festgestellt hatte: dass jährlich eigentlich Investitionen in doppelter Höhe erforderlich sind.

 

Immerhin werden nach Aussage des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums über das Krankenhausförderprogramm im laufenden Jahr 2024 Investitionen an 33 Krankenhausstandorte und Tageskliniken sowie 46 Einzelmaßnahmen unterstützt. Das Land betont, dass der größte Teil für Neubaumaßnahmen an Kliniken aufgewendet wird. So geht eine Tranche in Höhe von 5 Millionen Euro an das bereits benannte Klinikum Idar-Oberstein, für das das Land insgesamt 108,5 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird. Weitere 10 Millionen Euro sollen 2024 an die Asklepios Südpfalzklinik in Kandel gehen, wo ebenfalls ein Neubau entstehen wird.

Ein Schwerpunkt des Förderpakets für 2024 wird auf der Erweiterung und Modernisierung der Psychiatrischen Versorgung liegen, wobei das Gesamtvolumen in diesem Bereich 13,8 Millionen Euro liegt. Ausdrücklich genannt werden

  • die Rheinhessen-Fachklinik in Alzey,
  • die Erweiterung der DRK-Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Bad Neuenahr,
  • die Erweiterung der Psychiatrischen Tagesklinik in Dernbach,
  • der Anbau am Krankenhaus Zum Guten Hirten in Ludwigshafen,
  • die Erweiterung der psychiatrischen Klinik in Rockenhausen,
  • die Zusammenführung der Psychiatrischen Standorte des Klinikums der Borromäerinnen am Standort Klinikum Mutterhaus Mitte in Trier,
  • der Anbau von Balkonen im Kreiskrankenhaus St. Franziskus Saarburg sowie
  • die Erweiterung der Tagesklinik am St.-Antonius-Krankenhaus in Wissen.

 

Für die Erweiterung und Modernisierung der Pflegebereiche einschließlich Intensivstationen werden rund 11,4 Millionen Euro bereitgestellt. Ziel dabei ist es zusätzlich notwendige Kapazitäten zu bauen, eine Mischung aus 2- und 1-Bettzimmern als Standard zu etablieren und die Arbeitsbedingungen für die Pflege zu verbessern. An diesen Standorten sind folgende Erweiterungen und Modernisierungen vorgesehen:

 

  • Intensivstation am Klinikum Landau-Südliche Weinstraße, Standort Bad Bergzabern
  • Intensivstation am Klinikum Worms
  • Neurologische Frühreha am Westpfalz-Klinikum, Standort II – Kusel
  • Wachstation am Klinikum Ludwigshafen
  • Erweiterung der Weaning-Einheit (Weaning=Beatmungsentwöhnung) an der Hufeland-Klinik in Bad Ems
  • Anbau von Bettenstationen im Zuge der Zusammenführung der Krankenhausstandorte Rockenhausen und Kirchheimbolanden des Westpfalzklinikums am Standort Kirchheimbolanden
  • Generalsanierung der Bettenstationen am Franziskus Krankenhaus Linz
  • Generalsanierung des Hauses B am Klinikum der Stadt Ludwigshafen
  •  Pflegebereiche am DRK Elisabeth Krankenhaus Birkenfeld

 

Ein zusätzlicher Schwerpunkt im Krankenhausinvestitionsprogramm ist die Förderung weiterer Funktionsbereiche, wie Radiologien, Endoskopien und Geburtshilfen. Hierfür sind im Jahr 2024 über 10 Millionen Euro für folgende Projekte eingeplant:

  • Förderung der Radiologie am Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern
  • Förderung der Radiologie am Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen
  • Erweiterung und Umstrukturierung der Geburtshilfe am Verbundkrankenhaus Bernkastel/Wittlich, Standort Wittlich
  • Verlagerung des Labors und die Neuordnung der physikalischen Therapie am Verbundkrankenhaus Bernkastel/Wittlich, Standort Wittlich
  • Förderung der Geburtshilfe in Koblenz am Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein, Standort Kemperhof
  • Förderung der Geburtshilfe am Herz-Jesu-Krankenhaus in Dernbach
  • Einrichtung der Endoskopie am Diakonissen-Stiftungskrankenhaus in Speyer
  • Einrichtung der Endoskopie am Evangelisches Krankenhaus in Bad Dürkheim
  • Einrichtung der Endoskopie am Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein, Standort Boppard
  • Erweiterung der Notaufnahme am Krankenhaus Maria Hilf in Daun
  • Erweiterung der Nuklearmedizin und der Angiologie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Trier

 

In diesem Jahr werden für die Erweiterung und Modernisierung von OP-Abteilungen 5,5 Millionen Euro bereitgestellt. 3 Millionen Euro für die OP-Abteilung in Dierdorf und 2,5 Millionen Euro für die Erweiterung der OP-Abteilung am Diakonissen-Stiftungskrankenhaus in Speyer.

Ein zusätzlicher Förderschwerpunkt sind die Ausbildungsstätten. Hierfür stehen 9,7 Millionen Euro zur Verfügung. Damit sollen die Krankenhäuser als Träger der Ausbildungsstätten in den Gesundheitsfachberufen unbürokratisch den Bau oder die Anmietung von Ausbildungsstätten finanzieren können. Die Förderung soll anhand der besetzten Ausbildungsplätze in der Pflege oder der Physiotherapie pauschal ausgezahlt werden.

Darüber hinaus werden in diesem Jahr für energetische Maßnahmen 3 Millionen Euro bereitgestellt. Hierzu zählen isolierte energetische Maßnahmen, die nicht mit einer großen Neu-, An-, oder Sanierungsmaßnahme verbunden sind.

 

Zusätzlich zum Krankenhausinvestitionsprogramm über 80,5 Millionen Euro für Einzelmaßnahmen stellt das Land in diesem Jahr 65 Millionen Euro für die Pauschalförderung bereit. Die pauschalen Fördermittel werden auf alle Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz nach einem vorgegebenen Schlüssel, der die Fallzahlen der Krankenhäuser berücksichtigt, verteilt. Mit diesen Mitteln finanzieren die Krankenhäuser die Wiederbeschaffung kurzfristiger Anlagegüter, wie medizinische Geräte und Betten oder sie realisieren kleinere Baumaßnahmen.

Außerdem erhalten die Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz über den Krankenhausstrukturfonds seit 2016 bis 2024 insgesamt mehr als 230 Millionen Euro, wovon das Land im gleichen Zeitraum rund 103 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird. Damit können Maßnahmen zur Verbesserung der Strukturen in der Krankenhausversorgung gefördert werden.

 

Des Weiteren werden den rheinland-pfälzischen Krankenhäusern insgesamt weitere rund 203 Millionen Euro über den Krankenhauszukunftsfonds zur Verfügung gestellt. Von den rund 203 Millionen Euro kommen 30 Prozent, also rund 61 Millionen Euro vom Land, die restlichen Mittel sind Bundesmittel.

 

Hauptförderschwerpunkte sind die Digitalisierung und die technische Ausstattung der Krankenhäuser. Die Mittel sind den Krankenhäusern bereits in vollem Umfang bewilligt.

Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Noch am gleichen Tag, also ebenfalls am 27. Februar 2024, meldeten sich die auch auf Landesebene vertretenen gesetzlichen Krankenkassen mit einer gemeinsamen Pressemitteilung zu Wort.28 Tenor: Trotz der leichten Steigerung würden die für das neue Jahr angesetzten Investitionsmittel den Bedarf nicht abdecken, sie seien deshalb nicht ausreichend.

 

Die Kassen verwiesen erneut auf Berechnungen des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK), das für die Kalkulation der Fallpauschalen in den Krankenhäusern zuständig ist. Demnach gab es 2023 einen bundesdurchschnittlichen Investitionsbedarf von rund 396,54 Euro je Krankenhausfall, was einem Plus von 6,24 Prozent gegenüber dem Vorjahr entsprach. Auf Rheinland-Pfalz übertragen, wären hier Investitionen von rund 351 Millionen Euro im Jahr nötig. „Damit bleibt die Förderung des Landes trotz der aktuellen Erhöhung im Bereich der Investitionsmaßnahmen deutlich hinter dem tatsächlichen Bedarf der Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz zurück. Und die Krankenhäuser werden weiterhin bestrebt sein, über Betriebsmittel Investitionskosten zu subventionieren. Das ist vor allem im Interesse der Behandlungsqualität problematisch“, hieß es in der Pressemitteilung wörtlich.

 

5.2 Mehr Geld allein reicht nicht

 

Dass die Krankenhäuser nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern in der gesamten Bundesrepublik schon seit Jahren chronisch unterfinanziert ist, wurde in diesem Skript bereits aufgezeigt. Auch 2024 dürfte sich die Situation nicht verbessern. Ganz im Gegenteil. Angesichts der kontroversen Debatten, die sich vor allem um die finanziellen Perspektiven drehen, gerät die Betrachtung der personellen Probleme leicht ins Hintertreffen. Zu Unrecht. 

Inzwischen sind die Personalprobleme so groß, dass die vorhandenen Bettenkapazitäten nicht mehr „bespielt“ werden können. Das war auch die Botschaft des „Deutschen Interdisziplinären Notfallkongresses“ Notfall in der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), der am 7. März 2024 in Koblenz stattfand. Schon auf der Pressekonferenz wurde deutlich, dass bundesweit ein neues, integriertes Gesamtkonzept erforderlich ist, in dem das Nebeneinander der unterschiedlichen Säulen des Gesundheitswesens zugunsten einer sektorenübergreifenden Zusammenarbeit aufgehoben wird.

 

„Noch mehr Geld in die Versorgung hineinzupumpen, macht keinen Sinn, solange wir nicht an die Grundreformen rangehen“, betonte denn auch Prof. Dr. Christian Brokmann, Leiter der Zentralen Notaufnahme des Universitätsklinikums Aachen und DGAI-Sprecher der Sektion im Rahmen der Medienrunde. Überraschenderweise positionierte sich die Gesellschaft nicht gegen die unter Regie des Bundesgesundheitsministers geplante Krankenhausreform. Aus DGAI-Sicht ist eine grundlegende Reform schon lange überfällig, weil bislang in der Politik über viele Jahre der Mut fehlte, das langfristig Unvermeidliche anzugehen. Dabei besteht mit Blick auf die „Ranglisten“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) dringender Handlungsbedarf, wie die jüngste Studie „Health at a glance“ [frei übersetzt: Gesundheit auf einen Blick] zeigt.

 

Allerdings gibt es auch positive Erkenntnisse. So haben in Deutschland 99,9 Prozent der Bevölkerung Zugang zum medizinischen Versorgungssystem. Allerdings werden in 21 der 38 OEC-Staaten sogar 100 Prozent erreicht (Seite 25).

Allerdings liegt Deutschland mit 728 Patienten pro 100.000 Einwohner bei den vermeidbaren Krankenhauseinweisungen deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 463. Das entspricht in etwa dem Wert für die USA (725). Spitzenreiter ist die Türkei mit 827 Patienten, die anderen OECD-Staaten schneiden in weiten Teilen wesentlich besser ab, wobei Italien nur 214 von 100.000 Patienten ins Krankenhaus eingewiesen wurden, obwohl dies eigentlich vermeidbar gewesen wären. Diese „Rangliste“ bietet Anlass für höchst unterschiedliche Interpretationen. Es bleibt die Frage: Sind die Ärzte im Ausland weniger vorsichtiger als in Deutschland – oder sind sie einfach besser oder näher an ihren Patienten dran?

 

Wie dem auch sei: Experten stellen zunehmend die Frage nach der Effizienz des deutschen Gesundheitssystems und damit auch der stationären Versorgung. Laut OECD-Studie wurden im Jahr 2022 rund 8011 Dollar pro Patient ausgegeben. Teurer war die medizinische Versorgung nur in der Schweiz (8049 Dollar) und in den USA (12.555 Dollar!). Im Europavergleich schneidet Deutschland also nicht gut ab. Die niedrigsten Ausgaben werden hier für Polen (2973 Dollar), Estland (3103 Dollar) und Griechenland (3015 Dollar) angegeben, wobei der Vergleich angesichts der deutlich niedrigeren Löhne natürlich hinkt. Zu denken geben sollten aber die Ausgaben in den EU-Kernländern Italien (4291 Dollar), Spanien (4432) und Frankreich (6630 Dollar). Auch in sehr wohlhabenden Hochlohnländern wie Luxemburg (6436 Dollar), Schweden (6438) und die Niederlande (6729 Dollar) lagen deutlich unter dem deutschen Durchschnitt.

 

Dazu passt, dass Deutschland mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 80,8 Jahren nur knapp über dem OECD-Durchschnitt von 80,3 Jahren liegt. Damit rangiert Deutschland im Europavergleich nur im Mittelfeld der Tabelle (Seite 21). Am niedrigsten war die durchschnittliche Lebenserwartung nur in Lettland (73,1), Litauen (74,2), Ungarn (74,3), der Slovakei (74,6), Polen (75,4), Tschechien (77,2) und Estland (77,2). Spitzenreiter in Europa sind die Schweiz (83,9), Spanien (83,3), Island (83,2), Schweden (83,1), Frankreich (82,4) und Irland (82,4). Der aktuelle Trend steht für eine weitere Verschlechterung. Das lässt sich aus einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung. Demnach leben seit 2000 hierzulande Menschen ab 65 Jahren durchschnittlich 1,7 Jahre kürzer als Gleichaltrige in andern Ländern.

 

Die Erkenntnisse gingen im Mai 2024 durch die Medien. „Der Abstand nimmt seit der Jahrtausendwende stetig zu“, bilanzierte unter anderem „Zeit online“. Die gute Nachricht: Bei Menschen unter 50 Jahren liegt die Sterblichkeit in Deutschland weiter auf dem westeuropäischen Niveau. Demgegenüber steht die Tatsache, dass die Unterschiede in der Lebenserwartung bei Männern besonders groß – vor allem bei der Altersgruppe zwischen 55 und 74 Jahren, so „Zeit online“ weiter. Als Ursachen wurden mangelnde Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Ernährung sowie Tabak- und Alkoholkonsum benannt. 31

Zurück zur Studie „Health at a glance“.

 

Es fällt auf, dass Deutschland in Sachen Vernetzung und Datenaustausch einen starken Handlungsbedarf hat. In der „Rangliste“ (Seite 41) reicht es nur für einen unrühmlichen drittletzten Platz – vor den USA (!) und Irland. Allerdings steht Deutschland im Bereich Data Governance (Verwaltung von Daten), also bei Verfahren und Technologien, die Sicherheit, Korrektheit, Verfügbarkeit und Nutbarkeit von Daten gewährleisten, deutlich besser da (Seite 44). Hier lässt Deutschland Israel, Japan, Tschechien, Norwegen und Irland hinter sich, während Dänemark, die USA, Finnland und Frankreich die höchsten Bewertungen haben.

In Deutschland besteht also reichlich Handlungsbedarf, weil das Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis verbesserungsbedürftig ist.

 

Und Rheinland-Pfalz? Dass Bundesland ist aus Sicht von Dr. David Häske, wissenschaftlichter Geschäftsführer des Zentrums für Gesundheitswesen und Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Tübingen in der Notfallversorgung „strategisch gut aufgestellt“. „Es muss eine Wandlung von Kompetition zur Kooperation stattfinden“, ergänzte Prof. Dr. Christian Lackner, Vorstandsvorsitzender der Claus Eneker-Stiftung. Die 2006 Stiftung mit Sitz in München fördert die präklinische Notfallmedizin und die klinische Traumamedizin. Lackner wies darauf hin, dass es nun vor allem darum gehe, Netzwerke flächendeckend auszubauen.

Auch wenn die Akteure der FREIEN WÄHLER auf kommunaler Ebene und im Landtag sich immer wieder für den Erhalt einzelner Krankenhausstandorte einsetzen, bewertet die FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion die gesamte Situation von stationärer Versorgung und Notfallmedizin ganz ähnlich. Sie fordert besonders vor dem Hintergrund des sich immer stärker abzeichnenden Fachkräftemangels übergreifende Konzepte mit Ersatzmodellen für Krankenhausstandorte, die womöglich umgewandelt oder gar geschlossen werden müssen. „Der Patient darf dabei nicht auf der Strecke bleiben. Wir müssen uns auf Landesebene also einiges einfallen lassen. Daran zu glauben, dass der Bund die Krise löst, ist illusorisch“, bilanziert Helge Schwab, Gesundheitspolitischer Sprecher der FW-Landtagsfraktion.

 

Aus Sicht des Mainzer Innenministeriums sind Digitalisierung und Vereinheitlichungen erste wichtige Schritte zum Aufbau dieser flächendeckenden Netzwerke. Innenminister Michel Ebling sprach davon, die Nummern des ärztlichen Bereitschaftsdienstes (116 117) und des Notrufs 112 nach dem bayerischen Vorbild zusammenzuführen. Klar dürfte sein, dass dieser Schritt weitere massive Investitionen in die Kommunikations-Infrastruktur erforderlich macht, damit die gebündelt eintreffenden Anrufe auch schnell an die richtige Stelle weitergeleitet werden können.

 

Dass dies nur ein Anfang ist, war allen Beteiligten klar. Es kam dann nicht von ungefähr, dass Jörn Simon, Leiter Landesvertretung Rheinland-Pfalz der Techniker Krankenkasse (TK), am 18. März 2024 unter der Devise „politischer Wille ist da, ein konkreter Weg noch offen“ nachlegte. „Was wir brauchen, ist eine bedarfsgerechte und an den Interessen der Patientinnen und Patienten orientierte Notfallversorgung. Die Reform kann jedoch nur gelingen, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten, um eine effiziente, transparente und auf bundeseinheitlichen Kriterien basierende Angebotsstruktur zu erreichen“, so Simon wörtlich.

 

Jörn Simon erinnerte auch daran, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bereits im Mai 2022 eine Krankenhauskommission eingesetzt und eine Reform der Notfallversorgung angekündigt hatte. Ergebnis: Am 16. Januar wurden endlich die Eckpunkte einer solchen Reform vorgestellt. Erklärtes Ziel ist es dabei, durch eine stärkere Strukturierung eine bundesweite Vergleichbarkeit der Notfallversorgung zu schaffen. Ein weiterer Punkt ist die Steuerung der Hilfesuchende in eine stationäre Notaufnahme, eine ambulante Not- oder Bereitschaftspraxis oder in die ärztliche Regelversorgung. Auch soll der Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen soll gestärkt und seine digitale Vernetzung mit den Leitstellen erfolgen. Auf diese Weise soll dem Patienten die Entscheidung darüber abgenommen werden, ob er sich direkt an eine Notaufnahme wenden oder in einer Praxis Hilfe suchen soll. Auch Jörn Simon spricht in diesem Zusammenhang von einer sektorenübergreifenden Behandlungsstruktur.

 

Auch eine sektorenübergreifende Behandlungsstruktur dürfte angesichts des zunehmenden Personalmangels allein nicht das gewünschte Ergebnis bringen. Die Lücken klaffen in allen Bereichen. Dazu passt ein Bericht der Allgemeinen Zeitung vom 29. April 2024. „Kinderärztlicher Notdienst in Bad Kreuznach vor dem Aus“ meldete die Online-Ausgabe.33 Hintergrund: Nur neun Kinderärzte leisten den Notdienst für Bad Kreuznach, Bad Sobernheim und Bingen. Die beteiligten Ärzte leisten durchschnittlich an jedem zweiten Wochenende freiwillig Dienst. Das Problem: 2025 werden drei der beteiligten Ärzte in Rente gehen. Eine Verpflichtung für andere Ärzte, sich zu beteiligen, gibt es nicht.

 

5.3 Arbeit der Hausärzte soll aufgewertet werden

 

Wie mehrfach in dieser Zusammenstellung angesprochen, soll eine Straffung der stationären Versorgung durch ambulante Lösungen und bessere hausärztliche Betreuung aufgefangen werden. Das Problem ist nur, dass es in allen Bereichen gravierende personelle Mängel gibt. Dazu kommt die schwindende Bereitschaft, sich als Allgemeinmediziner mit voller wirtschaftlicher Eigenverantwortung niederzulassen. Ein Grund hierfür die völlig unzureichende Budgetierung. Ärzte konnten nur dann wirtschaftlich arbeiten, wenn sie möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit „durchschleusen“. Ergebnis: Ausgelaugte Mediziner und womöglich Mängel bei Diagnose und Behandlung.

 

Grundsätzlich ist das Problem in Berlin erkannt worden. Gerade das Bundesgesundheitsministerium hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass die straffen Obergrenzen für Vergütungen aufgehoben werden sollen. Im Mai 2024 stand jedoch fest, dass die Verbesserungen mit deutlichen Verzögerungen kommen werden. „Bessere Bedingungen für Hausarztpraxen sollen die Vor-Ort-Versorgung in ganz Deutschland stärker absichern. Darauf zielen die Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ab, die das Kabinett am Mittwoch [21. Mai 2024] auf den Weg brachte", meldete unter anderem die Rhein-Zeitung. In dem Bericht von Sascha Meyer wird der Bundesgesundheitsminister mit folgenden Worten zitiert: „Arzttermine zu bekommen, wird für Patientinnen und Patienten dadurch einfacher, unnötige Arztbesuche fallen weg, und lange Wartezeiten in den Praxen werden vermieden.“

 

Karl Lauterbach hofft also, durch die Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen zu erreichen, die aktuell bundesweit 5000 freien Hausarztsitze wieder zu besetzen. Immerhin scheint der Abwärtstrend schon jetzt vorerst gestoppt zu sein. Laut Bundesarztregister gab es Ende 2023 genau 51.389 Hausärzte und damit 75 mehr als noch Ende 2022. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 waren es noch 52.262 gewesen. Ein großes Problem bleibt aber die Altersstruktur. Bei den Hausärzten ist der Anteil der Mediziner, die 60 Jahre und älter sind, mit 37 Prozent am größten. Der Bund will das durch Wegfall der Obergrenzen für Vergütung erreichen. In der Praxis heißt dies, dass – wie schon bei den Kinderärzten – Mehrarbeit auf jeden Fall sicher honoriert wird, eine „Deckelung“ soll es nicht mehr geben.

 

Ob der Ansatz, die finanziellen Rahmenbedingungen zu verbessern, auf Dauer ausreicht, erscheint angesichts überfüllter Arztpraxen, in denen es sogar zu Aufnahmestopps kommen kann, fraglich. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die Kritik an den Lauterbach-Reformen trotz der angekündigten Verbesserungen weiterhin massiv bleibt. Allerdings gab es auch konstruktive Lösungsansätze. So verwies die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz auf das von ihr entwickelte Instrument zur Bewältigung der Engpässe – die Förderung des Quereinstiegs von Fachärzten in die Allgemeinmedizin. Innerhalb von fünf Jahren hat die KV Rheinland-Pfalz nach eigenen Angaben rund 7,3 Millionen Euro in das Programm investiert.

 

Ergebnis: Im Zeitraum von 2019 bis 2024 wurden insgesamt 144 Ärzte bei ihrem Quereinstieg durch eine weitere Facharztausbildung unterstützt – mit jeweils 2700 Euro im Monat. Allein im Mai 2024 nahmen 84 Mediziner an dem Programm teil.

 

Ungeachtet solcher Bemühungen nahmen die Belastungen vielerorts zu. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich regional viele Ärzte nach vorn wagten. Eine von ihnen ist Dr. Anja Meurer, Allgemeinmedizinerin mit eigener Praxis in Neuwied. Sie ist auch Obfrau der örtlichen Kreisärzteschaft und vertritt die Interessen von 900 Ärzten. In einem Interview mit der Rhein-Zeitung machte sie deutlich, dass sich die „Mehrheit der Kollegen“ sich sehr belastet fühle, weil die Arbeit immer komplexer würde. Dazu gehöre, dass die Zahl der Patienten mit leichten Erkrankungen abgenommen habe. Im Alltag seien aber nicht nur die gestiegenen medizinischen Ansprüche, sondern auch die vielen vorgeschriebenen Änderungen.

 

„Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nur elektronisch. Man muss eigentlich ständig auf den Computermonitor gucken, ob das Ding versendet wurde oder nicht. Teilweise funktionieren auch die elektronischen Rezepte nicht. Außerdem sind die Patienten anstrengender geworden.“ Ein zentraler Punkt des Interviews ist, dass die Digitalisierung nicht die erhoffte Entlastung, sondern eine Zunahme des Papierkriegs gebracht hat. Anja Meurer nannte auch die hohe Arbeitsbelastung. Allgemeinmediziner würden durchschnittlich 60 bis 80 Stunden pro Woche arbeiten." Mit Blick auf die Zukunft zeigte sich Anja Meuer überzeugt, dass auf Bundesebene keine Hilfe für die ärztliche Versorgung in Sicht ist. Auch mit einer Unterstützung des Landes rechnet sie angesichts knapper Kassen nicht.

 

6. Weitere Insolvenzen in Bingen und Ingelheim 

 

Das Heilig-Geist-Hospital (HGH) meldete am Mittwoch, 20. März 2024, Insolvenz an. „Damit ist nach über einem Dutzend weiterer Insolvenzen in den vergangenen Wochen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erneut ein Krankenhausstandort gefährdet. Neben dem Verlust von gut 300 Arbeitsplätzen würde eine Schließung spürbare Einschränkungen in der Patientenversorgung in der betroffenen Region Rheinhessen bedeuten“, erklärte der Marburger Bund einen Tag später.

 

Und wieder ging es um eine kleine Einrichtung, die mit ihren rund 190 Betten offenbar nicht mehr in die von der Bundespolitik gewollten Strukturen passt. Da hilft es auch nichts, wenn das HGH auf eine lange Vorgeschichte verweist, die bis in das 8. Jahrhundert zurückreicht. Die zweite Erkenntnis ist, dass es nicht unbedingt auf Dauer erfolgversprechend ist, wenn eine Trägergesellschaft wie die Heilig-Geist-Hospital GmbH unter das Dach eines sehr viel größeren Partners schlüpft – in diesem Fall die Marienhaus GmbH. Selbst eine erfolgreiche Gruppe in kirchlicher Trägerschaft mit ihren 15 Klinikstandorten, deren mehr als 13.000 Beschäftige einen Jahresumsatz von 900 Millionen Euro erwirtschaften, kann auf Dauer nicht viel ausrichten, wenn besonders für kleineren Häuser die politischen Rahmenbedingungen nicht stimmen.

 

Dazu kommt, dass die einzelnen Standorte in großen Klinikverbünden wiederum als rechtlich eigenständige GmbHs und gGmbHs organisiert wird. Das erleichtert es, einzelne Häuser „abzuspecken“ oder ganz zu schließen, ohne den Bestand des Ganzen zu gefährden.

Die Begründung für die Insolvenz in Bingen lässt aufhorchen: Neben den steigenden Personalkosten wird vor allem auf die unklare Perspektive des Standorts im Rahmen der laufenden Krankenhausreform hingewiesen. Laut Marburger Bund eröffnen auch die im Transparenzgesetz des Bundes vorgesehenen Liquiditätshilfen in Form einer schnelleren Auszahlung des Pflegebudgets nicht weiter. „Eine Ursache dieser weiteren Insolvenz eines Krankenhauses in Rheinland-Pfalz ist damit auch die anhaltende Weigerung der Bundesregierung und des Bundesgesundheitsministers, dem Krankenhausbereich zusätzliche Finanzmittel zur Deckung der inflationsbedingten Kostensteigerungen zukommen zu lassen. Damit wird die unkontrollierte Schließung von Kliniken und eine Verschlechterung der Patientenversorgung scheinbar billigend in Kauf genommen“, bilanzierte Andreas Wermter, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz. 

 

Wie es nun weitergeht? Wahrscheinlich als „abgespecktes“, Krankenhaus. Immerhin ist es das erklärtes Ziel der Politik ist, den Standort zu halten. So wollen die Stadt Bingen und der Landkreis Mainz-Bingen einen zweistelligen Millionenbetrag bereitstellen, um den Standort zu retten. Aber dennoch: Weil das HGH schon seit Jahren rote Zahlen schreibt, erscheint perspektivisch sogar eine komplette Schließung als möglich, was eigentlich ein Skandal wäre. Ist doch der Landkreis Mainz-Bingen der größte Kreis in Rheinland-Pfalz und braucht eine adäquate Krankenhaus-Infrastruktur. Darüber hinaus gibt es Förderzusagen des Landes in zweistelliger Millionenhöhe. Allerdings wies das Gesundheitsministerium in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage von Helge Schwab38 darauf hin, dass die Insolvenz nicht zuletzt aufgrund einer geringen Auslastung eingetreten sei. Der Grund sei das Versorgungsangebot durch anderer Häuser im erreichbaren Umfeld. Und: Bei der Entwicklung eines zukunftsfähigen Konzeptes für Bingen sei es erforderlich, die Standorte Koblenz, Simmern und im Umfeld von Bingen mit einzubeziehen.

 

Vorerst soll der Betrieb des Krankenhauses wie gewohnt weitergehen.  Allerdings bleibt dem Insolvenzverwalter nur noch eine Frist bis zum 1. Juni 2024, um zu schauen, ob das HGH weitergeführt werden kann. An diesem Tag musste das Amtsgericht entscheiden, ob ein Insolvenzverfahren eröffnet wird.  Das Verfahren wurde eröffnet, und am 15. August meldete die Allgemeine Zeitung, dass es voraussichtlich Ende August abgeschlossen werden kann.40 Das Wichtigste ist jedoch, dass der Betrieb weiterlaufen kann. Nahm die Gläubigerversammlung den Sanierungsplan nicht nur einstimmig angenommen, sondern auch vom zuständigen Amtsgericht Bingen genehmigt. Dazu kam, dass sich die Stadt Bingen und der Landkreis Mainz-Bingen sich zu einer Überbrückungszahlung von jeweils drei Millionen Euro bereiterklärt hatten. Ein weiteres positives Signal: Drastische Einschnitte und ein Personalabbau stehen derzeit nicht zur Debatte. Ganz im Gegenteil. Das Personal soll sogar aufgestockt, die Qualität der Pflege verbessert werden. Allerdings steht die Gesamtzahl der Betten auf dem Prüfstand.

 

Eine Schließung oder Ausdünnung des HGH hätte zu einer gravierenden Schwächung der stationären Versorgung im Oberen Mittelrheintals geführt. Damit wäre die zwischen Mainz und Koblenz ohnehin bestehende Versorgungslücke nach dem Aus für die Standorte St. Goar, Oberwesel und Ingelheim weiter vergrößert worden.

 

Gerade das Beispiel des Ingelheimer Krankenhauses verdeutlicht, dass Trägerwechsel und Privatisierungen eher existenzgefährdend als bereichernd sein können. Ergebnis: Das 130-Betten-Haus schloss vor Weihnachten 2020 endgültig seine Pforten. Bereits am 1. Mai 2019 war das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Auch die komplette Rekommunalisierung durch den Einstieg der Stadt im Juni 2020 konnte nichts mehr zum Positiven verändern. Schließlich zogen zum Stichtag 1. November 2023 rund 100 Flüchtlinge ein.

 

In diesem Zusammenhang sei an weitere Entwicklungen im südlichen Landesteil erinnert: So konnte das freigemeinnützige, von einer Stiftung getragene St.-Elisabeth-Krankenhaus in Rodalben (155 Planbetten) zu Beginn des Jahres 2022 nach einer Insolvenz durch eine Fusion mit der gemeinnützigen GmbH Städtisches Krankenhaus Pirmasens (insgesamt 554) Betten gerettet werden, was aber nicht bedeutet, dass der Standort bestehen bleibt. Perspektivisch wird die Einrichtung komplett mit dem Hauptstandort Pirmasens verschmelzen. Geplant ist eine Ein-Standort-Lösung.

 

Die Investitionen in das Großprojekt, das ein Verdoppelung des bisherigen Gebäudebestands vorsieht, wird auf insgesamt rund 130 Millionen Euro geschätzt. Wenn der Neubau steht, geht die Krankenhausgeschichte in Rodalben zu Ende.

 

Auch am Klinikum Südliche Weinstraße mit seinen heutigen Standorten in Landau und Bad Bergzabern, einer Einrichtung mit immerhin 399 Planbetten, gab es Einschnitte, der Klinikstandort Annweiler mit ihren 73 Betten musste im Sommer 2023 aufgegeben werden. Der Hintergrund: Die laufenden Kosten waren zu hoch, dass Patienteninteresse offenbar zu gering. Man entschied sich deshalb, die Investitionen auf die beiden größeren Standorte zu konzentrieren. Die 87 Mitarbeiter aus Annweiler konnten in Landau und Bad Bergzabern weiterarbeiten, das Klinikgebäude selbst wurde Investoren angeboten, um dort Ärzte und Gesundheitsdienstleister anzusiedeln. Die bereits vorhandenen Praxen blieben bestehen.

 

7. Die Bundeswehr will Sanitätsdienst umstrukturieren

 

Bekanntlich spielt die Bundeswehr auch bei der medizinischen Versorgung der Zivilbevölkerung eine wichtige Rolle. Das wir ganz besonders im nördlichen Rheinland-Pfalz deutlich, wo das Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZkrhs) in Koblenz eine stabile Säule stationären Behandlung und der Notfallversorgung ist. Wie bereits ausgeführt, investiert der Bund massiv in den Standort, der auch beim Aufbau des Medizincampus Koblenz das Herzstück sein wird.

 

Organisatorisch gehörte das BwZkrhs bislang zum eigenständig organisierten Sanitätsdienst der Bundeswehr, der auch international einen sehr guten Ruf hat. Aus Sicht vieler Mediziner im Militär- und Zivilbereich hat sich diese Eigenständigkeit bewährt – ganz besonders auch mit Blick auf die Zivilisten, deren Behandlung in der Regel völlig reibungslos erfolgte. Entsprechend kritisch waren die Reaktionen, als Ende Februar 2024 Pläne bekannt wurden, eben diese Eigenständigkeit zu beseitigen. Hintergrund ist, dass das Bundesverteidigungsministerium einmal mehr die Bundeswehr neu strukturieren möchte. Betroffen wird auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr sein. Dieser soll, so die Überlegungen im Ministerium, zusammen mit der Streitkräftebasis, die unter anderem für die Logistik der Bundeswehr zuständig ist, in einem Unterstützungsbereich zusammengefasst werden.

 

Verbände der Ärzte und der Selbstverwaltung sowie Fachgesellschaften haben sich, unter anderem mit zwei Briefen an den Verteidigungsminister kritisch zu Wort gemeldet. Sie befürchten Nachteile bei der Behandlung von Zivilisten durch Spezialisten der Bundeswehr, die infolge der Umstrukturierung entstehen könnten. Kann doch eine Zusammenführung von Logistik und Sanitätsdienst als Abwertung beider Bereiche verstanden werden. Und: Der neue Unterstützungsbereich soll von einem Kommandeur unterhalb des Dienstgrades der Inspekteure geführt werden. Die Kritiker gehen davon aus, dass bewährte Aufbau und Führungsstrukturen verloren gehen, zumal die Gefahr bestehe, dass künftig fachfremde Kommandeure für den Sanitätsdienst zuständig seien.

 

Für die Mediziner kam die geplante Neuorganisation zur Unzeit. Sie verwiesen auf gut funktionierende Netzwerke, so zum Beispiel in der Traumabehandlung, die besonders in Kriegs- und Krisenzeiten unverzichtbar sind. Ist doch die Versorgung des verletzten militärischen Personals und der Zivilbevölkerung Teil der Daseinsvorsorge. Diese laufe jetzt Gefahr, destabilisiert zu werden.

 

Hinter dem Protest gegen die Pläne des Bundesverteidigungsministeriums standen die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Bundesärztekammer (BÄK), die Bundeszahnärztekammer (BZÄK), die Ärztegewerkschaft Marburger Bund sowie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) – sie alle warnten vor einer Abkehr der bisherigen schlagkräftigen und effizienten Strukturen des Sanitätsdienstes und einer weiteren Abwertung der Gesundheitsversorgung  in Fläche.

 

Die Pläne für die Umstrukturierung haben eine längere Vorgeschichte. Die Zahnärztlichen Mitteilungen schrieben dazu: „Bereits 2021 hatte die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) Pläne für eine grundlegende Neustrukturierung der Bundeswehr („Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft“) vorgelegt. Erwogen wurde eine truppendienstliche Umstellung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr unter eine andere Teilstreitkraft oder eine sonstige Kommandostruktur.

 

Schon damals hatten die Spitzen von BZÄK und KZBV in einem gemeinsamen Brief an die Ministerin gewarnt: Die Aufteilung des Zentralen Sanitätsdienstes in unterschiedliche Bereiche der Teilstreitkräfte werde – ebenso wie die Zuordnung zu einem Unterstützungsbereich – die Einheitlichkeit und Fachlichkeit der Führung untergraben. Damit „wäre die aus zahnärztlicher Sicht so wichtige Qualität der sanitätsdienstlichen Versorgung im In- und Ausland gefährdet“. Außerdem wäre die Reaktionsfähigkeit des Systems für besondere Aufgaben nicht nur in der militärisch-zivilen Zusammenarbeit deutlich beschränkt, so BZÄK und KZBV.“

 

Hatten die Interessenvertreter der Ärzte und Gesundheitsberufe offenbar 2021 noch erreicht, dass die Realisierung der Pläne vertagt wurden, ließ das Bundesverteidigungsministerium dieses Mal nicht mit sich reden. Ein Bericht von „Business Insider“ vom 17. April 2024 ließ durchblicken, dass die Realisierung der Pläne offenbar sehr weit gediehen ist. Es sieht aktuell so aus, dass der Sanitätsdienst der Bundeswehr als eigenständiger Organisationseinheit aufgelöst wird. Ulrich Baumgärtner, Inspekteur des Sanitätsdienstes, soll in den Ruhestand versetzt werden. Der 63-Jährige hatte sich für die Eigenständigkeit des Sanitätsdienstes engagiert. Letztendlich hatte er sich nicht durchsetzen können.

 

Die folgende Berichterstattung in der Rhein-Zeitung offenbarte, dass das Bundesverteidigungsministerium schneller Nägel mit Köpfen machte als gedacht. „Rückt der Sanitätsdienst ins zweite Glied?“ fragte die Tageszeitung Anfang Mai 2024 unter Berufung auf das Ärzteblatt und lieferte das Foto von der Verabschiedung des Generaloberstabsarztes. Ulrich Baumgärtner ließ dabei durchblicken, dass sein Abschied nicht ganz freiwillig erfolge. Autor Dirk Eberz folgerte daraus, dass der 63-Jährige noch vor seiner Pensionsgrenze von Verteidigungsminister Boris Pistorius ausgebremst worden sei.

 

Die Nachfolge Baumgärtners, der zuletzt als „Chief Medical Officer“ Chef von 20.000 Soldaten und Zivilangestellten war, übernahm schließlich Genralstabsarzt Ralf Hofmann, der aber voraussichtlich nicht mehr im Range eines Inspekteurs des Sanitätsdienstes dienen wird. Eine Teilentwarnung gab es zumindest in einem Punkt: Die Führung des Sanitätsdienstes wird wohl in Koblenz bleiben – vor allem wegen der guten Rahmenbedingungen am Standort und die Nähe zum Bundeswehrzentralkrankenhaus, in das weiterhin massiv investiert wird.

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