Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung
   Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung

Teil 7

 Wirksamer Schutz für heimische Gewässer

 

1. Unvollendete Pläne

 

Bereits im April 1937 bewertete der Stadtingenieur Hans Zerwas die Kanalisation der rechtsrheinischen Vororte äußerst kritisch. Vor allem in Ehrenbreitstein sah er große Probleme auf die Verantwortlichen zukommen. Im Vorentwurf des späteren Leiters des 1938 eingerichteten neuen Amtes für Stadtentwässerung heißt es: „In Ehrenbreitstein wird die Entwässerung durch die beiden großen Bachkanäle Mühlental und Blindtal beherrscht. An diese beiden Bachkanäle […] sind die angrenzenden Straßen und Häuser angeschlossen. Es hat sich auf diese Weise eine Art ,Mischkanalisation‘ mit wenig einwandfreien Sammlern gebildet.“1

 

Hans Zerwas ergänzte: „In Ehrenbreitstein liegen die Verhältnisse besonders ungünstig, weil die beiden Bäche vollständig in die Kanalisation einbezogen worden sind und als Hauptsammler des Kanalwassers dienen. Es ist selbstverständlich ausgeschlossen, diese Bäche über das [für die rechte Rheinseite zu errichtende] Pumpwerk nach der [noch zu bauenden] Kläranlage zu führen. In ihrem jetzigen Zustande verursachen die Einläufe in den Rhein aber bereits eine starke Geruchsbelästigung […], und bei längerer Trockenlegung werden die Bachkanäle mit ihren alten rauhen und rohen Wandungen in den engen Gässchen […] sogar zu einer gesundheitsschädlichen Gefahrenquelle werden. Es ist daher schwer, ohne allzu große Kosten die Verunreinigungen aus den Bachläufen oder anderweitig unschädlich zu machen.“2

 

Zur Neustrukturierung der Entwässerung auf der rechten Rheinseite schlug Hans Zerwas eine „Verbundlösung“ vor, die auch nach heutigen Gesichtspunkten technisch und wirtschaftlich optimale Ansätze bietet: Entwässerung im Mischverfahren bei Aufteilung der zusammengefassten Entwässerungsnetze Horchheim, Pfaffendorf und Ehrenbreitstein in Hoch- und Tiefzonen mit einer gemeinsamen Kläranlage. Diese wollte der Ingenieur im ehemaligen „Nellenköpfchen“ in der Gemarkung Urbar anlegen. Das gewonnene Methangas sollte in einer Treibgastankstelle verkauft und der angefaulte Schlamm als Dünger in Säcken versandfähig gemacht werden.3

 

Die Ausführungen des Ingenieurs zeigen, dass man sich davor hüten sollte, die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen als verlorene Jahre zu bezeichnen. Im Gegenteil: Die Jahre der großen Auseinandersetzungen der Wissenschaftler waren vorbei, gewisse Standards hatten sich durchgesetzt. Dazu kam, dass vielerorts Wasserverbände erfolgreich arbeiteten, um die schlimmsten Auswüchse der Gewässerverschmutzung zu verhindern. Auch wenn – wie das Kölner Beispiel zeigt – drastische Gegenbeispiele aus dem Rheinland überliefert sind, sah es bis weit in die 1930er-Jahre hinein so aus, dass viele Gewässer noch nicht so stark verschmutzt waren, was auch das Vorhandensein der zahlreichen Badeanstalten am Ufer des Rheins erklärt. Das sollte sich erst mit fortschreitender Aufrüstung und dann mit der Umstellung auf die Kriegswirtschaft ändern.4

 

Dazu kam, dass den Städten nach wie vor die finanziellen Möglichkeiten genommen waren, weitreichende Investitionen in den Umweltschutz zu tätigen. Das zeigt sich auch am Beispiel Koblenz. Bis die von Hans Zerwas geforderte Neuordnung der Kanalisation auf der rechten Rheinseite im technisch und hygienisch notwendigen Umfang erfolgen konnte, sollten noch viele Jahre vergehen. Krieg und Wiederaufbau verdrängten die fortschrittlichen Überlegungen der 1930er-Jahre.

 

Der Erfolg schien den Verantwortlichen recht zu geben. Die Wirtschaft nahm einen nie gekannten Aufschwung, am Rhein und seinen Nebenflüssen erstarkten alte und neue Ballungsräume zu wichtigen Zentren in Westeuropa. Und wieder einmal war es so, dass Ver- und Entsorgungssysteme in Städten und Regionen mit der stürmischen Entwicklung nicht Schritt halten konnten, zumal die Bevölkerung in der Bundesrepublik deutlich zunahm. Lebten 1952 etwa 51 Millionen Menschen in Westdeutschland, stieg die Bevölkerungszahl bis 1973 auf 62 Millionen Menschen.5

 

Zwar gelang es – wie auch am Koblenzer Beispiel deutlich wurde –, den immens steigenden Wasserbedarf von Bevölkerung und Wirtschaft zu decken, doch fehlten vielerorts Programme, um das Abwasserproblem in den Griff zu bekommen. Mehr noch: Die Fortentwicklung des Umweltrechts, das vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges durchaus hoffnungsvolle Ansätze gezeigt hatte, wurde nicht nur unterbrochen, sondern auch um viele Jahre zurückgeworfen. Die Väter des Grundgesetzes hatten eine große Chance vertan, genau die Kompetenzen neu zu ordnen, die für den Schutz der Umwelt relevant waren.6 Dabei formierten sich die Kräfte, die einen wirksamen Gewässerschutz forderten, bereits recht früh. Das kam nicht von ungefähr: Von 1949 bis einschließlich 1952 waren jährlich mehr als 100 größere Fischsterben in bundesdeutschen Gewässern registriert worden. Vor diesem Hintergrund war auf Initiative von kommerziellen und privaten Fischereiverbänden 1951 in Frankfurt die Vereinigung Deutscher Gewässerschutz (VDG) ins Leben gerufen worden.7

 

Weitreichende Folgen sollte auch die Gründung der Abwassertechnischen Vereinigung (ATV) haben, die am 10. Mai 1948 in Düsseldorf aus der Taufe gehoben wurde. Die ATV entwickelte sich aus bescheidenen Anfängen zu einem der bedeutendsten Verbände im Umweltschutz für Abwasser- und Abfallwirtschaft. Die Initiative war vom Vorstandsmitglied der Emschergenossenschaft, Max-Prüß, ausgegangen, der die Vereinigung bis 1954 auch als Präsident führte. Prüß gelang es, führende Fachleute des Abwasserverbandes, darunter Karl Imhoff, für die Arbeit zu gewinnen. In den folgenden Jahren gelang es, ein starkes Forum aufzubauen, das Kommunen, Firmen, Hochschulen, Vereinigungen und auch Privatpersonen offenstand.8 Auch die Stadt Koblenz wurde zu Beginn der 1960er-Jahre ein aktives Mitglied im Verband, der heute Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) heißt.9

 

Auch wenn sich schon früh mahnende Stimmen erhoben, schritten in den Jahren des „Wirtschaftswunders“ die Inanspruchnahme der Landschaft und deren Zerstörung in einem zuvor unbekannten Ausmaß fort. Der Energieverbrauch stieg rapide, die Müllberge wuchsen. Und auch die Abwasserfrage sollte Dimensionen annehmen, die alle bisherigen Probleme in den Schatten stellte. In den Ballungsräumen war der Zustand der Oberflächengewässer sogar so schlecht, dass sie sich noch nicht einmal für die industrielle Brauchwassergewinnung eigneten.10 Der Bau von leistungsfähigen Klärwerken war lange vernachlässigt worden – auch vor dem Hintergrund einer aus heutiger Sicht bizarren Diskussion: Wurde doch ernsthaft über die Frage diskutiert, ob es wirtschaftlich nicht sinnvoller sei, den Wasserversorgern einen größeren Reinigungsaufwand zuzumuten als den Bau von Klärwerken voranzutreiben.11

 

Die Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung des Rheins nannte 1965 zwar „Kriegswirren und wirtschaftliche Notstandszeiten“ als Hauptgründe12, doch war es auch eine Tatsache, dass Maßnahmen für den Umweltschutz bewusst vernachlässigt wurden. Niemand konnte und wollte den Aufschwung verhindern. Das Vertrauen in die unbegrenzte Selbstreinigungskraft der Flüsse blieb weiter verbreitet, auch wenn bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Grenzen ebendieser Kraft deutlich zu spüren gewesen waren. Ein weiterer Dämpfer sollte das „Dürrejahr“ 1959 werden, das ungewöhnlich geringe Niederschlagsmengen, was vielerorts zu dramatischen Versorgungsengpässen führte. Dazu kam, dass das Fischsterben zunahm. Wie zuletzt im April 2007 stieg damals die Angst vor einer „Versteppung“ Deutschlands, zumal auch aus Nordafrika und dem Westen der USA Dürreerscheinungen gemeldet wurden. Dies alles führte dazu, dass in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für den Gewässerschutz stieg, der in den folgenden Jahren auch zu einem Politikum werden sollte.13

 

Trotz dieses Umdenkens und steigender Investitionen in den Gewässerschutz stellte die 1956 gegründete „Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung des Rheins“ noch Mitte der 1960er-Jahre nüchtern fest, „dass vier Jahrzehnte auf dem Gebiete des Kläranlagenbaus fast ungenützt verstrichen […]“ waren14. Zu dieser Zeit hatte die Aufklärung der Öffentlichkeit durch Ministerien und Behörden allerdings längst eingesetzt. Außerdem waren zwischen 1950 und 1959 2,5 Milliarden DM in die Sanierung des Rheins und seiner Nebenflüsse investiert worden.15 Allerdings zeichnete sich schnell ab, dass diese Investitionen noch lange nicht ausreichen würden. Bis die empfohlenen Maßnahmen Wirkung zeigten, sollten noch Jahre vergehen. Für den Rhein wäre es fast zu spät gewesen.

 

1.1 Neue rechtliche Grundlagen

 

Dass sich am Rhein und seinen Nebenflüssen die Situation seit den 1950er-Jahren dramatisch zuspitzte, lag auch an den rechtlichen Hintergründen. Wer an den Flüssen welche hoheitlichen Befugnisse hatte, war lange Zeit unklar. Klarheit brachte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Oktober 1962. Demnach wurde die Kompetenz des Bundes auf die Regelung des Verkehrs auf den Wasserstraßen und die damit unmittelbar verbundenen wasserwirtschaftlichen Aufgaben beschränkt. Auch am Rhein wurde den Ländern die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz in wasserwirtschaftlicher Hinsicht zugestanden. Rechtsgrundlagen wurden:

 

  • das Bundesgesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (WHG) vom 27. Juli 1957, das bis 1962 durch elf Länder-Wassergesetze ergänzt wurde16
  • das Wassergesetz für Baden-Württemberg vom 25. Februar 1960
  • Bayerisches Wassergesetz vom 26. Juli 1962
  • das hessische Wassergesetz vom 6. Juli 1960
  • das Wassergesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 1962
  • das Landeswassergesetz für Rheinland-Pfalz vom 1. August 1960
  • Das saarländische Wassergesetz vom 28. Juni 1960

 

Das neue Wasserrecht des Bundes und der Länder betonte: Wasser ist die Existenzgrundlage für Bevölkerung, Industrie und Landwirtschaft, dessen Schutz schon allein vor dem Hintergrund des Allgemeinwohls unerlässlich ist. Die Nutzung von Gewässern wurde der staatlichen Kontrolle unterstellt, die Wasserbehörden hatten eine wichtige Aufsichts- und Genehmigungsfunktion – und eine rechtliche Grundlage, um Wasserverschmutzer hart zu bestrafen.17 Und es gab endlich eine länderübergreifende Zusammenarbeit. Die Bundesländer schlossen sich in der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser zusammen.18

 

Trotz dieser Einsichten hatte das Wasserhaushaltsgesetz von 1957 wenig mit dem Umweltschutzgedanken zu tun. Im Gegenteil: Auch die Industrie hatte zunehmend Interesse an einheitlichen Regelungen, weil ihre Versorgung mit qualitativ befriedigendem Brauchwasser auf dem Spiel stand.19 Und man erkannte endlich auch, dass der Gewässerschutz ein Problem war, das nur grenzübergreifend gelöst werden konnte. Genau deshalb wurde bereits 1949 die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegründet, in der auch heute noch die Schweiz, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und die Bundesrepublik zusammenarbeiten. Oberstes Ziel war eine Sanierung des Rheins durch einen wirkungsvollen Gewässerschutz.20

 

1957 wurde schließlich die Föderation Europäischer Gewässerschutz ins Leben gerufen, die sich vor allem aktuellen wissenschaftlichen Fragen stellte. Auch im Deutsch-Niederländischen Ausgleichsvertrag von 1960 war die Zusammenarbeit im Gewässerschutz geregelt. Im gleichen Jahr unterzeichneten die Länder Österreich, Schweiz, Baden-Württemberg und Bayern eine Übereinkunft einer Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee. 1962 folgten Vereinbarungen über die Grenzgewässer zwischen Belgien, den Niederlanden, Dänemark und der Bundesrepublik. Zu der internationalen Gewässerschutz-Allianz gehört auch die Gründung der internationalen Kommissionen zum Schutz der Mosel und der Saar, die 1963 ins Leben gerufen wurden.21

 

Grundsätzlich waren diese Entwicklungen nicht neu. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hatte man sich bemüht, den Gewässerschutz nicht nur rechtlich, sondern auch praktisch zu verbessern und auch über die Ländergrenzen hinaus zusammenzuarbeiten. Schließlich wurde eine historische Chance vertan, das vor dem Krieg herrschende Kompetenzgerangel zwischen Reich und Ländern endgültig zu den Akten zu legen. Das Grundgesetz von 1949 räumte dem Bund in wesentlichen Fragen des Naturschutzes und des Wasserhaushalts nur eine Rahmenkompetenz ein, was die Länder durchaus ausnutzten. Zunächst brachten nur Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Berlin Landeswassergesetze auf den Weg, während sich andere Bundesländer Zeit ließen und zum Teil erheblich von den Musterentwürfen abwichen. Noch schlimmer: Wenn es um Fragen der Abfallbeseitigung und des Bodenschutzes ging, hatte der Bund überhaupt keine Kompetenzen.

 

„Umweltrelevante Entwicklungen und Verbesserungen wurden in den folgenden Jahren durch Kompetenzkonflikte gebremst. Unter anderem dürfte auch hier ein Grund […] für das relativ verzögerte Ingangkommen der Umweltpolitik im Sinne eines umfassenden Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen zu sehen sein“, lautet das ernüchternde Fazit von Michael Kloepfer, der auch auf die Tatsache hinweist, dass das Wasserhaushaltsgesetz keine allgemeinverbindlichen Anforderungen an die Einleitung von Abwässern in oberirdische Gewässer kannte. Diese Tatsache zeigt einmal mehr, dass das Prinzip des „Nachbesserns“ in der Bundesrepublik eine Tradition hat, die gut fünf Jahrzehnte zurückreicht. Die ersten für den Gewässerschutz günstigen Veränderungen erreichte die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Wirtschaft (IPA), die wiederum intensive Beziehungen zur Vereinigung Deutscher Gewässerschutz unterhielt.22

 

Die IPA war ein überparteilicher Zusammenschluss von Länder- und Bundesparlamentariern, die für eine naturgemäße Wirtschaftsweise eintraten.23 Auf Initiative der IPA wurde schließlich zum Beispiel das Gesetz über Detergenzien24 in Wasch- und Reinigungsmitteln vom 5. September 1961 auf den Weg gebracht.25 Trotz der ersten Schutzmaßnahmen und des allmählichen Umdenkens, was ein entscheidender Verdienst der IPA war, hatten die neuen Maßnahmen für den Gewässerschutz noch keine dauerhafte Wirkung. Nicht umsonst kommt der Bundesraumordnungsbericht von 1967 zu folgender Erkenntnis: „[…] Die den Vorflutern innewohnende Selbstreinigungskraft ist in nahezu allen Flussgebieten auf weiten Strecken bis an die oberste Grenze ausgenutzt, häufig auch bereits überschritten. Das Grundwasser ist vielerorts durch wasserbauliche Maßnahmen in seiner Menge reduziert bzw. durch das Anhäufen von Abfallstoffen in seiner Qualität beeinträchtigt. […]“26 Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass allein 1967 rund 1,8 Milliarden DM in die Sanierung der Abwassersysteme investiert wurden.

 

Die Richtigkeit dieses ernüchternden Bildes war bereits durch die Statistik von 1963 belegt worden. Demnach waren von den 57,6 Millionen Bundesbürgern nur 11,1 Millionen an eine vollbiologische Abwasserreinigung angeschlossen. Weitere 18 Millionen Menschen wurden über teilbiologische und mechanische Systeme versorgt. 17,4 Millionen Bundesbürger waren gar nicht an eine Kanalisation oder an eine Kläranlage angeschlossen, weitere 11,1 Millionen Bürger hatten nur einen Anschluss an einen Kanal. Der Anschlussgrad an vollbiologischen Kläranlagen sollte sich allerdings bis 1969 fast verdoppeln. Damals waren 21,3 Millionen Menschen an solche Systeme angebunden. Bis 1975 sollte der Anteil auf 31,5 Millionen steigen. Allerdings gab es immer noch 8,9 Millionen Bundesbürger, die weder an ein Klärwerk noch an eine Kanalisation angeschlossen waren.27

 

Erst die späten 1960er-Jahre sollten Veränderungen im Sinne einer wirkungsvolleren Umweltschutzgesetzgebung bringen. Ausschlaggebend waren die (in der Bush-Ära anscheinend in Vergessenheit geratene) amerikanischen Vorbilder: In der Ära Kennedy der „Clean Air Act“ von 1963 und das Umweltschutzprogramm des US-Präsidenten Richard Nixon (1970). Diese Maßnahmen wurden durch die Öffentlichkeitsarbeit der Vereinigung Deutscher Gewässerschutz auch in der Bundesrepublik bekannt.28 Einen Wendepunkt markierte auch die Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt am 21. Oktober 1969.29

 

Auch der Bericht des 1968 auf Initiative des italienischen Industriellen Aurelio Peccei und des OECD-Direktors Alexander King gegründeten „Club of Rome“ hatte eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Dieser „Club“ trat 1972 mit dem Bericht von Dennis Meadows zum ersten und bislang zum einzigen Mal ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Der Bericht fand nicht nur deshalb Beachtung, weil er die Grenzen des Wachstums analysierte, sondern auch auf die Folgen eines vernachlässigten Umweltschutzes einging. In Deutschland hatte der neue SPD-Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 die besondere Bedeutung der Umweltpolitik betont. Bei genauerer Betrachtung ist dieser Vorstoß eine logische Konsequenz einer neuen Richtung, die die SPD bereits mit ihrem Godesberger Programm von 1959 eingeschlagen hatte.30 1961 wurde der neue Kurs im Landtagswahlkampf von Nordrhein-Westfalen unter der Devise „Blauer Himmel über der Ruhr“ erstmals werbewirksam veröffentlicht.31

 

Auch auf Bundesebene tat sich etwas. So wurde am 6. Juli 1970 ein Kabinettsausschuss für Umweltfragen gegründet, und am 17. September des gleichen Jahres folgte ein Sofortprogramm der Bundesregierung, das  unter maßgeblichem Einfluss des Koalitionspartners FDP (!) entstand.32 Der nächste Schritt war das Umweltprogramm der Bundesregierung vom 29. September 1971. Anfang 1972 wurde schließlich beim Bundesinnenministerium der zwölfköpfige „Rat der Sachverständigen für Umweltfragen“ eingerichtet. Eine weitere Konsequenz aus dem Programm war die Gründung des Berliner Umweltbundesamtes (1974), das fortan die Aufgabe hatte, die Arbeit von rund 40 Behörden, Anstalten und Forschungseinrichtungen zu koordinieren.33

 

Und endlich kam es auch zu umfassenden Gesetzesänderungen. Dazu gehörten unter anderem die Neufassung des Wasserhaushaltsgesetzes, das Wasserabgabengesetz und das Bundesnaturschutzgesetz (alle 1976). Dazu kamen durch eine entsprechende Grundgesetzänderung Kompetenzzuweisungen an den Bund, wogegen Forderungen nach einer verfassungsrechtlichen Relevanz des Umweltschutzes nicht berücksichtigt wurden.34 Trotz dieser erheblichen Fortschritte sollte nicht vergessen werden, dass die Umweltpolitik unter Einfluss der Ölkrise von 1973 und in der Regierungszeit des neuen Bundeskanzlers Helmut Schmidt nicht mehr die ursprüngliche Bedeutung hatte, was schließlich zur Gründung der Grünen führte. Die neue Partei zog 1983 in den Bundestag ein.35

 

Trotz der bedeutenden Fortschritte in der Umweltpolitik zeigte sich in den Kommunen einmal mehr, wie sehr wirtschaftliche Interessen und schwache Gemeindekassen einer schnellen Umsetzung von politischen Vorgaben und Forderungen im Weg standen. Der sprunghafte Anstieg der Zahl von Bürgerinitiativen, die durch ihr Engagement Druck auf die Verantwortlichen ausübten, kommt ebenso wenig von ungefähr wie die Entstehung einer einflussreichen Plattform: Bereits 1972 hatten sich die im Umweltschutz engagierten Bürgergruppen zum „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“ zusammengeschlossen.36 Das waren günstige Voraussetzungen für den weiteren Aufstieg der Grünen, die die verhärteten Fronten zwischen Politik und Bürgerinitiativen zu nutzen wussten.

 

1.2 Der Zustand des Rheins

 

Da im kriegszerstörten Deutschland neben dem Wiederaufbau der Wirtschaft vor allem die Errichtung von Wohnungen im Vordergrund stand, sollten noch Jahre vergehen, bis die bereits kurz vor Kriegsausbruch ins Auge gefassten Maßnahmen für den Gewässerschutz Wirklichkeit werden sollten. Selbst beim Chemiegiganten Bayer Leverkusen gab es Mitte der 50er-Jahre keine zentralen Anlagen zur Reinigung des Abwassers. Die Ableitungen erfolgten an sieben verschiedenen Stellen. Die Folge: Der Rhein roch intensiv nach aromatischen Verbindungen, Schaumteppiche waren an der Tagesordnung, die Flussfauna war geschädigt. Die Verhältnisse sollten sich allerdings mit dem Bau einer werkseigenen Großkläranlage verbessern, deren erste Stufe aber erst 1971 in Betrieb genommen wurde. Bis zur Vollendung der zweiten Stufe sollten noch einmal neun Jahre vergehen.37

 

Auch wenn Verhältnisse wie in Leverkusen in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre am Rhein zu den typischen Beobachtungen gehörten, war es immer noch nicht so, dass der Rhein in seinem ganzen Verlauf zu einer Kloake verkommen war. Die Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung des Rheins veröffentlichte 1965 eine differenzierte Bestandsaufnahme. Demnach hatte der Hochrhein noch eine gute Wasserqualität. Kritischer wurde die Situation am Oberrhein. Hier sorgten vor allem die Abwassereinleitungen aus dem Raum Basel für eine Verschlechterung der Wasserqualität. Dazu kamen weitere problematische Einleitungen, vor allem in der Umgebung von Straßburg und Karlsruhe. Noch kritischer wurde es im Raum Mannheim-Ludwigshafen. Hier waren es neben den Abwässern der Schwesterstädte vor allem die chemische Industrie und ein Zellstoffwerk, die mit ihren Einleitungen das Flusswasser verunreinigten. An der Mündung des Neckars kamen dann auch noch die Abwässer aus dem Darmstädter Raum dazu. Ebenfalls höchst unbefriedigend waren die Verhältnisse im Raum Mainz-Wiesbaden, wo man auch noch mit den Abwässern aus dem Main fertig werden musste.38

 

Flussabwärts wurde die Situation nicht besser. Ganz im Gegenteil. In der Denkschrift der Arbeitsgemeinschaft heißt es hierzu: „In der anschließenden Gebirgsstrecke erholt sich der Rhein zwar geringfügig wegen seiner größeren und turbulenten Strömungsgeschwindigkeit, wird aber bei Koblenz im Neuwieder Becken durch Städte und industrielle Abwässer erneut belastet. Nach einer kurzen Erholungsstrecke tritt er immer noch mäßig verschmutzt in das nordrhein-westfälische Industriegebiet. Auch führt er hier schon viel hauptsächlich von der Schiffahrt stammendes Mineralöl mit sich. Große Städte wie Bonn, Köln, Düsseldorf, Krefeld und Duisburg und eine Reihe großer Industriefirmen leiten nur teilweise geklärtes oder nicht gereinigtes Abwasser ein. Nach Verlassen des Industriegebietes weist der Strom eine starke Verschmutzung auf. Im Raum unterhalb von Wesel erholt er sich allmählich und erreicht immer noch bemerkbar mit gelösten und ungelösten organischen sauerstoffzehrenden Substanzen belastet die niederländische Grenze.“39

 

Das Problem konnte nur mit Investitionen gelöst werden, die die bisherigen Ausgaben erheblich überstiegen. Die Arbeitsgemeinschaft ermittelte für Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland Kosten von insgesamt 5,510 Milliarden DM. Davon sollten 3,119 Milliarden DM in den Ausbau von Kanalisation und Hauptsammlern, weitere 2,391 Millionen DM in den Bau von Kläranlagen fließen.40 Und Nordrhein-Westfalen sollte das Bundesland sein, das am meisten von dem Investitionspaket profitieren sollte. Für die Sanierung der dort besonders stark verschmutzten Rheinabschnitte waren insgesamt 1,8 Milliarden DM vorgesehen. Dies alles änderte nichts daran, dass der Rhein inzwischen offen als größte Kloake Europas bezeichnet wurde. Dass dies nicht von ungefähr kam, wurde spätestens mit der Denkschrift der Arbeitsgemeinschaft der Länder deutlich, die nach der Verabschiedung der Europäischen Wasser-Charta durch den Europarat (Frühjahr 1968) vorgelegt wurde. Wie bereits 1965 wurden die Abschnitte des Rheins untersucht. Es wurde herausgearbeitet, welchen Anteil die Industrie an der Verunreinigung des Flusses hatte.41

 

1.3 Fischsterben im Juni 1969

 

Trotz der ersten Maßnahmen wurde die tatsächliche Bedeutung des Gewässerschutzes nach wie vor unterschätzt. Das sollte sich im Juni 1969 ändern. Das große Fischsterben sensibilisierte endlich auch die Öffentlichkeit. „Millionen toter Fische verfärbt, bauchoben und vielfach mit weggefressener Haut“, war zum Beispiel in der Stuttgarter Zeitung zu lesen.42 Und die Region Mittelrhein war besonders betroffen, weil die Katastrophe in Bingen begann. 100 Kilometer lang war der „Teppich“ mit toten Fischen, der rheinabwärts zur niederländischen Grenze trieb. Auf der Suche nach den Gründen für die Katastrophe tappten die Behörden zunächst im Dunkeln. Auch einen Monat nach der Katastrophe waren die Ursachen immer noch nicht geklärt. Noch Ende Juli ging man davon aus, dass im Rhein verborgene Giftbehälter die Ursache waren, nach denen allerdings ein Spezialschiff erfolglos suchte.43

 

Ein weiterer Verdacht richtete sich gegen die US-Streitkräfte und ihre Giftgasreserven. Allerdings dementierte das Bundesverteidigungsministerium die Darstellung des in die DDR geflüchteten westdeutschen Wissenschaftlers Petras, der über Kriegsschiffe mit chemischen Kampfstoffen in einem Nebenarm des Rheins berichtet hatte.44 Diese im Kalten Krieg konstruierten Horrorvisionen waren nicht haltbar. Es stellte sich heraus, dass Endosulvan in den Rhein geleitet worden war. Diese Chemikalie war in einem Schädlingsbekämpfungsmittel mit dem Markennamen „Thiodan“ enthalten, das wie das bekanntere DDT zu den sogenannten Kontaktgiften gehörte. Es war Mitte der 1950er-Jahre von den Hoechst-Werken gegen Insektenfraß entwickelt worden. Dass dieses Gift schon in geringen Konzentrationen für Fische tödliche Folgen hatte, war damals bekannt.45

 

Die Giftkatastrophe auf dem Rhein führte schließlich dazu, dass sich die damalige „Länderarbeitsgemeinschaft zur Reinhaltung des Rheins“, der neben Rheinland-Pfalz auch Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen angehörten, auf die Einführung eines Warnsystems zur Früherkennung von Verunreinigungen des Flusses einigte. Demnach sollten amtliche Meldestellen festgelegt und die für die Untersuchung von Wasserproben zuständigen Institute bestimmt werden.46

 

2. Das große Umdenken

 

Das große Fischsterben im Rhein im Juni 1969 hatte deutlich gemacht, dass die bisherigen Maßnahmen für den Gewässerschutz nicht ausreichten. In den 1970er-Jahren wurden schließlich immense Summen investiert, um das Problem zumindest ansatzweise in den Griff zu bekommen. In den alten Bundesländern wurden zwischen 1971 und 1981 insgesamt rund 40 Milliarden DM für den Bau und Betrieb von Kläranlagen und Kanalisationsnetzen ausgegeben. Waren 1951 noch 32 Prozent der Bundesbürger an eine Kanalisation angeschlossen, stieg die Quote nun auf immerhin 55 Prozent.47 Gerade am Rhein waren die Investitionen dringend erforderlich: Obwohl die Verschmutzung des Flusses immer weiter zunahm, stieg im Rheinland der Anteil der Wasserversorgung aus Rheinuferfiltraten. Bereits 1964 lag er bei 25,5 Prozent. Der Anteil des auf dem gleichen Weg entnommen Brauchwassers lag sogar bei 50 Prozent. Gleichzeitig wurde ein Nachlassen der Brunnenergiebigkeit bei gleichzeitigem Qualitätsverlust beobachtet. Vor allem auf die Kommunen kamen hohe Ausgaben für die Gewinnung und Aufbereitung von Trinkwasser zu.48

 

Die hohen Investitionen in den Gewässerschutz führten jedoch nicht zu deutlichen Verbesserungen der Flusswasserqualität. Im Gegenteil: Das Fischsterben ging weiter, allein zwischen 1962 und 1981 reduzierten sich die Fangerträge der deutschen Flussfischerei um 30 Prozent. Entsprechend waren die wirtschaftlichen Folgen. Nur noch 1000 Menschen arbeiteten in einem auch noch von der ausländischen Konkurrenz gebeutelten Wirtschaftszweig, der einmal eine der wichtigsten Erwerbsquellen war.49

 

Die erheblichen Investitionen in den Gewässerschutz und die damit verbundene deutliche Verbesserung der Qualität der Flüsse und Binnengewässer seit den 1980er-Jahren bedeuteten nicht, dass eine endgültige Lösung der Umweltprobleme in greifbare Nähe gerückt war. Das machte die Sandoz-Katastrophe im November 1986 deutlich, die nach dem Tschernobyl-Schock vom 26. April 1986 erneut die Medien alarmierte. Weniger bekannt ist, dass sich der Rhein auch ohne Sandoz nach wie vor in einem bedenklichen Zustand befand. 1985 führte der Rhein 11 Millionen Tonnen Chlorid, 4,6 Millionen Tonnen Sulfat, 828.000 Tonnen Nitrat, 284.000 Tonnen organische Kohlenstoffverbindungen, 90.000 Tonnen Eisen, 38.200 Tonnen Ammonium, 28.400 Tonnen Phosphor, 4350 Tonnen Zink, 2500 Tonnen organische Chlorverbindungen, 681 Tonnen Kupfer, 665 Tonnen Blei, 578 Tonnen Chrom, 530 Tonnen Nickel, 126 Tonnen Arsen, bis zu 13 Tonnen Cadmium und 6 Tonnen Quecksilber über die niederländische Grenze. Zur gleichen Zeit fanden Chemiker der niederländischen Rheinwasserwerke heraus, dass selbst das aufbereitete Trinkwasser Stoffe enthielt, die als krebserregend gelten.50

 

Zum Zustand heimischer Gewässer passt das Bild, das die „Abfallentsorgung“ bis weit in die 1980er-Jahre hinein vermittelt. Wie in vorindustrieller Zeit wurde Abfall als Müll behandelt, der einfach im Gelände abgelagert werden konnte – und das, obwohl sich die Menge des Hausmülls schon in den Jahren von 1950 bis 1961 verdoppelt hatte. Ein klassischer „Entsorgungsort“ waren ausgebeutete Kiesgruppen, die bis in die 1970er-Jahre hinein einfach und ohne besondere Schutzmaßnahmen verfüllt wurden. Man bedenke: Noch 1970 waren 50 Prozent der Einwohner der Bundesrepublik nicht an eine geregelte Müllabfuhr angebunden. Und: Von rund 200 Millionen Kubikmetern an Abfallstoffen aller Art wurden 80 Prozent auf 50.000 Müllkippen „deponiert“, ohne dabei an die Folgen für Böden oder Wasser und damit an die Gesundheit der Bevölkerung zu denken. Zu Beginn der 1970er-Jahre gab es gerade mal 100 „geordnete“ Deponien. Dort landeten aber nur 15 Prozent des Hausmülls. Bis Ende der 1980er-Jahre sollte sich diese Situation nicht ändern. Im Gegenteil: Die Menge des Hausmülls wuchs auf 380 Kilogramm pro Kopf und Jahr. In den USA stieg die Pro-Kopf-Menge sogar auf 744 Kilogramm.51

 

Trotz der alarmierenden Ereignisse ist 1986 als „Jahr der Katastrophen“ auch ein wichtiges Jahr für die Stärkung des Umweltschutzes, wobei natürlich auch wahltaktische Überlegungen der Bundesregierung unter Führung von Kanzler Dr. Helmut Kohl eine Rolle spielten.52 Damals wurde nicht nur das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gegründet. Auch die Umweltgesetze standen auf dem Prüfstand und wurden einer Novellierung zugeführt.53

 

Das neue Abfallgesetz vom 27. August 1986 mit seinen Verwertungsgrundsätzen ist ein Ergebnis des „Reformjahrs“. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass bereits die Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) vom 26. April 1976 (das am 25. Juli 1986 noch einmal geändert wurde) den Charakter eines modernen Umweltschutzgesetzes hatte, das sehr wohl positive Folgen für die Wasserqualität des Rheins hatte. So wies die von der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) herausgegebene Gewässergütekarte eine zum Teil erhebliche Verbesserung der Qualität des Rheinwassers aus. Mitte der 1960er-Jahre hatte man noch durchgehend kritische Belastungen oder starke Verschmutzungen festgestellt.54

 

Das Koblenzer Beispiel zeigt, dass die seit den 1980er-Jahren eingeleiteten umfassenden ergänzenden Maßnahmen für den Gewässerschutz auch aus städtebaulichen Gründen erfolgten. In diese Zeit fallen auch die umfassenden Maßnahmen der durch das Städtebauförderungsgesetz begünstigten Stadtteilsanierungen, bei denen es um „Gesundung“ im wahrsten Sinne des Wortes ging. Dabei stand – wie in vielen anderen Städten – nicht nur die Überwindung kleinteiliger Bau- und Stadtteilstrukturen55 im Vordergrund, sondern eben auch die vollständige Erneuerung der Kanalisation.

 

Im Zuge der umfassenden Maßnahmen zur Verbesserung des Gewässerschutzes wollte man gleichzeitig auch die Hochwasserproblematik in den Griff bekommen. Das geschah seit 1957 mit der nicht unumstrittenen Höherlegung des zerstörten und eingeebneten Kastorviertels und wurde mit dem technisch sehr aufwendigen und kostspieligen Hochwasserschutz für Ehrenbreitstein fortgesetzt. Nicht vergessen sollte man, dass das 1970 vollendete und 1971 eingeweihte Großklärwerk im Stadtteil Wallersheim noch einmal erheblich ausgebaut wurde und der neue Abschnitt im Frühjahr 1990 in Betrieb genommen werden konnte.

 

Die Verbesserungen auf lokaler und regionaler Ebene nahm Sven Lüthje bereits 1990 zum Anlass, eine recht positive Bilanz zu ziehen. Der damalige Direktor des Landesamtes für Wasserwirtschaft Rheinland-Pfalz56 stellte bei einem Seminar über die Trinkwasserversorgung durch Uferfiltrat am 21. Juni in Mainz fest, dass nach dem Bau vieler Kläranlagen die Belastung des Rheins mit organisch abbaubaren Stoffen gegenüber den 1960er- und 1970er-Jahren deutlich zurückgegangen war. Lüthje erinnerte in diesem Zusammenhang auch an die Vorgaben des rheinland-pfälzischen Landtages. Dieser hatte bereits am 17. Februar 1983 die Gewässergüteklasse II als Qualitätsziel für alle Fließgewässer im Land vorgegeben. Dieses Ziel war Anfang der 1990er-Jahre erreicht worden: Der Kampf gegen das Fischsterben und den Sauerstoffmangel schien von Erfolg gekrönt zu sein.57

 

Trotz der zweifellos deutlich sichtbaren Erfolge warnte Sven Lüthje vor Euphorie und wies auf unbekannte Stoffe hin, die in der biologischen Güteklassebeschreibung nicht berücksichtigt wurden und deren Auswirkungen noch nicht bekannt waren. Als Beispiele nannte der Direktor Salze, Stickstoffverbindungen, organisch schwer abbaubare Stoffe wie Mittel zur Pflanzenbehandlung, Schwermetalle und eine Vielzahl von nicht bekannten, analytisch noch nicht fassbaren Stoffen. Sven Lüthje betonte, dass es in Rheinland-Pfalz zwar große Grundwasservorkommen gebe, man aber wegen der hohen Siedlungsdichte in den Ballungsräumen eben auf Uferfiltrat oder auf mit infiltriertem Rheinwasser angereichertes Grundwasser zurückgreifen müsse. Außerdem würden nicht weiter bekannte chemische Substanzen Probleme bereiten. Nicht umsonst hob der Direktor einen Nutzungskonflikt zwischen der Trinkwassergewinnung einerseits und der Einleitung von Abwässern andererseits hervor.58

 

Wie die Jahresberichte der Arbeitsgemeinschaft Rhein-Wasserwerke zeigen, haben diese Hinweise ihre Aktualität nicht verloren. So meldete der Jahresbericht 2004 zwar keine akuten Gefahren, wies aber dafür auf Substanzen hin, die im Zuge der konventionellen Wasseraufbereitung nicht herausgefiltert werden konnten. Als Beispiele wurden unter vielen anderen neben Pflanzenschutzmitteln auch Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) genannt, die häufig bei der Herstellung von Wasch- und anderen Reinigungsmitteln verwendet wird.59 Auch die Wirkstoffe Ibuprofen und Diclofenac, die in Schmerz- und Rheumamittel enthalten sind, wurden als schwer abbaubar charakterisiert.60

 

Ein weiteres aktuelles Problem ist und bleibt die Frage, wie sich der Klimawandel auf den Rhein auswirken wird. Und in diesem Punkt zeichnete bereits die Internationale Rheinkonferenz, die Ende April 1999 in Koblenz eröffnet wurde, ein sehr düsteres Bild.61 In der Tagespresse warnten die Experten vor den Folgen der Klimaerwärmung. Tenor: Die Folgen könnten für den Rhein dramatisch sein, weil die Gletscher, deren Schmelzwasser dem Strom das ganze Jahr lang ausgeglichene Verhältnisse bescheren, verschwinden. Dabei rechnete Prof. Dr. Hartmut Graßl von der Genfer Weltorganisation für Meteorologie (WMO) vor, dass sich die Gletschermasse zwischen 1850 und 1970 um 50 Prozent verringert habe.

 

In den folgenden Jahren verschwanden noch einmal rund 20 Prozent. Bei der Konferenz machte Graßl ferner deutlich, dass Klimaforscher in Deutschland schon seit Jahren steigende Niederschlagsmengen im Winter und weniger Regen im Sommer registrierten. Mit einer Trendwende rechnete er nicht. Im Gegenteil: Zum damaligen Zeitpunkt ging die WMO von einer Steigerung der Durchschnittstemperaturen zwischen einem und drei Grad in einem Zeitraum von 50 Jahren aus. Für den Rhein bedeutete das Extremwasserstände im Winter und Niedrigwasser in der warmen Jahreszeit – mit entsprechenden ökonomischen Folgen für die Transportwirtschaft.

 

Der damalige Präsident der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR), Prof. Dr. Manfred Spreafico, ging sogar davon aus, dass das Abfallen der Pegelstände auch das Trinkwasserdargebot gefährden könnte, da auch der den Fluss begleitende Grundwasserstrom sinken würde, aus dem man das Uferfiltrat gewinnt. Spreafico warnte davor, dass der Strom seine Rolle als „Kläranlage Europas“ verlieren könnte, weil sinkende Pegel zu niedrigerer Fließgeschwindigkeit und damit zum Verlust von Selbstreinigungskraft führen.

 

Fazit der Experten: Der Strom wird immer unberechenbarer. Dabei räumten sie allerdings ein, dass sich aus den Statistiken der vergangenen 100 Jahre keine eindeutigen Schlüsse für die Zukunft ziehen ließen. Allerdings wurde auch betont, dass der Rhein – bedingt durch Begradigungen – immer schneller fließe und sich deshalb auch immer tiefer in sein Bett eingrabe. Die Folge: eine Zunahme von Sedimentablagerungen, die vor allem in den Niederlanden zu Problemen führen könnten. Sedimente sind nämlich so etwas wie ein „Langzeitgedächtnis des Flusses“, die Giftstoffe enthalten können, die eigentlich schon Jahrzehnte zuvor aus dem Rheinwasser verschwunden sind. Unter Hinweis darauf, dass der Rhein wohl der am besten erforschte Fluss der Erde sei, sahen die Konferenzteilnehmer trotz ihrer recht düsteren Visionen keinen Grund zur Hysterie.62 Die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit scheinen ihnen recht zu geben. Das Extremhochwasser der Jahre 1993 und 1995 wiederholte sich bislang nicht. Auch die in den Medien – vor allem in der Bild-Zeitung – hochgespielte „Dürre“ vom April 2007 wurde durch die Niederschläge des folgenden Monats relativiert.

 

3. Neuordnung in Koblenz

 

Auch in Koblenz richteten die alliierten Luftangriffe der Jahre 1944 und 1945 schwere Schäden an. So wurden in der Innenstadt 54 Prozent der Gebäude zerstört und weitere 33 Prozent schwer beschädigt.63 Im gesamten Stadtgebiet hatten von insgesamt 25.635 Wohnungen nur 1500 die Bombardements unversehrt überstanden. Von 90.000 Koblenzern lebten bei Kriegsende nur noch 12.000 in ihrer Heimatstadt. Doch die Bürger kehrten nach der Evakuierung der Stadt relativ schnell aus Thüringen zurück, was die örtliche Verwaltung vor große Probleme stellte.64

 

Da die französische Besatzung das zur Verfügung stehende Baumaterial zunächst für eigene Zwecke beanspruchte, musste sich die Zivilbevölkerung zunächst mit Provisorien begnügen. Das galt nicht nur für die Wiederherstellung der Gebäude, sondern vor allem auch für vorhandene Kanäle im Koblenzer Stadtgebiet, die damals eine Gesamtlänge von nur 97 Kilometern hatten. Rechnet man Hausanschlüsse und zerstörte Sinkkästen mit, gab es insgesamt rund 1200 Schadensstellen, die repariert werden mussten. Davon waren bis zum Dezember 1946 gut 760 beseitigt.65

 

Der Neubau von Kanalisationsabschnitten in der Innenstadt kam nach frostbedingten Verzögerungen erst im Frühjahr 1947 in Gang. Bis zum 31. März sollte mit dem Bau von 353 laufenden Metern Mauerkanälen und 875 laufenden Metern Rohrkanälen begonnen werden. Darüber hinaus wollte man 22 Revisionsschächte bauen.66 Zu diesem Zeitpunkt gab es immer noch rund 340 Schadensstellen in der Stadt. Der Aufwand wurde auf rund 18.000 Arbeitstage, die Kosten für die Wiederherstellung wurden auf rund 28.000 Reichsmark geschätzt.67

 

Anfang 1947 war die Kanalisation in Lützel, Neuendorf, Pfaffendorf und Horchheim weitgehend repariert, die Arbeiten in Ehrenbreitstein sollten noch im Frühjahr abgeschlossen werden. Auch in anderen Stadtteilen gab es Fortschritte. So waren bereits im Laufe des Jahres 1946 die Straßenkanäle auf der Karthause instand gesetzt worden. Gleiches galt für die Strecke von der Koblenzer Innenstadt nach Moselweiß. Im Einzelnen wurden die Kanäle in den Bereichen Schlachthofstraße, Blücherstraße, Moselweißer Straße und Koblenzer Straße repariert. Die starken Verstopfungen, die zu Rückstaus in diesem Gebiet geführt hatten, wurden in den ersten Monaten des Jahres 1947 beseitigt. Dagegen ließ man die unbewohnten Bereiche der Altstadt einfach liegen. So wurde das Kastorviertel vor dem Hintergrund aufgegeben, dass man dort eine umfassende städtebauliche Neuordnung plante.68

 

 Wie das Beispiel Oberwerth zeigt, musste sich die Stadtverwaltung oft mit Provisorien begnügen. Da das Abwasserpumpwerk zerstört und somit eine Ableitung der Abwässer in das Innenstadtsystem unmöglich war, leitete man das verschmutzte Wasser unterhalb der Horchheimer Eisenbahnbrücke in den Rhein.69 Und trotz der großen Bemühungen, das alte Entsorgungssystem wieder in Gang zu bringen, häuften sich die Beschwerden. Dies lag auch daran, dass in den Kriegsjahren die Reinigung von Kanälen und Hausanschlüssen vernachlässigt worden war und sich nun gefährliche Rückstaus mit ekelerregenden Folgen bildeten. So klagte eine Frau Pelzer als Bewohnerin des Erdgeschosses im Haus Johannes-Müller-Straße 36 darüber, dass die Jauche in den Kellerräumen bis zu einer Höhe von 75 Zentimetern stehe und die Klosetts nicht benutzt werden könnten, weil sich bereits jetzt die Exkremente sammelten.70 Und Hans Zöller berichtete über ähnliche Zustände im Haus Emser Straße 136a (Pfaffendorf).71 Auch die Beschwerde von Josef Buschmann spricht Bände. Der Inhaber der gleichnamigen Weinbrennerei in Ehrenbreitstein nannte überquellende Fäkalien am Klausenbergweg in Höhe der Rheinburg und erinnerte daran, dass er die Stadtverwaltung bereits mehrfach unterrichtet habe, aber trotzdem noch nichts geschehen sei.72

 

Trotz der zahlreichen Beschwerden war an einen Neubau von Kanälen in der zerstörten Stadt noch nicht zu denken. Erst um 1950 wurde das bestehende System in nennenswertem Umfang ausgebaut. Der eigentliche Schub sollte jedoch erst mit der Erschließung neuer Wohn- und Gewerbegebiete wie zum Beispiel dem Flugfeld Karthause in den 1960er-Jahren einsetzen. So wurde das städtische Kanalnetz in der Zeit zwischen 1963 und 1972 um rund 150 Kilometern erweitert. 1975 hatte es eine Gesamtlänge von 316,3 Kilometern erreicht. Zum Vergleich: Die von Adolf André konzipierte „Urkanalisation“ brachte es um 1900 auf eine Länge von gerade mal 21,4 Kilometern. Und noch 1925 waren bescheidene 61,8 Kilometer gemessen worden.73

 

3.1 Erste Projekte in den Stadtteilen

 

Die Neuausrichtung und Ergänzung der Koblenzer Kanalisation war in fast allen Stadtteilen ein wichtiges Thema, zumal auch die sanitären Verhältnisse in vielen Häusern bis weit in die 1970er-Jahre hinein stark zu wünschen übrig ließen. So berichtete der „Außendienst“ der Stadtverwaltung über das Haus Trierer Straße 273, dass sich die einzige Toilette für das gesamte Grundstück auf dem Hof befand und diese keine Wasserspülung besaß.74 Die Mängel waren keine Metternicher Spezialität. Ganz im Gegenteil: Gerade in den Koblenzer Kernbereichen waren die sanitären Verhältnisse immer noch sehr schlecht. Bände spricht die telefonische Meldung einer Helferin des Pfarramtes Liebfrauen bei der Stadtverwaltung vom 7. Februar 1963.

 

Die Frau teilte mit, dass wahrscheinlich Bewohner der Häuser Florinspfaffengasse 5 oder 7 ihre Exkremente in den vor dem Haus Nr. 6 befindlichen Kanalschacht schütten würden. Eine genaue Benennung der Verursacher war nicht möglich, weil diese stets die Dunkelheit nutzten. Allerdings sei wiederholt festgestellt worden, dass „feste Stoffe“ auf dem Kanalrost lagen, die die Bewohner des Hauses Florinspfaffengasse 6 beseitigen mussten. Die Zeugin bat wegen der unzumutbaren Zustände und der Tatsache, dass Kinder gern in der Gasse spielten, um das Einschreiten der „Gesundheitspolizei“.75

 

Dieses drastische Beispiel war kein Einzelfall. Als man im Vorfeld der Altstadtsanierung den Wohnungsbestand genau unter die Lupe nahm, ergab sich ein ernüchterndes Bild: Besaßen laut Statistik des Jahres 1968 rund 15 Prozent aller Wohnungen im Koblenzer Stadtgebiet weder Bad noch Toilette, war der für den Kernbereich der Altstadt innerhalb des spätantik-frühmittelalterlichen Grabens ermittelte Wert deutlich höher. Er erreichte 56 Prozent (!), wobei die Verhältnisse in den Häuserblöcken zwischen Gemüsegasse und Florinspfaffengasse mit Abstand am schlimmsten waren. Dies lag vor allem daran, dass die westliche und östliche Altstadt im Krieg weitgehend zerstört worden waren. Diese Tatsache führte zu einer Überbelegung in den antiken Kernbereichen und damit lange auch zu einem „Sanierungsstau“.76

 

Neben der Altstadt gehörten vor allem die noch erhaltenen Abschnitte der preußischen Festung Koblenz zu den Gebieten, die noch Jahre nach Kriegsende als Notunterkunft dienten. Besonders übel müssen die Zustände im (heute ungenutzten) Fort Asterstein gewesen sein. Dort waren die sanitären Anlagen in einem verwahrlosten Zustand und stark verschmutzt. Außerdem hatte die Toilette keine Wasserspülung. Dazu kam, dass der Abortraum vom Tageslicht abgeschnitten war und keine künstliche Beleuchtung besaß – und das, obwohl dort die einzige Wasserentnahmestelle vorhanden war. Eine Heizung gab es nicht, sodass die Leitung im Winter zufror. Angesichts der katastrophalen Verhältnisse verrichtete ein Teil der Bewohner die Notdurft in Eimer, die dann unmittelbar vor dem Haupteingang des Kernwerks entleert wurden, wo außerdem auch noch Schutt abgeladen wurde. Insgesamt waren die Zustände katastrophal. Nicht umsonst hatte das Koblenzer Gesundheitsamt die Unterbringung der im Fort wohnenden Familien als gesundheitswidrig und menschenunwürdig bezeichnet.77

 

Diese wenigen Beispiele zeigen, dass es akuten Handlungsbedarf gab. So wurden die Verhältnisse in Metternich im April 1963 im Koblenzer Stadtrat diskutiert. Der damalige Beigeordnete Dr. Alfons Schupp gab auf Wunsch der CDU-Fraktion einen Überblick über die geplanten Maßnahmen im Moselstadtteil. Demnach sollten Raiffeisenstraße, Kierweg, Winninger Straße, die Weidtmanstraße und Isenburgstaße im Trennverfahren entwässert werden. Der Grund: Ein natürliches Gefälle gab es nur in Richtung Mosel, der Sammler Trierer Straße lag jedoch oberhalb der zu kanalisierenden Straßen im nördlichen Bereich des Stadtteils. Das Schmutzwasser sollte deshalb durch Pumpen von der Einmündung der Raiffeisenstraße in die Winninger Straße bis zum Kanal der Trierer Straße transportiert werden, während man das Regenwasser etwa in Verlängerung der Raiffeisenstraße in die Mosel einleiten wollte.78

 

Dieser Gedanke wurde aber nicht weiter verfolgt. Heute funktioniert die Sache so: Aus dem tief liegenden Teil von Metternich, der auch im Trennsystem entwässert wird, wird das Schmutzwasser zu einem Pumpwerk vor dem Fährhaus am Stausee geleitet und von dort über eine Dükerleitung (Druckleitung) auf die andere Moselseite in den Hauptsammler Moseluferstraße gepumpt. Von dort fließt das Schmutzwasser mit dem Schmutzwasser von Lay, der Tiefzone Moselweiß und von Güls zum Deutschen Eck und zum Klärwerk. Das Regenwasser wird dagegen direkt in die Mosel geleitet. Hintergrund: Eine Untersuchung hatte ergeben, dass die Entwässerung über die rechte Moselseite wirtschaftlicher ist als ein Hochpumpen zur Trierer Straße.

 

Das Beispiel zeigt: Die topografische Lage von Koblenz stellt hohe Anforderungen aus technischer und finanzieller Sicht an die Entwässerung der Stadt. So muss zum Beispiel die Energie, die beim Abfließen des Wassers aus den Höhengebieten in den steilen Abwasserleitungen frei wird, „vernichtet“ werden, damit keine Schäden an den Rohren und Bauwerken entstehen. Wenn das Wasser dann im Tal ist, muss wieder Energie in Form von Elektrizität eingesetzt werden, um es bis zum Klärwerk zu bringen. Nach und nach wurden im Laufe der Zeit im ganzen Stadtgebiet 23 Pumpwerke errichtet.

 

Auch in Güls suchte man nach zukunftsfähigen Lösungen, das Schmutz- und Oberflächenwasser zu beseitigen. Die Folgen der Katastrophe vom Pfingstmontag 1932 waren nicht vergessen. Am 16. Mai hatten die Wassermassen nach einem Wolkenbruch in der Bachstraße sechs Menschen in den Tod gerissen und schwere Schäden angerichtet.79 Auch in der Moselgemeinde plante man den Bau eines neuen Entwässerungssystems nach dem Trennsystem. Auf eine Umsetzung der Pläne wurde jedoch verzichtet, da die Gemeinde die Kosten nicht allein aufbringen konnte. Und so floss das Oberflächenwasser nach wie vor in die Mosel, während das verbrauchte Trinkwasser und andere Flüssigkeiten einfach über offene Straßenrinnen – die sogenannten „Flössjer“ – abgeleitet wurden. Die Fäkalien landeten dagegen in der Regel in Senkgruben, die hin und wieder geleert wurden und im Volksmund „Pudelsenken“ genannt wurden. Das Schmutzwasser aus den seit den 1950er-Jahren erbauten Häusern wurde in eine Klärgrube geleitet, wo das verschmutzte Wasser zumindest vorgereinigt wurde.80

 

Erst im Zuge der Vorbereitung der Eingemeindung von Güls kam Bewegung in die Sache: Im Auseinandersetzungsvertrag mit der Stadt Koblenz vom 13. Juli 1970 ließ sich die Gemeinde Güls die Kanalisierung des Ortes garantieren. Das war der Preis für die Eingemeindung.81

 

Die Planungen sahen vor, Schmutzwasser durch eine Rohrleitung über die Gülser Eisenbahnbrücke zu führen und in den Koblenzer Sammler in der Moseluferstraße zu leiten. Das Regenwasser sollte dagegen weiterhin direkt in die Mosel geleitet werden. Eine Verbindung nach Metternich stand aus wirtschaftlichen Gründen nicht zur Debatte. Die Stadt verzichtete umgekehrt auf die Möglichkeit, das Schmutzwasser von der Metternicher Raiffeisenstraße zur Gülser Brücke zu transportieren. Dafür hätte man einen Kanal mit einer Länge von rund 1,7 Kilometern verlegen müssen.82

 

Im Falle von Güls begann die Stadt Koblenz Mitte der 1970er-Jahre, ihre vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Die ursprünglichen Planungen für eine Kanalisation nach dem Trennsystem wurden Zug um Zug umgesetzt. Dazu gehörten die großen Sammelrohre zur Ableitung des Oberflächenwassers und die Verlegung von kleineren Rohrleitungen zur Entsorgung des Schmutzwassers, das nun zu einer Pumpstation an der Gülser Eisenbahnbrücke geleitet und von dort über eine an die Brücke angehängte Leitung in die Moselweißer Kanalisation und von dort weiter in das Wallersheimer Klärwerk floss. Die Arbeiten in Güls dauerten sehr lange und behinderten das örtliche Leben.83 Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass der untere Teil der Straße „Am Mühlenbach“ Anfang der 1980er-Jahre auf einer Länge von rund 60 Metern im Unter-Tage-Verfahren kanalisiert wurde.84

 

Bereits in den 1950er-Jahren begannen konkrete Planungen zur Neuordnung der Kanalisation auf der rechten Rheinseite. Um die Abwässer ordnungsgemäß abführen und in Kläranlagen reinigen zu können, musste zuerst ein Entwurf aufgestellt werden, der über Mengen und Ableitung der anfallenden Abwässer ausreichende Angaben machte. Das Koblenzer Ingenieurbüro Kocks Consult stellte deshalb im Auftrag der Stadt bereits 1959 einen generellen Entwässerungsentwurf für das damalige Stadtgebiet auf. Von 1955 bis 1958 hatte man eine Bestandsaufnahme des Kanalnetzes vorgenommen. In diesem Entwurf wurden die Grundstücke der zukünftigen  Entwässerungsverfahren in den einzelnen Ortsteilen mit dem Ziel festgelegt, die Abwässer möglichst im freien Gefälle oder über Düker und Pumpwerke einer Großkläranlage zuzuführen, die in Wallersheim gebaut werden sollte. Die Planungen für dieses zentrale Werk erfolgten in den Jahren 1963 bis 1965, die Arbeiten begannen Ende 1967. Im Oktober 1971 ging die Anlage in Betrieb. Nachträgliche Erweiterungen hatte man in den Planungen wegen der anstehenden Eingemeindungen von Anfang an vorgesehen.85

 

Nach dem Abschluss des Eingemeindungsprozesses kamen auf die Stadt Koblenz neue Herausforderungen zu, denn nicht nur in Güls, sondern auch in den anderen einst selbstständigen Orten musste die Kanalisation völlig neu geordnet werden. Eine Ausnahme war Arenberg, das bereits weitgehend im Mischverfahren kanalisiert und auf einen Anschluss nach Koblenz vorbereitet war. Am besten war die Ausgangsposition in Immendorf. Dort waren die Wege am kürzesten – das Entwässerungssystem im Stadtteil konnte einfach an die Kläranlage der Nachbarstadt Vallendar angeschlossen werden.86 Mitte Oktober 1977 begannen die Arbeiten an der neuen Kanalisation im Höhenstadtteil.87 Bei der Anbindung Immendorfs an die Vallendarer Kanalisation blieb es bis einschließlich Sommer 1999. Erst im Herbst jenes Jahres wurde vom Niederwerth ein Düker nach Wallersheim errichtet, der das Klärwerk der Verbandsgemeinde Vallendar auf der Rheininsel überflüssig machte.88

 

Auch wenn die Situation im neuen Stadtteil Arenberg auf den ersten Blick überaus positiv war, sollte sich bald herausstellen, dass das örtliche Entwässerungssystem die Verhältnisse in Ehrenbreitstein empfindlich störte und die gesamte Entsorgung auf der rechten Rheinseite einer umfassenden Neuordnung bedurfte. Einer der vielen Gründe hierfür war die Tatsache, dass die kleine gemeindeeigene mechanische Kläranlage in Arenberg veraltet und den Anforderungen der Zukunft nicht mehr gewachsen war. Da man damals davon ausging, dass die Anbindung an das neue Wallersheimer Klärwerk zügig erfolgen würde, verzichtete man auf weitere Investitionen in die Klärvorrichtung, zumal bereits feststand, dass eine Lösung der örtlichen Probleme nur im Zusammenhang mit der Neuordnung der Entwässerung in Arzheim erfolgen konnte.89

 

Wie schlecht es mit der Entwässerung der rechtsrheinischen Stadtteile stand, zeigt eine Erhebung von 1982. Demnach waren nur 70 Prozent der Koblenzer an die zentrale Kläranlage in Wallersheim angeschlossen. Mit Ausnahme von Immendorf fehlte für die gesamte rechte Rheinseite die Anbindung an eine Zentralkläranlage. An eine schnelle Abhilfe war wegen der komplizierten topografischen Lage nicht zu denken. Und auch die enormen finanziellen Belastungen bereitete den Verantwortlichen in Rat und Verwaltung Kopfzerbrechen. So schätzte der damalige Oberbürgermeister Willi Hörter im Oktober 1979, dass bis einschließlich 1982 in das Koblenzer Kanalisationsnetz 88 Millionen DM investiert werden mussten.90 Diese Summe war eben vor allem wegen der Verhältnisse auf der rechten Rheinseite zustande gekommen.

 

Im zwischen 1982 und 198891 erarbeiteten Hauptentwässerungsentwurf werden die Zusammenhänge auf der rechten Rheinseite wie folgt beschrieben: „Arzheim liegt im natürlichen Einzugsgebiet des Blindbaches, der bei Koblenz-Ehrenbreitstein in den Rhein mündet. Die Ableitung der Abwässer erfolgt vollständig im Mischsystem. An zwei Stellen, und zwar an der Schule und an der Kläranlage, wird das Kanalnetz in den Blindbach entlastet. Das Abwasser wird über einen Schmutzwasserkanal etwas unterhalb der Kläranlage in die Blindbachverrohrung eingeleitet. Das Siedlungsgebiet des Ortsteiles Arenberg liegt vollständig im natürlichen Einzugsbereich des Eselsbaches. Dieser ist ein Nebenlauf des Mühlenbaches, der bei Ehrenbreitstein in den Rhein mündet. Der Eselsbach ist nur zum Teil verrohrt. Die Verrohrung endet an der Silberstraße […] in Arenberg. Dort wird das Überlaufwasser aus den oberhalb gelegenen Mischwasserkanälen über einen Überlauf entlastet.

 

Auch die übrigen Netzteile von Arenberg entwässern im Mischsystem: Unmittelbar vor der Kläranlage wird der Mischwassersammler in den Eselsbach entlastet. Der Kläranlagenablauf wird ebenfalls in den Eselsbach eingeleitet. Die Vorfluter Blindbach und Mühlenbach bestimmen mit ihren Kerbtälern die Entwässerung in Ehrenbreitstein und Niederberg, Ehrenbreitstein selbst liegt in einer engen Talmulde und bildet den natürlichen Tiefpunkt, zu dem alle Abflüsse aus den Außenbereichen Arzheim, Arenberg und Niederberg hin entwässern. […] In der Ortslage Ehrenbreitstein sind Blindbach und Mühlenbach verrohrt. Sie nehmen die Zuflüsse aus der Kanalisation und aus Regenüberläufen auf. Die zum Teil gemauerten Bachverrohrungen sind alt und sanierungsbedürftig. […] Erst in der Ortslage Ehrenbreitstein wird das Niederberger Netz in den verrohrten Mühlenbach eingeleitet. Auch der Sammler Brentanostraße ist an die Mühlenbachverrohrung angeschlossen. Der Kolonnenweg hat über die Humboldtstraße eine eigene Einleitung in den Rhein, ebenso wie einige kleine Sammler in der Ortslage Ehrenbreitstein. Die Vorfluterkanäle in der Arenberger Straße und in der Ortslage Ehrenbreitstein zeigen […] sehr starke Überlastungen. Kritisch sind die hydraulischen Überlastungen der Brentanostraße und der Niederberger Höhe.“92

 

Zu den Schwierigkeiten auf der rechten Rheinseite kam, dass die Stadtteile Bubenheim, Lay und Rübenach auch nach der Eröffnung des neuen Klärwerks immer nochnicht an die Koblenzer Kanalisation angeschlossen waren. Handlungsbedarf gab es auch in Stolzenfels, das allerdings an das Rhenser Klärwerk angeschlossen werden sollte.93 Dies alles hatte Gründe: Die schwierigen topografischen Gegebenheiten machten kostenintensive Verbindungsbauwerke erforderlich.

 

Anfang der 1980er-Jahre war die Zeit gekommen, die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen einer umfassenden Gesamtkonzeption zu konkretisieren. Angesichts der enormen Gesamtinvestitionen, die trotz der zahlreichen vollendeten Projekte noch 1989 auf rund 250 Millionen DM geschätzt wurden94, konnten die weitreichenden Pläne nur in verschiedenen Abschnitten umgesetzt werden. So sollte es noch bis 1994 dauern, bis zumindest das Entwässerungsprojekt für die rechte Rheinseite im Großen und Ganzen abgeschlossen war.95 Im Falle von Rübenach verstrich sogar noch mehr Zeit, obwohl die Verantwortlichen bereits im August 1979 laut darüber nachgedacht hatten, die Kanalisierung des Ortes und die Beseitigung der Sickergruben vorzuziehen.96

 

Auch heute noch muss die Kanalisation im Sinne des Umwelt- und Hochwasserschutzess ergänzt werden. Kein Wunder: Schon der Umweltbericht der Stadt von 1989 machte mehr als deutlich, dass es mit dem Bau neuer Kanäle nicht getan war. Allein für die Vorbehandlung des Niederschagswassers waren 13 große Regenüberlaufbecken erforderlich. Als weitere Sonderbauwerke waren 27 kleinere Regenüberläufe und 23 Pumpwerke geplant. Davon waren allerdings bereits 23 Becken und 15 Pumpwerke vorhanden. Was die Gesamtinvestitionen in die Höhe trieb, war schließlich die Tatsache, dass die Kapazitäten des Wallersheimer Klärwerks verdoppelt werden mussten.97 Bis 2006 sollten insgesamt rund 300 Millionen Euro investiert werden.98

 

3.2 Der Bau des Rheindükers

 

Zur Sicherstellung von Trinkwasserversorgung und Entwässerung wurde zwischen 1979 und 1982 etwa 700 Meter oberhalb der Moselmündung (Stromkilometer 591,5) ein begehbarer Versorgungsstollen im Schieferfels unter der Rheinsohle bergmännisch aufgefahren. Die Gestaltung des Dükers richtete sich nach den 1960 und 1970 vorgenommenen Peilungen des Rheinbettes. Die tiefste erbohrte Stelle lag 13 Meter unter der Flusssohle.99 Die Arbeiten für den Mehrfachdüker wurden am 26. Juni 1979 ausgeschrieben. Am 5. Oktober erteilte die Stadt Koblenz der „Arbeitsgemeinschaft Rheindüker Koblenz“ unter Federführung der Philipp Holzmann AG (Zweigniederlassung Koblenz) den Auftrag zur Ausführung.

 

Ein „Tunnel in bergmännischer Bauweise“ hatte den Vorteil, dass sich im Verlauf der Bauarbeiten keine Störungen für die Rheinschifffahrt durch Spreng- und Baggerarbeiten oder durch das Einschwimmen der Rohrpakete ergaben. Der Tunnel liegt rund 16 Meter unter der Flusssohle des Rheins, seine Länge beträgt 370 Meter. Im linksrheinischen Bereich steigt der Tunnel auf etwa 50 Metern radial bis zu 60 Prozent an. Auf der rechten Rheinseite steigen die Rohre nach Unterfahrung des Flussbettes im Ehrenbreitsteiner Dükerbauwerk rund 30 Meter vertikal hoch, werden vereinigt und als Haupttransportleitung zum Pumpwerk „Ehrenbreitstein“ weitergeführt.100

 

Im Rheindüker wurden für die Durchleitung des Abwassers Muffendruckrohre aus duktilem Guss mit einem Durchmesser von je 200, 500 und 1000 Millimetern für einen Gesamtdurchfluss von 1630 Litern pro Sekunde verlegt. Zu diesen Rohren kommen drei Leitungen für die Trinkwasserversorgung mit einem Durchmesser von 400 Millimetern und einer Gesamtleistung von 1285 Kubikmetern in der Stunde. Bei den Trinkwasserleitungen handelt es sich ebenfalls um Muffendruckrohre aus duktilem (verformbaren) Guss.

 

Auch die technischen Voraussetzungen für die Telekommunikation auf der rechten Rheinseite wurden verbessert. Die damalige Bundespost ließ insgesamt 16 Kabelschutzrohre aus Polyethylen (PE hart) mit einem Durchmesser von jeweils 100 Millimetern installieren. In dem Stollen sind neben Abwasserleitungen, die das Kanalsystem auf der rechten Rheinseite mit dem linksrheinisch gelegenen Klärwerk verbinden, auch drei Trinkwasserleitungen mitverlegt, wobei das dritte Dükerrohr eine Reserve für Leistungssteigerungen darstellt.101 Heute ist der Tunnel Basis der rechtsrheinischen Wasserversorgung. Da alle Rohrleitungen in einem begehbaren Tunnel untergebracht wurden, ist es auch heute noch problemlos möglich, Wartungs- und Reparaturarbeiten auszuführen.102

 

3.3. Der Hauptentwässerungsentwurf

 

1982 beauftragte die Stadtverwaltung Koblenz die Franz Fischer Ingenieurbau GmbH mit Sitz in Erftstadt, den bereits genannten Hauptentwässerungsentwurf für das gesamte Stadtgebiet aufzustellen. Der Zeitpunkt war ganz bewusst gewählt: Im Zuge der Eingemeindungen war die Stadt gezwungen, einen völlig neuen Flächennutzungsplan aufzustellen.103 Da lag es nahe, auch ein Gesamtkonzept für die Kanalisation zu entwickeln. Nach dem Zuschlag eröffnete das Büro Fischer auch eine Niederlassung in Koblenz. Mit gutem Grund: Ging es doch nicht nur um die Konzeption neuer Anlagen, sondern vor allem auch um die Vorbereitung einer Sanierung des Kanalnetzes.

 

Zu dem Maßnahmenpaket gehörte auch, vorhandene Anlagen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit zu überprüfen und sie durch neue Entlastungsvorrichtungen für den Fall von Extremniederschlägen zu schützen. Deshalb wurde bei der Ausarbeitung des Hauptentwässerungsentwurfs neben der klassischen Kanalnetzberechnung ein hydrodynamisches Kanalnetzmodell eingesetzt. Das berücksichtigte auch den Verschmutzungsgrad des Niederschlags- und Mischwassers im Entwässerungsnetz und ermöglichte damit auch das Aufstellen eines Schmutzfrachtmodells.104

 

Als die Franz Fischer GmbH mit dem Hauptentwässerungsentwurf beauftragt wurde, war das Koblenzer Kanalnetz im Vergleich zu den recht bescheidenen Anfängen in den Nachkriegsjahren bereits beträchtlich gewachsen. So hatten die Mischwasserkanäle im Stadtgebiet eine Gesamtlänge von 250 Kilometern erreicht. In den Bereichen mit einer Trennkanalisation kamen 75 Kilometer Regenwasserkanäle und 55 Kilometer Schmutzwasserkanäle dazu.105

 

Aufgabe der Planer war es zunächst einmal, zu überprüfen, ob die im Stadtgebiet vorhandenen Kanäle ausreichend dimensioniert waren. Darüber hinaus mussten sie herausfinden, welche der vorhandenen Anlagen den Anforderungen des Abwasserabgabengesetzes entsprachen und welche nicht. Der Hochwasserschutz sollte bereits in den Vorüberlegungen eine besondere Rolle spielen. Bis dahin war die Situation überaus unbefriedigend gewesen. Immer dann, wenn das Hochwasser am Koblenzer Pegel die Marke von sechs Metern überschritt, wurde das Kanalnetz über die Regenüberläufe eingestaut. Traf dieser Fall ein, konnte auch das Schmutzwasser aus den hoch gelegenen Ortsteilen nicht mehr zur Kläranlage weitergeleitet werden. Man strebte deshalb an, das Kanalnetz so zu verbessern, dass es bis zur Abschaltung der Kläranlage bei Extremhochwasserständen betrieben werden konnte. Allerdings stand von Anfang an fest, dass dieses Ziel nicht überall erreicht werden konnte. Bereits bei einem Pegelstand von sieben Metern waren einige Straßen überflutet, wobei besonders Ehrenbreitstein und Neuendorf als gefährdete Stadtteile galten.106

 

Schließlich musste der neue Entwurf so vorausschauend aufgestellt werden, dass er einer Überprüfung durch die Genehmigungsbehörden nach den Vorgaben des Landeswassergesetzes standhielt. Das Wichtigste war jedoch, dass der Entwurf Grundlage für kurz-, mittel- und langfristige Finanzplanungen der Stadt sein sollte.107

 

3.3.1 Verschärfte gesetzliche Vorgaben

 

Entscheidende Begründungen für die umfassende Überarbeitung und Ergänzung der Koblenzer Entwässerungssysteme lieferten auch die verschärften gesetzlichen Anforderungen, durch die auch die Behandlung von Niederschlagswasser zur Pflicht gemacht werden konnte. So sah das seit seiner „Urfassung“ vom 27. Juli 1957 mehrfach geänderte Bundesgesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (WHG) eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser in Gewässer nur noch dann vor, wenn Menge und Schädlichkeit des Abwassers so gering wie möglich gehalten werden konnten.

 

Diese Regelung verpflichtete die Gemeinden, ihre Entsorgungstechnik auf den neuesten Stand zu bringen. Auch das rheinland-pfälzische Landeswassergesetz, das am 4. März 1983 in einer neuen Fassung vorlag108, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Gesetzgeber nachteilige Folgen einer Gewässerverschmutzung für das Wohl der Allgemeinheit verhindern wollte. Die neuen Vorgaben schrieben vor, dass die Entsorgungsanlagen nach den allgemein anerkannten, also von den Genehmigungsbehörden festgelegten Regeln der Technik gestaltet und betrieben werden sollten.109

 

Die gravierendsten Auswirkungen hatte jedoch das Gesetz über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (AbwAG) vom 13. September 1976.110 Seit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gilt der Grundsatz, dass für das Einleiten von Abwasser in ein Gewässer eine Abgabe zu entrichten ist. Nach dem Gesetz bestimmen die Länder, inwieweit sich die Zahl der „Schadeinheiten“111 bei Rückhaltung von Niederschlagswasser oder Behandlung in einer Abwasserbehandlungsanlage ermäßigt. Sie können in diesem Fall auch bestimmen, dass die Einleitung abgabefrei bleibt. Diesem Grundsatz folgte auch das Land Rheinland-Pfalz in seinem Landesgesetz zur Ausführung des Abwasserabgabengesetzes (LAbwAG) vom 22. Dezember 1980.112

 

Demnach blieb das Einleiten über öffentliche Abwasseranlagen abgabenfrei, wenn die Kanalisation, die Regenentlastung und die Abwasserbehandlungsanlagen voll dem wasserrechtlichen Bescheid entsprachen. Auch für Koblenz galt, dass eine Abgabenfreiheit perspektivisch nur noch dann bestand, wenn man für Möglichkeiten zur Behandlung des Niederschlagswassers sorgte. Grundsätzlich war nämlich für alle Einleitungen in Gewässer eine Erlaubnis notwendig. In den jeweiligen wasserrechtlichen Bescheiden wurde nun festgelegt, wie groß die erlaubte Restverschmutzung sein durfte. Und es konnte genau festgelegt werden, wie viel Prozent der biologisch abbaubaren und absetzbaren Stoffe des Abflusses bei Regen dem Gewässer fernzuhalten sind. Wurde diese Vorgabe übertroffen, war auch das Niederschlagswasser klärpflichtig. Die Gemeinden, die diese Vorgaben nicht erfüllten, mussten zahlen.113

 

3.3.2 Konzepte für die fließenden Gewässer

 

Der Hauptentwässerungsentwurf machte deutlich, dass es perspektivisch nicht reichte, das bestehende Kanalnetz zu sanieren und auszubauen. Auch Eingriffe in die Fließgewässer im Stadtgebiet waren erforderlich. Das galt besonders für den Bubenheimer Bach, der als Vorfluter für die im Trennverfahren entwässerten Ortsteile Rübenachs diente und darüber hinaus die neueren Mischwasserkanäle im Koblenzer Industriegebiet entlastete. Es galt, vor allem für den Hochwasserfall die Belastbarkeit des Baches durch einen Nachausbau zu verbessern. Darüber hinaus forderten die Planer den Bau von Rückhaltebecken, um bei extremen Niederschlagsereignissen das Regenwasser vorübergehend speichern zu können. Die Forderung war nicht neu: Für den Ausbau hatte das Koblenzer Ingenieurbüro Dr. Björnsen bereits 1975 einen Entwurf aufgestellt. Und: Kleinere Einzelmaßnahmen waren inzwischen ausgeführt worden.114

 

Ähnliches galt für das im Trennverfahren entwässerte Güls. Für den Ausbau des Mühlbaches von den Schleider Wiesen bis zur Mündung in die Mosel hatte Kocks Consult 1976 einen Entwurf aufgestellt. Demnach sollte der Mühlbach von dem Einlaufbauwerk oberhalb von „Müllers Mühle“ an der Kreisstraße 5 über Mühlbach-, Bach- und Teichstraße bis zur Mündung in die Mosel verrohrt werden. Geplant war, die neue Verrohrung als Vorfluter der Gülser Regenwasserkanalisation zu nutzen.115

 

Die aufwendigsten Maßnahmen waren jedoch für den Ehrenbreitsteiner Mühlenbach vorgesehen. Im Rahmen der Planungen für den Ehrenbreitsteiner Hochwasserschutz hatte das Ingenieurbüro Dr. Björnsen 1983 vier Varianten für die Mühlenbachableitung untersucht. Die vierte Variante wurde schließlich auch in den Hauptentwässerungsentwurf aufgenommen. Sie sah vor, den Mühlenbach in seiner gesamten Länge zu verlegen und für ihn eine neue Trasse zu bauen. Schon damals war klar, dass man dies nur bewerkstelligen konnte, wenn man einen Stollen unter der Festung bis zum Rhein vortrieb.116

 

Bei den genannten Bachläufen handelt es sich um Gewässer dritter Ordnung. Die Bäche im Koblenzer Stadtgebiet haben eine Gesamtlänge von 70 Kilometern. Die Unterhaltung und die Planung für diese Gewässer werden heute vom Eigenbetrieb Stadtentwässerung der Stadt Koblenz durchgeführt, weil dort qualifiziertes Personal und das notwendige Gerät zur Verfügung stehen. Die Kosten dürfen aber nicht dem Gebührenhaushalt angelastet werden, sondern, weil es sich um eine Pflichtaufgabe der Gemeinden handelt, dem Steuerzahler. Sie belasten also nicht den Gebührenhaushalt der Stadtentwässerung.117

 

3.3.3 Neue Kanalisationsentwürfe

 

Als der Hauptentwässerungsentwurf erarbeitet und vollendet wurde, waren einige Projekte bereits realisiert oder noch mitten in der Realisierungsphase. Das galt insbesondere für den 1982 vollendeten Rheindüker118, der auch zur Sicherung der Wasserversorgung auf der rechten Rheinseite benötigt wurde.119 Dennoch kam die Planung nicht zu spät. Bereitete sie doch eine flächendeckende Sanierung vor, die vor allem ein Ziel verfolgte: Die Anbindung aller Koblenzer Stadtteile an die Zentralkläranlage in Wallersheim, die allerdings erst im Frühjahr 1990 die an sie gestellten hohen Anforderungen erfüllen konnte. Ein Hauptziel der Planungen war es, bei Extremniederschlägen den Zulauf zum Klärwerk zu verringern. Zur Speicherung und zur Vorklärung des Regenabflusses waren Regenüberläufe, Regenüberlaufbecken und Kanalstauräume vorgesehen.120

 

Diese ehrgeizigen Ziele erforderten auch in den Bereichen umfassende Neuplanungen, in denen das André’sche System gut 90 Jahre lang gute Dienste geleistet hatte. Handlungsbedarf gab es vor allem in der Mainzer Straße. Für diese Nord-Süd-Achse und den Bereich um die Rhein-Mosel-Halle hatte das Ingenieurbüro Daners & Dühr GmbH in den Jahren 1983 und 1985 umfassende Planungen vorgelegt. Gleiches galt für die neuen Stadtdurchfahrten der Bundesstraße 9 (Römerstraße) und der rechtsrheinischen Achse an der B?42 und der alten B?49 nach Niederberg.121

 

Für Moselweiß war das Büro Daners bereits 1980 aktiv und legte einen Entwurf für die Entwässerung des oberen Burgwegs vor. Dort bestand akuter Handlungsbedarf, weil oberhalb ein Teilbereich des Karthäuser Neubaugebietes „Moselweißer Hang“ gelegen war. Auch diese Planungen wurden in den Hauptentwässerungsentwurf aufgenommen. Schwieriger waren dagegen die Verhältnisse auf der rechten Rheinseite. Zwar war inzwischen das Dükerbauwerk – das ja Voraussetzung für die Anbindung ebendieser Stadtteile war – hergestellt, doch hatte es sich gezeigt, das eben nicht nur in Ehrenbreitstein eine Generalsanierung des Entwässerungsnetzes erforderlich war. Das galt besonders für die Stadtteile Horchheim, Pfaffendorf und Asterstein.122

 

Die Systeme mussten angepasst werden, weil vor allem in den Höhenlagen neue Wohngebiete erschlossen und bebaut worden waren. Das Ingenieurbüro Kocks hatte bereits in den Jahren 1981 und 1982 einen entsprechenden Entwässerungsentwurf ausgearbeitet. Im September 1982 wurden die ersten neuen Kanalabschnitte vollendet. Die Maßnahme kostete rund zwei Millionen DM.123 Dass akuter Handlungsbedarf bestand, zeigte sich vor allem in der Balthasar-Neumann-Straße, die den älteren Pfaffendorfer Kern mit den höher gelegenen Straßenzügen verbindet. In den vorhandenen, kurz vor der Kreuzung mit der Bundesbahnstrecke Koblenz–Lahnstein gelegenen Sammler flossen die Abwässer aus den Wohngebieten und den Anlagen der Bundeswehr auf der Pfaffendorfer Höhe. Zwar gab es einen Regenüberlauf in den Rhein, doch musste trotzdem ein neuer Sammler gebaut werden. 1982 hatte das Tiefbauamt die erforderlichen Pläne fertiggestellt.124

 

Wesentlich komplizierter waren die Verhältnisse in Arenberg, Arzheim und Niederberg, weil die Abwässer aus diesen Stadtteilen auf ihrem Weg über den neuen Düker zum Klärwerk zunächst Ehrenbreitstein passieren mussten. Die Anforderungen an die sanierten Systeme und ihre Anbindung an das Wallersheimer Klärwerk hatte Kocks Consult bereits in seiner Entwässerungsstudie von 1982 formuliert, die später im Hauptentwässerungsentwurf aufging. Für die Entwässerung von Arzheim und eine Anbindung an die Koblenzer Kanalisation über das Blindbachtal gab es einen älteren Entwurf des Büros Dr. Breitung, der in das Jahr 1975 datiert. Ähnliches galt für Arenberg. Dort hatte das gleiche Büro im Auftrag der Stadt 1976 das vorhandene Kanalnetz nachgerechnet und Neubaustrecken vorgeschlagen. Die Maßnahme war unumgänglich, weil die ehemals eigenständige Gemeinde ihre 1967 erstellten Planungen für die Erneuerung ihres Kanalnetzes nicht mehr realisiert hatte.125

 

Das Ingenieurbüro Kocks wurde auch in den neuen Moselstadtteilen aktiv. Im 1970 eingemeindeten Lay galt es, die bestehenden Entwässerungsanlagen so auf die neuen Voraussetzungen abzustimmen, dass sie perspektivisch an das Koblenzer Großklärwerk angebunden werden konnten. Nachdem das Büro die örtlichen Verhältnisse untersucht hatte, stand fest, dass der Stadtteil zunächst an die Gülser Kanalisation angeschlossen werden musste, um die Weiterleitung des Abwassers in die Kläranlage zu ermöglichen. Dazu musste ein zentrales Pumpwerk errichtet werden, das Abwasser über eine Druckrohrleitung durch die Mosel befördern sollte. Der umfassende Kanalisationsentwurf für Lay lag bereits 1974 vor.126

 

Die Vorgaben der Planer wurden relativ schnell umgesetzt. Trotz der extrem schwierigen topografischen Bedingungen konnte das Layer Abwasser bereits im Frühjahr 1980 in das Wallersheimer Klärwerk gepumpt werden.127 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Stadt Koblenz technisch extrem aufwendige Baumaßnahmen bewältigt. Um den Weitertransport der Abwässer nach Güls zu gewährleisten, musste im Juni 1978 auf dem Grund der Mosel ein 150 Tonnen schwerer Düker verlegt werden, der aus drei Leitungen bestand.128 Für den nötigen Druck sorgte ein Abwasserpumpwerk, das im Mai 1979 weitgehend fertiggestellt war.129 Bereits drei Jahre zuvor hatte man damit begonnen, die Kanalisation zu erneuern.130

 

In anderen Stadtteilen stellten sich die Verhältnisse für das Ingenieurbüro Fischer weniger günstig dar. So zeigte sich, dass die Kanalisation in Teilen von Lützel trotz der zahlreichen Nachbesserungen bei starken Niederschlägen immer noch nicht den an sie gestellten Anforderungen genügte. Gleiches galt für das im Zuge der Hochwasserschutzmaßnahmen von 1927 errichtete Pumpwerk. Aus diesem Grunde erarbeitete das Koblenzer Ingenieurbüro Dr. Björnsen einen Vorentwurf für die Sanierung der Anlage. Das Ergebnis lag 1981 vor. Es konnte ebenfalls in den Hauptentwässerungsentwurf übernommen werden. Doch mit dieser Maßnahme war es nicht getan. Da perspektivisch auch Bubenheim und Rübenach an das Klärwerk angeschlossen werden mussten, waren in Lützel im Bereich der Andernacher Straße und in Metternich weitere Veränderungen erforderlich. Aus diesem Grunde hatte das Tiefbauamt der Öffentlichkeit bereits im Juni 1978 neue Konzepte für Metternich präsentiert.131 Dazu gehörte der Bau eines neuen Hauptsammlers, der zu Beginn der 1980er-Jahre in großen Teilen ausgeführt war.132

 

Für Bubenheim waren besondere Maßnahmen erforderlich, weil sich die bis 1971 selbstständige Gemeinde zu einem wichtigen Erweiterungsgebiet der Stadt entwickelt hatte – vor allem deshalb, weil es in der äußerst verkehrsgünstig gelegenen Bubenheimer Gemarkung noch genügend Fläche für die Ansiedlung neuer Gewerbebetriebe gab (wie auch die Ansiedlung von Ikea und anderen Unternehmen in den Jahren 2005 bis 2007 zeigte). Die guten Perspektiven für diesen Bereich der Stadt waren auch der Grund dafür, dass Kocks Consult 1979 im Auftrag der Stadt ein Entwässerungskonzept für den ganzen Bereich vorlegte, nachdem das Büro ein Jahr zuvor eine Vorplanung für Rübenach erarbeitet hatte. Darüber hinaus wurde das Ingenieurbüro Daners beauftragt, für das neue Gewerbegebiet Nord in unmittelbarer Nachbarschaft des Bubenheimer Kreisels und des Autobahn-Anschlussknotens ein weiteres Entwässerungskonzept zu erstellen. Im Herbst 1983 konnten schließlich umfassende Kanalbauarbeiten in Bubenheim beginnen.133

 

Schließlich lenkte man auch die Blicke in das benachbarte Kesselheim, das zum Teil nach dem Trennverfahren entwässert wurde. In diesem Stadtteil gab es zwar eine Kanalisation, doch war der Handlungsbedarf nicht zu übersehen – Erweiterungsmaßnahmen waren längst überfällig. Und so wurde 1974 das Büro Björnsen mit Sanierungs- und Erweiterungsplanungen beauftragt.134 Die Ingenieure mussten sich auf einen Wettlauf mit der Zeit einlassen, weil sich die Beschwerden über den katastrophalen Zustand der örtlichen Kanalisation häuften.135 Quasi als Soforthilfe für die Maßnahmen in Kesselheim stellte die Stadt Koblenz Ende 1976 mehr als sechs Millionen DM bereit.136 Zu den Anforderungen für den Stadtteil gehörte auch der Bau eines neuen Abwasserpumpwerks.137

 

Dennoch war auch Anfang der 1980er-Jahre immer noch keine kurzfristige Lösung der Kesselheimer Probleme in Sicht, weil die örtliche Kanalisation nach wie vor ergänzungsbedürftig war. So berichtete die Rhein-Zeitung im Juli und November 1981 über regelmäßige Kellerüberflutungen nach Extremniederschlägen und verärgerte Bürger, die Abwässer eimerweise selbst entsorgen mussten.138

 

Ruhiger ging es dagegen auf dem Oberwerth zu. Dennoch standen auch auf der nach dem Trennsystem kanalisierten Halbinsel Veränderungen an. Es mussten Vorrichtungen geschaffen werden, um das Niederschlagswasser abzuleiten. Bis dahin war es auf der Nordseite der Horchheimer Eisenbahnbrücke in den Rhein geleitet worden. Der Hauptsammler für das Regenwasser war in der Schubertstraße gebaut worden. Dorthin floss auch das Oberflächenwasser aus dem Südteil. Dagegen wurde das Schmutzwasser über das Pumpwerk Weberplatz mit einer Druckleitung zur Mainzer Straße gefördert und dort in den Sammler in der Hohenzollernstraße abgeleitet. Das Schmutzwasser aus dem Bereich der Sportanlagen wurde – wie bereits vor dem Krieg – über ein Pumpwerk in den Sammler an der Laubach gefördert. Über das dortige Mischsystem wurde das Abwasser in den Sammler Hohenzollernstraße gepumpt. Um diesen Sammler zu entlasten, sollten weitere Sammler in der Bismarckstraße, in der oberen Mainzer Straße, in der Schützenstraße und in der Römerstraße gebaut werden.139

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