Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung
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8.4 Konstruktion und Baumaterialien


8.4.1 Massivbauten


Die durch die Grundrissbildung und die niedrigen Geschosshöhen der Bürgerhäuser auferlegten Beschränkungen haben dazu geführt, dass der Massivbau nur selten konsequent durchgeführt worden ist. So fehlen – mit Ausnahme einiger Wohntürme – weitgehend die Gewölbe als Deckenkonstruktionen. Meistens stellte man lediglich die Außenmauern aus Bruch- oder Werkstein her. Decken und nicht tragende Trennwände wurden dagegen als Holzkonstruktionen ausgeführt.102 Auch die Errichtung reiner Fachwerkbauten war in einigen Regionen nicht üblich. So geboten an der Mosel die ständige Bedrohung durch das Hochwasser und der Wunsch nach sicheren Feuerstellen schon früh die Errichtung von Bauten mit massiven Erdgeschossen.103


Im Regelfall muss man davon ausgehen, dass das Koblenzer Bürgerhaus des 17. und 18. Jahrhunderts im Keller und im Erdgeschoss massiv war, während die oberen Etagen dieser traufständigen Häuser einschließlich der Brandgiebel zunächst weitgehend aus Fachwerk hergestellt wurden, das man allerdings aus Gründen der Repräsentation und des Brandschutzes verputzte. Ähnliches lässt sich bei den Innenwänden feststellen. Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert war es üblich, die meist nur 15 Zentimeter dünnen Trennwände als Fachwerkkonstruktionen auszuführen, deren Gefache zuerst aus Lehm mit Stroh, später aus Bimsstein bestanden.


Die ursprüngliche Dominanz der Fachwerkbauten ist vor allem auf die finanziellen Möglichkeiten der Bauherren zurückzuführen, denn diese Häuser waren wesentlich kostengünstiger als Massivbauten. Zum einen wurde das Bauholz in einigen Moselgemeinden gelegentlich kostenlos zur Verfügung gestellt, zum anderen hat man das Fachwerk vielfach in Nachbarschaftshilfe und Eigenleistung errichtet. Zudem waren die Preise der einheimischen Zimmerleute im Vergleich zu den auf Massivbauten spezialisierten Maurern und Steinmetzen erheblich günstiger. Eine entscheidende Rolle spielten vielerorts auch die langen Transportwege für die Steine, was die Baukosten erhöhte, sodass ein reiner Massivbau für die ländliche Bevölkerung lange Zeit kaum zu bezahlen war.104 Trotzdem drang im Laufe des 18. Jahrhunderts auch in den Gebieten, in denen die Fachwerkbauweise überwog (zum Beispiel an der Mittel- und Untermosel), der Massivbau vor. Gebrannt oder gehauen, sichtbar und unverputzt wurde Stein allmählich zum wichtigsten Baustoff. Nach den Kellern und ihren gewölbten Decken erfasste er das Erdgeschoss, dann die Brandmauern bis zum Dach, später die Fassaden mit ihren Dekorationen und schließlich die Rück- und Innenwände.105


Bruch- und Werksteine wurden – wenn möglich – schon aus Transportgründen in ortsnahen Brüchen geschlagen, wodurch sich Kosten, Arbeitsaufwand, Zeit und Wege verringern ließen. Die Weiterverarbeitung des Werksteins erfolgte im Gegensatz zum Bruchstein oft in den Werkstätten der Städte, weil hier entsprechend qualifizierte Handwerker arbeiteten – vor allem dann, wenn es um Schmuckformen ging. Im Raum Koblenz und in der Stadt selbst haben Handwerker Werksteine zur Ausgestaltung baulicher Details aus vulkanischem Gestein gefertigt. Der bedeutendste Abbaubezirk für dieses Material lag zwischen dem Laacher See und den Orten Mayen und Mendig.106 So wurden in Koblenz nicht nur im Mittelalter, sondern auch im 17. und 18. Jahrhundert Details wie Fenster- und Türgewände oder Konsolen aus Basalt gefertigt. Im 19. Jahrhundert erfuhr die Anwendung dieser Materialien – nicht zuletzt wegen des Einflusses des Baumeisters Johann Claudius von Lassaulx (1781–1848) – eine weitere Steigerung. So zeugen die natursteinbelassenen Fassaden der zur Pfarrei St. Kastor gehörenden Mädchenschule (Rheinzollstraße 2)107 oder das Gebäude Mehlgasse 9 auch in Koblenz von der in der Eifel weitverbreiteten Sitte, die Häuser unverputzt zu lassen. In Koblenz selbst gingen viele Spuren dieser vulkanischen Materialien durch nachträglichen Verputz oder durch Überstreichen verloren.108


Werksteine waren, bedingt durch dünnerer Fugen und regelmäßigere Formen, leichter und vor allem mörtelsparender zu vermauern. Mit der Zeit setzten sie sich gegenüber dem Bruchsteinmauerwerk durch, zumal ihr überlegener Fugenverband eine höhere Festigkeit garantierte, was eine umfassende und regelmäßigere Durchfensterung von Fassaden ermöglichte.109 Wo die in Koblenz benötigten Werksteine bearbeitet wurden (Ziegel-und Schwemmsteine waren bis weit in das 19. Jahrhundert hinein unüblich), lässt sich bislang nicht feststellen. Ausführlichere Nachrichten über Fachbetriebe zur Verarbeitung der Steine hat die lokale Forschung aufgrund der schlechten Quellenlage zum Koblenzer Bauwesen noch nicht entdeckt.


8.4.2 Fachwerkbauten


In Koblenz gibt es nur noch wenige Fachwerkbauten. Mit ihren massiven Erdgeschossen entsprechen sie rheinischen und moselländischen Bautraditionen. An dieser Stelle sind vor allem das 1695 erbaute Gebäude Florinsmarkt 6 und die seit 1608 bestehende, jedoch 1688 zerstörte, anschließend wiederaufgebaute Häusergruppe der „Vier Türme” im Kreuzungsbereich Löhrstraße – Marktstraße – Am Plan – Altengraben zu nennen (vgl. 8.38 und 8.40).110 Des Weiteren findet man sichtbare Fachwerkgiebel bei den Bürgerhäusern Altengraben 25 und Marktstraße 5. Ansonsten sind heute keine in der ursprünglichen Fachwerktradition stehenden Gebäude mehr erhalten. Der sehr bescheidene Bestand an Fachwerkbauten in Koblenz wurde vor dem Krieg noch durch Gebäude in der Löhrstraße (Hausnummern 18–20 und 2l)111 und in der Jesuitengasse (Hausnummer 7) ergänzt.


Die wenigen verbliebenen Fachwerkbauten sagen jedoch noch lange nichts über den tatsächlichen Bestand nicht massiver Häuser in der Koblenzer Altstadt aus. Während der Altstadtsanierung stellte sich heraus, dass die meisten aus der Zeit vor 1850 stammenden Gebäude in einer Mischbauweise aus Holz (Fachwerk) und Stein hergestellt wurden, obwohl sie dem Betrachter als reine Massivbauten erscheinen. Ursache für diese Verfahrensweise war die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts von der Obrigkeit geforderte Bevorzugung des Massivbaus. Die Landesherren waren sich dabei durchaus darüber im Klaren, dass nur die wenigsten Bauwilligen finanziell in der Lage waren, weitestgehend massive Häuser zu errichten. Im von den Wirren des Pfälzischen Erbfolgekrieges stark zerstörten Koblenz regte Kurfürst Johann Hugo von Orsbeck deswegen an, Neubauten in verschiedene Vergünstigungsklassen einzuteilen. Jetzt kamen auch diejenigen Bürger in den Genuss von Steuererleichterungen, die den Bau von teilmassiven Häusern – so zum Beispiel in der Koblenzer Straße „An der Liebfrauenkirche” beabsichtigten (vgl. 5.5). Später forderte die Obrigkeit auch außerhalb der Städte des Kurfürstentums Trier die Hinwendung zum Massivbau. 1783 wiederholte der Kurstaat den Rat, Steinhäuser ausführen zu lassen, um so die in den eng bebauten Ortschaften besonders große Brandgefahr zu verringern. Zudem wollten die Brandversicherungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch eine Staffelung der Beiträge ihre Mitglieder dazu zwingen, freiliegende Holzkonstruktionen zu verputzen. So stufte zum Beispiel die „Rheinische Feuersozietät” 1836 unverputzte Holzbauten in die höchste Risikoklasse ein.112


Vermutlich machten sich gleichzeitig auch die Auswirkungen des Raubbaus am Eichenwald in der Zeit von 1750 bis 1870 bemerkbar, der die Preise für Bauholz in die Höhe schnellen ließ. Seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden daher erheblich weniger Fachwerkhäuser gebaut. Bei den wenigen, die noch zur Ausführung kamen, erfolgte – ebenfalls einer kurfürstlichen Verordnung entsprechend – die Ablösung des wertvoll gewordenen Eichenholzes durch preisgünstigeres Nadelholz.113 Gefördert von der rheinpreußischen Regierung und ihren Baubeamten Johann Claudius von Lassaulx und Ferdinand Jakob Nebel (1782–1860) schätzten die Bauherren eine massive Bauweise mit zunächst klassizistischen, später gotisierenden Anklängen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts brachte eine zunehmend historistische Tendenz eine Wiederbelebung des Fachwerks.114


8.5 Gestaltung frühneuzeitlicher Häuser


8.5.1 Renaissanceformen


Der Wandel zur Renaissance vollzog sich in Deutschland nach 1500 hauptsächlich im Bereich der Baudekoration. Während sich hinsichtlich Ausrichtung und Aufteilung von Häusern spätmittelalterliche Traditionen noch lange halten konnten, wurden Bauteile zunehmend mit ornamentalem oder figürlichem Schmuck versehen. In dieser Zeit erfolgte natürlich nicht nur die Ausführung von Neubauten, sondern auch die Zusammenfassung älterer Bauten unter einer neuen Fassade.115 Ein Beispiel dafür ist das sogenannte „Rote Haus” in Trier, das in den 60er-Jahren des 17. Jahrhunderts eine Renaissancefassade erhielt.116


Im Gegensatz zu Trier steht heute in Koblenz kein in Früh- oder Hochrenaissanceformen ausgeführtes Wohnhaus mehr. Der einzig wirklich bedeutende Renaissancebau der Stadt war das im Krieg vollständig zerstörte, Anfang des 17. Jahrhunderts erbaute Gebäude Kornpfortstraße 24 („Schwarzer Bär”) mit seiner zweigeschossigen Holzgalerie im Hof. Das Anwesen galt als Musterbeispiel für eine größere rheinische Hausanlage mit Seitenflügeln und Hintergebäuden.117


8.5.2 Entwicklungen in der Barockzeit


Waren im Bürgerhaus des Mittelalters mitunter landwirtschaftliche Einrichtungen lebenswichtig, so entfiel diese Notwendigkeit in der Barockzeit. In den Gebäuden wohlhabenderer Schichten mussten stattdessen Kutschen und Reitpferde in Nebenräumen oder Nebengebäuden untergebracht werden.118 Großzügiger angelegte Bauten folgten deshalb im Allgemeinen zunächst der Bauweise des Hofes. Bei der Ausgestaltung der Fassaden haben vor allem der Adelshof, in einigen Fällen auch der Schlossbau als Vorbilder gewirkt. So hat man zum Beispiel Arkaden- und Torbildungen von den großen Vorbildern übernommen. Aufgrund der meist tief greifenden Veränderungen der Erdgeschosse im 19. und zu Beginn unseres Jahrhunderts sind diese Gestaltungs- und Gliederungselemente heute nur noch selten erhalten.119


Im 18. Jahrhundert ließ die gesellschaftliche Entwicklung in den Städten keinen Platz mehr für die weitläufigen Adelsbauten mit ihrer Sonderstellung. In Köln beeinflusste vor allem der Kaufmannsstand das Baugeschehen in der Stadt erheblich. An die Stelle der alten Hofbildungen traten zunehmend die in geschlossener Blockbauweise errichteten Häuser.120 Das äußere Merkmal dieses neuen, in’der Regel zwei- bis dreigeschossigen Typs war die Ausrichtung der Gebäude mit ihrer Traufseite zur Straße. Schmückende Giebel fanden nur noch als Bekrönung von Mittelrisaliten oder Dachaufbauten Berücksichtigung.121


Koblenz und Ehrenbreitstein


Im Falle der im 17. Jahrhundert neu angelegten Straßenzüge in den Städten Bonn, An-dernach, Koblenz, Ehrenbreitstein, Boppard und Trier griff man bei der Neuerrichtung von Häusern in vielen Fällen auf die seit dem Spätmittelalter üblichen Grundrisslösungen zurück. Entscheidend für dieses Festhalten an traditionellen Elementen waren die Einengung der Städte durch Befestigungsanlagen und der daraus resultierende Platzmangel. Für symmetrische und repräsentative Grundrisslösungen nach den damaligen Idealen war vielfach kein Platz. Der mittelalterliche Charakter der Neubauten war nach außen nicht zu sehen: Die Baumeister verliehen den Fassaden eine moderne, dem Zeitempfinden entsprechende Schauseite. Hin und wieder wurden kleinere, ursprünglich mit dem Giebel zur Straße gelegene Gebäude unter einer neuen Fassade zusammengefasst oder einzelne giebelständige Bauten erweitert.122


Die neuen Baugewohnheiten verdrängten das Giebelhaus jedoch nicht vollständig. Stellenweise wurden die alten Formen noch bis weit in das 18. Jahrhundert hinein beibehalten, besonders dort, wo sich ursprüngliche Parzellenstrukturen erhalten hatten.123 Selbst in den Fällen, in denen sich Baumeister und -handwerker zur Errichtung eines traufständigen Hauses entschieden, wurden vereinzelt Zwerchgiebel aufgeführt, die fast die ganze Gebäudebreite einnahmen und somit an die älteren Traditionen erinnerten.124


Johann Christopherus Sebastiani


Offenbar vom italienischen Barock125 beeinflusst war die Architektur des kurtrierischen Baudirektors Johann Christopherus Sebastiani,126 dem Karl Lohmeyer vor allem die Koblenzer „Vier Türme” (erbaut zwischen 1689 und 1692) im Kreuzungsbereich Markt-straße-Löhrstraße-Altengraben-Plan zuschrieb.127 Kennzeichen seiner Bauweise sind neben großen, steilen Dächern128 die mit einfachen Dreiecksgiebeln bekrönten, mit Quadern oder Pfeilern eingefassten Zwerchhäuser. Beispiel hierfür ist die Pagerie am Fuße der Festung Ehrenbreitstein. Typisch für Sebastiani wurden Turmkuppelbauten mit offenen Laternen und die breiten Fassaden, wie sie auch am Pfarrhof Liebfrauen zur Anwendung kamen.129


Die wichtigsten Merkmale für die in der Regel von heute unbekannten Architekten und Bauhandwerkern geprägte Koblenzer Baukunst des ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhunderts sind neben den Zwerchhäusern in Fenster aufgelöste Erker,130 wie sie zum Beispiel auch am Krämerzunfthaus von 1709 und an der Hofanlage Kornpfortstraße 6 angebracht sind.131 Kennzeichnend für diese frühe Phase Koblenzer Barockarchitektur ist vor allem der Eltz-Rübenacher Hof an der Ecke Kornpfort-straße/Danne (Dreikönigenhaus), der 1701 im Auftrage des Ratsherrn Johann Wilhem Hauschild erbaut wurde.132 Neben dem Erker an der Kornpfortstraße fallen vor allem die gekuppelten Fenster auf.133


Der Aufbau der einfacheren Koblenzer Bürgerhäuser an der Wende zum 18. Jahrhundert war im Allgemeinen derselbe. Zusammen mit dem Erdgeschoss hatten die meisten Gebäude drei Geschosse. Auffällig ist auch heute noch, dass bei diesen Bauten – genau wie bei den repräsentativeren Anlagen wohlhabenderer Schichten – das Altertümliche, in der Tradition der Renaissance stehende Motiv der gekuppelten Fenster zur Anwendung kam.134 Eine Trennung der Geschosse durch Gurtbänder war bei den kleineren Gebäuden nicht üblich; die Fassadenfläche lief glatt vom Erdgeschoss bis zum Dach durch.135


Philipp Joseph Honorius (von) Ravensteyn


Noch während der Amtszeit von Sebastian! beschäftigte Kurfürst Johann Hugo von Orsbeck einen weiteren Architekten an seinem Hof. Sein Name war Philipp Joseph Honorius (von) Ravensteyn.136 Als Baumeister und Ingenieur hatte er vor allem auf das Stadtbild von Ehrenbreitstein großen Einfluss. Dies äußerte sich nicht nur in der Errichtung des Kuppelbaus der im Krieg zerstörten Kreuzkirche (erbaut zwischen 1702 und 1708), sondern vor allem im Ausbau einer Hauptstraße für den Ort (heute Hofstraße) im Auftrage des Landesherrn Karl von Lothringen (1711–1715).137 Das Wirken des Architekten beschränkte sich nicht nur auf die rechte Rheinseite. In Koblenz selbst leitete Ravensteyn unter anderem den Neubau der Kirche des Barbaraklosters (1706–1708) und den Wiederaufbau der Florinskirche.138 Seine Beteiligung an den Planungen zur Errichtung neuer Bürgerhäuser kann heute aufgrund fehlender aussagekräftiger Quellen zum Bauwesen in der Stadt nicht mehr mit Sicherheit festgestellt werden.


Besser sieht es im Falle von Ehrenbreitstein aus. Dort gaben die Planungen des Architekten den entscheidenden Anstoß für den Bau neuer Gebäude auf der westlichen Seite der Hofstraße. Den Anfang machte das 1713 entstandene „Coenen’sche Haus” (Hofstraße 272). Am 24. August des folgenden Jahres erhielt Ravensteyn den Befehl zur Planung weiterer fünf Häuser.139 Diese Baugruppe war ursprünglich einheitlich gestaltet,140 was sich auch heute noch an den vier Fensterachsen und den Zwerchhäusern äußert. Ihr Unterbau wird von Quadersteinen begrenzt. Darüber befindet sich ein stark profiliertes Gebälk, auf dem Dreiecksgiebel mit jeweils einem rechteckigen oder ovalen Mittelfenster ruhen. Diese Gestaltungsweise der Fassade hat auch die Bauhandwerker auf der anderen Seite des Rheins beeinflusst. Dies beweisen die 1713 im Auftrage der Jesuiten errichteten schmalen Dreifensterhäuser Firmungstraße 15, 17 und 19, die allerdings im 19. Jahrhundert wiederholt verändert wurden.141


Der insgesamt neunachsige „Coenen’sche Bau” (Hofstraße 272) weist Gestaltungselemente auf, die sich in abgewandelter Form das gesamte 18. Jahrhundert halten sollten. Die von einem Dreiecksgiebel bekrönte Mitte des Gebäudes ist risalitartig ausgebildet und wird von zwei Pilastern noch besonders betont. Eine zweiarmige Freitreppe steigert zusätzlich die Wirkung dieses Gebäudeabschnitts. Außerdem ist an den Hausecken jeweils eine weitere Lisene zu finden. Schließlich gehören die beiden Sohlbankgesimse und die mit „Ohren” versehenen Fenstergewände zu den weiteren Gliederungselementen. Fassadenaufteilungen nach diesem Muster lassen auf eine klassizistisch anmutende Tendenz innerhalb der Ehrenbreitsteiner und Koblenzer Barockbaukunst schließen, die unter dem zunehmenden Einfluss fränkischer Formgebungen zwar vorübergehend verdrängt wurde, aber gegen Ende des 18. Jahrhunderts wieder an Bedeutung gewann. Diese Feststellung untermauert vor allem das 1786 im Auftrage des Hofrates Peter Ernst von Lassaulx errichtete Gebäude an der Ecke Clemensstraße/Poststraße.142


Wie bereits Karl Lohmeyer feststellte, haben sich die von Ravensteyn eingeführten, mit Ecklisenen und Dreiecksgiebeln versehenen geraden Zwerchhäuser besonders lange gehalten und über Koblenz hinaus – zum Beispiel in Andernach, Boppard und im Westerwald – Verbreitung gefunden. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden sie von den gebrochenen und geschweiften Giebelaufsätzen abgelöst.143


Johann Georg Judas

 

Hinweis: Die Ausführungen über Ausbildung und Herkunft der Architekten in der Frühen Neuzeit sind nicht mehr aktuell. Seit 1995 sind einige wichtige Arbeiten dazugekommen. Dazu gehören:

 

Anna-Victoria Bognàr: Der Architekt in der Frühen Neuzeit. Ausbildung - Karrierewege -Berufsfelder. Heidelberg Univesity Printing 2020. Download:

 

Bognàr: Der Architekt

 

Jens Fachbach: Johann Georg Judas (um 165-1726). Zur Architektur eines geistlichen Kurfürstentums an Rhein und Mosel im späten 17. Jahrhundert und frühen 18. Jahrhundert, Regensburg 2013.

 

Auch im 18. Jahrhundert gab es in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern noch keine geregelte Architektenausbildung. Man musste sich die für die Ausübung des Architektenberufs erforderlichen Kenntnisse selbst aneignen. Da die Biografie regionaler Baukünstler des 17. und 18. Jahrhunderts sehr lückenhaft ist, kann ihr Werdegang in den meisten Fällen nicht mehr rekonstruiert werden. Allerdings ist davon auszugehen, dass viele Architekten ursprünglich aus dem Zimmer-, Maurer- und besonders dem Steinmetzhandwerk stammten. Sie waren im Laufe der Zeit dazu übergegangen, eigene Entwürfe anzufertigen. Auch Maler und Bildhauer widmeten sich der Baukunst, bildeten sich autodidaktisch weiter oder knüpften Kontakte zu etablierten Architekten. Die Künstler lasen die zahlreichen zeitgenössischen architekturtheoretischen Schriften und unternahmen Bildungsreisen nach Italien, wo sie die Baukunst der Antike und der Renaissance studierten und zeichneten.144


Exkurs: Die Ausbildung von Architekten


Die Architektenausbildung an eigenen Akademien war zunächst nicht üblich, auch wenn sich bereits früh Theoretiker wie Vicenzo Scamozzi (1548–1616) mit der Ausbildung und dem Berufsweg des Architekten befassten.145 Im 17. Jahrhundert nahm das absolutistische Frankreich Ludwigs XIV. (1638–1715) eine Vorreiterstellung ein. Im Königreich war es in den Bereichen Natur- und Geisteswissenschaften sowie der bildenden Künste bereits im 17. Jahrhundert zur Einrichtung von Akademien gekommen. Zu ihnen gehörte die 1671 vom Oberintendanten der königlichen Bauwerke, Jean Baptiste Colbert (1619–1683), gegründete Academie Royale d’Architecture. Diese Architekturakademie sollte Resolutionen auf der Grundlage der damaligen theoretischen Schriften erarbeiten und eine verbindliche Lehre aufstellen. Unter der Leitung von François Blondel (1618–1686) fanden außerdem öffentliche Vorlesungen zur Ausbildung junger Architekten statt. Die bis 1793 bestehende Académie Royale d’Architecture mit ihren Ergänzungsfächern Geometrie, Arithmetik, Mechanik, Hydraulik, Perspektive und Militärarchitektur wurde zu einer Vorgängerin der Architekturfakultäten an den Technischen Hochschulen. Darüber hinaus erhielten die Mitglieder der Akademie Aufträge zur Erstellung statischer und künstlerischer Gutachten. Im Laufe der Jahre entwickelte sich die Einrichtung zu einer Art oberster Baubehörde.146


In Deutschland begann die Ausbildung der Architekten in eigenen Studiengängen erst am Ende des 18. Jahrhunderts. 1799 erfolgte die Einrichtung der Berliner Bauakademie zur Ausbildung der für den Staatsdienst vorgesehenen Architekten (vgl. 9.2.2). Zuvor hatte David Gilly (1748–1808) eine private Bauschule gegründet. Auch außerhalb der preußischen Hauptstadt wünschte man sich ein reglementiertes Architekturstudium und geeignete Lehrbücher. Zu den Verfechtern einer geregelten Ausbildung zählt vor allem der Karlsruher Architekt Friedrich Weinbrenner (1766–1826), der sich während seines Italienaufenthalts zwischen 1792 und 1797 die erforderlichen Kenntnisse noch weitgehend im Selbststudium angeeignet hatte.147


In den kleineren Fürstentümern des alten deutschen Reichs war ah eine akademische Ausbildung der Architekten aus Kostengründen natürlich nicht zu denken. In diesen Territorien prägten einheimische und zugereiste Handwerksmeister das Baugeschehen. Waren die Landesherren diesen Praktikern wohl gesonnen, konnten diese zu Architekten oder sogar zu Hofbaumeistern aufsteigen. Am kurtrierischen Hof in Ehrenbreitstein hatte der Zimmermann Hans Georg Judas einen so großen Erfolg, dass sich Ravensteyn bald mit einem ernst zu nehmenden Konkurrenten konfrontiert sah. Der Schweizer hatte sich vom Zimmermann zum Architekten hochgearbeitet und genoss zunehmend die Protektion des Kurfürsten Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg (1716–1729). Judas nahm bis zu seinem Tode im Jahre 1726 die Stellung eines Hofbaumeisters ein und arbeitete überwiegend in Koblenz, wo er sich auch am Bau einfacherer Bürgerhäuser beteiligte. Informationen über mögliche Einflüsse bedeutenderer Architekten oder architekturtheoretischer Schriften sind wegen der schlechten Quellenlage nur in seltenen Fällen nachzuweisen.148
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Anmerkungen:


102 Griep, Bürgerhaus, S. 153.
103 Schmidt, Hausgeschichte, S. 45; Griep, Bürgerhaus, S. 157/158: Fenster- und Türgewände oder Architekturgliederungen konnten nur in den wenigsten Fällen aus Bruchstein gefertigt werden. Meist verwendete man die von Steinmetzen bearbeiteten Werksteine. Oft hat man Fenster- oder Türgewände aus Holz hergestellt, weil die Beschaffung von Werksteinen für die Bauherren zu teuer war.
104 Schmidt, Hausgeschichte, S. 46/47.
105 Bernt, Bürgerhaus, Sp. 191/192.
106 Schumacher, Geographische Analyse, S. 31 und 134.
107 Liessem, Studien, S: 70/71: Das von Lassaulx entworfene Gebäude war 1840 fertiggestellt.
108 Ein Beispiel für diese Negativentwicklung ist das Haus Marktstraße 8.
109 Griep, Bürgerhaus, S. 159.
110 Die Eckhäuser wurden im Zweiten Weltkrieg entweder zerstört oder schwer beschädigt. Eine Beschreibung der wiederhergestellten Gebäude bringt: Nebel, Fachwerkbauten, S. 80–83.
111 Michel, Kunstdenkmäler, S. 326 und 328.
112 Schmidt, Hausgeschichte, S. 64.
113 Scotti, Sammlung, Bd. 3, Nr. 827, S. 1396.
114 Schmidt, Hausgeschichte, S. 64.
115 Hofrichter/Grassnick, Bürgerhäuser, S. 43 und 52.
116 Freckmann, Bürgerhaus Trier, S. 43.
117 Vogts, Bürgerhaus, S. 146; Michel, Kunstdenkmäler, S. 315–317; vgl. StAK, Best. 623, Nr. 9311 (Instandsetzungsdarlehen für das Haus Kornpfortstraße 24).
118 Hofrichter/Grassnick, Bürgerhäuser, S. 67; Vogts, Bürgerhaus, S. 235.
119 Peters, Bürgerhaus, S. 11.
120 Vogts, Kölner Wohnhaus, Bd. 1., S. 54.
121 Vogts, Bürgerhaus, S. 237/238.
122 Vgl. LHA KO, Best. 702, Nr. 8190: Um 1750 entstandener Plan des Baumeisters P. Balthasar zum Umbau des Hauses 509 (Entenpfuhl).
123 Peters, Bürgerhaus, S. 3 und 9/10.
124 Als Beispiele für diese Bauweise sind in Koblenz noch die Häuser Altengraben 25, Marktstraße 5 und Entenpfuhl 13 erhalten.
125 Vgl. Augel, Einwanderung, S. 145 und 170–172: Die Frage, ob italienische Architekten das Bauwesen im Koblenz des 17. und 18. Jahrhunderts beeinflussten, ist heute kaum noch zu klären. Sicher ist, dass sich in Koblenz erst ab 1786 eine größere Zahl italienischer Einwanderer aufhielt. Zusammen mit Ehrenbreitstein, Neuendorf und Niederberg zählte man 40 Namen. Die meisten von ihnen arbeiteten als Krämer, Kaufleute oder Lieferanten. Im Falle der Bau- und Kunsthandwerker, die bereits vor dieser Zeit an den landesherrlichen Höfen arbeiteten, wird der italienische Einfluss deutlicher. Wie groß ihr Anteil an der Errichtung von Privatbauten war, lässt sich heute nicht mehr feststellen.
126 Pfister, Baumeister, S. 49, 277 und 323/324: Die Biografie des aus Stürfis (Graubünden) stammenden Architekten Sebastiani ist lückenhaft. Fest steht, dass er bereits 1670 in Ehrenbreitstein wohnte. Ein Jahr später wurde er zum ersten Mal als Hofbaumeister erwähnt. Nach dem Tod des Fortifikationsbaumeisters Mors hatte er die Stelle ab 1676 alleine inne. Sebastiani blieb bis zu seinem Tod im Jahre 1704 im Amt.
127 Lohmeyer, Seiz, S. 118.
128 Giebelaufsätze oder Giebelhäuschen kamen nicht zur Anwendung.
129 Peters, Bürgerhaus, S. 15/16.
130 Peters, Bürgerhaus, S. 15/16: Die Ausführung von Erkern war in Ehrenbreitstein und Trier nicht üblich.In Koblenz wurden sie dagegen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts angebracht.
131 Eitelbach, Johann C. Sebastian!, S. 71: Die auch unter dem Namen „Heddesdorfer Hof” bekannte Anlage entstand gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Die Durchfahrt zum Hof und das Hinterhaus entwarf wahrscheinlich Johann Christopherus Sebastiani.
132 Hauschild war innerhalb der kommunalen Verwaltung für Bauangelegenheiten zuständig. Das Gebäude gelangte später in den Besitz der Familie von Eltz-Rübenach. Im Krieg wurde es zerstört, später aber wieder aufgebaut. Im Inneren befinden sich heute die modern gestalteten Räume der Stadtbibliothek.
133 Vogts, Bürgerhaus, S. 241/242.
134 Beispiele sind die Gebäude „An der Liebfrauenkirche” 5, 6 (vor der Zerstörung), Mehlgasse 12 und Münzstraße 16.
135 Peters, Bürgerhaus, S. 15/16.
136 Auch die Herkunft Ravensteyns ist ungewiss. Lohmeyer vermutet, dass der Architekt aus den Niederlanden stammte (vgl. Lohmeyer, Barocke Kunst, S. 10). Ravensteyn war ab 1695 in Ehrenbreitstein tätig.
137 Lohmeyer, Barocke Kunst, S. 11.
138 Reber, Baukunst, S. 47/48.
139 Michel, Kunstdenkmäler, S. 450: Gemeint sind die Gebäude Hofstraße 262, 263, 265, 270 und 271. Das Haus Hofstraße 262 (Geburtshaus des Dichters Clemens Brentano) wurde 1944 zerstört.
140 Vor allem die Fassade des Gebäudes Hofstraße 265 veränderte man im 19. Jahrhundert stark und versah sie mit Dekorationen im Stil der Neorenaissance.
141 Lohmeyer, Barocke Kunst, S. 69.
142 Peters, Bürgerhaus, S. 17.
143 Lohmeyer, Barocke Kunst, S. 72/73; Peters, Bürgerhaus, S. 24. Lohmeyer geht davon aus, dass der Ehrenbreitsteiner Dikasterialbau bei der Einführung der geschweiften Giebel Vorbildfunktion hatte.
144 Vgl. Reuther, Penther, S. 151; Kruft, Architekturtheorie, S. 205 und 218: Zu den bekanntesten Architekturpublikationen des deutschen Barock gehörte zum Beispiel das 1721 veröffentlichte Tafelwerk „Entwurff einer Historischen Architectur” von Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656–1723).
145 Germann, Einführung Architekturtheorie, S. 158/159: Scamozzi war Sohn eines Baumeisters und nannte sich selbst „studiosus architecturae”. Der Italiener richtete ein Architekturstipendium ein.
146 Kruft, Architekturtheorie, S. 144; Germann, Einführung Architekturtheorie, S. 182: Nur die Mitglieder der Pariser Architekturakademie durften sich „architecte du Roi” nennen.
147 Kruft, Architekturtheorie, S. 236/237.
148 Reber, Baukunst, S. 80; Michel, Kunstdenkmäler, S. 214: Judas leitete unter anderem den Bau desPriester- und Waisenhauses (Beginn 1723), die Umbauarbeiten am Alten Kaufhaus (1724) und die Errichtung der Stadtkommandantur am Plan ab 1719.

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