Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung
   Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung

Teil3

Reines Wasser für Koblenz und Ehrenbreitstein

 

1. Jahre des Aufbruchs

 

Die Industrialisierung Deutschlands führte zu dramatischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen. Diesem Wandel waren die traditionellen Infrastrukturen bald nicht mehr gewachsen. Lebten um 1800 noch 90 Prozent der rund 23 Millionen Menschen in den deutschen Staaten auf dem Land oder in Kleinstädten, sollte das kräftig steigende Bevölkerungswachstum diese Relationen radikal verändern. Von dieser Entwicklung waren vor allem die größeren Städte und die neuen industriellen Ballungsräume wie das Ruhrgebiet, Sachsen oder die Rheinprovinz betroffen. Bis 1875 stieg die Bevölkerungszahl im jungen deutschen Kaiserreich auf 43 Millionen, bis 1914 auf 67 Millionen. Innerhalb eines Jahrhunderts hatte sich die Bevölkerungszahl also fast verdreifacht1 – und das, obwohl für den gleichen Zeitraum rund sechs Millionen Menschen gezählt wurden, die Deutschland verlassen hatten.2

 

Gab es an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert mit Berlin und Hamburg nur zwei deutsche Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern, sollte es bald erheblich mehr Großstädte geben. So stieg die Einwohnerzahl in Hamburg zwischen 1800 und 1910 von 40.000 auf 443.000, im gleichen Zeitraum wuchs München von 40.000 auf 596.000 Einwohner. Den größten Sprung machte Berlin. Zählte man in der Hauptstadt um 1800 noch 172.000 Einwohner, lebten 1870 bereits 800.000 Menschen in der Stadt. 1900 wurden in der Spreemetropole bereits drei Millionen Menschen gezählt.3 Dieses enorme Wachstum stellte die örtlichen Verwaltungen vor ganz neue Probleme, die mit den alten Ver- und Entsorgungssystemen unmöglich aus dem Weg geräumt werden konnten.

 

Dennoch wurden in den meisten Städten zunächst nicht die vorrangigen Probleme der Stadthygiene gelöst. Die Entwicklung der Städtetechnik begann nämlich mit dem Ausbau der Gasversorgung. Diese erfolgte in der Frühzeit durch private Unternehmen. Nicht selten waren es Engländer, die sich in den deutschen Städten durchsetzten und ansehnliche Gewinne einstrichen. Der Gasbedarf nahm ständig zu, nicht nur wegen der hellen Beleuchtung, sondern wegen der Vorzüge beim Kochen und Heizen. Die Nachfrage führte zu einer entsprechend rücksichtlosen Preispolitik der privaten Investoren. Die Kommunalverwaltungen reagierten, indem sie entweder bestehende Werke aufkauften oder Konkurrenzunternehmen gründeten – auch mit dem Hintergedanken, die eigenen Finanzen aufzubessern. Diese „Gegenbewegung“ setzte in Preußen bereits sehr früh ein. So gab es bereits 1828 in Minden eine Gasanstalt unter städtischer Regie. Elberfeld folgte 1837, Berlin 1845. Ein Jahr später schloss sich Barmen an. 1877 gab es im gesamten Reichsgebiet schließlich 481 Gaswerke, von denen rund 45 Prozent in städtischem Besitz waren.4

 

Auch die Vorgänge in Koblenz stimmen mit den überregionalen Entwicklungen überein. Bereits im Januar 1818 machte ein gewisser Deuster, über den keine weiteren Details bekannt sind, der Stadt den Vorschlag, unter seiner Regie eine Gasbeleuchtung einzurichten. Nach Prüfung der Details durch den Stadtbaumeister Johann Claudius von Lassaulx und dem prompt folgenden Negativurteil lehnte schließlich auch der Rat den Vorschlag ab. Man wollte zunächst die Entwicklung in anderen Kommunen abwarten. Dieses typische Verhalten der Stadtväter sollte sich später erneut am Beispiel von Wasserversorgung und Kanalisation wiederholen. Ungeachtet dessen muss es in der Stadt schon kurze Zeit nach der Ablehnung kleinere private Anstalten gegeben haben, in denen durch die Entgasung von Steinkohle Energie für den Eigenbedarf gewonnen wurde. Schon Deuster hatte im Gasthof „Zur Stadt Lüttich“ im Altengraben eine Gasbeleuchtung einrichten lassen, die aber nicht wirtschaftlich war. Ein weiterer Anlauf wurde erst 1840 unternommen. Und wieder war es ein Hotelier, der in der aufstrebenden Fremdenverkehrsstadt Akzente setzen wollte: Gastwirt Hoche erhielt für sein Hotel „Bellevue“ am Rheinufer die Genehmigung, eine entsprechende Einrichtung zu realisieren. Nur ein Jahr später folgte die Bürgergesellschaft „Casino zu Coblenz“, die ihr Gebäude mit einem der größten Weinkeller der Stadt „aufwerten“ wollte.

 

1844 wurden schließlich zwei auswärtige Gesellschaften aktiv, die jedoch am Veto der Bezirksregierung scheiterten. Es war keine öffentliche Ausschreibung erfolgt. Als die Ausschreibung endlich erfolgte, meldete sich allein die französische Gesellschaft „Charles Blanchet, chef de la compagnie de l’éclairlage par le gaz Blanche frères, François et comp. Paris“. Mit diesem Unternehmen schloss die Stadt schließlich am 17. Oktober 1845 einen Vertrag auf 25 Jahre. Sofort begann der Grunderwerb für den Bau einer Gasanstalt auf dem Moselweißer Feld im Bereich des heutigen Katholischen Klinikums (Haus Marienhof). Heute gilt der 1. September 1847 als Beginn der Koblenzer Gasbeleuchtung. Zufrieden dürfte die Stadt mit dem französischen Vertragspartner dennoch nicht gewesen sein. Weil die Pariser Gesellschaft wohl zu finanzschwach war, verzögerte sich die Ausführung immer wieder. Dafür spricht auch, dass das Unternehmen bereits 1848 durch die Lyoner Gasgesellschaft übernommen wurde. Schnell sollte sich herausstellen, dass die erste Koblenzer Gasversorgung nicht ausbaufähig war. Da nun Erfahrungen aus anderen preußischen Städten vorlagen, nahmen die Überlegungen zum Bau eines neuen Gaswerkes deutliche Konturen an. 1869 wurde schließlich in der Laubach ein neues Gaswerk errichtet. Es nahm am 1. November 1871 den Betrieb auf. Aber auch die neuen Kapazitäten reichten nicht aus. Schließlich errichtete man im Rauental eine deutlich größere Gasanstalt, die im Dezember 1897 ans Netz ging. Die Einrichtung in der Laubach blieb bis zum 1. April 1901 in Betrieb.5

 

Die beim Aufbau der Gasversorgung gewonnenen Erfahrungen sollten in Koblenz und in anderen deutschen Städten unmittelbar in die Neuorganisation der örtlichen Trinkwasserversorgung einfließen. Denn längst war es nicht mehr nur die Dampfmaschine, die die kommunale Ver- und Entsorgung revolutionierte. Vor allem die zunehmende Verbreitung von Gas-, Diesel- und Elektromotoren sollte sich nachhaltig auf den Ausbau der kommunalen Wasserversorgung auswirken. Die entscheidenden Impulse für die Mechanisierung der kommunalen „Gesundheits-Infrastruktur“ gingen von britischen Ingenieuren aus. Im Inselreich hatte sich die Industrie besonders schnell entwickelt. Die enormen Fortschritte in diesem Bereich verursachten aber auch Probleme, deren Dimension zunächst niemand erkannte: Abwässer aus den Fabriken, zusätzlich die von den Menschen in den übervölkerten Städten erzeugten Mengen von Abfällen und Fäkalien stellte die Verantwortlichen vor neue Herausforderungen. Erste Ansätze zur Bewältigung der hygienetechnischen Schwierigkeiten gab es in Schottland. Bereits 1804 wurde das für die Textilstadt Paisley bestimmte Trinkwasser gefiltert, 1810 folgten die Wasserwerke in Glasgow. Die erste Pumpstation Europas wurde ebenfalls im Inselreich entwickelt und gebaut, und zwar in Nottingham.6 Vor dem Hintergrund der Choleraepidemie von 1831, die allein in London7 50.000 Menschenleben auslöschte, wurden die Anstrengungen erhöht. Zum technischen Fortschritt kam seit den 1840er-Jahren eine flankierende Gesundheitsgesetzgebung dazu. Die wiederum war aus der unter dem Einfluss des Juristen Edwin Chadwick erstarkten Hygienebewegung (Public Health Movement) entstanden.8

 

Auch auf dem Kontinent setzten sich die neuen technischen Möglichkeiten allmählich durch, egal ob das wichtigste Lebensmittel aus Seen, Flüssen, Talsperren oder dem Grundwasser entnommen wurde. In Deutschland wurde die Dampfmaschine für die Wasserversorgung erstmals 1819 in Magdeburg eingesetzt. Breslau folgte 1827.9 Als erstes Pumpwerk im deutschsprachigen Raum gilt das von Wien-Heiligenstadt. Dort hatte man 1840 zwei 60-PS-Dampfmaschinen aufgestellt. Richtungsweisend wurde die Neuordnung von kommunaler Ver- und Entsorgung nach dem großen Stadtbrand in Hamburg von 1842. Die neue „Gesundheits-Infrastruktur“ der Hansestadt sollte jedoch schnell erhebliche Mängel offenbaren – ebenso wie die in London, die europaweit als Vorbild galt. Dennoch: Die neue Technik erleichterte es, die kommunale Wasserversorgung besser und vor allem gesünder zu machen.

 

Den Anfang machten kleinere Wasserwerke, die zunächst nur die Aufgabe hatten, Wasser für die Spülung der offen liegenden Rinnsteine heranzuschaffen. Im Laufe der Zeit entwickelte man ausgeklügelte Systeme, bei denen immer öfter Grundwasserwerke im Mittelpunkt standen – und das schon gut zehn Jahre vor den bahnbrechenden Entdeckungen von Robert Koch.10 Das nun qualitativ hochwertigere Trinkwasser hatte einen hohen Preis: Waren doch mit dem technischen Fortschritt gravierende Eingriffe in den natürlichen Wasserhaushalt verbunden. Friedrich Wissing spricht von einem Raubbau am Grundwasser, der bis auf den heutigen Tag anhält und  in Zukunft zu erheblichen Problemen führen könnte.11

 

Bereits 1878 berichtete der europaweit bekannte Ingenieur Ernst Grahn, der später die Pläne für das Koblenzer Wasserwerk lieferte12, dass in 143 deutschen Städten mit mehr als 5000 Einwohnern neue Wasserversorgungsanlagen gebaut worden waren. Den Anfang machten die 1859 als private Erwerbsbetriebe gegründeten Elbwasserwerke in Magdeburg und Altona.13 1861 folgte das Neckarwasserwerk in Stuttgart. In den neu erschlossenen Versorgungsgebieten konnten für jeden Einwohner täglich 150 Liter Wasser zur Verfügung gestellt werden.14 Weitere Städte sollten folgen, weil die Gesetzgebung auf Reichs- und Bundesstaatsebene die Gemeinden dazu verpflichtete, eine einwandfreie Trink- und Nutzwasserversorgung zu garantieren. Längst hatte man die volkswirtschaftliche Dimension von Epidemien erkannt. Das wurde bereits bei der Weimarer Cholera-Konferenz vom 28. April 1867 deutlich, die noch ganz unter dem Eindruck der verheerenden, von den siegreichen preußischen Soldaten weitergetragenen Cholerawelle von 1866 stand. Nun versammelten sich 49 Wissenschaftler aus verschiedenen europäischen Ländern, wobei sich die klassischen Kontagonisten und die Anhänger der moderneren „Bodentheorie“ von Max von Pettenkofer gegenüberstanden. Dem Münchner Professor, der als Begründer der wissenschaftlichen Hygiene gilt15, gelang es nicht, die Befürworter älterer Lehren zu überzeugen.16 Trotz der wissenschaftlichen Dissonanzen war die Konferenz ein Erfolg. Wurde doch einhellig die mangelhafte Hygiene in den Städten an den Pranger gestellt. Im Protokoll liest sich das so: „Sanitäre Verbesserungen werden vernachlässigt, das wirkliche Übel, Schmutz in allen Gestalten, bleibt unbehelligt und das Geld […] wird an Quarantänebeamte hinausgeworfen.“17

 

Diskussionen wie die von Weimar zeigen, dass die Verbesserung der Stadthygiene im Rahmen von sogenannten Assanierungen Aufgabe der öffentlichen Hand war. War in den ersten Jahren die privatwirtschaftliche Organisation der Wasserwerke in Deutschland noch durchaus üblich, geriet sie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ins Hintertreffen. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts waren 94 Prozent aller Wasserwerke kommunales Eigentum. Die wenigen privaten Betriebe schlossen sich oft zu Versorgungsbetrieben zusammen, die auch außerhalb der jeweiligen Gemeindegrenzen aktiv wurden. Ein Beispiel sind die 1887 gegründeten „Wasserwerke für das nördlich-westfälische Kohlenrevier“, die mit 124 Landgemeinden mittel- bis langfristige Lieferverträge abgeschlossen hatten.18

 

Bei allen frühen Wasserwerken und Kanalsystemen in Deutschland haben Engländer ihre Erfahrungen eingebracht. Besonders wichtig wurde William Lindley, ein Anhänger der Thesen des Juristen Edwin Chadwick, der ebenso wie die Mitglieder der „Poor Law Commission“ die hygienischen Missstände in den Städten durch massiven Einsatz von moderner Technik lösen wollte.19 Lindley, ein Eisenbahn- und Wasserbauingenieur, war bereits 1834 nach Hamburg gekommen und hatte vier Jahre später die Projektierung von Eisenbahnlinien übernommen. Nach dem großen Brand von 1842 schuf Lindley in der Hansestadt nicht nur eine zentrale Wasserversorgung, sondern auch eine zusammenhängende Kanalisation.20 1848 schließlich nahm das Flusswasserwerk bei Rothenburgsort den Betrieb auf. Obwohl in Lindleys Planungen vorgesehen, verzichtete man auf den Einbau von Filteranlagen. Diese Entscheidung sollte verhängnisvoll sein, weil verunreinigtes Flusswasser eine der Hauptursachen für die rasante Ausbreitung der Cholera in Hamburg war. Von 1871 bis 1873 und vor allem 1892 wütete die Seuche in der Stadt, dazu bedrohte Typhus die Bewohner. Erst 1893 ging man dazu über, filtriertes Wasser zu verteilen.21

 

Auch wenn das Inselreich seine stadthygienischen Probleme trotz der neuen Technik lange nicht in den Griff bekam, gaben britische Ingenieure den Ton an. Sie wurden quasi zu „Entwicklungshelfern“ für deutsche Kommunen. In den 1860er-Jahren entschlossen sich viele Städte, Kommissionen zum „Anschauungsunterricht“ nach England zu schicken. Dazu kamen seit den 1850er-Jahren Internationale Hygienekongresse, die sich zu einem Forum zur Diskussion von aktuellen stadthygienischen Problemen entwickelten.22 Die Dominanz der Briten in der Frühzeit der Assanierung zeigt sich auch am Berliner Beispiel. Obwohl der heimische Architekt Schramke bereits 1844 ein erstes Konzept für ein neues Ver- und Entsorgungskonzept vorgelegt hatte, sollte man sich schließlich für den „englischen Weg“ entscheiden. Doch zunächst wurde einmal diskutiert.

 

Acht Jahre geschah nichts, obwohl die Spreemetropole in jener Zeit schon rund 400.000 Einwohner zählte. Auf Drängen des Polizeipräsidenten Hinckeldey sowie mit Zustimmung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. und seiner Minister kam 1852 ein Vertrag zustande, der einer englischen Kapitalgesellschaft auf 25 Jahre das Monopol für die Sicherstellung der Wasserversorgung übertrug. 1856 eröffnete die „Berlin Waterworks Company“ ein Werk, das zunächst 300 Haushalte mit Wasser versorgte. 1862 waren 20.000 Haushalte mit entsprechenden Anschlüssen ausgestattet. Zu diesem Zeitpunkt hatte Berlin bereits 700.000 Einwohner. Trotz der Verbesserung der hygienischen Verhältnisse zeigte sich schnell, dass die neue zentrale Wasserversorgung auch Nachteile hatte. Die Umstellung der Toiletten auf Wasserspülung führte nicht selten zum Überlaufen der Senkgruben.23

 

Langfristig gesehen, reichte eine Orientierung am britischen Vorbild nicht aus, da die Einleitung von Industrieabfällen in die Flüsse die Wasserqualität erheblich verschlechterte und die reinen Flusswasserwerke nicht mehr den aktuellen Anforderungen entsprachen. Dieses Problem hatten deutsche Ingenieure schon früh erkannt. Sie begannen, eigene Systeme zu entwickeln. Das neu gewonnene Selbstbewusstsein dokumentierte sich unter anderem in der Gründung des „Vereins Deutscher Ingenieure“ (VDI), der sich bereits 1856 formierte und als Zeichen der allmählichen Loslösung vom englischen Vorbild gesehen werden kann. Nicht umsonst hat Joachim Radkau auf den „deutschen Weg“ in der Technik hingewiesen.24 Voraussetzung hierfür war eine deutliche Verbesserung der Ingenieurausbildung, die sich zunehmend akademisierte. Neben den Technischen Hochschulen entstanden die Ingenieur- und Technikerschulen, die Vorläufer der heutigen Fachhochschulen waren.25

 

Nur drei Jahre nach der Etablierung des VDI folgte die Gründung der Vereinigung der Gasfachleute, die 1870 zum „Verein von Gas- und Wasserfachmännern Deutschlands“ erweitert wurde.26 Und so ging man auch in den meisten Städten bis zum Ende des 19. Jahrhundert dazu über, Trinkwasser nicht mehr direkt aus den Flüssen, sondern aus den Grundwasserströmen zu entnehmen. Zu den ersten Städten, die diese Anlagen einrichteten, gehörten Köln (1868), Düsseldorf (1870) und Dresden (1875). Im Rheinland und in Westfalen wurden in den wasserarmen Gebieten zwischen 1889 und 1901 außerdem 14 Talsperren geplant. Gesamtinhalt: 82 Millionen Kubikmeter Trinkwasser. In Konstanz nutzte man ab 1904 das Bodenseewasser, in Wien und München entstanden 1873 bzw. 1886 Quellwasserwerke. Bei diesen Typen war die Wasserqualität so gut, dass lange keine Aufbereitungsanlagen gebraucht wurden.27 Um 1900 verfügten schließlich 52 Prozent der 1640 Städte im Deutschen Reich über Wasserwerke, wobei die 150 größeren Städte komplett an die neuen Versorgungssysteme angebunden waren. Schlechter sah es in den 1490 kleineren Städten des Reichsgebiets aus. Hier lag die Versorgungsquote bei lediglich 42 Prozent.28

 

Es ist unbestritten, dass die immensen Aufbauleistungen einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung der hygienischen Verhältnisse in den Städten beitrugen. Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass damit das Problem der Entsorgung nicht gelöst war. Mit Recht sehen Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher die Entwicklungen der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als Ausgangspunkt der Umweltprobleme der jüngsten Vergangenheit. Der Grund: Vielerorts musste das kostbare Trinkwasser aus immer entlegeneren Gebieten herangeschafft werden. „An die Stelle traditioneller und lokaler Kreisläufe ist ein von Menschen geschaffener Kreislauf getreten, der sich mittlerweile auf fatale Weise geschlossen hat: auch die entfernt gelegenen Gebiete sind von den Folgen der Umweltbelastung betroffen“, so die beiden Autoren.29

 

2. Die Vorgeschichte

 

Die schlechten sanitären Verhältnisse in den Städten sind vor allem im 19. Jahrhundert entstanden, als der über eine lange Zeit entwickelte „Organismus“ dem Bevölkerungswachstum und den neuen wirtschaftlichen Tatsachen nicht mehr gewachsen war. Angesichts dieser Entwicklungen wird deutlich, dass es auch in wirtschaftlich weniger bedeutenden Städten wie Koblenz allmählich eng wurde. Trotz dieser Fakten denkt man immer noch zuerst an mittelalterliche Städte, wenn von verseuchten Brunnen, schmutzigen Straßen und den immer wieder einbrechenden Epidemien die Rede ist. Die Antike ist dagegen mit positiven Vorurteilen belegt.

 

Dass es im alten Rom aber nicht wesentlich günstiger aussah, hat Lewis Mumford in drastischer Weise beschrieben: Die Stadt am Tiber besaß seit dem sechsten Jahrhundert einen gewaltigen Abzugkanal – die „Cloaca Maxima“ – der noch heute in Betrieb ist. Dieser war so groß, dass er selbst bei einer Bevölkerung von einer Million Menschen für die Lösung aller Entsorgungsprobleme ausgereicht hätte. Dennoch wussten die Römer mit diesen eigentlich guten Voraussetzungen wenig anzufangen. Das bereits in der Antike hohe technische Niveau wurde selten in die Praxis umgesetzt. Noch lange deckte die Bevölkerung ihren Trinkwasserbedarf aus simplen Brunnen. Ansätze, das kostbare Nass aus abgelegenen Quellen und Flüssen heranzuführen, erfolgten erst im Jahre 109 nach Christus unter der Herrschaft Trajans. Damals brachte man über ein Aquädukt Trinkwasser in die Stadt.30  Rund 450 Liter Wasser pro Einwohner wurden auf diese Weise täglich in die Stadt transportiert. Davon versickerten 150 Liter. Ein weiterer nicht unwesentlicher Teil floss in künstlichen Rinnen oder natürlichen Betten ab. Das abfließende Wasser wurde zum Abtransport von Unrat aller Art genutzt.31

 

Revidieren sollte man auch die Vorstellungen von „modernen“ gepflegten Straßen. Viele innerstädtische Trassen im alten Rom waren nicht gepflastert. Anders stellten sich die Verhältnisse in den wesentlich jüngeren Provinzstädten dar, die – weil erheblich kleiner – den neuesten technischen Errungenschaften schneller und besser angepasst wurden. Das Beispiel Rom zeigt: Oft waren oberhalb des ersten Stockwerks die Klosetts überhaupt nicht an die Kanalisation angeschlossen, in den Zinshäusern – jenen Vorläufern der späteren Mietshäuser –, in denen ein großer Teil der alles andere als wohlhabenden städtischen Bevölkerung lebte, war das Entsorgungsproblem überhaupt nicht gelöst. Der Alltag sah so aus: Zwar bestand die Möglichkeit, öffentliche Toiletten zu benutzen, doch entsorgten die meisten Menschen ihren in Eimer gefüllten Unrat lieber direkt vor der Haustür. Auch wenn Müllkutscher die Fäkalien in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen fortschafften, bestimmten ekelerregende Gerüche das Klima in Roms Stadtvierteln.

 

Auch mit der hochgelobten Körperhygiene scheint es nicht so weit her gewesen zu sein: Privatbäder in den Häusern bedeuteten einen Luxus für wenige. Dagegen musste in den Mietskasernen das Wasser mit Eimern in die Zimmer getragen werden. Die übliche Praxis war also auch nicht anders als im Mittelalter. Ferner fehlte es in Rom bei der Beseitigung von Unrat an den wichtigsten Vorsichtsmaßnahmen. Mist und Abfälle wurden einfach in Löcher wenig außerhalb der Stadt gekippt. Selbst mehrere Hundert Menschen, die bei den Kämpfen in der Arena ums Leben gekommen waren – hat man in derartige Gruben geworfen. Gleiches galt für Tiere. Es gab Kampftage, an denen bis zu 5000 Exemplare unterschiedlicher Arten abgeschlachtet wurden. Die Folge: Nicht nur wegen der Malaria zählten Rom und die Campagna noch im 19. Jahrhundert zu den ungesündesten Gebieten der Welt.

 

Bei der Besetzung der Regionen nördlich der Alpen setzten die Römer jedoch ihr technisches Wissen in die Praxis um. Sie gründeten Siedlungen, Städte, Militärstützpunkte und landwirtschaftlich genutzte Güter, sie bauten die Verkehrswege aus. Eine wichtige Rolle spielte die Schaffung von Wasserversorgungssystemen, die hohen Qualitätsansprüchen genügen mussten. Aus diesem Grunde wurden auch in den germanischen Provinzen aufwendige und teuere Fernleitungen gebaut, um Quellwasser heranzuführen. Selbst wenn Siedlungen an Flüssen lagen, verzichtete man meist darauf, das Wasser direkt aus diesen Strömen zu entnehmen. Stattdessen wurde das Trinkwasser über Holz- oder Tonrohre, gelegentlich auch über gemauerte Kanäle herangeführt. Beispiel hierfür ist die Bonner Fernwasserleitung, die wahrscheinlich auch noch im Mittelalter genutzt worden ist. Damit das Trinkwasser in die Stadt gelangen konnte, hatten die Römer zusätzlich ein größeres obertägiges Bauwerk errichtet.32

 

Vor allem in Trier musste man nicht nur wegen der Thermenanlagen dem ständig steigenden Wasserverbrauch gerecht werden. Hatten im ersten Jahrhundert noch Brunnen und ein Vorläufer der späteren zentralen Wasserversorgung für die Versorgung ausgereicht, änderte sich das schnell. Spätestens mit dem Bau der Barbarathermen zu Beginn des zweiten Jahrhunderts waren die bestehenden Kapazitäten überlastet. Man begann, aus dem Ruwertal eine Fernwasserleitung in die antike Stadt zu führen.33 Die Technik dieser neuen Anlage war nördlich der Alpen einzigartig. Die Einwohner Triers bezogen ihr Trinkwasser nämlich nicht aus einer Quelle, sondern aus dem Nebenfluss der Mosel, der zu diesem Zweck leicht aufgestaut und in einen Kanal eingeleitet worden war. Für diese Entnahme des Wassers aus dem Fluss musste ein besonderes Bauwerk geschaffen werden.

 

Großen Aufwand betrieben die Römer auch bei der Errichtung der Fernwasserleitung für Köln, deren erste Bauphase noch vor dem Jahr 50 nach Christus begann. Das kostbare Nass wurde aus der Eifel herangeholt, genauer gesagt aus den Quellen und Bächen am Osthang des Vorgebirges. Der Hauptstrang dieser Leitung hatte eine Länge von über 95 Kilometern. Zählt man die Nebenleitungen hinzu, ergibt sich eine Summe von rund 130 Kilometern. Das waren Dimensionen, die nur noch das römische Karthago übertraf. 34

 

Um natürliche Hindernisse zu überwinden, errichteten die Römer auch nördlich der Alpen Tunnel- und Stollenbauten. Vor allem das Neuwieder Becken mit seinen geologischen Besonderheiten bereitete Schwierigkeiten, denn während der großen Vulkanausbrüche im Laacher- See-Gebiet um 9.000 vor Christus waren nicht nur die Landschaft, sondern auch die Quellen mit Bims verschüttet worden. Die Römer mussten durch diese meterhohen Schichten begehbare Stollen mit wasserführenden steinernen Rinnen vorantreiben, wenn sie hochwertiges Trinkwasser gewinnen wollten. Derartige Konstruktionen kamen aber auch außerhalb des eigentlichen Vulkangebietes zur Anwendung, so im Falle der römischen Stollenwasserleitung von Brey.35 Die Bergdurchtunnelung war der mittlere Abschnitt einer Wasserleitung, deren Ursprung heute nicht mehr bekannt ist. Ein Teil dieser Anlage wurde 1954 entdeckt und sechs Jahre später von Archäologen untersucht. Damals legte man rund 25 Meter der bis zwischen 1,70 und 2,20 Meter hohen Konstruktion frei.36

 

Aber auch an anderen Orten in der heutigen Region Mittelrhein entdeckten die Forscher Reste von römischen Wasserleitungen, so zum Beispiel am Kärlicher Berg (Mülheim-Kärlich), in Remagen, in Thür (römische Villa), in Andernach („Im Entenacker“) und in Miesenheim („Ober der Hoost“). Wie die Wasserversorgung im Koblenz des Altertums ausgesehen hat, ist allerdings unbekannt, obwohl die Forscher bei Notgrabungen Anfang der 1980er-Jahre in der Kornpfortstraße Reste einer Wasserleitung fanden, die wahrscheinlich einen Gutshof versorgt hatte. Woher sie gespeist wurde, ist heute nicht mehr bekannt.37

 

Aus Kosten- und Transportgründen nutzten die Römer nach Möglichkeit die in den einzelnen Regionen typischen Baustoffe. Vielerorts setzte sich eine Kombination von Stein, Mörtel und Lehm durch. Bei der Herstellung von Rohren kam darüber hinaus Ton zur Anwendung. Zur Herstellung von Wasserrohren und -behältern wurde Blei verwendet. Bei der Produktion von Bleirohren nahmen die Römer schnell vom herkömmlichen Gussverfahren Abstand. Stattdessen bogen sie längere Bleiplatten in die gewünschte Form und verlöteten die Naht. Seit der Kaiserzeit waren die Wasserleitungen nach Durchmessern genormt. Eine für die Römer typische Errungenschaft im Bauwesen stellte die Produktion von betonähnlichen Teilen („opus caementarium“) dar. Bei der Herstellung dieses Baustoffes vermengte man Stein und Mörtel.

 

Die Mischung hatte nach dem Erhärten dieselben Eigenschaften wie der heutige Beton. Schalen verliehen den einzelnen Bauteilen die gewünschte Form. Diese Schalungen bestanden entweder aus Brettern und Balken oder aus vorher aufgemauerten Steinen. Auch die Erfindung des antiken Betons geht nicht auf römische Ursprünge zurück: Schon die Griechen konnten Mauern aus einer äußeren und inneren Schale aus mörtellos an- und übereinander gefügten, genau bearbeiteten Steinblöcken herstellen. In den zwischen beiden Schalen gelegenen Mauerkern füllten sie unbearbeitete Steine und Mörtel. Die Römer entwickelten lediglich diese Technik weiter, indem sie die Schalen dünner und den Mauerkern, auf dem die Hauptlast ihrer Konstruktionen ruhte, stabiler ausführten. Alle der Wasserversorgung dienenden Bauwerke wurden darüber hinaus besonders sorgfältig verputzt. Mehrere feine Putzschichten sollten die Bildung von Rissen verhindern. Aber auch Marmor- und Steinplatten, deren Fugen man mit frostsicherem Mörtel abdeckte, kamen zur Anwendung.38

 

Nach dem Ende des weströmischen Reiches deckten Oberflächengewässer, Regenwasserreservoire und Brunnen den täglichen Trink- und Brauchwasserbedarf.39 Waren die Folgen dieser Verschlechterung zunächst wenig fatal, änderte sich das im Verlauf des Mittelalters. Das Aufblühen des Städtewesens brachte nicht nur eine Konzentration der Bevölkerung in den mehr oder weniger bedeutenden Zentren, sondern auch eine katastrophale Verschlechterung der hygienischen Verhältnisse. Eberhard Isenmann beschreibt die Lebensbedingungen so: „Von Ausnahmen abgesehen waren die Straßen und Gassen schmal und von vorragenden Geschossen teilweise überbaut. Die unverglasten Fenster waren sehr klein und blieben, des Gestanks wegen, der auf den Gassen herrschte, und aus Furcht vor Miasmen40 weitgehend verschlossen [...] Das Zusammenleben spielte sich auf engem Raum in Einraumgeschossen oder Wohnungen mit nur wenigen Räumen ab, so dass Kranke kaum isoliert werden konnten. Ungeziefer fand in den Räumen leicht Unterschlupf und war nur schwer wieder zu entfernen. Betten wurden oft von mehreren Personen zugleich oder nacheinander geteilt. Bettwäsche und Leibwäsche waren [...] nur wenig vorhanden. Die sanitären Anlagen waren, sofern es überhaupt welche gab, sehr primitiv. Günstiger waren freilich die Wohn- und Lebensverhältnisse der Oberschicht. Den Epidemien fielen vor allem Handwerker und Tagelöhner in den ärmeren Vierteln zum Opfer. In schlecht durchlüfteten Gassen verbreiteten Schweinekoben41 vor den Häusern, dort gelagerter Mist, Trester,42 Bauschutt und Hausmüll einen entsetzlichen Gestank, behinderten den Verkehr und machten bei Regenfällen aus öffentlichen Verkehrswegen übel riechende Kloaken.“43

 

Obwohl die Zusammenhänge zwischen Schmutz und Krankheiten schon seit der Antike bekannt waren,44 wurde der Kampf gegen die fatalen Folgen von verunreinigtem Grundwasser für die Gesundheit im Laufe der Jahrhunderte nur halbherzig geführt, war es doch vielerorts üblich, Brunnen direkt neben Latrinen und Abfallgruben anzulegen.45 Besonders gefährlich konnte es werden, wenn die Verwesungsstoffe von Leichen in das Grundwasser einsickerten. Je mehr die Bevölkerung innerhalb der Stadtmauern zunahm, umso stärker vergrößerte die Anhäufung von Toten das Risiko. Trotz dieser rapiden Verschlechterungen ist es wenig sinnvoll, das Mittelalter aus hygienegeschichtlicher Sicht als besonders dunkle Epoche zu bewerten. Lewis Mumford vertritt sogar die Auffassung, dass die Todesfälle in der großen Grippeepidemie von 1918 Ausmaße erreichten, die an die verheerenden Folgen der Pest heranreichten.46

 

In der Tat scheint in kleineren Städten wie Koblenz die Lage im Mittelalter gar nicht so schlimm gewesen zu sein. Verheerende Folgen zeitigten hier erst die Seuchen des 16. und 17. Jahrhunderts.47 Zudem drängte die Obrigkeit seit dem Spätmittelalter – nicht zuletzt unter dem Eindruck der großen Pestepidemie von 1348 – darauf, Städte und Gewässer sauber zu halten. 1388 wurde in England das erste Gesetz erlassen, das verbot, Schmutz und Abfälle in Gräben und Flüsse zu werfen. 1404 unternahm der französische König Karl Vl. erste Schritte, um die Verschmutzung der Seine zu verhindern. Allerdings hatte man in Paris schon vorher versucht, die hygienischen Verhältnisse in den Griff zu bekommen. So begann in der Stadt die Pflasterung der Straßen, nachdem König Philipp lI. August angeblich wegen des Gestanks fast in Ohnmacht gefallen war. Im 14. Jahrhundert folgten Reinigungsvorschriften, 1538 verbot Franz I. jegliche Tierhaltung innerhalb der Mauern und zwang seine Untertanen dazu, Sickergruben anzulegen und die flüssigen Abfälle nur in die Rinnsteine zu entleeren.48

 

Das System römischer Wasserbauten blieb nur in Spanien intakt. Unter arabischer Herrschaft wurde das Netz sogar erweitert. Anders sah es in Mitteleuropa aus. Hier deckten Brunnen weitestgehend den Bedarf, bei deren Anlage man verschiedene Verfahren anwandte.49 Im Zuge der archäologischen Untersuchungen in der Altstadt von Hannover bestand Gelegenheit, die Technik des Brunnenbaus zu erforschen.50 Eine außergewöhnliche Stellung außerhalb dieser allgemeinen Entwicklung nahm Goslar ein. Hier wurde wahrscheinlich schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts ein Rohrsystem zur Heranführung von Trinkwasser angelegt. Die wichtige Funktion der Stadt als Aufenthaltsort des Kaisers und ihr auf die nahe gelegenen Erzvorkommen zurückzuführender Reichtum legen diese Frühdatierung nahe. Zudem verschmutzte der Bergbau schon früh das aus mehreren Armen der Gose entnommene Trinkwasser, was eine Neuorientierung erforderte. Man führte deshalb das Wasser über Leitungen aus den nicht oder wenig verschmutzten Abschnitten der Gose heran.51

 

In einigen Städten machte die Wasserversorgungstechnik im ausgehenden Mittelalter erhebliche Fortschritte. Hier wurden durch die Energie des fließenden Wassers große Räder angetrieben. Die Drehbewegung dieser Räder wirkte wiederum auf Druckpumpen, die das Wasser in die gewünschte Höhe hoben. Dieses System bestand üblicherweise aus Wasserrad, Druckpumpe, Druckleitung, dem oft in einem turmartigen Bauwerk aufgestellten Behälter und der Entnahmeleitung. Die Leitungen im Verteilungsnetz bestanden im Normalfall aus Holz, gelegentlich aus Ton und nur selten aus Blei oder Stein. Diese Rohre führten zu Brunnen, aus denen die Bevölkerung das Wasser schöpfte. Im Lübeck des 16. Jahrhunderts befanden sich sogar Tanks in den Kellern der Häuser.52 Später ging man noch einen Schritt weiter und platzierte diese Behälter in den Dachbereichen. Von dort konnte das Wasser in die verschiedenen Etagen von Gebäuden gelangen. Für die Wasserbevorratung hatten die Ingenieure des Mittelalters nur wenig getan: Die Leitungen wurden fast immer auf Durchfluss ausgelegt, sie waren von den jahreszeitlich bedingten Schwankungen der Wasserergiebigkeit abhängig.53

 

Da die hölzernen Wasserleitungen recht undicht und darüber hinaus nur wenig haltbar waren, brachte die Erfindung der gusseisernen Röhren Anfang des 15. Jahrhunderts entscheidende Verbesserungen. Bereits 1412 werden derartige neue Leitungen in Augsburg, 1455 für Schloss Dillenburg erstmals urkundlich erwähnt. 1522 ließ Kaiser Ferdinand II. in Wien die Siebenbrunner Wasserleitung aus gusseisernen Rohren herstellen. Sie versorgte die Hofburg, Klöster und andere Gebäude sowie den öffentlichen Brunnen auf dem Margarethenplatz. Der endgültige Durchbruch des neuen Systems gelang im 17. und 18. Jahrhundert, so zum Beispiel 1668 beim Bau der Wasserleitung für Versailles.54

 

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren die meisten Wasserleitungen Systeme, die sich an der Neigung des Geländes orientierten. Auf Wasserhebewerke wurde normalerweise verzichtet. So auch in Lübeck, als man bereits im 13. Jahrhundert das aufgestaute Wasser aus der Wakenitz entnahm und mit hölzernen Röhren in rund 200 Häuser verteilte. Erst 1533 entstand eine so genannte „Wasserkunst“, wie sie in Augsburg (ab 1460) und Bremen (ab 1394) längst in Betrieb war.55 Dennoch blieben Wasserhochbehälter im heutigen Sinne, die zur Speicherung dienen, bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts unbekannt.56

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