Am letzten Tag meiner Sechs-Länder-Tour mussten nur noch rund 35 Kilometer bewältigt werden. Die waren sehr komfortabel zu fahren, zumal die Radwege zu 90 Prozent top ausgebaut waren. Die Entscheidung, in einem Autobahnhotel zu übernachten, erwies sich noch aus einem strategischen Grund als goldrichtig: Die Anlage lag direkt an der Anbindung zum hervorragenden Radnetz im Burgenland. Und immer wieder kreuzte ich auf dem Weg nach Wien die bei bei Radtouristen sehr beliebten Radwege, die dem kulturellen Erbe der Römer gewidmet sind.
Wer mehr über dies Römer-Touren wissen möchte informiert sich im Internet unter der Adresse https://www.niederoesterreich.at/tipps/goettlesbrunn-arbesthal/radwege
Interessant ist die Übernachtung in einer Raststätte auch deshalb, weil man Dinge mitbekommt, die man als Autofahrer mit enger begrenztem Zeitbudget eben nicht sieht. Im konkreten Fall hieß dies, dass Göttlesbrunn ein "Umschlagplatz" für Saison- und Zeitarbeiter aus Südosteuropa ist. Dauernd fahren die Busse vor, in die diese Leute ein- oder umsteigen.
Eine Beschäftigung im "reichen" Österreich im Niedriglohnsektor ist für diese Menschen offenbar immer noch einträglicher als die Arbeit in der Heimat. Kurzum: Man sieht die hässliche Seite der Europäischen Union - der Schengen-Raum wurde offenbar nur geschaffen, um nach Belieben billige Arbeitskräfte hin- und herschieben zu können. Wer einmal hinter die Kulissen eines großen Zentrallager des Lebensmitteleinzelhandels geschaut hat, weiß, was ich meine. Und das alles geschieht mit dem Segen der vielen Salonsozialisten, die in ihren eigenen, scharf abgegrenzten Milieus so gern über soziale Gerechtigkeit schwadronieren.
Auch wenn der Weg nach Wien eigentlich unspektakulär ist, gibt es doch einige Überraschungen. Dazu gehört, dass über fast das ganze Areal des Flughafens Wien (bei Fischamend-Dorf) gut beschilderte Fahrradwege führen. Man wird elegant durch die großzügigen Anlagen geleitet. So etwas habe ich in dieser Art noch nie gesehen. Und irgendwann landet man an den Donaukanälen. Dann geht es überwiegend durchs Grün in Richtung Innenstadt.
Allerdings wird die schöne Szenerie durch Industrieanlagen und die grottenhässlichen Hochhäuser der Leopoldstadt unterbrochen. Doch das geht schnell vorbei, und man wird durch die Schönheiten von Wien geführt. Da es erst Mittag war und ich erst ab 14 Uhr im Porzellaneum einchecken konnte, fragte ich mich, wohin es gehen sollte.
Auf eine ausgedehnte Besichtigungstour hatte ich keine Lust, zumal dieses Vorhaben mit einem begrenzten Zeitbudgets zum Scheitern verurteilt ist. Wer Wien einigermaßen kennenlernen will, braucht mindestens eine Woche. Und die Zeit hatte ich nicht mehr. Ich radelte also in Richtung Prater. Ich wollte zumindest das Riesenrad sehen, die weltbekannte Hauptattraktion des Vergnügungsparks. Und dann stand ich unmittelbar davor - gezeichnet von den Strapazen der fast vierwöchigen Tour.
Das Schönste am Prater sind die ausgedehnten Parkanlagen mit ihren breiten Verbindungsachsen, auf denen sich Fußgänger und Radfahrer nicht in die Quere kommen. Auffällig ist auch das vielfältige gastronomische Angebot, das von Getränkebuden bis hin zum gepflegten Restaurant reicht. Ich entschied mich für die Meierei und einen Backhendlsalat. Die richtige Wahl, weil, anders als so oft im Rheinland (wo unter einer dünnen Deckschicht ein Haufen Blätter serviert werden) hausgemachter Kartoffelsalat zu finden war. Das Ganze hat 17 Euro gekostet und lag damit preislich etwa auf Kobenzer Niveau. Das Essen war aber um Klassen besser als in der Heimat. Hier bei uns wird offenbar auf hohem Niveau gejammert - frei nach de Motto "Qualität runter, Preise hoch". Auf der gesamten Radtour hatte ich dagegen die Erfahrung gemacht, dass die Qualität trotz des gestiegenen Kostenderucks nicht gelitten hatte. Ganz im Gegenteil!
Gegen 14 Uhr brach ich im Prater auf - in Richtung Porzellaneum, das wirklich nur 15 Fahrradminuten von den riesigen Parkanlagen entfernt liegt. Ich war fast durchgängig auf Radwegen unterwegs. Ich war wirklich froh, einen Platz im Studentenwohnheim der Wiener Universitäten gefunden zu haben, das übrigens das älteste seiner Art in Österreich ist. Denn: Wer zur Hauptsaison nach Wien kommt, muss mit Übernachtungspreisen deutlich jenseits der 100-Euro-Marke rechnen - selbstverständlich pro Nacht.
Ganz anders das in zentraler Innenstadtlage befindliche Porzellaneum, dessen Geschichte weit in das 19. Jahrhundert zurückreicht: Hier werden pro Nacht inklusive Frühstück um die 50 Euro fällig. Dafür gibt es ein mit dem Notwendigsten eingerichtetes Zimmer mit Waschbecken, Toiletten und Duschen befinden sich auf dem Flur. Trotz der kargen Rahmenbedingungen hat es mir sehr gut gefallen, was nicht nur an der Tatsache lag, dass ich in einem historischen Gebäude nächtigen konnte. Ich fühlte mich an meine eigene Studentenzeit erinnert und damit um mindestens 30 Jahre jünger. Das war doch was!
Das Konzept des Porzellaneums ist einfach, aber genial: Das Haus hält für Studenten während des Semesters preiswerte Zimmer bereit. Um die Kasse des Trägers aufzubessern, wird in den Semesterferien an Touristen vermietet. Das Publikum ist jung, ich war mit Abstand der älteste Gast. Das Prozellaneum hat auch Gemeinschaftsräume mit Fernseher und einem Getränkeausschank. Ein halber Liter Bier vom Fass für 3 Euro - das ist nicht nur für Wiener Verhältnisse sensationell.
Das Schönste an diesem Haus ist der gemütliche, schattige Garten im Innenhof. Hier sitzt man gern, zumal das Serviceteam sehr freundlich ist. Mein Fazit: Ich kann das Gemecker in den einschlägigen Foren nicht verstehen. Das Porzellaneum ist wirklich außergewöhnlich, man muss nur bereit sein, sich auf das kleine Abenteuer einzulassen. Falls ich noch einmal nach Wien reisen sollte, werde ich vor dem Start auf jeden Fall wieder dort anfragen.
Und hier geht es zum Internetaufritt des Porzellaneums:
Mir hat Wien wirklich sehr gut gefallen: Die Innenstadt mit ihren vielen Baudenkmälern hinterlässt nachhaltige Eindrücke. Die Verkehrsführung für Radfahrer ist einfach traumhaft. Es gibt zahlreiche Radwege und auch Fahrradstraßen - und das alles, ohne die Bedürfnisse der Autofahrer gravierend zu beschneiden. Außerdem führt eine dichte Beschilderung gut und sicher zum Ziel. Im Falle von Wien haben die Stadtplaner im wahrsten Sinne des Wortes ganze Arbeit geleistet. Allerdings hatten sie den Vorteil, dass die Wiener Innenstadt so großzügig angelegt wurde, dass die Straßenachsen locker den heutigen Bedürfnissen entsprechen. In Koblenz wäre es angesichts der beengten Tallage gar nicht möglich, vergleichbare Verhältnisse zu schaffen. Hier ist es viel schwerer, die Bedürfnisse von Fußgängern, Autofahrern und Radler unter einen Hut zu bringen.
Noch ein Wort zu den Menschen in Wien. In den Medien wurde und wird viel über die Unfreundlichkeit der Wiener berichtet. Ich habe ganz andere Erfahrungen gemacht. Natürlich sind meine Eindrücke nicht repräsentiv. Mir stand angesichts der bevorstehenden Rückfahrt leider nur ein Tag zur Verfügung. Dieser reichte, wie bereits betont, bei weitem nicht aus. Allerdings ist das Porzellaneum so ideal gelegen, dass sich auf dem Weg zum Bahnhof die Attraktionen der Stadt wie Perlen auf einer Kette aneinanderreihen. Stellvertretend nenne ich die dem Pestheiligen Karl Borromäus geweihte Karlskirche. Kaiser Karl VI. hatte sie aus Dank für die Überwindung der großen Pestwelle von 1713 errichten lassen. Das Gotteshaus ist reich an Symbolen und steht für die Verschmelzung des westlichen und östlichen Kulturkreises.
Die Rückreise von Wien nach Koblenz entwickelte sich zu einem echten Abenteuer. Ich hatte gut drei Monate zuvor einen der letzten Plätze für einen ICE mit Fahrradmitnahme ergattert. Merke: Man sollte sich mindestens ein halbes Jahr vorher drum kümmern. Dass ich trotz Reservierung nicht in in "meinen" ICE einsteigen konnte, lag an der Tatsache, dass die DB ihn kurz vor meinem Start in Koblenz einfach gestrichen hatte - mit dem Zusatz "Wir helfen Ihnen gern, einen Ersatz zu finden". Das Dumme war nur, dass es einen solchen Ersatz nicht gab. Alle Züge waren komplett ausgelastet. Immerhin ergatterte ich noch einen Platz im Railjet der ÖBB nach Linz. Von dort aus ging es dann weiter mit einem Regionalzug, der über einen Fahrradwagen verfügte, nach Passau. Um die hohen Einstiege mit dem Rad zu bewältigen und das Gepäck zu laden, halfen sich die Fahrgäste gegenseitig.
In Passau angekommen, ging es pünktlich nach Plattling weiter, wo ein weiterer Umstieg erforderlich war. Und dort gab es erst einmal saftige Verspätungen. Denn: In Straubing hatte nämlich das Gäubodenvolksfest begonnen, und es schien fast so, dass jeder auf den Beinen war, um dort hinzukommen. Ich habe noch nie so viele Menschen in Tracht gesehen. Gefühl hatte jeder Mann eine Lederhose an. Das gefiel mir grundsätzlich sehr gut. In Niederbayern lässt man sich die heimischen Traditionen nicht so einfach vom Zeitgeist kaputtmachen. Einer der Teilnehmer berichtete mir, dass das Gäubodenfest, das jährlich rund eine Millionen Menschen anzieht, das zweitgrößte Volksfest in Bayern ist - und damit eine echte Alternative zum Oktoberfest. Hier trifft sich überwiegend einheimisches Publikum. Und auch die Preise dürften moderater sein: Die Mass Bier kostete 2024 maximal 12,75 Euro.
Natürlich drängten sich alle in die Regionalzüge, ich musste also etwas warten, bis ich ein Zug mit Fahrradabteil frei war. In Regensburg ging dann nichts mehr. Der Bahnhof war eine Baustelle, weder die Aufzüge noch die Treppen durften betreten werden. Ich musste die Rolltreppe nehmen, was mit einem bepackten Fahrrad recht gefährlich ist. Also hieß es abladen und vieles unbeaufsichtigt stehen lassen. Immerhin passte die Bundespolizei auf mein Fahrrad auf.
Nach insgesamt acht Zugwechseln und 20 Stunden erreichte ich schließlich am Samstagmorgen, 9. August, die Heimat - also rechtzeitig zu "Rhein in Flammen". Doch am Nachmittag stellte ich fest, wie müde ich war. Ich verzichtete auf das Feuerwerk und blieb im Bett.
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