Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung
   Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung

Teil 1

Frühe Geschichte der Stadthygiene 2

4. Recht und Gesundheit

 

Die Koblenzer Entwicklungen rund um das Thema Stadthygiene sind ohne Kenntnisse der damaligen Verwaltungsstrukturen und der rechtlichen Vorschriften seit dem 19. Jahrhundert nicht zu verstehen. Deshalb soll im Folgenden ein Überblick gegeben werden, der nicht nur die Organisation des Medizinalwesens umfasst. Wesentlich ist neben einer Darstellung der Verwaltungsorganisation eine Schilderung der Entwicklungen in der Baupolizei, weil diese ebenso über die hygienischen Zustände an Rhein und Mosel wachte wie die Medizinalbeamten in Diensten der Königlichen Regierung (Bezirksregierung).

 

4.1 Das Medizinalwesen

 

Nach der Völkerschlacht von Leipzig vom 16. bis zum  19. Oktober 1813, in der sich die in Diensten Frankreichs stehenden Soldaten den Truppen Preußens, Österreichs und Russlands hatten beugen müssen, waren die sieggewohnten Armeen der „Grande Nation“ zu einem ungeordneten Rückzug gezwungen worden. Die gegen Frankreich Alliierten setzten nach. Bereits am 5. November 1813 marschierten russische Verbände in das rechtsrheinische Ehrenbreitstein ein.

 

Den Rhein überquerten die Verbände erst, als feststand, dass die Franzosen den „Befreiern“ wenig entgegenzusetzen hatten. Im Dezember 1813 waren nur 500 Soldaten Napoleons in Koblenz stationiert. Die Stadt war nicht zu halten, sodass am Nachmittag des 31. Dezember die Vorbereitungen für den Abzug getroffen wurden. Gegen 22.30 Uhr verließ Präfekt Jules Doazan (seit 1810 im Amt) Koblenz. In der Neujahrsnacht zwischen 2 und 3 Uhr marschierten russische Soldaten in die alte Residenzstadt ein, die auf Grundlage der Leipziger Konvention vom 21. Oktober 1813 sofort der Übergangs-Zentralverwaltung der Siegermächte diente. Die Departements Rhein-Mosel, Saar und Donnersberg wurden am 2. Februar 1814 zum Generalgouvernement des Mittelrheins zusammengelegt. Am 9. März kam noch das Westerwalddepartement dazu. Generalgouverneur wurde der russische Staatsrat Justus Gruner. Der Amtssitz war Trier. Für die niederrheinischen Gebiete wurde der preußische Geheime Staatsrat Johann August Sack als Generalgouverneur eingesetzt. Dem Ganzen vorausgegangen war die in Basel getroffene Entscheidung der Siegerallianz vom 12. Januar 1814.75

 

Das Übergangssystem wurde im Frühjahr 1816 durch eine neue preußische Verwaltungsorganisation abgelöst. Im Bereich des Medizinalwesens sah es anders aus. Hier sollte sich das französische System erstaunlich lange halten. Die Preußen hatten schnell erkannt, dass die Versorgung der Bevölkerung für damalige Verhältnisse sehr gut organisiert war.76 Als obere Behörde war die neue Bezirksregierung zuständig, auf der obersten Ebene zunächst das preußische Innenministerium, vom 3. November 1817 an das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten.77

 

Die Departementshauptstadt Koblenz, die spätestens seit dem Frieden von Lunéville 1801 auch offiziell zu Frankreich gehörte, wurde wie das gesamte Gebiet des Departements Rhin et Moselle durch ein flächendeckendes Netz von Distriktsärzten betreut, was sich besonders beim Kampf gegen die Pocken auszeichnete – die gefährliche Infektionskrankheit hatte allein im 18. Jahrhundert europaweit rund 400.000 Opfer gefordert. Nun galt es, die wie die Pest gefürchtete Krankheit möglichst auf dem Weg der Schutzimpfung zu bekämpfen, wobei erst das Reichsimpfungsgesetz vom 25. März 1875 die Pockenimpfung verbindlich machte. Bis dahin erfolgte die Impfung in Deutschland entweder auf freiwilliger Basis oder nach örtlicher Anordnung. 78

 

Eine weitere Errungenschaft der französischen Zeit war die Ausbildung einer ausreichenden Anzahl von Hebammen. Das System wurde in preußischer Zeit ebenso übernommen wie die – allerdings später geänderte – Aufteilung in Hebammenbezirke. Die Neuorganisation des Medizinalwesens im französischen Koblenz gilt vor allem als Verdienst des Präfekten Adrien de Lezay-Marnesia, der von 1806 bis 1810 an der Spitze des Rhein-Mosel-Departements stand. Der Präfekt hatte durch Beschluss vom 8. Januar 1808 das Rhein- und Moseldepartement in 31 ärztliche Distrikte unterteilt, von denen 28 in den Bereich des späteren Regierungsbezirks Koblenz fielen.79

 

n der Amtszeit des Präfekten Lezay-Marnesia wurde auch das im November 1805 formell gegründete Bürgerhospital samt Apotheke eingerichtet. Lezay-Marnesia hatte nicht nur einen Blick auf die Errungenschaften der Medizin in Frankreich, sondern ließ auch die deutschen Entwicklungen nicht außer Acht. Das äußerte sich vor allem in seiner Personalpolitik. Er ernannte Professor Franz Gerhard Wegeler (1765–1848) zum referierenden Arzt und Medizinalpolizeidezernenten. Wegeler stammte aus einer Bonner Familie und war ein Jugendfreund Ludwig van Beethovens, dessen Mutter aus Ehrenbreitstein stammte. Der Mediziner machte seine Sache offenbar so gut, dass er auch in preußischer Zeit eine maßgebliche Rolle spielte – Wegeler leitete die staatliche Aufsicht über das Gesundheitswesen im Regierungsbezirk Koblenz.

 

 „[...] Durch sein langes Wirken in dieser Stellung, das sich noch jahrzehntelang in die preußische Zeit hinein erstreckte, wurde  die Fortführung der Errungenschaften der französischen Zeit hinsichtlich der Medizinalpolizei und ihre Übertragung auf die rechtsrheinischen Teile des Regierungsbezirks gewährleistet. Dadurch wurden der weitere Hochstand der medizinpolizeilichen Einrichtungen des Regierungsbezirks und seine vorbildliche Wirkung auf andere Landesteile überhaupt erst möglich gemacht [...]“, lobt H. Schubert in seiner Untersuchung über die Regierung in Koblenz das Wirken Wegelers.80

 

Nach der Dienstanweisung der Bezirksregierung Koblenz vom 23. Oktober 1817 war Franz Gerhard Wegeler als Regierungs- und Medizinalrat für alle der Gesundheits- und Medizinalpolizei obliegenden Aufgaben zuständig. Dazu gehörte auch die Revision der wichtigen Medizinalanstalten. 1826 wurden Wegelers Pflichten als Medizinaldezernent weiter präzisiert. Neben der Überwachung von Rettungsanstalten sowie Kranken- und Irrenhäusern kam nun auch die Aufsicht über den Medikamentenverkehr dazu. Eine besonders große Verantwortung hatte Wegeler, wenn ansteckende Krankheiten oder Seuchen grassierten. Er war es, der alle Gegenmaßnahmen einleiten musste. Auch in „normalen“ Zeiten war der Medizinalrat voll ausgelastet. Sollte er doch nicht nur gegen Kurpfuscher aller Art vorgehen, sondern auch noch die Unverfälschtheit von Lebensmitteln überwachen und Prävention betreiben. Natürlich war Wegeler nicht ganz allein auf sich gestellt. Wie bereits geschildert, blieb das französische System der Distriktsärzte erhalten. Dennoch hatte der Regierungs- und Medizinalrat eine enorme Verantwortung – er war als „technischer Berater“ des Regierungspräsidenten der Vorgesetzte aller Medizinalbeamten im Regierungsbezirk Koblenz. Und: Er musste auch über die Apotheken und die Ausbildung des Apothekernachwuchses wachen, nachdem die in der französischen Zeit erlassene Niederlassungsfreiheit bereits im Mai 1814 wieder aufgegeben worden war. 81

 

Auch die Voraussetzungen für die Ausübung des Arztberufs waren bereits in französischer Zeit eindeutig geregelt worden. Ein Gesetz vom 10. März 1803 schrieb vor, dass quasi nur noch zwei Klassen von Ärzten anerkannt wurden: Dies waren Mediziner, für die die Promotion an einer der damals sechs französischen Universitäten vorgeschrieben wurde, und sogenannte Gesundheitsbeamte, die für ihre Zulassung bis zu 250 Francs bezahlten. Letztere konnten ihre Ausbildung durchaus außerhalb der Grenzen Frankreichs erhalten. Aus diesem Grund erwarben die rheinischen Ärzte ihren zu dieser Zeit noch sehr theoretischen und kaum an der medizinisch-klinischen Praxis orientierten Abschluss82 vor allem an deutschsprachigen Universitäten, zumal die Position als Gesundheitsbeamter keine Nachteile gegenüber in Frankreich promovierten Absolventen zu bringen schien. Im Gegenteil: Es waren vor allem die Gesundheitsbeamten, die nach ihrer Annahme als Organ der Medizinalpolizei zu Distriktsärzten ernannt wurden. In dieser Position unterstützten sie vor allem die ärmeren Gemeinden, die sich keine Schutzmaßnahmen gegen damals besonders verbreitete Infektionskrankheiten wie Pocken (Blattern), Krätze83 oder Syphilis leisten konnten. In der Regel wurden die – später von der Bezirksregierung zu ernennenden – Distriktsärzte zu vier Fünfteln von den jeweiligen Gemeinden und zu einem Fünftel aus der Armenkasse entlohnt. Dieses System blieb im Wesentlichen bestehen, wurde aber per Verordnung vom 20. Juni 1816 ergänzt.

 

Da der Medizinalrat bei der Bezirksregierung seine Augen unmöglich überall haben konnte, wurde für jeden Kreis im Regierungsbezirk Koblenz – entsprechend der damals üblichen Trennung von Medizin und Chirurgie – ein Kreisphysikus und Kreiswundarzt84 (der zugleich Geburtshelfer war) angestellt. Diese beamteten Ärzte wurden durch den Staat besoldet und entlasteten den Medizinalrat in der Bezirksregierung als obere Behörde erheblich. Die wichtigere Rolle spielte der jeweilige Kreisphysikus, der nicht nur den allgemeinen Gesundheitszustand in seinem Kreis beobachtete, sondern dort auch die Aufsicht über alle im Medizinalwesen Beschäftigten hatte. Der Wundarzt im jeweiligen Kreis war ihm nur beigeordnet. Es war auch der jeweilige Kreisphysikus, der gerichtlich angeordnete Leichenöffnungen ausführte. Bei diesem System blieb es. Allerdings setzte Franz Gerhard Wegeler bereits 1818 die Einteilung der entsprechenden Bezirke neu fest, damit die Neuorganisation auch auf den rechtsrheinischen Teil des Regierungsbezirks Koblenz übertragen werden konnte. Dies geschah aber im Einvernehmen mit den Landräten.85 In den Hauptorten der Kreise im Regierungsbezirk hatten Kreisphysikus und Wundarzt eine Doppelfunktion. Sie übernahmen dort nebenberuflich auch die Funktion von Distriktsärzten. Sie wurden dafür von der jeweiligen Gemeinde auch entlohnt.

 

Doppelfunktionen waren im Regierungsbezirk Koblenz keine Spezialität des Medizinalwesens. Auch im Bausektor war dies üblich – wie noch zu schildern ist. Die Rolle der Distriktsärzte wurde damit nicht ausgehöhlt. Je nach Größe des Kreises gab es ein bis drei Ärzte, die in dieser Funktion eingesetzt waren. Sie durften frei praktizieren und wurden für ihre Arbeit im öffentlichen Gesundheitswesen als Armenärzte von den Gemeinden besoldet. Bis 1861 waren sie sogar zusätzlich Gemeindebeamte. Wie bereits in französischer Zeit gehörte die Impfung zu ihren Hauptaufgaben. Dazu kam die Meldung von Quacksalbern sowie die medizinalpolizeiliche Überwachung von Gefängnissen, Kirchhöfen (die noch nicht überall verlegt waren), Brunnen und Dungstätten. Insgesamt gesehen war dieses System nur im Regierungsbezirk Koblenz derart ausgereift, dass es sich zur Übernahme eignete. So folgte der Regierungsbezirk Trier dem Koblenzer Vorbild, während man in Aachen eine Übernahme als unnötig ablehnte.86

 

In Koblenz gab es schon zu Beginn der preußischen Zeit eine Kommission, die sich mit der Prüfung der für öffentliche Aufgaben infrage kommenden Ärzte befasste: Bereits am 8. August 1817 begann das Medizinalkolleg seine Arbeit. Den Vorsitz führte ein vom preußischen Minister des Inneren ernannter Kommissar. Das Kolleg war für die drei niederrheinischen Regierungsbezirke zuständig. Alle Ärzte eines Bezirks hatten sich einer Prüfung zu unterziehen. Ausgenommen waren nur diejenigen, die bereits in französischer Zeit als Kanton-, Distrikts- oder Epidemieärzte angestellt waren – vorausgesetzt, sie hatten ihr Amt vorwurfsfrei geführt. Die Kommission sollte feststellen, welche Mediziner den nach preußischem Recht promovierten und praktizierenden Ärzten gleichgestellt werden konnten. Gegebenenfalls stimmte das Kolleg für die Abstufung zum Wundarzt. Obwohl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Ausbildung die Trennung zwischen Medizin und Chirurgie weggefallen war, sollte sich dieses System erst mit dem neuen Kreisarztgesetz vom 16. September 1899 ändern, das nur noch den Kreisphysikus kannte, der in seinem Bezirk auch als Gerichtsarzt zuständig war.87

 

Seitens der Bezirksregierung Koblenz war man stets bemüht, gegen diejenigen vorzugehen, die sich ohne Approbation in ärztlichen Berufen betätigten. Ein Dorn im Auge der Beamten waren vor allem die sogenannten Knochenflicker, die schon in französischer Zeit ihr Unwesen trieben und bei der Überprüfung durch die Behörden angaben, alle zur Familie Pies zu gehören. Obwohl die Bezirksregierung der Familie bereits am 23. Januar 1819 verboten hatte zu praktizieren, war das Problem noch längst nicht gelöst. Die „Knochendoktoren“ aus dem Hause Pies wichen in die ländlichen Gebiete aus, wo sie in der Bevölkerung nach wie vor hoch angesehen waren – und sich auch nicht wirklich strafbar machten, weil sie in schwierigen Fällen an die zugelassenen Ärzte verwiesen. Die bereits am 6. März 1819 von Medizinalrat Dr. Ulrich angeregte Gründung einer Anstalt zur unentgeltlichen Heilung von Knochenbrüchen im Bürgerhospital hätte zur Lösung des Problems beitragen können, wurde aber aus Kostengründen abgelehnt. Anders sah es bei den Augenkrankheiten aus. Auch um den starstechenden Okulisten das Handwerk zu legen, wurde bereits am 25. Februar 1818 eine Augenheilanstalt gegründet, die im Bürgerhospital im Kastorviertel den Betrieb aufnahm.88

 

In ihrer „Mission“ schossen die Behörden aber auch oft über ihr Ziel hinaus. Dies zeigt der Fall von Dr. Kirchgässer, der die Behörden von 1842 bis 1845 beschäftigte. Der Koblenzer Arzt hatte sich unter seinen Kollegen nicht gerade beliebt gemacht, weil er ein entschiedener Gegner von Aderlass und Ansetzen von Blutegeln war und lieber starke Reizmittel verordnete. Als einer seiner Patienten, der Koblenzer Kaufmann Kaspar Anton Müller, starb, witterte der Koblenzer Kreisphysikus, Geheimrat Dr. Settegast, schwere Kunstfehler und forderte, Kirchgässers Praxis zu schließen. Die Bezirksregierung unterstützte dieses Anliegen, der „Fall Kirchgässer“ ging an das zuständige Ministerium. Das lehnte eine Schließung der Praxis ab, forderte aber, ein waches Auge auf den „mittelmäßigen Arzt“ zu haben.89

 

4.2 Wie Epidemien verwaltet wurden

 

Die Seuchenbekämpfung war seit 1817 eine Aufgabe der Bezirksregierung. Und die hatte auf diesem Gebiet gleich eine Menge zu tun, denn der Durchzug von Truppen in den Kriegsjahren 1814 und 1815 brachte auch auf dem Land den verstärkten Ausbruch von Geschlechtskrankheiten, Krätze und Typhus mit sich. Ein Grund für die Verbreitung war, dass die verarmte Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes das Bett mit den Soldaten teilte. Dies macht der Bericht eines Distriktsarztes im Kreis Cochem über den kleinen Ort Lutzerath in der Eifel deutlich, der an der Etappenstraße nach Trier lag: Ein Wirt hatte sein eigenes Bett einem Soldaten zur Verfügung gestellt, der an Krätze erkrankt war. Da das Bett unverändert auch noch anderen Gästen überlassen wurde, entstand einer der vielen Ansteckungsherde. Die Folgen waren alles andere als unerheblich. Die durch den Koblenzer Bezirk ziehenden Soldaten wurden nach der Inkubationszeit so stark geschwächt, dass sich die Kommandanten der preußischen Truppen in Frankreich und auch die Führung der Festung Mainz beschwerten. Dies war einer der ersten Bewährungsproben für Franz Gerhard Wegeler in preußischen Diensten. Der Medizinalrat gab den Kreis- und Distriktsärzten scharfe Instruktionen. Die Bevölkerung wurde untersucht, herumziehende Handwerksburschen wurden kontrolliert. In besonders infizierten Kreisen wurde sogar die Einrichtung von entsprechenden Lazaretten angeordnet. Wegelers Maßnahmenpaket brachte den gewünschten Erfolg. Binnen zwei Jahren war die Infektionskrankheit besiegt.90

 

Weniger erfolgreich war der Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten, die nach Aufhebung der Bordelle im Zuge einer preußischen Kabinettsordre vom 5. Oktober 1845 wieder verstärkt auftraten. Die Lage besserte sich erst, als auf Anregung der Bezirksregierung eine Aufsicht über die öffentlichen Dirnen eingeführt worden war.91 Noch aussichtsloser schien der Kampf gegen den Typhus gewesen zu sein, der während des gesamten 19. Jahrhunderts immer wieder in Städten und Gemeinden des Regierungsbezirks auftrat. In den meisten Fällen waren es sogenannte „Hausepidemien“, die vor allem in den Straßen und Gebäuden ausbrachen, in denen die Lebensbedingungen besonders schlecht waren. Die gefährliche Infektionskrankheit machte aber nicht nur der Zivilbevölkerung zu schaffen, wie verschiedene Meldungen im „Coblenzer Anzeiger“ aus dem Revolutionsjahr 1848 belegen. Demnach hatte eine Typhusepidemie bereits im Februar bedenkliche Formen angenommen. Es gab damals mehrere Tote, wobei sich die genaue Zahl aus den Akten nicht mehr rekonstruieren lässt. Sicher ist dagegen, dass auch das in Koblenz stationierte Militär schwer betroffen war: Die Krankheit hatte rund 80 Personen eines Bataillons des auf der Festung Ehrenbreitstein stationierten Infanterie-Regiments 29 befallen. An die Gesunden wurde zur Vorbeugung Branntwein ausgegeben. Im März 1848 wurde schließlich ein Teil der Besatzung in die Feste Kaiser Franz im heutigen Stadtteil Lützel verlegt. Zwei weitere Kompanien des Regiments wurden zunächst in Rübenach, Bubenheim und Metternich, danach in Winningen stationiert. Im Oktober 1848 traten weitere Typhusfälle im zweiten Bataillon des Infanterie-Regiments 27 auf. Die Epidemie forderte mehrere Todesopfer.92

 

Die Vorschriften, die den Kampf gegen Infektionskrankheiten erleichtern konnten, waren lange Jahre unzureichend. Es galt das preußische Regulativ vom 8. August 1835, das erst am 30. Juni 1890 durch das wesentlich verschärfte Reichsgesetz über die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten ersetzt wurde. Dieses Gesetz war ein wirkungsvolles Instrument im Kampf gegen den Typhus, der im Gegensatz zur Cholera viel zu oft auf die leichte Schulter genommen wurde. So galt zunächst eine mangelhafte Erfüllung der Meldepflicht der Erkrankungen, später schlechtes oder verjauchtes Trinkwasser als Hauptursache für die Verbreitung der Infektion.

 

Dass die Krankheit schließlich weitestgehend besiegt werden konnte, lag natürlich vor allem auch an den erheblichen technischen Verbesserungen jener Jahre. In diesem Zusammenhang seien der Bau eines Grundwasserwerks und der neuen Schwemmkanalisation im Koblenz des ausgehenden 19. Jahrhunderts genannt, auf die im Folgenden noch ausführlich eingegangen werden soll. In den ärmeren ländlichen Räumen des Regierungsbezirks war dagegen die Typhusgefahr trotz der besseren Rechtslage auch noch in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nicht gebannt. Viele Gemeinden in der Eifel, im Hunsrück und im Westerwald wurden erst mit staatlicher Hilfe aus dem „Westfonds“ endlich in die Lage versetzt, Wasserleitungen und undurchlässige Dunggruben anzulegen.93 Die Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung erstreckten sich natürlich nicht nur auf die großen Gefahren wie Cholera und Typhus. Die Behörden lenkten die Blicke auch auf andere übertragbare Krankheiten wie Scharlach, Diphtherie, Kindbettfieber und vor allem die Tuberkulose. Einen Fortschritt in der medizinpolizeilichen Fürsorge in der Gesundheitspflege war die Einrichtung von Gesundheitskommissionen, die nach dem Kreisarzt-Gesetz von 1899 in jeder Gemeinde mit mehr als 5000 Einwohnern schnellstmöglich eingerichtet werden mussten. In kleineren Orten war die Einrichtung dieser Kommissionen zwar nicht zwingend vorgeschrieben, konnte aber vom Regierungspräsidenten oder vom zuständigen Landrat angeordnet werden. Das wurde von der Bevölkerung nicht gerne gesehen. Viele Bürger befürchteten Eingriffe in die Privatsphäre und ein Überhandnehmen staatlicher Kontrollen.94

 

Aber nicht nur die privaten Wohnungen und Unterkünfte wurden gründlich unter die Lupe genommen. Seit 1890 ordnete der Regierungspräsident jährliche Besichtigungen von Heil- und Pflegeanstalten an. Betroffen waren auch die Einrichtungen für „Kranke, Sieche und Irre“ sowie Heilbäder und Mineralbrunnen innerhalb des Regierungsbezirks. In dieser Zeit etablierte sich schließlich ein weiteres Instrument in der Seuchenbekämpfung: die bakteriologische, chemische und physikalische Untersuchung des Rheinwassers. Diese Untersuchungen wurden vom Regierungs- und Medizinalrat Dr. Bernhard Salomon zusammen mit dem Bakteriologen des Sanitätsamtes vom 8. Armeekorps, Oberstabsarzt Dr. Hühnermann, 1899 direkt in Koblenz durchgeführt. Doch schon vorher gab es entsprechende Untersuchungen, die zum Teil in Koblenz, zum anderen Teil in Karlsruhe oder in Berlin durchgeführt worden waren.95

 

4.3 Preußische Verwaltung im Rheinland

 

Der Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 leitete auch das Ende der Zentralverwaltung der Siegermächte ein. Bereits einen Tag später wurde die Verwaltung der Gouvernements den einzelnen Siegermächten übertragen. Im Februar 1815 wurde schließlich auf dem Wiener Kongress die staatsrechtliche Vereinigung der rheinischen Gebiete mit Preußen beschlossen. Am 5. April folgen zwei Besitzergreifungspatente des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. Das Rheinland wurde 1815 zunächst in die Provinz Großherzogtum Niederrhein mit den Regierungsbezirken Koblenz, Aachen und Trier sowie die Provinz Jülich-Kleve-Berg mit den Regierungsbezirken Düsseldorf, Köln und Kleve aufgeteilt. Die beiden für die neuen Provinzen zuständigen Präsidien nahmen am 22. April 1816 ihre Arbeit auf.96 

 

Die Bildung einer neuen mittleren Verwaltungsebene in den Rheinlanden erfolgte auf Grundlage der „Verordnung über die verbesserte Einrichtung der Provinzialbehörde“ vom 30. April 1815. Diese sah die Neugliederung des erheblich gewachsenen Preußens in zehn Provinzen und 25 Regierungsbezirke vor.97 Erst durch die preußische Kabinettsordre vom 27. Juni 1822 legte man die beiden neuen Provinzen zum Rheinischen „Oberpräsidium“ mit Sitz in Koblenz zusammen. Vorausgegangen war die grundsätzliche Entscheidung, die mittlere Verwaltungsebene in Preußen durch Oberpräsidien und Regierungskollegien zu organisieren. Die neue Provinzhauptstadt Koblenz war fortan wegen ihres Oberpräsidiums zumindest formal den Städten Aachen, Düsseldorf, Köln und Trier übergeordnet, was man dort in der Regel mit Unbehagen zur Kenntnis nahm. Mit der Einrichtung des Generalkommandos für das achte Armeekorps hatte Koblenz zusätzlich im Bereich der Militärverwaltung eine besondere Bedeutung.98

 

Nachdem König Friedrich Wilhelm IV. seinen Bruder Wilhelm 1849 zum Militärgouverneur von Rheinland und Westfalen ernannt hatte, residierte der Prinz von Preußen von 1850 bis 1858 im ehemaligen kurfürstlichen Schloss.99 Den Rheinländern blieb das französische Recht erhalten, denn der Versuch einer Vereinheitlichung der Bestimmungen in den preußischen Provinzen auf der Grundlage des Allgemeinen Landrechtes scheiterte. Im Rheinland bestanden – wie dies bereits am Beispiel des Medizinalwesens ausgeführt wurde – die Regelungen nach der französischen Gemeindeordnung von 1800 zunächst weiter. Anders als in den preußischen Kerngebieten waren Stadt und Land grundsätzlich gleichgestellt.100 In den Städten kam es jedoch zu entscheidenden Änderungen zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung im Sinne der Stein’schen Städteordnung von 1807: Der Stadtrat, Nachfolger des alten Munizipalrates, tagte jetzt nicht mehr jährlich, sondern monatlich und nach Bedarf. Alle Gegenstände der kommunalen Verwaltung wurden von den Mitgliedern erörtert. Der Bürgermeister hatte – unterstützt von zwei Beigeordneten – die Aufgabe, Beschlüsse auszuführen.101

 

Trotz der Neuerung ließ sich die Stein’sche Städteordnung, die Grundlagen für die Selbstverwaltung der Gemeinde lieferte, nicht durchführen. Die Verwaltungsreform stellte die Städte freier als das Land, und gewährte ihnen besonders das Recht der Bürgermeisterwahl, während die französischen Maires und die späteren Bürgermeister von der Regierung ernannt worden waren. Die Neuorganisation der kommunalen Verwaltung orientierte sich aber nur an den wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den preußischen Kerngebieten. Deswegen widersprachen die Oberpräsidenten und Regierungen in den neuen Provinzen. Sie forderten für diese Gebiete die Ausarbeitung einer gemeinsam für Stadt und Land gültigen Gemeindeordnung in dem freiheitlichen Geist der Stein’schen Reformen.102

 

Eine Ausnahme stellte die Königliche Regierung (Bezirksregierung) in Koblenz dar. Sie hatte für ihren Bezirk schon 1817 eine eigene Gemeindeordnung erlassen. Diese Eigenentwicklung im Bereich der kommunalen Verwaltung ist unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass die Karrieren vieler juristischer Beamter bereits in napoleonischer Zeit begonnen hatten. Diese Staatsbediensteten befürchteten eine Wiederherstellung des alten Feudalsystems; sie wollten deshalb das französische Recht nicht vollständig aufgeben.103

 

Wegen des allgemeinen Widerstandes galt im Rheinland bis zur Einführung der neuen rheinischen Gemeindeordnung 1845/46 im Prinzip die französische Munizipalverfassung – allerdings mit der Einschränkung, dass nun die Mitglieder der jeweiligen Gemeinderäte ausschließlich aus dem Kreis der 100 Höchstbesteuerten berufen wurden. Der kommunalpolitische Einfluss des Wirtschaftsbürgertums – also der Kaufleute und Fabrikanten – nahm somit gegenüber dem des Bildungsbürgertums deutlich zu.104 An dieser Tatsache änderte auch die neue Gemeindeordnung nichts. Allerdings wurden jetzt die Mitglieder der Gemeinderäte gewählt. Freilich war das kommunale Wahlrecht von der Höhe des Jahreseinkommens oder der Steuerleistung abhängig. In der Praxis bedeutete dies, dass nur ein kleiner Teil der Bürger wählen durfte. So erfüllte in Düsseldorf nur jeder achte Handwerksmeister den Mindestzensus von 200 Talern. Jürgen Reulecke schätzt, dass allenfalls zehn Prozent der Bürger „ihre“ Stadtverordneten wählen konnten.105 Vor diesem Hintergrund wird klar, warum die neue starke Schicht trotz späterer Modifikationen des Wahlrechts ihren Einfluss weiter ausdehnen konnte – etwa durch die Gründung von örtlichen Organisationen und Vereinen. Über die neuen Handelskammern sorgten sie dafür, dass es für ihre Forderungen eine breite Öffentlichkeit gab.106

 

4.3.1 Kreisbehörden

 

Bereits 1815 wurden die Regierungsbezirke in Kreise eingeteilt. An ihrer Spitze standen landrätliche Kommissare, die später den Titel „Landrat“ führten. Die Städte sollten eigene Kreise bilden. An die Stelle der Landräte traten nun die Polizeidirigenten. Die Städte und das Land unterstanden dem Landrat, die Bürgermeister waren ihm zugeordnet. Eine Verordnung vom 13. Juli 1827 ordnete die Bildung von Kreisständen und die Einrichtung von Kreistagen an.107 Der Stadtkreis Koblenz wurde 1816 aus den Bürgermeistereien Ehrenbreitstein und Koblenz gebildet. Hinzu kamen Neuendorf, Berghof, Karthause, Kemperhof, Laubachsmühle, Petersberg, Remstecken, Oberwerth und Moselweiß. Dem gegenüber stand der Landkreis Koblenz. Zu ihm gehörten die Bürgermeistereien Bassenheim, Rhens, St. Sebastian, Winningen, Dieblich, Lay, Vallendar, Engers und Irlich. Nur ein Jahr später vereinigte man Stadt- und Landkreis miteinander.108 1847 war Koblenz im Bereich der Polizei- und Kommunalverwaltung direkt der Königlichen Regierung (Bezirksregierung) unterstellt. In den anderen Ressorts, vor allem im Bereich des Steuer- und Militärwesens, blieb die Stadt dem Landkreis untergeordnet. Dies änderte sich erst am 29. Juni 1887. Damals ermöglichte ein Erlass das Ausscheiden von Koblenz aus dem alten Kreisverband und die Bildung eines eigenen Stadtkreises.109

 

4.3.2 Gemeindeverwaltung

 

Koblenz war lange keine eigenständige Bürgermeisterei. Daran änderte auch die Gemeindeordnung vom 23. Juli 1845 nichts. Die alte Organisation blieb bis zum 15. Mai 1857 bestehen: Zusammen mit Moselweiß, Neuendorf und Kapellen gehörte die Stadt einem Bürgermeistereiverband an. Die neuen Regelungen, die ab 1846 in Kraft traten, brachten dennoch einige entscheidende Neuerungen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Regierung die Ratsmitglieder ernannt. Jetzt entschied eine Wahl über die Zusammensetzung des Gemeinderates, wobei die Abstimmung nach dem Dreiklassenwahlrecht erfolgte. Die Bürger wählten die Stadtverordneten auf sechs Jahre. Anschließend bestätigte der Landrat die neuen Ratsmitglieder.110 Die Stadtbürgermeister wurden auf Vorschlag der Bezirksregierung ernannt und vom König bestätigt. Bei Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern erhielten sie den Titel Oberbürgermeister.111 Von besonderer Bedeutung für Koblenz war die Städteordnung vom 15. Mai 1856, denn jetzt wurden der Bürgermeister und seine beiden Beigeordneten nicht mehr ernannt, sondern vom Stadtrat gewählt.112 Der Oberbürgermeister musste quasi als örtliche Obrigkeit und Gemeindeverwaltungsbehörde die Gesetze, Verordnungen und Verfügungen der vorgesetzten Behörden ausführen. Außerdem war er verpflichtet, den Geschäftsgang der städtischen Verwaltung zu leiten, zu beaufsichtigen sowie die Beschlüsse des Stadtrates vorzubereiten und auszuführen. Schließlich hatte er die Gemeindeanstalten, die Einkünfte und das Eigentum der Stadtgemeinde zu verwalten und nach außen hin zu vertreten. Entlastung versprach die schrittweise Einführung von Ausschüssen zur Verwaltung oder Beaufsichtigung einzelner Geschäftsbereiche.113

 

4.3.3 Polizeiverwaltung

 

Die Polizeiverwaltung in der Rheinprovinz wurde im Gegensatz zu anderen Gebieten in Preußen schon ab 1815 durch die Regierungen und die ihr unterstellten Beamten ausgeübt. Dies waren die Landräte, Bürgermeister und in den Städten Polizeipräsidenten oder Polizei-direktoren. Dagegen blieb die Polizeigerichtsbarkeit den gerichtlichen Behörden überlassen.114 Zu den Aufgaben der Polizeiverwaltung gehörte die Sorge um die Straßenbeleuchtung sowie die öffentlichen Brunnen und Wasserleitungen. Auch die Überwachung der Feuerlösch- und Gesundheitsanstalten oder die Prüfung von Brücken fiel in ihren Zuständigkeitsbereich. Schließlich lag auch noch die Aufstellung von Bevölkerungslisten in ihrer Hand.115 Die unmittelbar der Polizeidirektion vorgesetzte Behörde war die Königliche Regierung (Bezirksregierung). Der Polizeidirektor musste sich deswegen in allen Zweifelsfällen schriftlich oder persönlich an den Oberpräsidenten116 oder den Direktor der ersten Abteilung bei der Regierung wenden.117 

 

1818 erfolgte die Vereinigung der königlichen Polizeidirektion mit der Oberbürgermeisterei.118 Diese entscheidende Veränderung hatte auch Auswirkungen auf das Genehmigungsverfahren bei privaten Baugesuchen. Zwar waren baupolizeiliche Aufgaben bereits 1815 der neuen städtischen Baukommission zugeteilt worden, doch musste der Polizeidirektor immer dann einschreiten, wenn Gefahr für die Öffentlichkeit bestand. Nach der Reform von 1818 fiel diese Kontrollinstanz weg. Endgültige Entscheidungen in Privatbausachen waren aufgrund der Vereinigung der beiden Ämter dem Oberbürgermeister vorbehalten.119 

 

Die rheinische Gemeindeordnung vom 23. Juni 1845 ließ die Personalunion bestehen, indem sie unter Beibehaltung des bisherigen linksrheinischen Zustandes bestimmte, dass der von der Regierung zu ernennende Bürgermeister auch die Polizeiverwaltung seines Bezirks führen sollte. Das die Polizeiverwaltung betreffende Gesetz vom 11. März 1850 hob für Koblenz die Einheit der beiden Ämter auf:120 Durch einen entsprechenden Beschluss des preußischen Innenministers konnte in den Gemeinden, in denen sich eine Bezirksregierung, ein Land-, Stadt- oder Kreisgericht befand, sowie in Festungen und Gemeinden von mehr als 10.000 Einwohnern die örtliche Polizeiverwaltung durch Beschluss des Ministers des Inneren besonderen Staatsbeamten übertragen werden.121 1852 wurde deshalb der Düsseldorfer Landrat Junker als Koblenzer Polizeidirektor eingesetzt. Von 1863 an wurde das Amt für Koblenz dem jeweiligen Landrat des Landkreises Koblenz übertragen. Erst am 9. Oktober 1918 verfügte der Minister des Inneren die Neuorganisation der Polizeiverwaltung zum 1. April 1919. Fortan übernahm der Koblenzer Oberbürgermeister die Funktion des Polizeidirektors.122

 

Über die Personalunion von Landrat und Polizeidirektor war die Stadtverwaltung alles andere als begeistert. Mehrmals beantragte sie die Rückgliederung der Polizeidirektion in den Kommunalverband. Der bei der Regierung eingereichte Antrag wurde abgelehnt. Dafür wurde Ehrenbreitstein 1861 aus dem Polizeibezirk Koblenz herausgelöst.123 Die Trennung von Polizeidirektion und kommunaler Verwaltung hatte auch Auswirkungen auf die Baugenehmigungsverfahren. Zwar mussten private Baugesuche weiterhin bei der städtischen Baukommission eingereicht werden, doch konnte jetzt der Polizeidirektor, dem die Gesuche vorgelegt wurden und in dessen Namen dann die endgültige Genehmigung der einzelnen Vorhaben erfolgte, seine Unabhängigkeit von der städtischen Verwaltung wahren. Wegen der wachsenden Zahl von Anträgen wurde allerdings zum 1. Februar 1902 bei der „Königlichen Polizei-Direction Coblenz“ eine eigene Bauinspektorenstelle eingerichtet.124

 

4.4 Die Bauverwaltung

 

Im Regierungsbezirk Koblenz gab es mehrere Baukreise. Zahl und Größe wurden im Zuge der allmählich steigenden Bauaktivitäten verändert. In ihren Grenzen unterschieden sie sich von der Kreiseinteilung der anderen Verwaltungsbereiche. Jedem Baukreis stand ein Bauinspektor vor, den beamtete Ingenieure unterstützten. Vorgesetzter der Bauinspektoren war der Baurat in der Abteilung des Inneren bei der Königlichen Regierung in Koblenz. Seit der preußischen Machtübernahme hatte die Leitung der Bausachen des Regierungsbezirks Koblenz – abgesehen von einigen kürzeren Zeiträumen – in den Händen eines einzigen Baurates gelegen. Erst 1898 wurde ein zweiter „Regierungs- und Baurat“ eingestellt und die Stelle des wasserbautechnischen Rates geschaffen.125

 

Zu den Aufgaben des Baurates gehörte die Überwachung der Dienstgeschäfte der Bauinspektoren in den einzelnen Baukreisen. Außerdem mussten ihm Monatsberichte über alle Arbeiten, deren Bauherr der Staat war, vorgelegt werden. Da die Bauinspektoren vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben ihren eigentlichen Dienstgeschäften auch Aufträge der Kirchen- und Zivilgemeinden ausführten und Honorare für Entwürfe und Bauleitung erhielten, während ihr Gehalt weiter vom Staat getragen wurde, musste der Baurat Pläne und Kostenanschläge für diese Bauten prüfen. Bei Streitfragen zwischen Bauherrn, -beamten und -unternehmern musste der Baurat vermitteln. Er urteilte über Anträge seiner Baubeamten (sie betrafen zum Beispiel Urlaub und Gehaltserhöhungen), ehe sie zur Entscheidung über den Oberpräsidenten an das zuständige Ministerium in Berlin weitergereicht wurden.126

 

Neben den beiden für den Landbau zuständigen Inspektoren bei der Regierung und den ihnen unterstellten Kondukteuren wirkten in den einzelnen Baukreisen Land-, Wasser- und Wegebaumeister. Es konnte auch vorkommen, dass ein Bauinspektor zugleich kommunaler Baumeister war. So arbeitete Johann Claudius von Lassaulx nicht nur als Bauinspektor bei der Regierung, sondern zwischen 1816 und 1848 auch für die Stadt Koblenz. Der Stadtbaumeister war für die Leitung und für den Entwurf kommunaler Bauten zuständig. Darüber hinaus musste er städtebauliche und versorgungsrechtliche Gutachten anfertigen, die dann dem Koblenzer Rat zur Entscheidung vorgelegt wurden.127 Lassaulx musste sich außerdem um das Lösch- und Brandwesen kümmern. Zudem war er dafür verantwortlich, dass die öffentlichen Pumpen, die in erster Linie der Versorgung der Bevölkerung mit Trink- und Brauchwasser dienten, einwandfrei funktionierten. Auch die bereits in der Stadt vorhandene Kanalisation gehörte in seinen Zuständigkeitsbereich.128

 

Die Tätigkeit des Stadtbaumeisters wurde später angesichts der wachsenden Bauaktivitäten streng reglementiert. Doppelbeschäftigungen blieben ausgeschlossen. So war es dem kommunalen Beamten verboten, Privatarbeiten zu übernehmen. Baumeister hatte „[...] seine ganze Tätigkeit der Wahrnehmung seiner dienstlichen Obliegenheiten zu widmen und das öffentliche Interesse in allen Beziehungen nach Pflicht und Gewissen zu schützen und zu fördern [...]“ Der Amtsinhaber war verpflichtet „[…] sämmtliche zum bautechnischen Ressort der Gemeindeverwaltung  gehörenden Angelegenheiten zu bearbeiten, auszuführen und zu überwachen und die ihm von der städtischen Behörde ertheilten Aufträge hinsichtlich Projectirung, Veranschlagung resp. Leitung und Revision der an den öffentlichen Gebäuden und Anlagen vorkommenden Bauten, Einrichtungen und Reparaturen zu vollziehen. [...]“129 Der Stadtbaumeister musste zusätzlich die technischen Voraussetzungen für die Einrichtung neuer Wege, Brücken sowie Ufer- und Hochbauten leisten. Außerdem hatte er sich um deren Unterhalt zu kümmern. Die Beschaffung von Baumaterialien und die Überwachung der ausführenden Bauunternehmen gehörte ebenfalls zu seinem Aufgabenbereich. Zudem war er Mitglied der städtischen Baukommission, die die Einhaltung bestehender Bauordnungen überwachte.130

 

Nachfolger des Stadtbaumeisters Lassaulx wurde Hermann Antonius Nebel (1816–1893), Sohn des Landbauinspektors, der von 1823 bis 1853 für die Koblenzer Regierung tätig war.131 Wie schon Lassaulx hatte dieser Architekt keine vollständige Prüfung zum Privatbaumeister. Diese hatte man ihm 1846 wegen seiner besonderen Fähigkeiten zum großen Teil erlassen. Ein Zeugnis der Berliner Oberbaudeputation bescheinigte ihm eine „vorzüglich gute Befähigung“.132 Hermann Nebel nahm seine Aufgaben bis 1883 wahr. Ein Nachfolger wurde 1884 mit Georg Breiderhoff gefunden. Dieser blieb nicht einmal zwei Jahre im Amt. Ihm folgte Friedrich Wilhelm Mäckler (1852–1913), der bis zu seinem Tod die Koblenzer Bauverwaltung prägte.133 Erst 1914 wurde die Stelle eines besoldeten Beigeordneten für kommunale Bauaufgaben geschaffen. Erster Chef des neuen Dezernats war Franz Rogg (1875–1944).134

 

In Koblenz lag die Beratung von Baumaßnahmen seit dem 14. November 1815 in den Händen einer besonderen Baukommission. Diesem Gremium, das ab 1818 vom Stadtrat gewählt wurde, gehörten in den ersten Jahren der Oberbürgermeister, der städtische Baumeister und vier Stadträte an. Die Zusammensetzung wechselte. Die Bauordnung von 1854 nannte als Mitglieder den Oberbürgermeister, den Stadtbaumeister, zwei Mitglieder des Stadtrates sowie einen Zimmerer- und einen Maurermeister. Die beiden Ratsmitglieder gehörten später nicht mehr der Baukommission an.135 Die Hauptaufgabe dieses lange Zeit einzigen Ausschusses lag zunächst darin, für die „Verschönerung der Stadt, die Anlage und Veränderung der Straßen und die Beseitigung von Ruinen der ehemaligen Befestigungsanlagen“ Sorge zu tragen. Schon frühzeitig kam die Prüfung der Baugesuche dazu.136

 

Die Bauordnung von 1854 verpflichtete die städtische Baukommission zur Aufstellung technischer Erklärungen, nachdem sie die eingegangenen Anträge bearbeitet hatte. Diese Empfehlungen wurden dann an den Polizeidirektor weitergeleitet, der die Baugenehmigung erteilte oder das Gesuch ablehnte. Anschließend ging der Antrag an den Oberbürgermeister zurück, der den Bescheid an den Antragssteller weiterleitete. Wollten die Bauherren bei der Planung ihrer Projekte in gewissen Punkten von den Bestimmungen der Bauordnungen abweichen, mussten sie beim Regierungspräsidenten eine Ausnahmegenehmigung beantragen.137

 

Auch während der Ausführung wurden die Bauvorhaben kontrolliert. Der Stadtbaumeister führte nach der Fundamentlegung, beim Einziehen der Balkenlagen und schließlich bei der Vollendung der Gebäude zusammen mit dem „District-Polizeicommissar“ Bauabnahmen durch. Nach Abschluss der Kontrollen wurde ein Attest über die Endabnahme ausgestellt.138 Dieses Genehmigungs- und Kontrollsystem war dem rasanten Wachstum im Bauwesen der Jahrhundertwende nicht gewachsen. Im April 1900 schrieb Regierungspräsident August Freiherr von Hövel an das Ministerium für öffentliche Arbeiten über die Baukommission: „[...] Diese Zusammensetzung vermag die richtige Handhabung der Baupolizei nicht zu verbürgen, indem das einzige Mitglied der Kommission, welches für die technische Prüfung hinreichend befähigt ist und sich zugleich in verantwortlicher Beamtenstellung befindet, der Stadtbaurat, von seiner ausgedehnten sonstigen kommunalen Tätigkeit derart in Anspruch genommen wird, daß er [...] durch die Verhältnisse gezwungen, die Prüfung und Bearbeitung des Baugesuchs mit wenigen Ausnahmen seinen Unterbeamten und den im Ehrenamt tätigen Commissionsmitgliedern überlassen muß. [...]“139 Regierungspräsident August Freiherr von Hövel hatte die größten Bedenken gegen eine Mitgliedschaft von freien Architekten und Unternehmern in der Baukommission, da sie ihr Amt zur Durchsetzung eigener Interessen ausnutzen konnten. In der Tat gab es Hinweise, dass technische Mitglieder des Bauausschusses in eigener Sache tätig geworden waren. 140

 

4.4.1 Bauordnungen in Koblenz

 

In Preußen gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine umfassenden Bestimmungen zur Regelung des Bauwesens im Sinne von Bebauungsplänen. Nach dem allgemeinen Landrecht galt ein grundsätzlich unbeschränktes Baurecht des Eigentümers, soweit es nicht zur Beeinträchtigung des allgemeinen Wohls und der bestehenden Rechte Einzelner kam.141 Bis zu Beginn der 1850er-Jahre existierten Bestimmungen über die Qualifikation der Bauhandwerker und Vorschriften für die Genehmigung neuer Bauten oder größerer Reparaturen. Außerdem wurden Verordnungen zur Verhinderung von Unglücksfällen und gesundheitlichen Gefahren erlassen. Insgesamt gesehen galten auf dem Land und in den Städten Preußens baurechtlich sehr verschiedene Bestimmungen, obwohl einige gesetzliche Vorschriften existierten.142

 

1829 übernahm der Referendar C. U. Meyer die Aufgabe, diese Gesetze und Verordnungen in einem Handbuch zusammenzufassen.143 Demnach galt in den preußischen Städten durchweg die Vorschrift, dass Straßen und öffentliche Plätze weder verengt noch verunreinigt oder verunstaltet werden durften. Ohne ausdrückliche Genehmigung der Obrigkeit konnte niemand einen Kellerhals  oder andere Nebeneinrichtungen an den Straßen anlegen. Gleichfalls untersagt war die Einrichtung von Keller- und Ladentüren, die in die Straßen hineinragten.144 Allgemeingültige Bestimmungen gab es auch für die Ausführung von Bauten. „Luftsteine und andere keine gehörige Dauer und Festigkeit gewährende Materialien“ sollten nicht zur Errichtung der Wände verwendet werden. Beim Bau neuer städtischer Gebäude war vorgeschrieben, „[...] nach den Vorgaben der Polizeiordnung einen von unten herauf bis an die Spitze des Dachs gehenden, mit keiner Thür oder anderen Öffnungen durchbrochenen Brandgiebel [...]“ einzurichten.145

 

Besonderen Wert legte die Obrigkeit in den Orten und Städten der einzelnen Provinzen auf die Beachtung der Bau- und Straßenfluchten. Jeder, der beabsichtigte, einen Neubau zu errichten, musste sich die Anordnung der Behörden, Fassaden oder Gebäudeteile zu verlegen, gefallen lassen. Mit diesen Bestimmungen wollte man die örtlichen Verwaltungen unterstützen, die sich um die Beseitigung von Engpässen in schmalen Altstadtstraßen bemühten. Die städtischen Baudeputationen (in Koblenz war es die Baukommission) konnten jetzt für freie Baugrundstücke neue Fluchtlinien festlegen. Bei der Festsetzung der Fluchtlinien und dem Abstecken eines Baugrundstückes musste der jeweilige Regierungs-Bauinspektor hinzugezogen werden.146 Darüber hinaus gab es Gestaltungsvorschriften, in denen die Verwirklichung einfacherer Fassaden gefordert wurde. Den Stadtvätern war es lieber, die Überwindung des „Zopfstils“– so nannte man damals die Baukunst des Barock – zu überwinden, als detaillierte Vorschriften zur Verbesserung der sanitären Verhältnisse in den Häusern auszuarbeiten.

 

Die Auswertung zeigt, dass in den Bauordnungen der damaligen Zeit der Brandschutz und die Verkehrssicherheit oberste Priorität hatten. Vorschriften zur Stadthygiene spielten – wenn überhaupt – nur eine Nebenrolle. Allerdings wurde das Verhältnis von Auftraggeber und Baumeister geregelt. Die zwischen beiden Parteien getroffenen Vereinbarungen und die Honorierung der zu leistenden Arbeiten mussten in einem Vertrag festgehalten werden. Bei der Übergabe des fertiggestellten Baus konnte jede Seite die Hinzuziehung eines Sachverständigen verlangen, der dann die ordnungsgemäße Bauausführung beurteilte. Gab es am Ort keinen „öffentlich bestellten Schaumeister“, war es erlaubt, einen „Kunstverständigen“ in die Untersuchungen einzubeziehen.147 Von Medizinern war nicht die Rede. Vereinbarungen wie diese entbanden den ausführenden Baumeister nicht von der Pflicht, sich im Falle von Neubauten oder „Hauptreparaturen“ davon zu überzeugen, dass der Bauherr eine baupolizeiliche Erlaubnis eingeholt hatte. Schon damals mussten dem Baugesuch Pläne beigelegt werden. Der Zeichner hatte darauf zu achten, dass altes und neues Mauerwerk in unterschiedlichen Farben dargestellt waren.148 Es war klar, dass bei diesem Verfahren die sanitären Anlagen vernachlässigt werden konnten. Allerdings hatte die Baupolizei schon damals Möglichkeiten, einzugreifen, wenn die hygienischen Verhältnisse zu schlecht waren.

 

Hauptaufgabe der Baupolizei war die Überprüfung der Sicherheit der entstehenden und schon im Gebrauch befindlichen Bauwerke. Zu den Untersuchungskriterien gehörten damals Standfestigkeit, Feuersicherheit und eben die hygienische Zuträglichkeit, wobei im zuletzt genannten Fall der Ermessensspielraum besonders hoch gewesen sein dürfte. Im Rheinland existierten spätestens seit der französischen Zeit Einrichtungen, die innerhalb der Kommunalverwaltung die Aufgaben der Bauaufsicht übernahmen. Vielerorts – vor allem auf dem Land – gab es bis weit in das 19. Jahrhundert hinein keine grundsätzlichen Reglementierungen. Versuche, die Befugnisse der Baupolizei in den Gemeinden und auf dem Land zu vereinheitlichen, scheiterten bereits im Anfangsstadium.149

 

Nur einige größere Städte hatten schon vor 1800 eigene Bauordnungen erlassen, die fast ausschließlich die Abwehr von Feuergefahr bezweckten.150 In Koblenz gab es bereits seit dem 24. April 1786 eine Bauordnung. Sie galt allerdings nur für den Bereich der heutigen Neustadt, in der das Kurfürstliche Schloss errichtet worden war.151 Diese älteren Bestimmungen hatten, soweit sie Konstruktion, Festigkeit und Sicherheit der Gebäude betrafen, auch noch im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts Gesetzeskraft. Die Aufrechterhaltung dieser Bauordnung war bereits von der französischen Regierung per Gesetz angeordnet worden.152 Oberste Priorität hatte dagegen der Brandschutz. So wurden für den Regierungsbezirk Koblenz bereits im Juli 1827 Vorschriften zur Verhinderung von Brandunglücken veröffentlicht.153

 

4.4.2 Die Bauordnung von 1847

 

Eine neue Bauordnung, die die alten kurfürstlichen Verordnungen und die französischen Reglementierungen ablösen sollte, lag der Bezirksregierung bereits 1835 zur Genehmigung vor.154 Ausführlichere Bestimmungen wurden aber erst mit der neuen Bauordnung von 1847 veröffentlicht. Ihre Vorschriften zum Genehmigungsverfahren ermöglichten erstmals die systematische Anlage von Bauakten.155 Neben den Bestimmungen zur Genehmigung von Bauanträgen enthielt die neue Baupolizeiordnung eine Reihe von Paragrafen über die Ausführung von Gebäuden. Schwere Strafen drohten dabei im Falle des Abweichens von den genehmigten Bauplänen. In diesem Falle hatte der Bauherr umgehend dafür zu sorgen, dass die von der Baukommission vor allem aus feuerpolizeilichen Gründen geforderten Sicherheitsauflagen erfüllt wurden. Weigerte sich der Hausbesitzer, diesen Anordnungen Folge zu leisten, konnte der Oberbürgermeister den Abbruch von gefährlichen oder heruntergekommenen Gebäuden auf Kosten des Eigentümers veranlassen.156 

 

Der Anspruch der neuen Bauordnung entsprach jedoch lange Zeit nicht der Realität. Fälle, in denen die Stadt Gebäude aus Gründen unzureichender Hygiene oder wegen unzureichender Brandschutzmaßnahmen schließen ließ, sind nicht überliefert. Wie sehr man sich mit einer konsequenten Umsetzung der eigentlich recht scharfen Bestimmungen zurückhielt, wird vor allem am Beispiel der Freitreppen deutlich, die zusammen mit anderen Verkehrshindernissen binnen kurzer Zeit aus den wichtigsten Straßen der Stadt hätten verschwinden sollen. Noch elf Jahre nach dem Inkrafttreten der neuen Bauordnung beschwerte sich die Koblenzer Regierung beim Berliner Ministerium für öffentliche Arbeiten über die viel zu schmalen Bürgersteige und die vielen Treppen, die – ungeachtet der bestehenden Vorschriften – immer noch in die Straßen hineinragten. In der Koblenzer Altstadt wurden diese Treppen erst in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts beseitigt und die Hauseingänge ebenerdig angelegt (ein Beispiel dafür ist das Haus Altenhof 11). Damit verbunden war oftmals die „Kappung“ der alten Bruchstein-Kellergewölbe, die durch flache Stahlbeton-Decken ersetzt wurden. Erst mit diesen gravierenden Eingriffen in die bestehende Bausubstanz kam es zu umfangreichen begleitenden Maßnahmen, an deren Ende auch eine wesentliche Verbesserung der sanitären Ausstattung der Gebäude stand.

 

4.4.3 Die Bauordnung von 1854

 

1853 wurde in Berlin eine neue Bauordnung veröffentlicht und noch im gleichen Jahr vom Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten als Muster für die Aufstellung neuer Bestimmungen nach Koblenz geschickt. Sie sollte Vorbild für eine neue Koblenzer Bauordnung sein. Am Ende kam aber nicht mehr oder weniger heraus als eine Novelle der Bestimmungen von 1847. Präzise Vorschriften im Sinne eines Beitrages zur Stadthygiene fehlten auch dieses Mal.157 Völlig neu war allerdings die dreifache Prüfung der Bauten (Sockel-, Rohbau-, und Schlussabnahme) durch den städtischen Baumeister und einen Beamten der Polizeidirektion.158 Eine wesentliche Erweiterung erfuhren jetzt die Bestimmungen über die Standfestigkeit von Gebäuden. Bauten konnten jetzt nicht mehr einfach ohne eigene Giebelwände in die Nachbargebäude „eingehängt“ werden. Die Obrigkeit in Koblenz stoppte diese alte Gewohnheit beim Bau traufständiger Reihenhäuser, indem sie für jeden einzelnen neu zu errichtenden Bau eine eigene Standfestigkeit vorschrieb. Jedes neue Haus musste an den Seiten massive Brandgiebel haben. Ausnahmen sahen die Bestimmungen nur dann vor, wenn die Giebelwände der angrenzenden Bauten aus Stein bestanden.159 Besondere Auswirkungen auf die Bauweise Koblenzer Häuser hatte die Bestimmung, dass innerhalb des Stadtbezirks nur feuerfeste Materialien zum Ausfüllen der Fachwerk- und Bretterwände verwendet werden durften.160

 

Die Koblenzer Bauordnung von 1854 war gegenüber ihrem Vorläufer nur ein geringer Fortschritt, wenngleich sie eine Reihe neuer Regelungen enthielt.161 Wie bereits in Berlin unterließ man in der Rhein-Mosel-Stadt die Einführung von Höhenbegrenzungen für die Gebäude, was theoretisch die Möglichkeit schuf, mehr als drei oder vier Stockwerke aufeinanderzusetzen. Von dieser Chance machten die Bauherren jedoch keinen Gebrauch. Es kam nicht zur Anlage von Mietskasernen nach Berliner Vorbild. Das Handwerk orientierte sich weiterhin an den überlieferten Bauformen. Auf relativ kleinen Grundstücken entstanden höchstens viergeschossige Häuser, die in der Regel nicht mehr als fünf Fensterachsen hatten. Trotzdem sollte es noch eine Reihe von hygienischen Problemen geben, denn wie die Berliner Bauordnung unterließen es auch die Koblenzer Bestimmungen, Regelungen über den höchsten zulässigen Überbauungsgrad von Grundstücken einzuführen.

 

Nachdem durch das preußische Fluchtliniengesetz vom  2. Juli 1875 die Feststellung der Baulinien und die Aufstellung der Bebauungspläne einheitlich geregelt worden waren, wollte man auch die bestehenden Bauordnungen durch ein entsprechendes Gesetz vereinheitlichen.162 Die Bemühungen um eine Angleichung der Baupolizeiordnungen blieben bereits in den Anfängen stecken. 1880 schrieb Albert von Maybach, Minister für öffentliche Arbeiten, an den Oberpräsidenten Dr. Moritz von Bardeleben, dass er von einheitlichen Vorschriften zur Regelung der Baupolizei absehen wollte.163 In der Folgezeit gab es deshalb nur eine Art Anleitung für den Entwurf neuer Bauordnungen.164 Erst am 25. April 1919 trat eine in ganz Preußen verbindliche Einheitsbauordnung für Städte in Kraft165, die bis zum Februar 1938 aktuell blieb.166 Trotzdem wurden weiter kommunale Bauordnungen erlassen, die sich allerdings am neuen rechtlichen Rahmen orientierten.

 

4.4.4 Die Bauordnungen von 1881 bis 1932

 

Die Koblenzer Bauordnung von 1854 war 27 Jahre lang gültig. Erst 1881 traten neue Bestimmungen in Kraft, die den jüngsten baulichen und verkehrstechnischen Veränderungen (Eisenbahn!) in der Rhein-Mosel-Stadt besser gerecht wurden.167 Erstmals nahm man Paragrafen auf, die zur Verbesserung der Hygiene in Koblenz beitragen sollten. Fortan durften Schlachtlokale und Werkstätten keinen unmittelbaren Ausgang nach der Straße haben.168 Diese neue Regelung war allerdings mehr als fragwürdig, denn sie verlagerte die Probleme, die es in der Stadt mit Handwerkern und Gewerbetreibenden gab, von den Straßen in die Innenhöfe, wo es weiterhin zur Verschmutzung des Grundwassers und zur Lärmbelästigung von Hausbewohnern kam. Zumindest in hygienischer Hinsicht versuchte die Obrigkeit, dieser Entwicklung entgegenzusteuern, indem sie die Einrichtung völlig wasserdichter Gruben für Fäkalien und Abfälle vorschrieb. Die Abtrittsgruben mussten darüber hinaus durch über die Dachfläche hinausgehende Rohre ventiliert werden.169

 

Im Gegensatz zu den veralteten Bestimmungen von 1854 führte die neue Bauordnung erstmalig Vorschriften über die Höhe von Räumen in den Häusern und Beschränkungen der Stockwerkzahl ein.170 Noch keine Berücksichtigung fanden zwingend erforderliche Bestimmungen zur Begrenzung der Bebauung in den Innenhofbereichen. Dieses Versäumnis muss als Hauptmangel der neuen Bauordnung angesehen werden, denn es gab nichts, was der immer stärkeren Überbauung der Grundstücke in der heutigen Innenstadt Einhalt gebot. In den Bauordnungen von 1899 und 1908 musste somit nachgebessert werden. Auch wenn das Wachstum in Koblenz nicht so rasant war wie in den großen deutschen Städten musste der Teilaufgabe der preußischen Befestigungsanlagen (ab 1890) und den damit verbundenen Stadterweiterungen Rechnung getragen werden.171 Zu den wichtigsten Neuerungen der Bauordnung von 1899 gehörte die Bestimmung, dass Grundstücke nicht mehr vollständig überbaut werden durften. Festgelegt wurde jetzt nicht nur der Überbauungsgrad der einzelnen Parzellen, sondern auch die Mindestgrößen der Innenhöfe, Völlig neu war auch eine Beschränkung der Gebäudehöhen. Die zulässige Höhe hing von der jeweiligen Straßenbreite ab.172

 

Die Bauordnung von 1908 änderte an den neuen Regelungen nichts. Allerdings wurden weitere Punkte hinzugefügt, die sich unter anderem auch auf die Verwendung von Eisenträgern bezogen. Zudem verschärfte die Baupolizei die Bestimmungen hinsichtlich der Einrichtung sanitärer Anlagen. So schrieb sie erstmals den Einbau eines Aborts in jeder neu zu errichtenden Wohnung vor. Zuvor hatte man sich mit Etagentoiletten begnügt.173

 

Weder die Bauordnung von 1899 noch die von 1908 enthielten Einteilungen in verschiedene Bauklassen. Erst spätere Vorschriften – so die Baupolizei-Verordnung vom 1. Oktober 1932 – unterschieden zwischen mehreren Arten offener und geschlossener Bebauung. Die Gebäude und Grundstücke in Koblenz gehörten fortan mehreren unterschiedlichen Kategorien an, für die hinsichtlich Höhe, Tiefe und Überbauungsgrad unterschiedliche Bestimmungen galten.174 Und: Die neue Bauordnung verbot in Gebieten mit geschlossener Bebauung – so auch in der Altstadt – die Einrichtung eigenständiger Mansardenwohnungen.175

 

Das Verbot der Mansardenwohnungen bedeutete für die Altstadt jedoch keine Entlastung, zumal die Obrigkeit äußerst großzügig kontrollierte, obwohl zahlreiche Menschen in den Dachgeschossen lebten. Im Gegenteil: Man errichtete weiterhin Hintergebäude, obwohl sich mit der Zeit neue Wohnmöglichkeiten in den eingemeindeten Vororten und der Südlichen Vorstadt boten; die Nähe wichtiger Geschäfte, Dienstleistungen und Arbeitsmöglichkeiten machte die Altstadt noch bis in die 1930er-Jahre zu einem interessanten Wohn- und Gewerbegebiet. Die Hofflächen wurden weiter zugebaut, allerdings dieses Mal nicht mit Wohngelegenheiten, sondern mit Werkstätten. Es war üblich, die Innenhöfe mit Drahtglas zu überdachen, um neue Räumlichkeiten für gewerbliche und handwerkliche Betriebe zu schaffen. Hinzu kam, dass die Behörden noch vor dem Zweiten Weltkrieg dem Wegzug der Bevölkerung in die neuen Wohngebiete in der Vorstadt und der Goldgrube positiv gegenüberstanden. Von einer idyllischen Wohnlage konnte daher auf keinen Fall die Rede sein. Dies zeigen bereits wenige Beispiele. An der Moselbrücke befanden sich vor dem Krieg eine größere Autowerkstatt und ein Kohlelager.176 Alles andere als wohnlich war auch die Burgstraße. Auf der nördlichen Straßenseite gab es die Fischfabrik Brieg. Daneben befand sich eine Tankstelle mit den dazugehörigen Garagen.177

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