Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung
   Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung

Die Situation im Regierungsbezirk Koblenz


Die Hauptaufgabe der Baupolizei ist die Überprüfung der Sicherheit der entstehenden und schon im Gebrauch befindlichen Bauwerke. Zu den Untersuchungskriterien gehörten damals Standfestigkeit, Feuersicherheit und hygienische Zuträglichkeit. Im Rheinland existierten spätestens seit der französischen Zeit Einrichtungen, die innerhalb der Kommunalverwaltung die Aufgaben der Bauaufsicht übernahmen. Vielerorts – vor allem auf dem Land – gab es bis weit in das 19. Jahrhundert hinein keine grundsätzlichen Reglementierungen. Versuche, die Befugnisse der Baupolizei in den Gemeinden und auf dem Land zu vereinheitlichen, scheiterten bereits frühzeitig.74 Nur einige größere Städte hatten schon vor 1800 eigene Bauordnungen erlassen, die fast ausschließlich die Abwehr von Feuergefahr bezweckten.75 In Koblenz gab es bereits seit dem 24. April 1786 eine Bauordnung. Sie galt allerdings nur für den Bereich der Neustadt.76 Diese älteren Bestimmungen hatten, soweit sie Konstruktion, Festigkeit und Sicherheit der Gebäude betrafen, auch noch im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts Gesetzeskraft.77


Nach und nach richtete man in Preußen für jede Gemeinde Bau- und Feuerkommissionen ein, von deren Zustimmung die Anlage von Neubauten und großen Reparaturen abhängig war. Die Kommission sollte außerdem auf die genaue Einhaltung, Feststellung und Korrektur der Straßenlinien, auf Trennung der Wirtschaftsgebäude von den Wohnhäusern oder feuerfeste Anlegung der Küchen und Herde sowie die Einrichtung von Schornsteinen, Rauchkammern und Backöfen achten.78


Zur Vermeidung von Bränden musste die in manchen Teilen des Regierungsbezirks – so zum Beispiel in der Eifel – immer noch übliche Strohdeckung der Häuser eingeschränkt werden. Weil aber Schieferdächer erheblich teurer und Ziegel oder Pfannen zuweilen nur schwer erhältlich waren, gestattete die Regierung 1818/19 die Errichtung von Strohdächern, wenn man sie durch das Auftragen einer Lehmschicht gegen die Feuergefahr gesichert hatte. Erst 1823 wurde auch diese Verlegenheitslösung verboten. Am 2. Juli 1836 folgte das generelle Verbot zur Ausführung von Strohdächern für die gesamte Rheinprovinz. Ausnahmen waren nur für weit von Wohnplätzen entfernte Gebäude zulässig. Auch nach der schrittweisen Abschaffung dieser Dächer gab es noch eine Reihe von Gefahren für die Feuersicherheit, denn auch in den meisten Orten des Regierungsbezirkes standen die Gebäude wegen des beschränkten Raumes oder aus alter Gewohnheit eng nebeneinander. Dennoch sollte es bis zum 24. Juli 1897 dauern, bis die Regierung in einer Verfügung die erhöhte Aufmerksamkeit der Kreis- und Ortsbehörden in der baupolizeilichen Aufsicht einschränkte und deren Augenmerk auf die Wahrung des zur Feuersicherheit notwendigen Abstandes zwischen den Gebäuden sowie eine Mindestbreite von Straßen lenkte.79


Im Regierungsbezirk Koblenz wurden bereits im Juli 1827 Vorschriften zur Verhinderung von Bränden veröffentlicht. In den Orten war es fortan verboten, Wohnhäuser so zu errichten, dass sie mit Nebenbauten oder Stallungen zusammenhingen. Jedes Gebäude sollte außerdem einen Abstand von 20 bis 30 Fuß haben. Schließlich legte die Regierung die Mindestbreiten der Straßen neu fest. In engen Tälern mussten sie 24 Fuß (sonst 30 Fuß) breit sein und genug Gefälle zum Abfließen des Wassers haben.80


Die Koblenzer Bauordnung von 1847 und die Entstehung von Bauakten


Eine neue Bauordnung, die die alten kurfürstlichen Verordnungen und die französischen Reglementierungen ablösen sollte, lag der Koblenzer Regierung bereits 1835 zur Genehmigung vor.81 Ausführlichere Bestimmungen wurden mit der neuen Bauordnung von 1847 veröffentlicht. Ihre Vorschriften zum Genehmigungsverfahren ermöglichten erstmals die systematische Anlage von Bauakten. Baugesuche mussten auch bei größeren Umbauten Beschreibungen, Lagepläne sowie Grundrisse, Fassadenentwürfe, Schnitte und Balkenlagen einzelner Gebäude enthalten. Die Unterlagen sollten in zweifacher Ausführung eingereicht werden. Nach der Genehmigung gab man ein Exemplar an den Antragsteller zurück, während das andere bei der städtischen Baukommission verblieb.82


Wegen des bereits frühzeitig eingeführten Genehmigungsverfahrens müssten die Koblenzer Archive zumindest für die Jahre nach 1847 über hervorragendes Material zur Architektur von Privatbauten verfügen. Dem ist aber leider nicht so. Die geschlossene Überlieferung der Bauakten setzt erst in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ein. Der Aktenbestand der davorliegenden Zeit ist heute nur noch fragmentarisch erhalten. Dieser Missstand ist nicht auf die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges zurückzuführen, sondern darauf, dass man in Koblenz die Bauunterlagen nicht lange aufbewahrte. Im Gegensatz zu Trier, wo sich große Teile der örtlichen Bauaktivitäten schon weit früher anhand der Bauakten rekonstruieren lassen, existiert in Koblenz nur noch eine Sammlung von losen Blättern, die nur wenige Aufschlüsse über die Bautätigkeit in der Altstadt vor 1880 gibt.83


Neben den Bestimmungen zur Genehmigung von Bauanträgen enthielt die neue Baupolizeiordnung eine Reihe von Paragrafen über die Ausführung von Gebäuden. So wurde zum Beispiel bei Straßen unter einer Breite von 30 Fuß die Einrichtung von Balkonen untersagt. Auch die Anlage von Freitreppen in den neuen oder neu anzulegenden Straßen von Koblenz war verboten.84


Schwere Strafen drohten im Falle des Abweichens von den genehmigten Bauplänen. In diesem Falle hatte der Bauherr umgehend dafür zu sorgen, dass die von der Baukornmission vor allem aus feuerpolizeilichen Gründen geforderten Sicherheitsauflagen erfüllt wurden. Weigerte sich der Hausbesitzer, diesen Anordnungen Folge zu leisten, konnte der Oberbürgermeister den Abbruch von gefährlichen Neubauten auf Kosten des Eigentümers veranlassen. Gleiches galt für heruntergekommene, einsturzgefährdete Gebäude.85


Der Anspruch der neuen Bauordnung entsprach lange Zeit nicht der Realität. Das wird vor allem am Beispiel der Freitreppen deutlich, die zusammen mit anderen Verkehrshindernissen binnen kurzer Zeit aus den wichtigsten Straßen der Stadt hätten verschwinden sollen. Elf Jahre nach dem Inkrafttreten der neuen Bauordnung beschwerte sich die Koblenzer Regierung beim Berliner Ministerium für öffentliche Arbeiten über die viel zu schmalen Bürgersteige und die vielen Treppen, die – ungeachtet der bestehenden Vorschriften – immer noch in die Straßen hineinragten. Es gab sogar Bürger, die sich über die vorgeschriebene Beseitigung dieser Hindernisse bis zur letzten Instanz beschwerten. So hatten sich die Regierung in Koblenz und das zuständige Ministerium in Berlin ausführlich mit dem Protest der Gebrüder Liel gegen die Beseitigung einer Freitreppe an ihrem Haus in der Rheinstraße zu befassen.86


Die Bauordnung von 1854


1853 wurde in Berlin eine neue Bauordnung veröffentlicht und noch im gleichen Jahr vom Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten als Muster für die Aufstellung neuer Bestimmungen nach Koblenz geschickt. Im Oktober lag diese Bauordnung der Regierung vor. Die Berliner Regelungen sollten Vorbild für die in Koblenz neu aufzustellenden Bauvorschriften sein.87


Die für Koblenz geltenden neuen Bestimmungen entsprachen in vielen Punkten der Bauordnung von 1847. Völlig neu war allerdings die dreifache Prüfung der Bauten (Sockel-, Rohbau-, und Schlussabnahme) durch den städtischen Baumeister und einen Beamten der Polizeidirektion.88 Eine wesentliche Erweiterung erfuhren jetzt die Bestimmungen über die Standfestigkeit von Gebäuden. Bauten konnten jetzt nicht mehr einfach ohne eigene Giebelwände in die Nachbargebäude „eingehängt” werden. Die Obrigkeit in Koblenz stoppte diese alte Gewohnheit beim Bau traufständiger Reihenhäuser, indem sie für jeden einzelnen neu zu errichtenden Bau eine eigene Standfestigkeit vorschrieb. Die Fundamente sollten auf festem Grund stehen und keiner „ Widerlager gegen die nachbarlichen Gebäulichkeiten bedürfen”. Jedes neue Haus musste an den Seiten eine massive Mauer haben. Ausnahmen sahen die Bestimmungen nur dann vor, wenn die Giebelwände der angrenzenden Bauten aus Stein bestanden. Neue Brandmauern sollten „l 1/2 Fuß hoch über die Dachflächen aufgeführt werden”.89


Besondere Auswirkungen auf die Bauweise historischer Koblenzer Bürgerhäuser hatte die Bestimmung, dass innerhalb des Stadtbezirks nur feuerfeste Materialien zum Ausfüllen der Fachwerk- und Bretterwände verwendet werden durften.90 Während der Umbau-und Renovierungsarbeiten an Häusern begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die schrittweise Beseitigung der Gefache aus Stroh und Lehm und ihr Austausch mit Bims- oder Ziegelstein. Dieser Trend zur Abkehr von organischen Baumaterialien wurde auch bei den Entkernungs- und Abbrucharbeiten während der Altstadtsanierung deutlich. In den meisten Fällen bestanden die Gefache von Fachwerkwänden aus Stein. Die Koblenzer Bauordnung von 1854 war gegenüber ihrem Vorläufer nur ein geringer Fortschritt, wenngleich sie eine Reihe neuer Regelungen enthielt.91

 

Wie bereits in Berlin unterließ man in der Stadt die Einführung von Höhenbegrenzungen für die Gebäude, was theoretisch die Möglichkeit schuf, mehr als drei oder vier Stockwerke aufeinander-zusetzen. Von dieser Chance machten die Bauherren jedoch keinen Gebrauch. Es kam nicht zur Anlage von Mietskasernen nach Berliner Vorbild. Das Handwerk orientierte sich zumindest im Bereich der Altstadt weiterhin an den überlieferten Bauformen. Auf relativ kleinen Grundstücken entstanden höchstens viergeschossige Häuser, die in der Regel nicht mehr als fünf Fensterachsen hatten. Trotzdem sollte es noch eine Reihe von hygienischen Problemen geben, denn wie die Berliner Bauordnung unterließen es die Koblenzer Bestimmungen, Regelungen über den höchsten zulässigen Überbauungsgrad von Grundstücken einzuführen.92


Die Baupolizeiordnung von 1881


Nachdem durch das preußische Fluchtliniengesetz vom 2. Juli 1875 die Feststellung der Baulinien und die Aufstellung der Bebauungspläne einheitlich geregelt worden war (vgl. 11.4), wollte man auch die bestehenden Bauordnungen durch ein entsprechendes Gesetz vereinheitlichen.93


Die Bemühungen um eine Angleichung der Baupolizeiordnungen blieben bereits in den Anfängen stecken. 1880 schrieb Albert von Maybach, Minister für öffentliche Arbeiten, an den Oberpräsidenten Dr. Moritz von Bardeleben, dass er von einheitlichen Vorschriften zur Regelung der Baupolizei absehen wollte.94 In der Folgezeit gab es deshalb nur eine Art Anleitung für den Entwurf neuer Bauordnungen.95 Erst am 25. April 1919 trat eine in ganz Preußen verbindliche Einheitsbauordnung in Kraft, die bis zum Februar 1938 aktuell blieb.96


Die Koblenzer Bauordnung von 1854 war 27 Jahre lang gültig. Erst 1881 traten neue Bestimmungen in Kraft, die den jüngsten baulichen und verkehrstechnischen Veränderungen (Eisenbahn!) in der Stadt besser gerecht wurden.97 Erstmals nahm man Paragrafen auf, die zur Verbesserung der Hygiene in Koblenz beitragen sollten. Fortan durften Schlächtereien und Werkstätten keinen unmittelbaren Ausgang nach der Straße haben.98 Diese neue Regelung war mehr als fragwürdig, denn sie verlagerte die Probleme, die es in der Stadt mit Handwerkern und Gewerbetreibenden gab, von den Straßen in die Innenhöfe, wo es weiterhin zur Verschmutzung des Grundwassers und zur Lärmbelästigung von Hausbewohnern kam. Zumindest in hygienischer Hinsicht versuchte die Obrigkeit, dieser Entwicklung entgegenzusteuern, indem sie die Einrichtung völlig wasserdichter Gruben für Fäkalien und Abfälle vorschrieb.99


Im Gegensatz zu den veralteten Bestimmungen von 1854 führte die neue Bauordnung erstmalig Vorschriften über die Höhe von Räumen in den Häusern und Beschränkungen der Stockwerkzahl ein.100 Noch keine Berücksichtigung fanden zwingend erforderliche Bestimmungen zur Begrenzung der Bebauung in den Innenhofbereichen. Dieses Versäumnis muss als Hauptmangel dieser neuen Bauordnung angesehen werden, denn es gab nichts, was der immer stärkeren Überbauung der Grundstücke in der heutigen Innenstadt Einhalt gebot.


Die Bauordnungen von 1899 und 1908


Die Bautätigkeit in Koblenz entwickelte sich zunächst nicht so rasant wie in anderen Regionen. Dennoch gab es auch in Koblenz im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Veränderungen, die schließlich dazu führten, dass die Stadt weit über ihre ursprünglichen Grenzen hinausreichte. Wegen der nach der Teilaufgabe der preußischen Befestigungsanlagen (ab 1890) einsetzenden baulichen Veränderungen und Erweiterungen mußte die bestehende Bauordnung durch wichtige Punkte ergänzt werden.101 Das neue, wesentlich erweiterte „Baupolizeirecht” lag im Jahre 1899 vor.


Zu den wichtigsten Neuerungen der Bauordnung von 1899 gehörte die Bestimmung, dass Grundstücke nicht mehr vollständig zugebaut werden durften. Festgelegt wurde jetzt nicht nur der Überbauungsgrad der einzelnen Parzellen, sondern auch Mindestgrößen für die Innenhöfe (vgl. 10.4). Völlig neu war auch eine Beschränkung der Gebäudehöhen. Die zulässige Höhe von Häusern hing jetzt von der Breite der Straßen ab.102


Die Bauordnung von 1908 änderte an den neuen Regelungen nichts. Allerdings wurden neue Punkte hinzugefügt, die sich unter anderem auch auf die Verwendung von Eisenträgern bezogen. Zudem verschärfte die Baupolizei die Bestimmungen hinsichtlich der Einrichtung sanitärer Anlagen. Sie schrieb zum Beispiel erstmals den Einbau eines Aborts in jeder neu zu errichtenden Wohnung vor. Zuvor hatte man sich mit Etagentoiletten begnügt.103


Die Bauordnungen von 1899 und 1908 enthielten noch keine Einteilung in verschiedene Bauklassen. Erst spätere Vorschriften – so die Baupolizeiverordnung vom 1. Oktober 1932 – unterschied zwischen mehreren Arten offener (landhausartige Bauten in den Stadterweiterungsgebieten) und geschlossener Bebauung (Reihenhäuser in allen Bereichen der Stadt). Die Gebäude und Grundstücke in Koblenz gehörten fortan mehreren unterschiedlichen Kategorien an, für die hinsichtlich Höhe, Tiefe und Überbauungsgrad unterschiedliche Bestimmungen galten.104


9.3 Der Bau der Festung Koblenz und Ehrenbreitstein


Mit der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich im Frieden von Lunéville (1801) brach in diesem Gebiet die staatliche und kirchliche Ordnung ab. Soweit die neuen Herren Sakralbauten nicht profanen Zwecken zuführten, gaben sie diese dem Verfall preis oder ließen sie gar abbrechen.105 Auch Koblenz war von dieser Entwicklung betroffen, denn damals verloren die ehemaligen Stiftskirchen St. Kastor und St. Florin ihre Nebenbauten.


Die Anfertigung des ersten exakten Katasterplans und die Schaffung einer maßstäblichen Flurkarte lassen darauf schließen, dass die Franzosen umfassende Neubaumaßnahmen planten. Verwirklicht wurde jedoch nichts. In der Stadt beschränkten sich die einzelnen Aktivitäten nur auf Umbau- und Ausbesserungsarbeiten. Damals wird man wohl auch mit der Aufstockung einzelner Häuser begonnen haben.


Die bescheidene Bautätigkeit sollte in Koblenz mit der Machtübernahme der Preußen ein Ende nehmen. Bereits eine am 11. März 1815 erlassene Kabinettsordre gab grünes Licht für den Ausbau und die Neuplanung von Befestigungsanlagen im Rheinland.106 Schon am 24. August 1814 hatte eine Kabinettsordre die Bautätigkeit im Schussfeld der Festungsstädte derart eingeschränkt, dass sich Handwerker und Architekten auf die Bereiche innerhalb der Umwallungen beschränkten.107


Sogleich begann der Wiederaufbau der 1801 gesprengten Festung Ehrenbreitstein und die Neubefestigung von Koblenz, das im Zuge des Schlossbaus und der Anlage der Neustadt im Auftrag des letzten Kurfürsten Clemens Wenzeslaus zur offenen Stadt geworden war. Bis 1832 legten die neuen Herren einen engen Festungsgürtel um die Stadt, der sich später zu einem Haupthemmnis für das Wachstum der Wirtschaft entwickeln sollte.108


Wenn man bedenkt, dass allein die militärischen Baumaßnahmen in und um Koblenz ungefähr 24 Millionen Goldmark (entspricht heute rund 600 Millionen Mark) gekostet haben, ist es nicht verwunderlich, dass für andere Bauvorhaben kaum noch Geld vorhanden war. Dabei bestand – bedingt durch die neue Verwaltungsorganisation und die neu eingeführte Schulpflicht – großer Bedarf an Verwaltungs- Schul- und Kirchengebäuden. Erst als sich der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung bemerkbar machte, konnte der Nachholbedarf in diesen Bereichen gedeckt werden. Bis dahin nutzte man die vorhandenen Gebäude. Neubauten entstanden nur dann, wenn es keine anderen Lösungen gab.109


9.4 Die wirtschaftliche Situation


In den südlichen Rheinlanden der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielte die Industrie eine untergeordnete Rolle. Dafür war die Landwirtschaft in dieser Region stark ausgeprägt. Ein besonderer Schwerpunkt lag im Bereich des Wein- und Getreideanbaus. Die Landwirtschaft prägte auch die Bevölkerungsstruktur. Zwar war das südliche Rheingebiet im Vergleich zu anderen deutschen Staaten relativ dicht besiedelt, doch gab es zwischen Koblenz und Kaiserslautern kaum städtische Ballungsräume. Während Saarbrücken und Ludwigshafen ihr Wachstum vorwiegend auf die günstigen wirtschaftlichen Entwicklungen zurückführten, verdankt die Stadt ihren Aufstieg in erster Linie dem Militär. Auf je sechs Einwohner in Koblenz und Ehrenbreitstein kam ein Angehöriger der preußischen Garnison. Mit ihrem Geld unterstützten die in Koblenz stationierten Soldaten und ihre Angehörigen die Gewerbetreibenden in der Stadt.110


Wichtig für die Stadt wurde auch die große Zahl der Beamten. Als Regierungs- und Militärhauptstadt der Rheinprovinz beherbergte Koblenz nicht nur Oberpräsidium, Generalkommando und die Regierung, sondern auch eine Reihe von untergeordneten Behörden. Von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung für die heimische Wirtschaft waren auch die vielen Rentner, die wegen des reizvollen Umlandes ihren Wohnsitz nach Koblenz verlegten. Die landschaftlichen Vorzüge des neuen Verwaltungszentrums förderten auch den Fremdenverkehr. Bis 1912 stieg die Zahl der Übernachtungen auf rund 150.000. Verwaltung, Militär und Fremdenverkehr schienen der Koblenzer Geschäftswelt ausreichende Einnahmen zu bescheren. Deshalb bemühten sich die Verantwortlichen zunächst nicht genug um die Förderung von Industrieansiedlungen. Diese hätten ohnehin nur eine Verunstaltung und Verschmutzung der schönen Umgebung versprochen.111 Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Anstrengungen der Stadtväter größer. Die Funktion von Koblenz als Festungsstadt verhinderte jedoch eine groß angelegte Industrialisierung.112


9.5 Anfange einer modernen Stadt


9.5.1 Veränderungen in den Kernbereichen


Vergrößerung des Florinsmarktes und Ausbau der Burgstraße


Schon zu Beginn der preußischen Herrschaft nutzten Stadtrat und Oberbürgermeister die Gelegenheit, bestehende Marktflächen vor allem wegen der rapiden Zunahme des Fuhrverkehrs zu vergrößern.113 Bereits am 20. Dezember 1816 erwarb die Gemeinde das Renesse-Breidbach’sche Gebäude auf dem Florinsmarkt, nachdem die Regierung eine Woche zuvor ihre Genehmigung dafür erteilt hatte. Im folgenden Jahr wurde das alte Haus am damaligen Fruchtmarkt abgebrochen, wodurch der Platz eine erhebliche Erweiterung erfuhr.114


Wichtig für die Erschließung der historischen Kernbereiche in der Altstadt war die Verbreiterung der Burgstraße. Diese hatte eine zentrale Bedeutung für die Belieferung der Märkte in der Altstadt. Bereits 1816 wollte der Stadtrat im Zuge der geplanten Umgestaltung des Florinsmarktes die Anpassung der Trasse an die modernen Erfordernisse einleiten. Wäre die Maßnahme zügig umgesetzt worden, hätten die Wagen, die den Markt belieferten, die Burgstraße bequem passieren können. Auch das Militär hoffte auf eine schnelle Verwirklichung des Projektes, denn man wollte die Pulverwagen über die neue Achse schnell an das Rheinufer und dann über den Fluss weiter nach Ehrenbreitstein leiten. Mit dieser neuen Route sollten Transportfahrten durch die engen Altstadtgassen vermieden werden. Trotz aller Vorteile vergingen noch mehr als zwanzig Jahre, bis in der Burgstraße die dringend erforderlichen Maßnahmen durchgeführt werden konnten. Den entscheidenden Anstoß gab die Führung der Blechwarenfabrik Schaafhausen und Dietz.115 Sie überließ der Stadt das für die Verbreiterung der über den ehemaligen Burggraben führenden Brücke erforderliche Gelände unentgeltlich.116


Trotz des Entgegenkommens der Fabrikanten Schaafhausen und Dietz gab es noch einige Schwierigkeiten. So scheiterten zunächst die Verhandlungen der Stadt mit dem Kaufmann Thomas Douqué über den Ankauf von Gartengelände in der Burgstraße. Trotzdem beschloss der Gemeinderat, die Verbreiterung der Trasse noch im selben Jahr zu beginnen, weil ,,[...]diese Anlage als eine der dringlichsten für das allgemeine Interesse der Stadt erscheint, indem die Burgstraße gerade zum Eingang der städtischen Marktplätze dient, die Frequenz daher sehr stark ist, und die höchsten Nothes erfordert, daß den Fuhrwerken ein breiterer Raum gegeben, und zum Ausweichen die Möglichkeit hergestellt [...]” werden sollte.117


Schließlich kam auch eine Einigung mit den Holzhändlern Heinrich Herbst und Thomas Douqué zustande. Die Stadt erhielt die erforderlichen Geländeteile und überließ den beiden Kaufleuten im Gegenzug die im Bereich zwischen dem ehemaligen Paradiesgarten und der Münzstraße liegenden Flächen.118 Die Leitung des Burgstraßenprojektes übernahm Stadtbaumeister Lassaulx. Die Arbeiten an der Brücke begannen wahrscheinlich im Herbst 1844 und wurden im folgenden Jahr weitergeführt. Vor allem mit dem Kaufmann Herbst gab es noch einige Probleme, weil er sich weigerte, die Mauer vor seinem Haus an der Ecke Münzstraße zu beseitigen. Erst im Juli 1846 kam es zur Einigung.119 Bis die Burgstraße ihr heutiges Aussehen erhielt, sollte es noch einige Jahre dauern. Erst 1863 wurde an der Ecke zum Florinsmarkt ein Haus gebaut. Weitere Gebäude auf dem Douqué’schen Besitz entstanden erst um 1874 (heute Hotel Metropol und die im Bereich der alten Stadtmauer gelegenen Bauten).120 Zu weiteren Umgestaltungen kam es in den Jahren 1910 und 1911, als der Koblenzer Architekt Conrad Reich ein groß angelegtes Bauprojekt verwirklichte (vgl. 11.6.2).


Die Entstehung des heutigen Münzplatzes


Beim Blick auf die Stadtpläne des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts wird deutlich: Der heute im Herzen der Altstadt gelegene Münzplatz ist alles andere als historisch. Ursprünglich befanden sich in diesem Bereich die Gärten und Nebenbauten des ehemaligen Metternicher Hofes. Diese grenzten nördlich an die zur ehemaligen kurfürstlichen Burg gehörenden Anlagen. Der heutige Platz erhielt seinen Namen von der ehemaligen kurfürstlichen Münze, deren Einzelbauten sich am Eingang zur heutigen Münzstraße (früher Judengasse) befanden.


Die Geschichte der Münzgebäude im Bereich zwischen Metternicher Hof und Münzstraße geht bis in das Jahr 1667 zurück. Damals hatte die Einrichtung weitläufig angelegte und zumeist einstöckige Bauten. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren die Gebäude zum Teil verfallen. Unter der Regierung des Erzbischofs Johann Philipp von Walderdorf (1756–1768) wurde die Wiederherrichtung der Anlage erforderlich. Die kurfürstliche Regierung kaufte 1761 einige Häuser in der Judengasse hinzu und baute an. Für den Münzdirektor Meydinger errichtete sie 1761/62 ein eigenes Wohnhaus. Die Pläne für diesen Bau lieferte Hofbaumeister Johannes Seiz. 1773 schloss man die Koblenzer Münze. Die Gebäude, die zunächst anderen Zwecken dienten, verfielen zusehends. Noch während der französischen Zeit (1806) wurden die Gebäude versteigert und bis auf das heute noch erhaltene Wohnhaus abgebrochen. Es entstand zunächst ein kleiner Platz im Bereich des ehemaligen Münzgäßchens am Ausgang der Marktstraße.121


Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des späteren Münzplatzes war das Schicksal des Metternicher Hofes. Nachdem die Reichsgrafen ihren Koblenzer Besitz in Folge der französischen Besetzung der Stadt verloren hatten, wurde der ehemalige Adelshof zur Staatsdomäne. 1806 zog dort die zwei Jahre zuvor gegründete Rechtsschule ein. Damals riss man einen Teil der Nebenbauten ab. Es kam zur Bildung eines freien Vorhofes. Nach der Auflösung der französischen Rechtsschule im September 1816 zog das Handels- und Revisionsgericht in das Haus ein. Bereits zwei Jahre später gab Friedrich-Wilhelm III., König von Preußen, die Anlage an Klemens Wenzel, Fürst von Metternich, zurück. Dieser verkaufte sein Eigentum an die preußische Regierung, die den alten Adelshof zum Sitz der Festungskommandantur umwandeln wollte. Da das Gebäude am besten über die gerade erst geschaffenen öffentlichen Flächen erreicht werden konnte, befürchteten die Anwohner wegen des zu erwartenden Militärverkehrs die Verlegung des Gemüsemarktes. Auch die Hauseigentümer waren gegen derartige Pläne, denn eine Verlegung des Marktes hätte wegen der zu erwartenden Randlage der Gebäude automatisch zu einer Wertminderung geführt.122


Die Anwohner des Münzplatzes wussten die für sie nachteilige Entwicklung jedoch zu verhindern. Am 10. Juni 1823 erwarben einige von ihnen den ehemaligen Besitz der Fürsten von Metternich. Den vorderen Hofraum überließen sie der Stadt zur Vergrößerung des Wochenmarktes,123 während sie den restlichen Besitz teilten und an Privatleute veräußerten.124


Kastorpfaffenstraße und Gymnasialstraße


Die Festlegung neuer Fluchtlinien in der Kastorpfaffenstraße erfolgte ab 1836. Auch in diesem Bereich der Altstadt waren die Stadtväter gezwungen, den Ankauf einzelner Grundstücke einzuleiten. Die Einrichtung der Straße in ihrer neuen Breite begann 1843. Völlig anders war die Situation in der noch anzulegenden Gymnasialstraße. Hier lag die Initiative ursprünglich nicht bei der Kommune, sondern beim Verwaltungsrat des Gymnasiums. Dieser schlug vor, vom Jesuitenplatz aus eine Straße durch die damals noch vorhandenen Gärten bis hin zur Casinostraße anzulegen. Auch wenn die Verantwortlichen des Gymnasiums jetzt den Vorteil hatten, einige schuleigene Grundstücke für die Bebauung zu verkaufen, verpflichtete sich der Stadtrat zur Übernahme der Baumaßnahmen einschließlich der Pflasterarbeiten. Die neue Trasse war für die heutige Innenstadt sehr wichtig, weil die außerhalb der ehemaligen barocken Festungsanlagen gelegenen neuen Straßen an die alten Stadtteile angebunden werden mussten.125


9.5.2 Die erste preußische Stadterweiterung


Am Ende des 18. Jahrhunderts war schon ein bedeutender Teil der mittelalterlichen Stadtmauer und der davor gelagerten frühneuzeitlichen Befestigungsanlagen verschwunden. Bedingt durch den Schlossbau und die damit verbundene Anlage der Neustadt hatte sich Koblenz für eine kurze Zeit zu einer offenen Stadt gewandelt. Trotz des Baus neuer Verteidigungsanlagen zu Beginn der preußischen Herrschaft erhielt die einstige kurfürstliche Residenzstadt begrenzte Erweiterungsmöglichkeiten.


Zunächst wurden der Ausbau und die Bebauung der noch unter Clemens Wen-zeslaus neu angelegten Straßen weiter vorangetrieben. Betroffen waren vor allem die Schloßstraße,126 die Neustadt (einschließlich Clemensplatz),127 die heutige Clemensstraße und die spätere Casinostraße.128 Gemäß eines im Jahre 1834 aufgestellten Alignementsplanes, der auch die Verlängerung bestehender Straßenzüge vorsah, erfolgte nach und nach die Anlage völlig neuer Trassen.129 Neben der Gymnasialstraße muss man die Magazinstraße130 und die heutige Viktoriastraße nennen,131 die später zusammen mit der Casinostraße bis zur preußischen Umwallung verlängert wurde. Schließlich ist die Friedrichsstraße zu erwähnen.132 Sie führte ihren Namen ab 1844.133


Vor allem die Anlage von Straßen bis zu den neuen Grenzen von Koblenz erwies sich als äußerst schwierig. Der Bau von Trassen und die Schaffung von Baugrundstücken war nur mit bedeutenden finanziellen Aufwendungen möglich, zumal weitere Tore, Türme und Wälle des alten Befestigungssystems abgebrochen werden mussten. Das größte Problem entstand wegen der Entschädigungsfrage. Die Grundstückseigentümer forderten von der Gemeinde die sofortige Auszahlung von Ausgleichsbeträgen, wenn die Einziehung von Grundstücken für den Straßenbau geplant war. Im Gegensatz dazu vertrat die Kommune die Auffassung, Zahlungen erst bei tatsächlichem Bedarf der Parzellen und nicht schon bei der Festlegung neuer Fluchtlinien zu leisten.134 In einigen Fällen kam es deshalb zu Rechtsstreitigkeiten zwischen Stadt und Privateigentümern. Dabei ging es vor allem um die Höhe der Entschädigungen. Schwierigkeiten gab es vor allem in der Schloßstraße. Dort mussten die Verkaufspreise gerichtlich festgelegt werden, obwohl sich zuvor eine eigene städtische Kommission um eine gütliche Einigung mit den Anliegern bemüht hatte. Dies führte zwangsläufig zu Verzögerungen beim Straßenausbau.135


9.5.3 Straßenbeleuchtung und Gasversorgung


Die wichtigsten Koblenzer Straßen wurden wohl seit dem Ende der kurfürstlichen Zeit zwischen Oktober und März mit Öllampen beleuchtet. Den Auftrag zur Unterhaltung der Anlagen vergab die Stadt an private Unternehmer. Der schlechte Zustand der Lampen war jedoch immer wieder Grund zur Klage.136 Deswegen unterbreitete bereits 1818 ein gewisser Deuster der Gemeinde den Vorschlag, eine Gasbeleuchtung einzurichten.137 Am 20. Januar beriet der Stadtrat über den Vorschlag, nachdem Johann Claudius von Lassaulx den eingereichten Plan geprüft hatte.138 Der Stadtbaumeister stand der Umsetzung des Konzeptes negativ gegenüber, weil er den chemischen und technischen Kenntnissen Deusters nicht traute. Schließlich lehnten auch die Ratsmitglieder den Entwurf ab. Sie wollten die Erfahrungen und Entwicklungen in den anderen Städten abwarten.139 Auch Alternativvorschläge zur Erneuerung der Ölbeleuchtung fanden aus Kostengründen keine Berücksichtigung.140


Dennoch gab es in der Stadt einige kleinere private Anstalten, in denen durch die Entgasung von Steinkohle Gas für den Eigenbedarf der Betreiber gewonnen wurde. Schon Deuster hatte im Gasthof „Zur Stadt Lüttich” eine Gasbeleuchtung einrichten lassen. Die neue Errungenschaft rentierte sich jedoch nicht und ging schnell wieder ein.141 Über 20 Jahre später unternahm Gastwirt Hoche für sein „Bellevue” ebenfalls einen Versuch zur Realisierung einer privaten Gasanstalt. Seine Pläne wurden 1840 genehmigt. Nur ein Jahr später erfolgte der Bau einer Gasbereitungsanlage im Kasino.142


Die Stadt leitete schließlich die Verwirklichung der öffentlichen Gasversorgung ein, nachdem sich 1844 zwei Gesellschaften zur Lieferung einer Gasbeleuchtung angeboten hatten. Endgültige verbindliche Vereinbarungen scheiterten jedoch am Widerspruch der Regierung, die den Verzicht auf eine öffentliche Ausschreibung bemängelte. Schließlich wurden Anzeigen in den größeren Tagesblättern veröffentlicht. Es meldete sich jedoch nur eine Firma. Es war die Gesellschaft „Charles Blanchet, chef de la compagnie de l’eclairage par le gaz Blanche frères, François et comp., Paris.” Mit diesem Unternehmen wurde schließlich am 17. Oktober 1845 ein auf 25 Jahre gültiger Vertrag abgeschlossen. Dieses Mal erklärte sich auch die Regierung einverstanden.143

 

Nach Abschluss des Vertragswerkes begann der Erwerb des für den Bau der Gasanstalt erforderlichen Geländes auf dem Moselweißer Feld (im Bereich des heutigen Marienhofes) und die Verlegung von Röhren. Die Bauarbeiten machten nicht den gewünschten Fortschritt, sodass sich die Fertigstellung der Gasversorgungseinrichtungen verzögerte. Die Gründe lagen im organisatorisch-technischen, vor allem aber im finanziellen Bereich, bis schließlich im Jahre 1848 das beauftragte Unternehmen an die Lyoner Gasgesellschaft überging. Trotz aller Schwierigkeiten war in Koblenz am 1. September 1847 der Startschuss für die Gasbeleuchtung gefallen.144


Das französische Gasversorgungssystem war nicht ausbaufähig. Deswegen befassten sich die Stadtväter bereits 1869 mit dem Bau eines größeren städtischen Gaswerkes. Am 1. November 1871 stellte die alte Anstalt schließlich ihre Tätigkeit ein, während das in der Laubach befindliche neue Werk die Gasversorgung der ganzen Stadt übernahm. Aber auch diese Anlage erwies sich schnell als unzureichend. Schließlich richtete man im Rauental eine neue Gasanstalt ein. Sie nahm ihre Arbeit im Dezember 1897 auf. Das alte Werk blieb bis zum 1. April 1901 zusätzlich in Betrieb.145


9.5.4 Pferdebahn und Stromversorgung


Die Einführung der Elektrizität in Koblenz muss im Zusammenhang mit dem Bau von Straßenbahnanlagen gesehen werden. Bereits 1881 beabsichtigte ein Berliner Industrieller, in den Bereichen Löhrstraße, Plan, Entenpfuhl, Firmungstraße und Rheinstraße eine Pferdebahn einzurichten, die auch in Richtung Laubach ausgedehnt werden sollte.146 Diese Überlegungen veranlassten die Koblenzer Fuhrwerksbesitzer zur Niederschrift einer Petition an den Stadtrat. Darin sprachen sie sich gegen den Bau einer Pferdebahn aus, weil sie den Ruin ihrer Fuhrunternehmen befürchteten.147


Die Vorstellungen des Berliner Industriellen wurden nicht umgesetzt. Trotzdem waren die Pläne nicht vom Tisch. Nach heftigen Debatten schloss die Stadt am 4. Oktober 1886 mit den Unternehmern Alexander von Stülpnagel und Wilhelm von Tippelskirch eine.n Vertrag, Die Geburtsstunde der „Coblenzer Straßenbahn-Gesellschaft” hatte geschlagen. Geplant waren zunächst zwei Linien: Linie l sollte die Verbindung von der Schiffsbrücke am Rhein zum Moselbahnhof (in der Nähe des heutigen Hauptbahnhofs) herstellen. Die Einrichtung einer zweiten Linie war für die vom Goebenplatz (heute Görresplatz) bis zum späteren Kaiserin-Augusta-Denkmal (und weiter bis zum Schützenhof) führende Strecke vorgesehen.148


Die Pferdebahn nahm im Mai 1887 ihren Betrieb auf. Im Zuge der Eingemeindung und der Entfestigung von Koblenz sollte das Schienennetz noch erheblich erweitert werden.149 Schon schnell war die Einrichtung nicht mehr aus der Stadt wegzudenken, zumal sie auch die Beförderung von Gütern übernahm. Wichtigstes Transportgut wurde die Kohle für die Koblenzer Gasanstalt. Diese günstige Entwicklung führte dazu, dass man sich 1895 mit der Umstellung der Straßenbahn auf elektrischen Betrieb befasste. Am 19. August 1896 genehmigte die Stadtverordnetenversammlung die Umstellung auf den Oberleitungsbetrieb und den Bau eines eigenen Kraftwerkes. Nach dem Ankauf eines Grundstücks im Bereich des Schützenhofs wurde die Berliner „Union Electricitäts-Gesellschaft” mit der Planung beauftragt. Die Jahre 1897 und 1898 gelten als Geburtsjahre der öffentlichen Stromversorgung in Koblenz. Zunächst übernahm die Berliner Gesellschaft für elektrische Unternehmungen „Gesfürel” sämtliche Aktien der „Coblenzer Straßenbahn-Gesellschaft”. 1897 war die Gesellschaft berechtigt, Strom an Dritte abzugeben. Im Folgejahr wurde das neue Elektrizitätswerk in der Schützenstraße fertiggestellt. Am 17. Januar 1899 begann in Koblenz mit der ersten Fahrt einer elektrischen Straßenbahn ein neues Zeitalter.150
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Anmerkungen:


74 LHA KO, Best. 441, Nr. 19293: Brief des Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Ernst Freiherr von Bodelschwingh-Velmede, an die Regierung vom 11. März 1835.
75 Reck, Stadterweiterung, S. 50; Schubert, Regierung, S. 60: Am 28. Februar 1842 wurde für den ganzen Regierungsbezirk Koblenz eine einheitliche Feuerordnung erlassen.
76 Scotti, Sammlung, Bd. 2, S. 1374, Nr. 823:

Verordnung zur Anlage der Neustadt (vgl. 7.1).
77 LHA KO, Best. 441, Nr. 19293: Brief der Regierung an den Oberpräsidenten vom 7. Juni 1835 (Konzept): Die Aufrechterhaltung der älteren Bestimmungen war im Juli 1791 von der französischen Regierung per Gesetz angeordnet worden.
78 Schubert, Regierung, S. 61.
79 Schubert, Regierung, S. 61/62.
80 Amtsblatt vom 31. Juli 1827, S. 269.
81 LHA KO, Best. 441, Nr. 19293: Brief der Regierung an das Oberpräsidium vom 7. Juni 1835.
82 LHA KO, Best. 441, Nr. 19306: Bauordnung vom 19. Oktober 1847 (Abschrift), § 4.
83 Vgl. StAK, Best. 623, Nr. 5581: Verhandlungen der Baugesuche (1847–1852).
84 LHA KO, Best. 441, Nr. 19306: Bauordnung 1847, § 28.
85 LHA KO, Best. 441, Nr. 19306: Bauordnung 1847, §§ 10/11.
86 GeStA, Rep. 93 B, Nr. 1228: Brief der Koblenzer Regierung an das Ministerium für öffentliche Arbeiten vom 17. Oktober 1858.
87 LHA KO, Best. 441, Nr. 19293: Berliner Bauordnung von 1853 (Druck).
88 LHA KO, Best. 441, Nr. 19294: Bauordnung vom 19. Dezember 1854 (Abschrift), § 49; vgl. StAK, Best. 623, Nr. 9271: Baupolizei und Alignement der Straßen (Generalia) 1808–1889. Die Akte enthält auch Material über die Bauordnung von 1854.
89 LHA KO, Best. 441, Nr. 19293: Bauordnung 1854, §§ 23/24.
90 LHA KO, Best. 441, Nr. 19293: Bauordnung 1854, § 25.
91 Vgl. LHA KO, Best. 441, Nr. 19294: Bauordnung von 1854, §§ 14/15. So wurde zum Beispiel die Anlage von Balkonen und Risaliten verboten, wenn sie über die vorgeschriebenen Baufluchten hinausreichten. Bei den Balkonen waren allerdings Sondergenehmigungen der Baupolizei möglich.
92 LHA KO, Best. 441, Nr. 19293:

„Bau-Polizei-Ordnung für die Stadt Berlin” vom 21. April 1853.
93 LHA KO, Best. 441, Nr. 19294: Brief des Handelsministeriums Berlin an das Oberpräsidium der Rheinprovinz vom 16. Februar 1878.
94 LHA KO, Best. 441, Nr. 19294: Brief vom 28. August 1880.
95 LHA KO, Best. 441, Nr. 19294: „Zusammenstellung von Gesichtspunkten für die etwaige Abänderung bestehender und für den Erlass neuer örtlicher oder provinzieller Bauordnungen” (Druck), Berlin o. J.
96 Liessem, 50 Jahre, S. 31.
97 LHA KO, Best. 441, Nr. 19295; StAK, KH-5: „Bau-Polizei-Ordnung für die Stadt Coblenz vom 14. Juni 1881, Coblenz 1881″ (Druck).
98 Bauordmmg 1881, S. 4, § 9.
99 Bauordnung 1881, S. 6, § 14: Die Abtrittsgruben mussten durch über die Dachfläche hinausgehende Rohre ventiliert werden.
100 Bauordnung 1881, S. 9, § 27.
101 Vgl. LHA KO, Best. 441, Nr. 19311: Die Akte enthält Informationen zur Entstehungsgeschichte des Baupolizeirechts von 1899.
102 Baupolizeirecht 1899, S. 18-22, §§ 22 und 24/25.
103 Baupolizei-Verordnung 1908, S. 29, § 38; S. 39/40, § 53.
104 Baupolizei-Verordnung 1932.
105 Vogt, Staatsbauten, S. 15.
106 Vgl. Bellinghausen, Verkauf, S. 25.
107 Vgl. Bellinghausen, Preußische Herrschaft, S. 12. Die sogenannten „Rayonbeschränkungen” werden in Kapitel 11 ausführlich behandelt.
108 Zur Geschichte der Großfestung Koblenz: Wischemann, Festung; Neumann/Liessem, Großfestung; Dziobeck, Kriegs- und Befestigungsgeschichte; Neumann, Festungsbaukunst, S. 123. Eine umfassende Arbeit zur Festungsgeschichte liegt noch nicht vor, weil viele schriftliche und bildliche Quellen lange Zeit als verschollen galten. Inzwischen wurden die in deutschen und europäischen Archiven vorhandenen Bild- und Schriftdokumente im Auftrage des Koblenzer Kulturamtes durch Harry Oestreich inventarisiert. Das 1992 abgeschlossene Findbuch liefert erstmals eine vollständige Grundlage für künftige Detailuntersuchungen (vgl. Findbuch Großfestung).
109 Vogt, Staatsbauten, S. 16.
110 Zur wirtschaftlichen Situation der südlichen Rheinlande: Rheinische Geschichte, Bd. 3, S. 199, 203 und 205.
111 Vogt, Staatsbauten, S. 27.
112 Einen Einblick in die Entwicklung führender Koblenzer Wirtschaftszweige gibt der Ausstellungskatalog „Made in Coblenz”.
113 Vgl. Bellinghausen, Preußische Herrschaft, S. 19: In Koblenz gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts mehrere Marktflächen. Der Gemüsemarkt lag in der Marktstraße und erstreckte sich zusätzlich über die heutige Straße An der Liebfrauenkirche (früher zur Marktstraße gehörend), Teile der Judengasse (heute Münzstraße), die Gemüsegasse, die Mehlgasse sowie die Braugasse. Außerdem gab es den Fruchtmarkt mit der dazugehörigen Fruchtmessanstalt auf dem Florinsmarkt. Fische wurden im der Judengasse gegenüber gelegenen Teil dieses Platzes verkauft.
114 Bär, Geschichte Koblenz, S. 175; StAK, Best. 623, Nr. 2185: Ratsprotokoll vom 13. Dezember 1816; StAK, Best. 623, Nr. 2412: Brief der Regierung an die Stadt vom 9. Dezember 1816; StAK, Best. 623, Nr. 2262: Brief der Regierung an die Kreiskommission vom 28. Januar 1817; StAK, K-216: Situationsplan Florinsmarkt vom 6. Februar 1817; GeStA, Rep. 77, Tit. 3572, Nr. 1: Bericht der Regierung über den Verkauf des gräflich Renesse-Breidbach’schen Hauses an das Innenministerium vom 28. Dezember 1816.
115 Made in Coblenz (ohne Seitenzählung): Das Hauptgebäude der Fabrik war seit 1806 die ehemalige kurfürstliche Alte Burg. Auf der Südseite des einstigen Burggeländes entstand ein parallel zum Hauptbau stehendes, zweistöckiges Gebäude mit einem ostwärts anstoßenden Seitenflügel zur Straße. In diesem heute nicht mehr erhaltenen Bau befanden sich alle Werkstätten, Pressen und Druckereien. In den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts arbeiteten dort mehr als 400 Werktätige.
116 StAK, Best. 623, Nr. 2417, S. 48: Auszug aus der Ratssitzung vom 17. Juli 1844; Bär, Geschichte Koblenz, S. 175.
117 StAK, Best. 623, Nr. 2417, S. 49.
118 StAK, Best. 623, Nr. 2263: Brief des Oberbürgermeisters Abundius Maehler an die Käufer vom 18. Juli 1844 (die Regierung hatte den Verkauf genehmigt).
119 StAK, Best. 623, Nr. 2417, S. 82/83, S. 154: Ratssitzungen vom Mai 1845.
120 Vgl. Coblenzer Zeitung vom 3. Juli und 30. Oktober 1874; GeStA, Kartensammlung, Registratur II: Koblenz, Nr. 107. Der in der ersten Hälfte der 1870er Jahre entstandene Plan zeigt – abgesehen von den Häusern an der Ecke zur Münzstraße – viele Freiflächen. Diese Beobachtung lässt ebenfalls auf eine Erbauung der Häuser um 1874 schließen; GeStA, Kartensammlung, Registratur II: Koblenz, Nr. 144. Der etwa 1875 entstände Plan zeigt im Gegensatz zur erstgenannten, geringfügig älteren Karte auch auf der Nordseite der Burgstraße eine annähernd geschlossene Bebauung.
121 Schneider/Forneck, Münzwesen, S. 30 und 32/33 (Pläne).
122 GeStA, Rep. 77, Tit. 3572, Nr. 8: Brief der Anlieger an den Kriegsminister Karl Georg Freiherr von Hake vom 1. Mai 1822.
123 StAK, Best. 623, Nr. 2206, Nr. 25: Vertrag mit der Stadt vom 30. November 1824: Ihre Einnahmen in Höhe von 500 Talern stellten die Bürger als Grundstock für eine „Anstalt zur Erziehung und zum Unterrichte armer Waisenkinder” zur Verfügung.
124 Michel, Kunstdenkmäler, S. 197/198.
125 Bär, Geschichte Koblenz, S. 174.
126 Die zunächst wenig ausgebaute Schloßstraße hieß zur kurtrierischen Zeit Clemensstraße.
127 Die Neustadt wurde ursprünglich Residenzstraße genannt.
128 Die Casinostraße erhielt ihren Namen nach dem dort befindlichen Gebäude der Kasinogesellschaft.
129 Vgl. GeStA, 2.2.1, Nr. 14671, fol. 33 r und 92 r: Briefe des Zivilkabinetts an König Friedrich Wilhelm III. vom 14. Oktober 1834 und 19. Oktober 1847. Der erste Alignementsplan wurde am 15. November 1834 vom König genehmigt. 1847 erweiterte die Stadt ihre Planungen. Sie betrafen vor allem die Einrichtung von Nebenstraßen. Auch diese Variante wurde nicht bemängelt.
130 Die Magazinstraße war eine Parallelstraße zur heutigen Clemensstraße. Sie besteht nicht mehr, weil sich heute an gleicher Stelle die Südseite des Zentralplatzes befindet.
131 Vgl. StAK, Best. 623, Nr. 8996: Fluchtlinien in der verlängerten Görgenstraße (1852–1858). Die Viktoriastraße wurde anstelle des ehemaligen Görgenwegs eingerichtet, der eine Verlängerung der im Krieg fast vollständig zerstörten Görgenstraße war.
132 Vgl. StAK, Best. 623, Nr. 8992: Festlegung der Fluchtlinien in der Friedrichstraße (1839–1864 und 1902–1904). Die westliche Hälfte der Friedrichstraße heißt heute Stegemannstraße.
133 Bär, Geschichte Koblenz, S. 173.
134 Bär, Geschichte Koblenz, S. 173/174.
135 StAK, Best. 623; Nr. 2416, S. 1: Brief der Regierung an den Landrat Clemens Wenzeslaus von Boos-Waldeck und Montfort vom 22. Dezember 1836; StAK, Best. 623, Nr. 2416, S. 196–217: Verhandlungen von April bis Juni 1839: Auch in der Altstadt kam es zu Streitigkeiten. So wollte der Maurermeister Franz Burg die Entschädigung für die Teile seines Grundstücks, die in die Firmungstraße hineinragten, in die Höhe treiben. Daraufhin wurde ein Enteignungsverfahren eingeleitet.
136 StAK, Best. 623, Nr. 2062: Brief der Regierung vom 30. Dezember 1818.
137 StAK, Best. 623, Nr. 2062: Brief Deusters vom 4. Juli 1818.
138 StAK, Best. 623, Nr. 2062: Gutachten vom 18. Januar 1818.
139 Vgl. StAK, Best. 623, Nr. 2063/64: Die Beleuchtung der Straßen der Stadt Koblenz (1835-1847).
140 Bär, Geschichte Koblenz, S. 185/186.
141 Der Gasthof „Zur Stadt Lüttich” befand sich im Haus Altengraben 14. Das Gebäude wurde im Krieg völlig zerstört.
142 Bär, Geschichte Koblenz, S. 185; vgl. StAK, Best. 623, Nr. 2055: „Gasanstalten im Gasthof Bellevue und im Casino”.
143 Bär, Geschichte Koblenz, S. 187.
144 Bär, Geschichte Koblenz, S. 185.
145 Bär, Geschichte Koblenz, S. 197.
146 Coblenzer Volkszeitung vom 14. Mai 1881: Der Name des Berliner Unternehmers wurde nicht gemeldet.
147 Coblenzer Volkszeitung vom 21. Mai 1881.
148 Dokumente des Fortschritts (Chronik 1886).
149 Zum Vergleich: In Paris gab es schon seit 1854 eine Pferdebahn. Berlin führte die neue Einrichtung 1865, Frankfurt im Jahre 1872 ein.
150 Dokumente des Fortschritts (Chronik 1887, 1890, 1895–1899).

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