Vom Hospital zur städtischen Krankenanstalt
1. Alternativen zur „Verwahranstalt“
Im Zeitalter der Aufklärung veränderte sich auch die medizinische Versorgung. Ende des 18. Jahrhunderts setzten sich die bürgerlichen Ärzte mit akademischer Ausbildung durch. Diese neue Generation von Medizinern wollte die Bevölkerung in einem bis dahin noch nicht da gewesenen Umfang unterstützen und in die Lage versetzen, ihre Gesundheit zu schützen. Das traditionelle, auf mildtätige Stiftungen begründete Hospital wurde als ungesunde Verwahranstalt für Alte1 und unterprivilegierte Schichten kritisiert.2 Die Einrichtungen wurden schließlich aus ihrer ursprünglichen Funktion als reine Einrichtungen für Hilflose und Bedürftige herausgelöst und als „Optimalmilieu ärztlicher Intervention und medizinischen Wissens“ entdeckt. Dort eröffnete sich, so Christian Barthel, für Ärzte die Chance, „die medikalisierungsresistenten Unterschichten einer systematischen Sozialisierung/Zivilisierung nach gesundheitspolitisch-hygienischen Standards zu unterwerfen, mithin jenes professionspolitische Wunschziel, die Institutionalisierung der ,despotischen‘ Dominanz des Arztes über die zugleich vertraute Ohnmacht des Kranken zu realisieren.“3
Die „Neuentdeckung“ des Hospitals steht im Kontext von politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Veränderungen im Zuge des Reformabsolutismus, wobei bereits im 17. Jahrhundert entscheidende Impulse von England ausgingen.4 In diesem Zusammenhang sei an Francis Bacon (1561–1626) erinnert, der sich als Lord-Kanzler von König James I. (1603–1625) aus dem Staatsdienst zurückzog, um die Wissenschaft von Aberglauben, Vorurteilen und Dogmatismus zu reinigen.5 Nicht nur in den Bereichen Architektur und Städtebau, sondern vor allem auch in der Medizin begann nun eine Zeit der Utopien. Man träumte von einer Ära, in der gesunde Lebensführung und andere Präventionsmaßnahmen die Ärzte überflüssig machten, weil es dann keine Kranken mehr geben würde. Als Ursache für die aktuelle gesundheitliche Misere in der Bevölkerung hatte man nicht mehr ausschließlich Übermaß und Faulheit ausgemacht. Mediziner erkannten zunehmend, dass Armut und vor allem die katastrophalen Lebensbedingungen in weiten Kreisen der Bevölkerung die Haupthemmnisse für eine Verwirklichung ihrer Idealvorstellungen waren.6
Ob die neuen Ideale bei Napoleon Bonaparte ankamen, darf bezweifelt werden. Er hatte ganz andere Motive, sich persönlich darum zu kümmern, dass in den linksrheinischen Gebieten (die auf Grundlage des Friedens von Lunéville seit dem 23. September 1802 auch formell zum französischen Staat gehörten) die Einrichtung von Hospitälern forciert wurde. Die Beweggründe des Korsen, der am 27. Mai 1804 zum Kaiser der Franzosen proklamiert wurde, waren dabei alles andere als edel. Napoleon ging es in erster Linie um ein gut organisiertes Netz zur medizinischen Versorgung verwundeter Soldaten.
Dieses Netz sollte vor allem auch mit Gebäuden und Vermögen der geistliche Korporationen und Stiftungen im Rheinland geknüpft werden. Diese waren mit dem am 2. Juli 1802 publizierten Übergangsgesetz aufgehoben worden. Der nächste Schritt folgte schnell: Napoleon, der bereits im November 1799 per Staatsstreich die alleinige Macht in Frankreich an sich gerissen hatte, forderte 1803 eine Vermögensveranschlagung der wohltätigen Einrichtungen. François Louis René Mouchard de Chaban, der als Präfekt von 1803 bis 1805 an der Spitze des Rhein-Mosel-Departements stand, erhielt die entsprechenden Anweisungen am 18. Juli 1803.7 Das war übrigens nicht das erste Mal, dass eine solche Anordnung erfolgte. Die französische Militärbehörde in Aachen, der von 1794 bis 1797 die Gebiete westlich des Rheins unterstanden, hatte bereits 1795 Berichte über das Stiftungsvermögen von Hospitälern und Armenverwaltungen angefordert.8
Napoleon nutzte die Zeit zwischen der Proklamation und seiner Krönung am 4. Dezember 1804 dazu, eine längere Reise durch die neuen französischen Gebiete zu unternehmen. Am 17. September 1804 traf er in Koblenz ein, wo er drei Tage Station machte. Die Stadt interessierte ihn wegen ihrer wichtigen Lage besonders. Natürlich bemerkte er schnell, dass die Versorgung potenzieller Verwundeter in der alten Hauptstadt des Niedererzstiftes Trier zu wünschen übrig ließ. Freilich war sich auch die Verwaltung im Departement der unbefriedigenden Situation bewusst.
Schon aus dem Spätjahr 1794 ist eine städtische Hospitalkommission überliefert, die die französischen Militärlazarette beaufsichtigen sollte. Vier Jahre später entschied sich die Munizipalverwaltung dazu, eine Bürgerhospitalkommission zu berufen. Diesem Gremium gehörten fünf Mitglieder an. Sie sollten die Einrichtungen für Arme, Kranke, Waisen und Witwen in der Stadt beaufsichtigen.9 Grundlage hierfür war das neue Gesetz vom 7. Oktober 1796 für das französische Kernland, das alle „Civil Hospizien“ in jeder Stadt einer neu zu schaffenden Hospizienkommission unterstellte. Diesen Kommissionen sollten jeweils fünf Bürger angehören. Im Juli 1798 wurde dieses Gesetz auf die gesamte Rheinprovinz ausgedehnt.10
Dass das Hospital im alten Franziskanerkloster im Bereich der Kastorgasse gegründet wurde, stand ziemlich schnell fest. Dabei brachte die vom Präfekten Chaban weitergegebene Anweisung zur Vermögensveranschlagung zunächst keine zufriedenstellenden Ergebnisse. Am Ende kam dann doch eine Liste von mildtätigen Stiftungen zusammen, mit der die Erstdotation eines Koblenzer Bürgerhospitals vorgenommen werden konnte. Auf jeden Fall war der Kaiser wieder sehr schnell. Knapp zwei Wochen nach seinem Koblenz-Besuch erließ er am 1. Oktober 1804 in Mainz ein Dekret, dass grundsätzlich die Einrichtung des Hospitals im Franziskanerkloster ermöglichte. Am 13. November 1805 legte ein weiteres kaiserliches Dekret die Details für das neue Koblenzer Hospital fest, das ein Stiftungsvermögen von 87.652 Francs hatte. Dieses Vermögen sollte Jahreseinkünfte in Höhe von 8590,70 Francs abwerfen.11
Die Größe des Hospitals war zunächst mit 40 Betten angesetzt, aber nur die Hälfte konnte auch wirklich schnell belegt werden. Die restlichen Betten wollte man nach dem Wachstum der Einnahmen und Bedürfnisse beschaffen. Dabei ging es zunächst nicht zwangsläufig um die Aufstockung der Bettenzahl. Das Koblenzer Hospital sollte – modern ausgedrückt – vor allem eine Anstalt der ambulanten Schwerpunktversorgung sein. Der stationäre Aufenthalt war nach Möglichkeit zu vermeiden. Wie Michel Foucault betont, wurde damals der natürliche Ort der Krankheit als natürlicher Ort des Lebens gesehen. Das heißt: Der beste Platz für Pflege und Genesung eines Kranken war die Familie.12
Trotz der zunehmenden Medizinalisierung von Staat und Gesellschaft und trotz aller Reformbestrebungen seit dem 18. Jahrhundert wurden Hospitäler weiterhin als notwendiges Übel betrachtet. Wer Spitäler und andere mildtätige Stiftungen als Werk der Eitelkeit abtat, war nicht alleine. So ist die „Philosophie im Boudoir“ des radikal revolutionär eingestellten Marquis de Sade (1740–1814) ein Spiegel des Zeitgeistes. In den Dialogen bringt die Hauptfigur Dolmancé die 15-jährige Eugénie wie folgt auf Abwege: „Mildtätigkeit ist eher ein Laster des Stolzes als eine echte Seelentugend; man hilft seinem Nächsten aus Prahlerei, niemals in der alleinigen Absicht, eine gute Tat zu vollbringen; man wäre sehr verärgert, wenn nicht allgemein bekannt würde, welche Almosen man gegeben hat. Und bilde dir nicht ein […] diese Tat hätte so gute Wirkungen, wie man sich vorstellt; ich jedenfalls betrachte es als den allergrößten Schwindel. Man gewöhnt den Armen an fremde Hilfe, die seine eigene Kraft zugrunde richtet. Er arbeitet nicht mehr, wenn er auf Ihre Nächstenliebe rechnet, und wird, sobald sie ihm fehlt, zum Dieb oder Mörder. […] Sie wollen keine Armen in Frankreich haben? Dann verteilen Sie keine Almosen, und schaffen Sie vor allem die Armenhäuser ab.“13
Zwar wurde Marquis de Sade viel mehr durch seine pornografisch-literarischen Exzesse als durch seine radikale Naturphilosophie bekannt, doch waren seine Ansichten zur damaligen Zeit durchaus salonfähig. So sah der Engländer Thomas Robert Malthus (1766–1834), der jüngst vom Journalisten Christian Rickens als Urvater aller demografischen Irrtümer angeprangert wurde, wenig Sinn darin, die Lage der Unterschichten durch Armenfürsorge zu verbessern. Malthus behauptete in seinem Buch „An Essay on the Principle of Population“ von 1798, dass ein Sozialsystem perspektivisch die Geburtenrate derart in die Höhe treibt, dass die Nahrungsmittel auf Dauer nicht mehr ausreichen würden.14
Diesen Gedanken lag die Auffassung zugrunde, dass jeder durch harte Arbeit seine Probleme selbst lösen konnte. Dadurch erhielt die in Antike und Mittelalter als notwendiges Übel oder gar Strafe angesehene Arbeit auch eine neue philosophische Qualität. Dies spiegelt sich ganz besonders in der protestantischen Arbeitsethik wider, wie sie der Züricher Geistliche Johann Caspar Lavatter (1741–1801) in seinem vierbändigen Werk „Aussichten in die Ewigkeit“ von 1773 formulierte und die die Arbeit zum gottgewollten Lebenszweck erhob. Natürlich stand Lavatter mit dieser Auffassung nicht allein. Bereits Max Weber hatte in seinem Werk „Die Protestantische Ethik und der ,Geist‘ des Kapitalismus“ (1904/1905) auf die Ursprünge der neuen Arbeitsethik im 16. Jahrhundert hingewiesen.15
Den neuen Theorien, die im krassen Gegensatz zur caritas des Mittelalters standen, steht allerdings die Tatsache gegenüber, dass der Staat sich schon seit dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts verstärkt in die Sozialfürsorge für die weniger wohlhabenden Schichten einsetzte. Eine Vorreiterstellung übernahm dabei Preußen. Bereits 1727 wurde die berühmte Charité als „Heil- und Lehranstalt“ gegründet. In der neuen Einrichtung sollten zunächst die kranken Armen der Stadt Berlin gepflegt werden. Finanziert wurde das Ganze über ein jährliches Fixum aus der Staatskasse. Dazu kamen Holzdeputate und Zustiftungen.16
as Beispiel der Charité steht auch für den Beginn des modernen Krankenhauswesens in Deutschland. Und nicht nur in Berlin hatte man erkannt, dass das auf Wohltätigkeit von Bürgern und geistlichen Korporationen gegründete mittelalterlich-frühneuzeitliche Hospital die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht hatte. Das galt vor allem für Koblenz und die anderen Städte in den Rheinlanden. Mit dem Siegeszug französischer Revolutionstruppen und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust für geistliche Korporationen fielen die traditionellen Formen der Fürsorge einfach weg. Schon aus ideologischen Gründen stellten die Franzosen alle überkommenen medizinischen Strukturen infrage.17
Im Zuge der Eingliederung der Rheinlande in den französischen Staat musste es zwangsläufig auch um die straffe Neuorganisation des Medizinalwesens und damit auch um die Hospitäler gehen. Trotz dieser klaren Linie in der Politik waren es nicht die französischen Hospitäler, die Vorbildfunktion für die Einrichtung von Krankenhäusern in den deutschen Staaten hatten. Kein Wunder: Die gewaltigen politischen Umwälzungen in Frankreich hatten vorübergehend sogar zu einem Stillstand in der Reform des Hospitalwesens geführt. Anders sah es in Preußen aus – nicht nur wegen der Charité. So stellte das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 alle öffentlichen Armenanstalten unter den besonderen Schutz des Staates.18
Einen noch weit größeren Einfluss auf die Entwicklung des Krankenhauswesens in den deutschen Staaten hatten die Entwicklungen in Österreich. Vorbild wurde das Allgemeine Krankenhaus in Wien, das zunächst durch den Umbau des Großen Armenhauses in der Regierungszeit Kaiser Josephs II. eingerichtet wurde. Während rein äußerlich vieles beim Alten blieb, wurden die Innenräume völlig neu geordnet und mit sogenannten „Luftbrunnen“ zur Verbesserung der Frischluftzufuhr versehen. Die Kapazität des Krankenhauses lag bei rund 2000 (!) Patienten. Und: Es gab mehrere Abteilungen mit einer klaren Personalstruktur, die auch aus heutiger Sicht vertraut wirkt: Ärzte, Hilfsärzte, Studenten, Pfleger und Schwestern versahen dort ihren Dienst.19
Die Spezialisierung in den Krankenhäusern und schließlich auch die Herausbildung neuer Hospitaltypen war ein Resultat der Verbesserung der Ausbildung von Medizinern. Um 1800 hatte sich an den Fakultäten eine Zweiteilung durchgesetzt. Auf der einen Seite standen Lehrstühle für Innere Medizin, Pathologie und Therapie, auf der anderen Seite Professuren für Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe. In der Folge entstanden an den Hospitälern verschiedene Abteilungen, zum Beispiel für Innere Medizin und Chirurgie. Letztere gliederte sich weiter auf, nachdem die Einführung der Narkose 1847 ein schmerzloses, vor allem aber sauberes Operieren ermöglichte. Darüber hinaus entwickelten sich die Augenheilkunde und die Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde zu eigenständigen Disziplinen, die wiederum eigene Abteilungen, oft sogar ganze Kliniken für sich beanspruchten.20 Ein weiteres Beispiel sind die Augenheilanstalten.21
Ein hohes Maß an Spezialisierung war natürlich in den ersten Jahrzehnten des Koblenzer Bürgerhospitals nicht möglich. Dessen Dimensionen waren nicht mit denen in den großen europäischen Städten vergleichbar. Immerhin gab es die bereits in französischer Zeit deutlich formulierte klare Aufteilung zwischen Verwaltung und medizinischer Betreuung. Direktion und Aufsicht der neuen Einrichtung übernahm der Präfekt persönlich. Die Verwaltung sollte dagegen durch eine Kommission von fünf Mitgliedern übernommen werden, die allerdings kein Entgelt erhielten. Vorsitzender des Gremiums war der Maire. Für die medizinische Betreuung waren ein Arzt und ein Chirurg vorgesehen. Die Seelsorge übernahm ein Geistlicher. Für den inneren Dienst sollte auf acht Kranke ein Betreuer kommen. Schon damals wurde festgelegt, dass man diese Aufgabe am besten den Barmherzigen Schwestern (Borromäerinnen) übertragen sollte.22
Die im Gründungsdekret aufgeführten traditionellen Koblenzer Stiftungen waren einem Wohltätigkeitsbüro unterstellt. Nach dem Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 und der direkt folgenden Säkularisation geistlichen Vermögens (die auch Stiftungen betraf) stand den Hospitalgründern Geld zur Verfügung, um Wohnungsbeihilfen zu gewähren oder um Findel- und Waisenkinder zu versorgen. Die Größe des neuen Bürgerhospitals war allerdings bescheiden. In der Anfangsphase wurden nur 20 Betten für Zivilisten bereitgestellt. Immerhin gab es mit Christian Kühn und Dr. Nikolaus Settegast zwei Ärzte. Dennoch war das Koblenzer Hospital wie in anderen vergleichbaren Städten auch kein Krankenhaus im heutigen Sinn.23
Im Grunde genommen war das Hospital auch in der Ära Napoleons immer noch ein Instrument der Armenfürsorge. Wer es sich leisten konnte, ließ sich im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung behandeln. Dazu kam, dass die Franzosen die Zahl der armen Kranken, Alten und Schwachen in Koblenz anfangs unterschätzten. Die Administration ging zunächst von 40 Betroffenen aus. Doch schon Alexandre Lameth, der in den Jahren 1805 und 1806 als Präfekt an der Spitze des Rhein-Mosel-Departements stand, machte sich keine Illusionen. Präfekt Lameth berechnete, dass die Quote der Bedürftigen in der damals rund 9000 Einwohner zählenden Stadt bei etwa zehn Prozent lag. Die Zahl der hilfsbedürftigen Kranken wurde auf 450 geschätzt. Spätestens als diese Zahlen vorlagen, wurde den Franzosen klar, dass die Kapazitäten des Hospitals bei Weitem nicht ausreichten. Präfekt Lameth regte deshalb an, die für Koblenzer Bürger zur Verfügung stehenden Betten auf 40 zu verdoppeln. Darüber hinaus forderte er Räumlichkeiten für Findelkinder, Witwen, Alte und unheilbare Kranke. Finanziert werden sollte dies durch den Verkauf genau der an die Kommune gefallenen Häuser, die der Armenfürsorge gestiftet worden waren. Auch andere Stiftungen wie der Siechhausfonds sollten herangezogen werden. Die Maßnahmen der Franzosen hatten Erfolg.
Bis 1816 war der Wert des Hospitalvermögens von 87.652 Francs auf 130.926 Francs gestiegen. Dazu kam ein nicht unerheblicher Grundbesitz. In den folgenden Jahren sollte sich die Ausstattung des Bürgerhospitals durch Schenkungen weiter verbessern. So spendete der Provinziallandtagsabgeordnete, Stadtrat und Industrielle Hermann Joseph Dietz der Einrichtung 500 Taler. Der Stifter war Mitinhaber der Blechwarenfabrik Schafhausen & Dietz in der Alten Burg und ein Freund von Clemens Brentano. Der Romantiker lebte von 1824 bis 1829 im Hause der Familie Dietz und engagierte sich ehrenamtlich im Bürgerhospital.24
Trotz deutlicher Fortschritte sollte man sich keine Illusionen über die Zustände in der neuen Einrichtung machen, die nicht besser gewesen sein dürften als in anderen Städten. Christian Barthel bringt es auf den Punkt: „Aber die Realität in den Hospitälern entspricht in keiner Weise dem polizeylich-disziplinarischen Traum einer transparenten Ordnung des Elends wie dessen nachhaltiger Besserung. Statt der programmatischen Strenge herrscht hier in Wirklichkeit das Chaos akkumulierter ,Unmenschlichkeit‘. In den Sälen der Hospitäler lagern Kranke, Sterbende, Alte, Irre, Frauen wie Männer in wilder Unordnung. Inmitten dieses Tumults wird operiert, amputiert – begleiten die Schreie der Malträtierten die Agonie der gleicherorts Sterbenden und Ängste derer, die sich ähnlicher Prozeduren unterziehen mußten. Für die philanthropisch gestimmten Gemüter, die Ordnung und Sauberkeit liebenden Aufklärer und Gesundheitspolitiker eröffnete sich hier statt eines strengen Disziplinarparcours die schrecken- und ekelerregende Fauna des gesellschaftlichen Abschaums.“25
Der Aufenthalt in einem Hospital verbesserte die Chancen nicht, einen schwereren Eingriff zu überleben. Anästhesie und Asepsis – die erste aseptische Klinik der Welt wurde erst 1875 nach Vorstellungen Gustav Adolf Neubers (1850–1932) in Kiel eröffnet – waren in dieser Zeit noch unbekannt. Da man noch nichts über Keime wusste, war es zu Beginn des 19. Jahrhunderts unüblich, Operationsgeräte zu desinfizieren. Dazu kam, dass es für die Kranken nicht genug saubere Wäsche gab. Auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln reichte nicht aus. Die Bedürftigen waren auf Strohsäcken voller Ungeziefer gebettet, die viel zu selten gewechselt wurden. Besonders schlimm muss es im Winter gewesen sein: Die Raumtemperaturen erreichten kaum die Marke von 10 Grad Celsius, die Beleuchtung war völlig unzureichend.26 Dass Franzisca Loetz mit dieser Einschätzung durchaus richtig liegt, zeigen auch die zeitgenössischen Quellen.27
So führte der Münchner Franz Xaver Häberl 1794 die Ursache der „pestilenzialischen Luft“ in den Krankensälen auf die „vielen Leibstühle [zurück], welche neben den Betten der Kranken stehen und zum Ausleeren, welches ohne Rütteln nicht geschehen kann, durch das Zimmer getragen werden müssen.“28 Häberl spricht ganz offen davon, dass die Krankenhäuser zu Mördergruben werden, wenn 40 Kranke den Tag hindurch „faulichte und gallichte Ausleerungen verrichten“.29 Sechs Jahre zuvor hatte Max Stoll geklagt, dass die Wäsche der Patienten meist zerrissen und voller Ungeziefer war. Die Konzentration der Körper, des Drecks und der Krankheit führten zum tödlichen Hospital- und Faulfieber, sodass in einem größeren Hospital auf fünf Kranke stets eine Leiche kam.30
Angesichts der geschilderten Zustände verwundert es nicht, dass sich das „neue Bürgertum“ in den Hospitälern engagierte – vielleicht auch, um das soziale Gewissen zu beruhigen. Zu tun gab es ohnehin genug, vor allem dann, als sich die französische Herrschaft am Rhein ihrem Ende näherte. Die Annahme, dass sich in Krisenzeiten bis zu drei Patienten ein Hospitalbett teilten31, dürfte auch im Falle von Koblenz nicht allzu abwegig klingen. Fest steht, dass im Kurfürstlichen Schloss in der Neustadt zusätzliche Kapazitäten für verwundete Soldaten geschaffen wurden. Als sich die Franzosen in der Silvesternacht 1813/14 zurückziehen mussten, überließen sie die Verwundeten einfach ihrem Schicksal. Die verletzten Soldaten wurden wohl von den nachrückenden russischen Soldaten getötet – man wollte keine weiteren Kostgänger und hatte Angst vor ansteckenden Krankheiten.32
Auch die erhebliche Erweiterung des Hospitals 1825 dürfte die individuelle Situation der Kranken nicht wesentlich verbessert haben. Erst mit dem Auftreten der ersten großen Choleraepidemie sollte sich die Denkweise grundsätzlich ändern. So erließ die Königliche Regierung in Koblenz bereits 1831 eine „Anweisung zur Krankenwartung“. Demnach musste ein gutes Krankenzimmer geräumig, hoch, trocken und hell, womöglich sogar „[…] gegen Mittag oder Morgen gelegen sein und eine gehörige Lufterneuerung, Erwärmung, Erleuchtung und Reinigung gestatten“. Die Räume sollten nichts Überflüssiges enthalten, „sondern nur diejenigen Geräthschaften, welche die Wartung und Pflege des Kranken erfordert, ein Bette, einen oder zwei Tische, worunter ein Nachttisch, ein Kanapee oder einen Lehnstuhl und einige gewöhnliche Stühle“.
Weiterhin heißt es: „Die Bettstelle sei frei von Ungeziefer, fest an ihrem Boden nicht mit Brettern, sondern mit Gurten versehen, damit auch von unten die Luft die Kissen berühre. Gardinenbetten taugen insofern nicht, als sie den Zutritt der Luft verhindern. Das Bette stehe im Zimmer so frei, dass der Wärter und der Arzt an jeder Seite an dasselbe gelangen können. Besonders hüte man sich, es gegen feuchte Wände oder zu nahe an den Ofen, an das Fenster und die Thür zu stellen, damit der Kranke vor Zugwind gesichert wird. Auch darf das Licht dem Kranken nicht grade in die Augen fallen. Matrazen verdienen den Vorzug vor den Federbetten, ebenso sind diesen die Strohkissen vorzuziehen. Als Kopfkissen würde ein mit Rosshaar gefülltes zu empfehlen sein. Zum Zudecken dient am besten eine in ein Leintuch geschlagene Steppdecke oder eine einfache wollene Decke. […]“33
Die Vorschriften zeugen vom Wunsch, die Zustände in den Krankenhäusern erheblich zu verbessern – auch wenn die Patienten in der Regel nach wie vor aus den ärmeren Schichten kamen. Und auch der Zeitpunkt kam nicht von ungefähr. Fiel er doch genau in eine Phase, in der man begann, den Wert von öffentlichen Krankenhäusern als wissenschaftliche Bildungsanstalt für den medizinischen Nachwuchs zu erkennen. Karl Wilhelm Stark zum Beispiel (1787–1845) legte 1839 einen „Plan zur inneren Einrichtung und Verwaltung einer öffentlichen Krankenanstalt, vom ärztlichen Standpuncte aus entworfen“ vor. Der Jenaer Professor gilt als Hauptvertreter der sogenannten Naturhistorischen Schule, die in den 1830er- und 1840er-Jahren ihren größten Einfluss entfaltete.34
Die neue Denkweise überwand Romantik und Naturphilosophie und ebnete in Verbindung mit einer zunehmenden Professionalisierung in Medizin und Pflege dem naturwissenschaftlichen Positivismus den Weg. Und Karl Wilhelm Stark hatte ganz klare Visionen, die nichts mehr mit der Armenanstalt der Frühen Neuzeit zu tun hatten. Der Mediziner betonte: „Ein öffentliches Krankenhaus ist eine Staatsanstalt. Als solche muss es den Zwecken des Staates dienen. Förderung des geistigen und körperlichen Wohls seiner Bürger ist aber Endzweck des Staates. Ein öffentliches Krankenhaus muß daher gleichfalls diese doppelte Aufgabe des Staates zu realisieren suchen. Ist es eine Anstalt, in welcher die Glieder des Staates, denen es an allen Mitteln fehlt, ihre verlorene Gesundheit wieder herzustellen, diese auf die kürzeste und sicherste Weise wieder erhalten können, so erfüllt es dadurch die eine Seite jener Aufgabe: Fürsorge für das physische Wohl der Bürger. Der andern Seite derselben: Förderung der geistigen Veredlung derselben kann es unstreitig auf eine seines Hauptzwecks angemessene Weise nur dadurch genügen, dass es zur geistigen Entwicklung und Ausbildung der jungen Aerzte und der Medicin als Wissenschaft selbst das Mittel abgiebt. Als Heil- und wissenschaftliche Bildungsanstalt zugleich muß ein öffentliches Krankenhaus seyn, wenn es dem Staatszweck vollkommen entsprechen soll.“35
Es verging allerdings noch einige Zeit, bis sich die Idee von einem zeitgemäßen Krankenhaus überall durchsetzte. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich der Mediziner und Sozialreformer Rudolf Virchow zu Wort meldete und bereits 1848 den Finger in eine Wunde legte: Bislang erfuhren nur die Kranken eine anständige Behandlung, die die noch jungen Krankhäuser der neuen Generation großzügig finanziell unterstützen konnten. Rudolf Virchow, der in Deutschland der wichtigste Wegbereiter der wissenschaftlichen Medizin gewesen sein dürfte36, forderte nun eine gute Behandlung unabhängig von der sozialen Zugehörigkeit oder Religion, räumte aber in einem Beitrag in der Wochenschrift „Die medicinische Reform“ vom 1. September 1848 ein: „Bis jetzt war es aber umgekehrt; man fragte aber zuerst, ob der Mensch bezahlen könne oder ob ein anderer für ihn zu bezahlen die Verpflichtung habe; und nur im äußersten Nothfalle, wo es geradezu negativer Mord gewesen sein würde, jemanden abzuweisen, entschied man sich zuweilen für ,vorläufig‘ unentgeldliche Aufnahme.“37
Die Missstände in den Kliniken lagen aber nicht nur in den ungelösten sozialen Fragen begründet, sondern in den allgemein schlechten hygienischen Bedingungen. Man bedenke: Die zwingend erforderliche Bekämpfung oder Fernhaltung von Krankheitserregern war – wie bereits angedeutet – nicht bekannt oder wurde ignoriert. Dabei hatte der Arzt Ignaz Philipp Semmelweis (1818–1865) bereits 1847 seine Beobachtungen über die Übertragung des Kindbettfiebers durch die „untersuchenden Hände“ veröffentlicht. Die Aufforderung des Mediziners, der in der geburtshilflichen Klinik in Wien arbeitete, an ausreichende Maßnahmen zur Desinfektion zu denken, wurde lange nicht zur Kenntnis genommen.38 Und so sollten sich auch die Verhältnisse im Koblenzer Hospital erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entscheidend verbessern, weil weitere umfassende Baumaßnahmen folgten. Wie die Pockenkatastrophe im Hospital von 1882 zeigte, konnte von optimalen hygienischen Bedingungen im Bürgerhospital noch lange keine Rede sein.
1.1 Heilsame und billige Medizin
Als im November 1805 das Bürgerhospital aus der Taufe gehoben wurde, ging es zunächst um die medizinische Versorgung von Soldaten. Schnell wurde deutlich, dass die Neugründung nicht ohne Apotheke auskommen konnte. Und so ließ der damalige französische Präfekt Adrien de Lezay-Marnesia 1806 nicht nur eine Rechtsschule mit Promotionsrecht im Metternicher Hof einrichten, sondern ordnete auch die Einrichtung einer Spitalapotheke an. Die Motive hierfür waren rein finanzieller Natur. Dem Präfekten war die Belieferung des Hospitals durch die Apotheker in der Stadt zu teuer geworden. Und so liest sich seine Verfügung wie ein Vorstoß des Bundesgesundheitsministeriums. „Die bedeutenden Ausgaben für die Arzneien müßten bei der wirtschaftlichen Lage des Hospitals herabgemindert werden“, so die griffige Formel des Präfekten. Der machte allerdings nichts anderes, als die Forderungen aus der fernen Hauptstadt umzusetzen – Koblenz gehörte damals zum französischen Staatsgebiet und war dem Pariser Zentralismus unterworfen.39
Aus Paris kam natürlich auch das amtliche Arzneibuch, das vom Generalrat für die Verwaltung der zivilen Krankenhäuser auf den Weg gebracht worden war. Es ging einfach darum „eine Menge unnützer und kostspieliger Medikamente auszuscheiden, deren Bereitung zudem den Dienst im Hospital erschwere und den Platz der meist ausreichenden einfachen Medikamente einnähme, welch‘ letztere einem geschickten Arzte, abgesehen von außerordentlichen Fällen, genügten.“40 Carl Mohr wurde schließlich zum ersten Leiter der neuen Hospitalapotheke ernannt.
Der Kblenzer Apotheker hatte sich für die Aufgabe selbst ins Spiel gebracht. Dafür musste er aber erhebliche Abstriche machen: Seine Honorierung wurde erst Monate später geregelt. Auch bei der Ausstattung musste Carl Mohr Vorleistungen erbringen.41 Der Gründer der Apotheke war übrigens Vater von Carl-Friedrich Mohr, der 1806 als jüngstes von sechs Geschwistern das Licht der Welt erblickte und später einer der bedeutendsten Pharmazeuten und Naturwissenschaftler seiner Zeit werden sollte. Aber schon sein 1776 geborener Vater war recht erfolgreich. Er war Besitzer der „Mohren-Apotheke“. Diese zog später um und wurde in „Apotheke am Jesuitenplatz“ umbenannt. Carl Mohr war Mitbegründer und mehrfacher Direktor der heute noch bestehenden Bürgergesellschaft Casino zu Coblenz“, die offiziell dem wissenschaftlichen Austausch und der Geselligkeit dienen sollte, sich aber in Wirklichkeit für den Erhalt deutscher und rheinischer Sitten einsetzte.
Nach Ende der französischen Ära ging die Patientenzahl im Bürgerhospital zurück. Carl Mohr wollte die Gunst der Stunde nutzen, um die Versorgung des Krankenhauses im alten Franziskanerkloster über seine Mohren-Apotheke sicherzustellen. Seine Rechnung ging nicht auf. Auf Drängen der Hospitalverwaltung blieb die Krankenhausapotheke bestehen – und die neue preußische Bezirksregierung sorgte dafür, dass Carl Mohr das Amt des Hospitalapothekers abgeben musste. Der Hospitalarzt führte zunächst die Geschäfte weiter, doch bereits 1818 bestand die Bezirksregierung auf der Leitung durch einen geprüften Apotheker. Von 1819 bis 1823 übernahm Apotheker Bithens die Oberleitung der Hospitalapotheke, danach folgte für ein halbes Jahr Wilhelm Heinrich Bennerscheid und anschließend Carl Josef Fischer aus Trier.42 1826 sollten sich die Dinge noch einmal grundlegend ändern. Damals übernahmen die „Barmherzigen Schwestern“ auch die Apotheke, nachdem sie zwei Jahre zuvor ihren Dienst im Hospital angetreten hatten. Die Aufsicht über die Apotheke oblag jedoch dem Hospitalarzt Dr. Ulrich, dem aber nach Einschätzung der Hospitalverwaltung „wegen Inanspruchnahme durch seine sonstigen Berufspflichten die Zeit gemangelt habe, die nötige Aufmerksamkeit der Apotheke zuzuwenden“.43
1844 forderte die Koblenzer Bezirksregierung schließlich die vollständige Neuorganisation der Apotheke. Die Leistungen der Schwestern wurden jedoch stets gewürdigt. Und so kam es, dass die Schwestern auch bei der Verlegung des Bürgerhospitals auf das Kemperhofgelände den Ton angaben. So übernahm Schwester Felicitas (Katharina Beutler) bis zu ihrem Tod 1941 die Führung der Einrichtung. Allerdings gab es seit 1928 eine „weltliche“ Apothekenhelferin. Die Borromäerinnen verließen erst 1973 den Kemperhof. Schon früher hatte die Kommune die Führung der Krankenhausapotheke für sich beansprucht. Bereits am 23. März 1950 erhielten die „Städtischen Krankenanstalten“ die entsprechende Konzession.44
1.2 Die Wurzeln des Bürgerhospitals
Das mittelalterliche und frühneuzeitliche Koblenz war stark vom Wirken der geistlichen Korporationen geprägt. In der Regel waren auch es auch diese, die sich um Krankenpflege und Armenfürsorge kümmerten. Die schriftlichen Quellen über Hospitäler reichen weit in das 12. Jahrhundert zurück. Darin spielt das Stift St. Florin eine wichtige Rolle. Mit dem „Nikolaushospital“ wurde dort die älteste Hospitalstiftung in Koblenz nachgewiesen. Diese Stiftung datiert in das Jahr 1110. Gründer scheint der Trierer Erzbischof Bruno gewesen zu sein.45 Es waren aber auch die Ritterorden, die sich intensiv um die Krankenpflege kümmerten. In Koblenz belegt dies der Deutsche Orden, der in der Stadt bereits 1216 ein größeres Hospital einrichtete. Eine weitere Einrichtung zur Krankenpflege entstand 1238. Aufgrund einer Stiftung konnte das Heilig-Geist-Spital eingerichtet werden, über dessen Geschicke aber nicht ein Orden, sondern der Rat der aufstrebenden Stadt im Erzstift Trier wachte. Dieses städtische Hospital befand sich einst an der Ecke Löhrstraße/Pfuhlgasse, wurde aber zu Beginn des Pfälzischen Erbfolgekrieges (Oktober/November 1688) schwer beschädigt. An Stelle der Hospitalgebäude wurde zwischen 1706 und 1708 das Augustinerinnenkloster St. Barbara errichtet.46
Weitere Schriftquellen aus dem 13. und 14. Jahrhundert belegen, dass es im mittelalterlichen Koblenz durchaus ein funktionierendes System der Krankenpflege gab. Auch die Dominikanerinnen im Weißernonnenkloster dürften sich der Krankenpflege verschrieben haben. Ihre Einrichtung wurde 1276 ebenfalls durch eine Stiftung ins Leben gerufen. Auch vor den Toren der Stadt gab es Neugründungen. So ist aus dem auf der nördlichen Moselseite gelegenen Lützelkoblenz (heute Stadtteil Lützel) ein Hospital überliefert, dessen Gründung in das Jahr 1370 fällt. Für Menschen, die an Aussatz – zum Beispiel der gefürchteten Lepra – erkrankt waren, wurde bereits 1267 zwischen Koblenz und Kapellen (heute Stadtteil Stolzenfels) ein sogenanntes Siechhaus eröffnet, von dem sich auch die heutige Bezeichnung Siechhaustal ableitet.47
Nicht unterschätzt werden sollte die Rolle der Koblenzer Bürger. In den Quellen sind nicht nur zahlreiche Stiftungen, sondern auch die Gründung sogenannter Bruderschaften überliefert, die ein frühes Netzwerk sozialer Unterstützung bildeten. Diese Hilfe bezog sich nicht ausschließlich auf Koblenzer. Auch Fremde, im damaligen Sprachgebrauch als „Elende“ bezeichnet, konnten von diesen Gründungen profitieren. Davon zeugt die 1441 gegründete Elendbruderschaft, die sich vor allem um die Kranken unter den Fremden kümmerte. Sie sorgte dafür, dass die Elenden ein christliches Begräbnis bekamen, wenn sie fern ihrer Heimat starben.48
Stiftungen und Bruderschaften spielten auch im Bewusstsein des Koblenzer Bürgertums im Mittelalter und der Frühen Neuzeit eine besondere Rolle. Boten sie doch die Gelegenheit, im Diesseits etwas Gutes zu tun, um einmal mit ruhigem Gewissen vor das Jüngste Gericht treten zu können. Und so wundert es nicht, wenn sich an die Spitze dieser Gründungen oft wohlhabende Bürger, Kleriker und auch der in der Stadt stark vertretene Adel stellten. Zu den Gründungen von Stiftungen und Bruderschaften kam die Initiative der Landesherren. Die bekannteste Einrichtung wurde jedoch erst im 18. Jahrhundert ins Leben gerufen. Es war die Zeit der Trierer Kurfürsten Franz Ludwig von Neuburg (1716–1729) und Franz Georg von Schönborn (1729–1756), in der das so genannte Priester- und Waisenhaus deutliche Konturen annahm. Wie der Name schon sagt, kümmerte man sich in dieser Einrichtung um Waisenkinder, die im Idealfall zu Priestern ausgebildet wurden. Das Gebäude, das früher an der Stelle der königlichen Regierung (heute Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung) stand, war aber auch ein Alterssitz für ältere und dienstunfähige Geistliche.49
Mit einem homogenen Netz der sozialen Fürsorge hatte dies alles jedoch wenig zu tun. Im System klafften gewaltige Lücken, die Selbsthilfeeinrichtungen und Wohlfahrtsorganisationen nur notdürftig füllten. Schon der letzte Trierer Kurfürst, Clemens Wenzeslaus von Sachsen (1768–1802), hatte dieses Problem erkannt. Zu einer umfassenden Neuordnung kam es nicht. Die entscheidenden Impulse sollte erst die französische Zeit bringen. Als Napoleon Bonaparte in Koblenz Listen über Gebäude und Vermögen einforderte, die für die Gründung von neuen Hospitälern erforderlich waren, wurde sehr schnell klar, dass das 1802 aufgehobene Franziskanerkloster günstige Voraussetzungen bot. Die traditionsreiche Einrichtung hatte eine lange Vorgeschichte, deren Details sich heute nicht immer eindeutig bestimmen lassen. Sicher ist, dass sich die ersten Franziskaner bereits sehr früh in Koblenz niedergelassen haben. Urkundlich sind die „Minderbrüder“ erstmals in einem Testament vom 11. September 1236 zu finden – also nur zehn Jahre nach dem Tod des Ordensgründers Franz von Assisi (1181/82–1226).50 1257 begann der Bau einer Klosterkirche. Dies ist in einem päpstlichen Ablassbrief der Zeit eindeutig belegt.51
Wann das Koblenzer Franziskanerkloster gegründet wurde, kann heute nicht mehr festgestellt werden, zumal das Datum der Weihe der Klosterkirche nicht überliefert ist. Erschwerend hinzu kommt die schlechte Quellenlage. Erst 1331 wird die Einrichtung wieder in den Quellen genannt – allerdings nur am Rande, sodass heute völlig unklar ist, wie der Klosterbetrieb aussah. Ebenfalls unklar ist, wie sich die Armenfürsorge und Krankenpflege der Franziskaner im mittelalterlichen Koblenz darstellte. Im 15. Jahrhundert fließen die Informationen besser. Von entscheidender Bedeutung ist das Jahr 1451. Damals führte der Koblenzer Konvent die verschärfte Regel des Ordens ein – die so genannte Observanz. Für die Franziskaner, die in den Quellen nun gern als Rekollekten bezeichnet werden – hatte das gravierende Folgen: Abgesehen von den für die Gottesdienste notwendigen Utensilien mussten die Franziskanerbrüder ihr gesamtes Hab und Gut der Stadt Koblenz übergeben, die die Spende wiederum der Pfarrei Liebfrauen zukommen ließ. Dieses Gotteshaus war auf Initiative Koblenzer Bürger erbaut worden.52
Der Mediziner und Historiker Dr. Fritz Michel brachte die Konsequenzen auf den Punkt. „So waren die Franziskaner fortan nur noch Mieter im eigenen Hause“, stellte der Ehrenbürger der Stadt Koblenz nüchtern fest.53
Erneut schweigen die Quellen. In der Überlieferung des 17. Jahrhunderts wird der sehr schlechte Zustand des Klosters deutlich. Ein Zeichen dafür ist, dass der Rat der Stadt Koblenz sich 1628 dafür entschied, den Mönchen einen Zuschuss für die Wiederherstellung der Klosterkirche zu gewähren.54 Trotz der widrigen Bedingungen im kriegerischen 17. Jahrhundert dachte man in der Stadt stets daran, das Franziskanerkloster zu einer neuen Blüte zu bringen. So ist in den Ratsprotokollen des Jahres 1675 immer wieder von einem „Kirchen- und Closterbav“ der Franziskaner die Rede.55 Aus weiteren Quellen des ausgehenden 17. Jahrhunderts ist überliefert, dass in den Jahren von 1693 bis 1696 ein umfassender Klosterneubau für die Franziskaner erfolgte.56
Nach der Aufhebung des Koblenzer Franziskanerklosters infolge des Konsularbeschlusses vom 9. Juni 1802 sollten gravierende Veränderungen vorgenommen werden. Präfekt Alexandre Lameth trieb in seiner kurzen Amtszeit (1805–1806) den Ausbau des Hospitals voran und ließ den Brücken- und Straßeninspektor Six ein Konzept für den Umbau sowie einen Kostenvoranschlag erstellen. Diese sollten Grundlage für die Ausführungsplanungen des Koblenzer Architekten Christian Trosson sein.57 Die gesamte Westhälfte der einstigen Klosterkirche einschließlich der Rochuskapelle wurde beim Klosterumbau aus der französischen Zeit abgerissen.
Am Ende stand nur noch eine einschiffige Kapelle mit Chorabschluss, die wie die Reste der Klosterbauten im Zuge der völligen Neuanlage des Kastorviertels ab 1957 verschwinden sollte. Die eigentlichen Klosterbauten, die zwischen 1694 und 1696 errichtet worden waren und zu denen natürlich auch ein Kreuzgang gehörte, schlossen sich an die Südwand der alten Kirche an. Nach Fritz Michel waren die alten Klostergebäude nur zwei Stockwerke hoch. Die ganze Anlage wurde 1873 noch einmal ergänzt, in dem der Nordflügel fast komplett neu gebaut wurde. Dazu kam noch der ebenfalls neue Haupteingang.58
1.3 Der Ausbau in preußischer Zeit
Trotz der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen in den ersten Jahren der noch jungen preußischen Rheinprovinz sollte das Bürgerhospital aufgewertet werden. Es sollte eben nicht nur für die einheimische „Solidargemeinschaft“ da sein. Wie im Allgemeinen Landrecht formuliert, sollten im Koblenzer Bürgerhospital auch Auswärtige behandelt werden. Das war zu dieser Zeit nicht unbedingt selbstverständlich. Trotz der neuen gesetzlichen Vorgaben war es vielerorts immer noch üblich, erkrankte Fremde einfach wegzuschicken oder gar zu verjagen.59 1825 wurde das Koblenzer Franziskanerkloster schließlich vorübergehend geräumt und erheblich vergrößert. Von diesem Zeitpunkt an war es ein reines Bürgerhospital. Die Nutzung durch das Militär entfiel. Für die Betreuung der Soldaten wurden eigene Lazarette gebaut. Der Fortschritt der Maßnahme dürfte in erster Linie im Zuschnitt der Räume für die Kranken gelegen haben.
Zwar gibt es keine Aufzeichnungen für diesen frühen Umbau, doch dürfte es auch in der zweiten Ausbaustufe des Koblenzer Hospitals darum gegangen sein, endlich die unzeitgemäßen Hospitäler aus Mittelalter und Früher Neuzeit zu überwinden. Den alten Typ charakterisiert Dieter Jetter am Beispiel des „Sint Jans Hospital“ von Brügge, dessen „Innenleben“ Jan Beerblock 1778 in einem Gemälde festhielt, wie folgt: „Deutlich sieht man, wie parallele und querliegende Hallen im Laufe der Zeit ein Innenraumgefüge entstehen ließen, das in seiner Weite an einen öffentlichen Platz erinnert. Wie Jahrmarktbuden sind die Bettenschränke entlang der mehreren Gassen aufgereiht. Helle Vorhänge, die man zuziehen konnte, erlauben es zwar, das Lager selbst in eine Intimzone zu verwandeln, in die kein Einblick möglich war. Alle anderen Verrichtungen von Essen bis zum Sterben vollzogen sich aber in einer fast schamlosen Offenheit. Wie auf einer Theaterbühne werden noch einmal barmherzige Werke vorgeführt und zur Nachahmung empfohlen.“60
Was im Hospital der neuen Generation blieb, war die Unterstützung des Pflegebetriebs durch Angehörige geistlicher Korporationen. Und so wurde auch die „Betriebsführung“ des Koblenzer Spitals den nach dem Heiligen Kardinal Karl Borromäus (1548–1608) benannten Borromäerinnen übertragen. Dass die bereits im Gründungsdekret vorgesehene Zusammenarbeit mit den Borromäerinnen mit Leben erfüllt wurde, ist der Familie Dietz zu verdanken. Dem Unternehmer Hermann Josef Dietz, seiner Frau und Mitgliedern der Hospitalkommission war es bereits 1824 gelungen, Kontakte zu den Borromäerinnen in Nancy zu knüpfen, die nach anfänglicher Zurückhaltung einverstanden waren, Schwestern nach Koblenz zu entsenden.
Am 25. November 1825 schickte die Stadt den Vertragsentwurf zur Genehmigung an die Königliche Regierung. Diese erklärte sich bereits am 28. Dezember bereit, die Verwaltung des Hospitals den Schwestern zu übertragen.61 Am 10. Juli 1826 kamen die ersten sechs Borromäerinnen im Bürgerhospital an. Die Zeit der weltlichen Krankenwärter neigte sich damit dem Ende zu. Die wohl bekannteste Betreuerin war die mit Clemens Brentano und der Lyrikerin Luise Hensel eng befreundete Apolonia Diepenbrock aus Bocholt. Sie hatte im Bürgerhospital die Krankenpflege erlernt und zog im Frühjahr 1834 nach Regensburg. Dort verwirklichte sie 1845 ihren Plan, ein Haus für in Not geratene Frauen zu gründen.62
Die Borromäerinnen bildeten zwar keinen Orden im eigentlichen Sinne, hatten sich aber der strengen Lebensführung und der Krankenpflege verschrieben. Die Frauen lösten in Koblenz die drei bezahlten Wärterinnen ab, die in den ersten Jahren des Hospitals die Pflege übernommen hatten. Die Übergabe an die Schwestern war eine gute Entscheidung, da sich die Zustände am Bürgerhospital spürbar besserten. Allerdings scheinen sich die Borromäerinnen von Anfang an redlich bemüht zu haben, evangelische Patienten zu überreden, sich der „richtigen“ Konfession anzuschließen. Im Koblenzer Stadtarchiv wird hierzu eine Akte zum Thema „Verhandlungen und Zeugenvernehmungen wegen Behandelungen evangelischer Kranker im Bürgerhospital“ aufbewahrt.
Exemplarisch sei der Brief des Pfarrers Schütte vom November 1851 genannt, der den Fall des aus dem evangelischen Braubach stammenden Schneidergesellen Kleber schildert: „[…] Der Schneidergeselle Kleber […] lag mit kurzer Unterbrechung vom Anfang 9. J[anuar] bis zum Sommer im Hospital, an der Halsschwindsucht leidend. Mein Pfarrervikar […] war und ist mit der Seelsorge der evangelischen Kranken im Hospital beauftragt. Kleber nahm religiösen Zuspruch, Trost und Ermahnung von diesem Geistlichen lange Zeit gern an und versicherte demselben, unaufgefordert zu wiederholtem Male, daß er trotz der vielen Versuche, die man hier an ihm wie an anderen Kranken machte, sich nicht katholisch machen lassen werde. Der Kleber ist indessen doch nicht lange vor seinem Tode als seine geistige und körperliche Schwäche aufs Höchste gestiegen war, katholisch geworden. Nachdem dieses geschehen, zeigte die barmherzige Schwester dem evangelischen Geistlichen an: Der Kleber habe sich zur katholischen Religion umgewandt, seine katholische Verwandten und eine Bekanntschaft, die er habe, hätte es gewünscht, und er selbst habe keine Ruhe mehr gehabt; sie zwängen niemand zum Übertritt, wenn es aber jemand verlange, so hinderten sie es auch nicht. Kleber habe nur vor kurzem, als er aus seiner tiefen Ohnmacht wieder zu sich gekommen, zu ihr gesagt, sobald er wieder besser geworden sei, wolle er katholisch werden, worauf sie ihm bemerkt habe, wenn er das ernstlich wolle, so sei es besser, er tue es sogleich. Auch seine Frage, ob er denn nicht vorher Unterricht haben müsse, habe sie ihm geantwortet, in solchen Fällen schwerer Krankheit sei das nicht nötig. […]“63
Da die Borromäerinnen das Tagesgeschäft prägten, konnte das Bürgerhospital weiterhin ehrenamtlich verwaltet werden. Die bereits von den Franzosen eingeführte ehrenamtliche Hospitalkommission unter Vorsitz des Oberbürgermeisters blieb im Amt. Dieses Gremium war auch für die Armenfürsorge zuständig. Wegen dieser außergewöhnlichen Belastung entbrannte in Koblenz allerdings bereits 1833 die Diskussion über eine mögliche Teilung. Ergebnis: Die Kommission wurde um ein Mitglied aufgestockt. Schließlich ging die Verwaltung ganz auf die Stadt Koblenz über, die ihrerseits eine „Deputation“ besetzte. Das alte Gremium gab seine Befugnisse nur widerwillig ab. Die Folge waren mehrjährige Reibereien, die erst im Mai 1879 mit der Neuwahl von sechs Deputierten endeten.64 Im Vergleich zu anderen deutschen Städten fällt auf, dass Koblenz bei der Bildung einer eigenen Krankenhausdeputation erstaunlich früh dran war. In Köln zum Beispiel geschah dies erst 1894, in anderen deutschen Städten sogar noch später. Erst um 1900 war diese Entwicklung abgeschlossen.65 Allerdings waren diese „späten“ Deputationen völlig von der Armenpflege unabhängig, während in Koblenz noch keine scharfe Trennung festzustellen ist.
Ungeachtet der verwaltungstechnischen Querelen förderten Koblenzer Bürger das Bürgerhospital nach Kräften. Viele vermachten ihm ansehnliche Summen. Auch der Rat der Stadt unterstützte das Krankenhaus. Ganz besonders setzte sich aber Prinzessin Augusta (1811–1890) für die angemessene Ausstattung ein.66 Auch als ihr Mann Wilhelm zum König gekrönt wurde und das Regentenpaar deshalb Koblenz verlassen musste, ließ ihr Engagement nicht nach.67
Enormen Handlungsbedarf brachte das Jahr 1882. Bereits in den ersten Wochen waren in der Stadt die Pocken ausgebrochen, obwohl im Deutschen Reich bereits seit 1874 ein Impfzwang bestand. Schon lange vorher hatte man für eine Impfung weiter Bevölkerungsschichten gekämpft. Spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts gehörte die Pockenschutzimpfung zur medizinischen Praxis, zumal sie auch noch fünf Tage nach einer Infektion ihre Wirkung entfalten konnte. Einerseits verhalf die Impfung akademisch ausgebildeten Medizinern zu Anerkennung, andererseits gab es noch viele Bürger, die den Pockenschutz aus religiös-weltanschaulichen Gründen ablehnten. Dazu kam ein gesundes Misstrauen gegen alles, was neu war.68 Dabei entbehrte gerade die Abneigung gegen den Pockenschutz jeglicher Grundlage. Tatsache ist, dass im Europa des 18. Jahrhunderts zehn Prozent aller Todesfälle und die Mehrzahl aller Erblindungen durch die Pocken verursacht wurden.69 Natürlich waren auch Koblenz und Umgebung von den Pocken betroffen. Waren es in den Jahren 1819 und 1822 noch vorwiegend meldepflichtige Einzelfälle aus Koblenz und Bassenheim, stieg die Häufigkeit der Infektionskrankheit in den Jahren 1827 und 1828 erheblich. So meldete der Distriktarzt Dr. K. W Arnoldi allein für Winningen 44 Fälle.70
Weitere 42 Fälle meldete Kreisphysikus Dr. Settegast für Rhens. Darüber hinaus waren in Rübenach 14 Personen erkrankt.71 Erst 1882 sollte die Infektionskrankheit verstärkt in Koblenz auftreten, obwohl zu dieser Zeit längst Impfzwang bestand. Allerdings findet sich in den Akten immer wieder der Hinweis, dass Kranke sehr wohl geimpft waren. Dazu kam die Tatsache, dass Pfleger und behandelnde Ärzte oft überfordert waren. Nur so ist es zu erklären, dass ausgerechnet das Bürgerhospital zum Herd der Katastrophe von 1882 wurde. Dabei hatte man bereits ein Jahr zuvor erkannt, dass die städtische Einrichtung denkbar schlecht für die Behandlung von Infektionskrankheiten geeignet war. Kreisphysikus Dr. Schulz erstattete Anfang 1882 der Königlichen Regierung einen ersten Bericht und berief sich dabei auch auf Angaben des Hospitalarztes Dr. Duhr. Demnach war bereits am 17. Januar der erste Pockenfall im Hospital diagnostiziert worden. Bevor der Mann starb, hatte er wegen der fehlenden Möglichkeiten zur Isolierung weitere Patienten im Hospital angesteckt. Für den Kreisphysikus war dies ein Anlass, vehement die Einrichtung eines besonderen Pockenhauses zu fordern.72
Waren es am Anfang noch Einzelfälle wie sie zum Beispiel auch auf dem Maifeld vorkamen, bereiteten die Pocken den Behörden zunehmend Probleme. Schließlich musste die Bezirksregierung auch das zuständige preußische Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten informieren. Der Bericht offenbarte auch Details über den ersten Pockenfall. Der betraf einen 29-jährigen Schuhmachergesellen, der sich auf der Wanderschaft angesteckt hatte. Der Mann war in den allgemeinen Krankensaal gelegt worden.73 Da die Infektionskrankheit in der Regel erst mit Fieber und Schüttelfrost beginnt und die typischen Pocken in der Regel erst am vierten Krankheitstag auftreten, hatten Pfleger und Ärzte die Situation offenbar völlig falsch eingeschätzt. Das Verhängnis nahm seinen Lauf.
Die Mängel im Koblenzer Hospital waren wegen der fehlenden Isolationsmöglichkeiten von Kranken offenkundig geworden. Das spiegelt auch die Tatsache wider, dass viele Mediziner und Krankenhausplaner lange Zeit die Ansteckungsgefahr durch Krankheiten wie Typhus und Cholera entweder nicht erkannten oder unterschätzten.74 Schließlich nahm sich Oberbürgermeister Karl-Heinrich Lottner der Sache an. Er regte den Bau eines geeigneten Gebäudes zur Isolierung von Pockenkranken im zweiten Rayon am Moselweißer Weg an.75 Noch war es nicht zu spät. Von einer Epidemie konnte zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede sein. Das bestätigte Landrat und Polizeidirektor von Frentz, der noch am 20. April 1882 an die Königliche Regierung schrieb, dass es in der Bürgermeisterei Ehrenbreitstein keine Pockenfälle mehr gab. Allerdings hatte sich der Landrat auf die Meldungen aus der einstigen Residenzstadt verlassen. Man scheute aus Kostengründen den Bau eines Isolierhauses. Noch in der Gemeinderatssitzung am 22. April 1882 hatte man den „Pockenverdacht“ zurückgewiesen. Mit gutem Grund: Die Königliche Regierung hatte vier Tage zuvor den Bau von Isolierhäusern verfügt.76
In Ehrenbreitstein herrschte dagegen eine trügerische Sicherheit, zumal die Soldaten – die traditionell oft von Epidemien betroffen waren – jetzt in einem neuen Garnisonslazarett behandelt werden konnten. Der heute noch erhaltene Klinkerbau im Ehrenbreitsteiner Teichert war erst 1878 nach Plänen der Berliner Architektensozietät von Martin Gropius und Heino Schmieden errichtet worden und hatte ein eigenes Isolierhaus. Unterdessen hatte sich die Situation in Koblenz zugespitzt. Allein zwischen dem 17. Januar und dem 27. März 1882 waren insgesamt 54 Menschen an den Pocken erkrankt, davon 20 allein im Hospital. Fieberhaft versuchte man, die Gefahr durch Impfungen einzudämmen.77 Aber: Im gleichen Zeitraum starben vier Menschen an der gefährlichen Krankheit, die meist durch eine Tröpfcheninfektion übertragen wurde.78 Und wieder lag ein Schwerpunkt im mittelalterlichen Stadtkern, vor allem auch in der Kastorgasse.
Der Ausbruch der Pocken in der direkten Nachbarschaft des Hospitals und im Spital selbst zeigte, wie wichtig die Errichtung eines Isolierhauses für die Kranken war. Die Pläne wurden zügig verwirklicht, spätestens im Mai konnten die ersten Patienten in der neuen Station behandelt werden, die weit vor den Toren der Stadt in der Boninstraße (heute Behringstraße) errichtet wurde. Joseph Mündnich geht davon aus, dass der Betrieb bereits im März aufgenommen wurde. Wie von Oberbürgermeister Lottner gefordert, wurde die Isolierbaracke im zweiten Rayon in der Moselweißer Gemarkung in der Nähe des ehemaligen Güterbahnhofes errichtet.79
Die undatierten Pläne zeigen einen einstöckigen Fachwerkbau mit Dachaufbauten, der voll und ganz den Rayonbestimmungen entsprach. Die Baracke konnte 29 Männer und 29 Frauen aufnehmen.80 Ein erster Bericht über das Gebäude lag am 18. Mai 1832 vor. Zu diesem Zeitpunkt lebten 26 Kranke in der Baracke – vier Männer, drei Knaben sowie 19 Frauen und kleine Mädchen. Die Kranken wurden von zwei Borromäerinnen aus dem Bürgerhospital beaufsichtigt.81 Die eigentliche Pflege wollte zunächst niemand übernehmen. Das Problem löste schließlich ein Freiwilliger, der selbst von den Pocken genesen war. Er sollte später als Wärter im Bürgerhospital eingestellt werden.82
Inzwischen war offensichtlich geworden, dass sich Rat und Bürgermeister in Ehrenbreitstein etwas vorgemacht hatten. In der Kleinstadt wurden im Mai 14 Pockenfälle gezählt.83 Ein geeignetes Haus zur Aufnahme der Kranken gab es immer noch nicht, sodass Landrat und Polizeidirektor von Frentz die Isolierung der Kranken in ihren eigenen Wohnungen empfahl.84 Das schien auszureichen, die Akten melden keine Ausweitung der Krankheit. Anders in Koblenz. Dort erkrankten insgesamt 71 Männer und 96 Frauen an den Pocken, 24 Personen starben. Besonders hart traf es Kinder und Jugendliche. Sie waren in 74 Fällen betroffen.85
Erst im November 1882 war die Seuche besiegt. Mit gutem Grund blieben die Verantwortlichen nervös. Sorgfältig wurden die Schiffer beobachtet, die in Koblenz an Land gehen sollten. So befasste sich die örtliche Polizeidirektion im Frühsommer 1893 mit dem aus Antwerpen kommenden Schiff „Namen“. Der holländische Kapitän Sordooren und zwei seiner Matrosen standen unter „Pockenverdacht“. Sie wurden schließlich zur weiteren Beobachtung in die Isolierbaracke auf dem Moselweißer Feld gebracht.86
Die Pockenepidemie offenbarte die Schwächen des Bürgerhospital und das, obwohl die Anlage nicht allzu lange Zeit zuvor noch einmal erweitert und umgebaut worden war. Die Stadtverwaltung hatte den Bauinspektor Cuno am 29. Mai 1872 beauftragt, ein Projekt für den Umbau der Stirnseite des Hospitals auszuarbeiten. Der Zeitpunkt kam nicht von ungefähr. Stadt und Kreis Koblenz hatten gerade erst eine schwere Ruhrepidemie überstanden. Insgesamt waren 2540 Menschen erkrankt. Davon starben 462. Allein in Koblenz hatte es 811 Fälle mit 111 Toten gegeben. 41 weitere Opfer waren in Ehrenbreitstein zu beklagen. In der alten Residenstadt waren insgesamt 368 Personen erkrankt.87 Das Hauptmotiv für Umbau und Erweiterung des Koblenzer Hospitals dürfte jedoch mit dem Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 16. April 1871 zusammenhängen, das allerdings nicht für Bayern galt.88
Das Gesetz hatte ähnliche Dimensionen wie die Reglungen zur gesetzlichen Krankenkasse von 1883. Räumte es doch auch zugezogenen Personen im Falle von Armut und Krankheit einen Anspruch auf materielle Unterstützung durch die Kommunen ein. Natürlich hatte auch dieses Gesetz eine Vorgeschichte, die mit dem Allgemeinen Landrecht für Preußen beginnt. Seitdem mussten die Gemeinden Kur- und Verpflegungskosten für auswärtige Kranke übernehmen. Auch ärztliche Leistungen durften sie nicht in Rechnung stellen. Da dieses Gebot immer wieder unterlaufen wurde, war der Gesetzgeber erneut zum Handeln gezwungen. Ergebnis: Das preußische Gesetz über die Aufnahme neu zuziehender Personen vom 31. Dezember 1842, das die bereits fest verankerte Freizügigkeit noch einmal wesentlich stärkte.89
Nicht nur die neuen gesetzlichen Vorgaben, sondern vor allem die rasant wachsenden Einwohnerzahlen in den Städten zwangen die Kommunen zum schnellen Handeln, da die Kapazitäten in den Krankenhäusern nicht mehr ausreichten.90 Die Vorgänge in Koblenz passten zu dieser Entwicklung. Zwar war die Festungsstadt aufgrund der topografischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht in dem Maße wie andere Gemeinden vom Bevölkerungswachstum betroffen, doch war die Mobilität arbeitssuchender und weniger wohlhabender Schichten auch in der Provinzhauptstadt sehr groß. Und genau diese Menschen hatten jetzt einen Rechtsanspruch darauf, im Falle einer Erkrankung von der Kommune medizinisch versorgt zu werden.
Auch beim Blick auf die europäischen Entwicklungen passen die Koblenzer Vorgänge mitten in eine Phase von etwa 30 Jahren, in der in jeder größeren Stadt Krankenhausmodernisierungen und Neubauten erfolgten. Die Objekte hatten vor allem eins gemeinsam: Einzelne Flügel, die durch Korridore miteinander verbunden wurden.91 Muteten die ersten Krankenhäuser wegen ihrer Flügelstruktur noch recht altertümlich an, sollte sich die Krankenhausarchitektur vielerorts erheblich verändern. Wo genug Platz war, setzte sich eine Variante des französischen Pavillonsystems durch. Das mit den zur Verfügung stehenden Flächen schier verschwenderische System sollte sich noch lange halten und – wie auch das Koblenzer Beispiel zeigt – zumindest auf dem Reißbrett der Planer noch weit bis in die 1920er-Jahre hinein Konturen annehmen.92
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sollte schließlich die Zahl der Krankenhäuser im Deutschen Reich einschließlich der Heil- und Pflegeanstalten auf stolze 6400 steigen.93 Nimmt man die Zahl der Krankenhäuser allein, stieg die Zahl von 2357 im Jahr 1877 auf 4930 im Jahr 1913. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Betten von 107.337 auf 462.203. Die Entwicklung zeigt: Der deutliche Ausbau der kommunalen Krankenfürsorge in den deutschen Städten war eng mit dem reichsweit feststellbaren Urbanisierungsprozess verbunden, der im Wesentlichen bis zum Ersten Weltkrieg abgeschlossen war.94
Der Entwurf für den Umbau des Koblenzer Hospitals wurde schließlich am 21. Februar 1873 genehmigt. Sofort begannen die Bauarbeiten. Die Veränderungen, in deren Verlauf der Nordflügel erneuert wurde, sollten vor allem Privatpatienten zugute kommen, die einen Tagessatz von drei bis fünf Mark bezahlen konnten. Im Zuge der Bauarbeiten wurden schließlich die Deckenhöhen von Zimmern und Krankensälen vergrößert. Auch die Erschließung der Räume wurde verändert. Alles sollte „erhöht und luftiger“ werden.95 Dass es damit jedoch nicht getan war, zeigte – wie bereits ausgeführt –spätestens die Pockenepidemie von 1882. Obwohl man die Kranken endlich in einem Flügel separiert hatte, gelang es nicht, die Krankheit wirkungsvoll einzudämmen, sodass man sich zwangsläufig für die Weiterbehandlung auf dem Moselweißer Feld entscheiden musste.96
1.4 Das Bürgerhospital um 1890
Die Lage des Hospitals in einem städtebaulichen Problembereich und die mangelhafte Behandlung von Infektionskrankheiten führten am Ende des 19. Jahrhunderts dazu, dass die Kontrollen wesentlich verschärft wurden. Aus den Jahren zwischen 1890 und 1900 sind zahlreiche Visitationsberichte erhalten, in denen der Zustand des Krankenhauses recht genau beschrieben wird. Nach dem detaillierten Bericht von 1891 bestand die Anlage im Wesentlichen aus drei Gebäuden, die miteinander verbunden waren. Das mittlere Gebäude lag am Kreuzgang des alten Franziskanerklosters und hatte einen Lichthof. Dort wurden die an inneren Leiden erkrankten Personen aufgenommen. Das am Hospitalplatz „öffentlich“ gelegene Gebäude diente zur Aufnahme der Kranken, die chirurgisch behandelt werden mussten. Im dritten Gebäude waren schließlich die Personen untergebracht, die an Krätze oder Syphilis erkrankt waren.97
Die beiden Gebäude, in „welchen an inneren und äußeren Krankheiten Leidende untergebracht werden“, waren massiv erbaut und jeweils dreigeschossig. Sie besaßen Keller und Schieferdächer. Das dreigeschossige, nicht unterkellerte Gebäude für die „Krätz- und sonstigen Kranken“ war teils massiv, teils aus Steinfachwerk errichtet worden. Die gesamte Anlage war offenbar direkt nach Fertigstellung der neuen städtischen Wasserversorgung in den Jahren 1884 und 1885 an das System angeschlossen worden. Auf jeden Fall gab es zu Beginn der 1890er-Jahre auf dem Hospitalgelände keine Brunnen mehr. Wichtig sind die Angaben zur Entsorgung von Schmutzwasser und Fäkalien. Der Visitationsbericht ist nämlich auch eine der wenigen Quellen, die Aussagen über die Zustände vor dem Bau der neuen Kanalisation in Koblenz (ab 1892) treffen. Demnach wurde das gesamte Oberflächen- und Spülwasser entweder durch geschlossene Kanäle oder Rinnen in die „Stadtkanäle“ und dann direkt in die Mosel geführt. Latrinen und damit auch die besonders bei Hochwasser gefährlichen Fäkaliengruben hatte man zu diesem Zeitpunkt längst abgeschafft. Laut Bericht wurden die Fäkalien bereits seit 1878 über das „Heidelberger Tonnenabfuhrsystem“ abtransportiert.98
Weitere Verbesserungen brachte der Bau eines neuen Abortgebäudes, das wohl Ende 1889 fertiggestellt wurde. Bei der zweistöckigen Anlage verzichtete man bewusst auf die – zu dieser Zeit in Koblenz problemlos machbare – Einrichtung von Wasserklosetts. Man hatte sich vor dem Hintergrund der Hochwasserproblematik stattdessen für Torfmull-Streuclosetts nach dem System Poppe in Hirschberg entschieden. „[…] Zur Zeit sind etwa 20 Streuapparate aufgestellt, die gut und reinlich funktionieren. Ebener Erde befinden sich die zur Aufnahme der Exkremente bestimmten eisernen Tonnen, deren Entleerung […] in einer etwas 60 Meter vom Gebäude entfernten […] verschlossenen Grube stattfindet […]“, heißt es dazu im Visitationsbericht. Die in der Grube gesammelten Fäkalien wurden schließlich mit Torf vermischt und zur Düngung auf die Felder in der näheren Umgebung gefahren. Die Prüfer hoben besonders die Tatsache hervor, dass die Aborte absolut geruchlos waren. Der Bericht zeugt ebenso davon, dass für die Personen, die an Krätze oder Syphilis erkrankt waren, eigene Toiletten existierten. Aus heutiger Sicht ist dagegen unbefriedigend, dass es in den Krankenzimmern und wahrscheinlich auch auf den Stationen ausschließlich Nachttöpfe gab. […]99
Auch die räumlichen Verhältnisse im Hospital dürften Ende des 19. Jahrhunderts gar nicht so schlecht gewesen sein, wie es die Berichte über Infektionskrankheiten aus dieser Zeit suggerieren. Im Visitationsbericht von 1891 werden zum Beispiel Gänge mit Breiten zwischen 2 und 2,90 Metern angegeben. Die Bodenbeläge bestanden aus Holz oder aus „Mettlacher Platten“ oder auch Terrazzo100. Ferner waren die Gänge so angelegt, dass sich stets nur auf einer Seite Krankenzimmer befanden. Die Treppenhäuser mit ihren Stufen aus Holz oder Stein waren so angelegt, dass man von diesen direkt in alle drei Hauptgebäude gelangen konnte.101
Für Männer waren insgesamt 28 Krankenzimmer vorhanden. 20 davon waren den klassischen internistischen und chirurgischen Patienten vorbehalten. Für die vorübergehende Aufnahme von Geisteskranken gab es drei Krankensäle, für Krätzekranke zwei Räume. Ein Zimmer war für geschlechtskranke Männer reserviert. Zwei weitere Räume waren zur Aufnahme von Patienten mit nicht näher definierten Infektionskrankheiten bestimmt. Für die weiblichen Kranken waren 24 Zimmer vorhanden. Der Löwenanteil von 18 Räumen ging an die Abteilungen für Inneres und Chirurgie. Geschlechtskranke Frauen wurden in drei weiteren Räumen untergebracht. Darüber hinaus gab es jeweils einen Raum für Krätzekranke, Geisteskranke und nicht näher aufgeschlüsselte Krankheiten. Unter dem Eindruck der Katastrophe von 1892 wird ausdrücklich betont, dass es keine Räumlichkeiten für die Aufnahme von Pockenkranken gab. Man verwies auf das Epidemiehaus auf dem Moselweißer Feld.102
Zu Beginn des Jahres 1891 waren im Hospital 442 Betten und 250 Betttische aufgestellt, die überwiegend aus Metall bestanden. Davon waren 200 für Männer, weitere 206 für Frauen und 36 für Kinder vorgesehen. Die Kontrolleure stellten zum Stichtag am 27. Februar eine ungewöhnlich hohe Belegung des Hospitals fest. Waschtische gab es zu diesem Zeitpunkt übrigens nur in den sogenannten Pensionärszimmern. Dafür wurde im Visitationsbericht aber besonders die Belüftung und Beheizung der Krankenzimmer hervorgehoben. In jedem Raum gab es eine Belüftungsklappe, im Gebäude für die chirurgischen Patienten sogar eine Warmwasser-Zentralheizung. Alle anderen Zimmer wurden allerdings noch mit Öfen beheizt, die von den Gängen her beschickt wurden. Und schließlich gab es in einem Nebenbau einen Apparat zur Desinfizierung von Kleidungsstücken und Geräten.103
Obwohl die Kontrollen von 1891 keine größeren Beanstandungen ergaben, entschied man sich fortan für eine Wiederholung der Untersuchung im Jahresturnus. Und das mit gutem Grund: Trotz der „Nachbesserungen“ seit dem Ausbruch der Pocken im Hospital wusste man nur zu gut, dass das Bürgerhospital in der Art seiner Anlage relativ rückständig war. Das zeigt auch der Vergleich mit anderen Krankenhäusern in Stadt und Umgebung. So hatte das Ehrenbreitsteiner Militärlazarett ein eigenes Isolierhaus. Und selbst der neue Marienhof sollte mit einem kleinen Sonderbau ausgestattet sein. Diese Nachteile des Bürgerhospitals wollte die Stadtverwaltung mit verschärften Vorschriften ausgleichen. Oberbürgermeister Emil Schüller ließ schließlich die „Vorschriften zur Behütung der Übertragung ansteckender Krankheiten“ vom 21. Februar 1898 veröffentlichen, die bereits am 31. Januar von der Hospital-Verwaltungs-Kommission genehmigt worden waren. Die wesentlichen Punkte der neuen Vorschriften waren:
Natürlich blieb es nicht bei solchen Verhaltensmaßregeln. Unter dem Eindruck der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse machte man sich auch daran, den Bau von Krankenanstalten genau zu reglementieren. Für Koblenz gab es seit Oktober 1897 Vorschriften über Anlage, Bau und Einrichtung von öffentlichen und Privat-, Kranken-, Entbindungs- und Irren-Anstalten. Darin ging es vor allem um genügend Licht und Luft für die Räumlichkeiten. Sogar ein Garten für die Kranken war vorgeschrieben, in dem sie Erholung finden konnten. Darüber hinaus schrieb man vor, dass in Räumen unter der Erdoberfläche keine Kranken untergebracht werden durften. Ferner war darauf zu achten, dass sich der Boden der Räumlichkeiten für die Kranken mindestens einen Meter über dem Grundwasserspiegel befand. Und endlich schrieb man vor, dass die Wände in den Räumen für Infektionskranke so verkleidet sein mussten, dass man sie problemlos abwaschen konnte.105
Die neuen Vorschriften legten auch die Einrichtung von besonderen Operationssälen fest. Diese mussten in allen Krankenhäusern mit mehr als 50 Betten vorhanden sein, in denen chirurgische Eingriffe vorgenommen wurden. Für größere Anstalten wurden darüber hinaus ein besonderer Behandlungsraum für Wundinfektionen und ein Entbindungszimmer vorgeschrieben. Ebenso obligatorisch wurden hauseigene Desinfektionsanstalten. Und: Um Infektionskranke ohne Gefährdung der anderen Patienten behandeln zu können, wurden für mittlere und größere Anstalten „Absonderungshäuser“ mit eigenem Zugang vorgeschrieben.106 Und genau diese Vorschrift sollte die Verantwortlichen im Bürgerhospital vor wachsende Probleme stellen, sodass man immer öfter an einen völligen Neubau eines Krankenhauses weit außerhalb der Koblenzer Innenstadt dachte.
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