Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung
   Dr. Dr. Reinhard Kallenbach | Landeskundliche Forschung

Die personelle Situation

Die Gründungswelle von Krankenhäusern und der massive Ausbau von bestehenden Einrichtungen im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhundert ist unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass die Personalkosten bei Weitem nicht die Rolle spielten, wie es heute der Fall ist. Die damalige Aufbruchstimmung im öffentlichen Gesundheitswesen ist auch der Neugründung von katholischen Pflegeorden zu verdanken, deren Schwestern und Brüder grundsätzlich nur verpflegt und untergebracht werden mussten – dies allerdings bis zu ihrem Lebensende.

 

Bei den neu gegründeten evangelischen Einrichtungen, in denen Diakonissen den Betrieb aufrechterhielten, war das nicht viel anders. In beiden Fällen wurde bestenfalls ein Handgeld gezahlt. Kostengünstiger konnte der Dienst am Menschen nicht gestaltet werden. Dazu kam, dass diese Einrichtungen sehr oft wegen der Qualität der Pflege und der Zuwendung geschätzt wurden.

 

Dieses System, das auf dem Einsatz der Mitglieder von geistlichen Korporationen beruhte, war nicht nur in Krankenhäusern mit kirchlichem Hintergrund weit verbreitet, es wurde auch von den Kommunen übernommen. So wirkten am – ursprünglich in der Koblenzer Altstadt angesiedelten – städtischen Bürgerhospital (dem heutigen Kemperhof) in Koblenz Borromäerinnen. Dabei blieb es grundsätzlich bis zum Zweiten Weltkrieg. Und auch in der Wiederaufbauphase waren die Schwestern sehr gefragt.

 

Infolge des Nachwuchsmangels war dieses System auf Dauer nicht zu halten. Seit den 1950er-Jahren änderte sich daher nicht nur die Infrastruktur der Einrichtungen selbst, sondern auch die Zusammensetzung des Personals, das nun in weiten Teilen aus „zivilen“ Fachkräften bestand, die nach Tarif bezahlt werden mussten. Natürlich wuchsen auch hier die Bäume nicht in den Himmel. Genau deshalb musste perspektivisch auch in die Personalentwicklung investiert werden – und damit auch in Angebote zur Weiterqualifizierung.

 

1. Niedergelassene Ärzte und

Medizinische Fachkräfte als Opfer?

 

Den Mitarbeitern Perspektiven bieten: Das war in den vergangenen Jahren eine Maxime der Personalverantwortlichen an den Kliniken. Auf der Suche nach attraktiven Modellen blickte man immer öfter ins Ausland. Denn hier hatte sich schon länger der Trend zur Akademisierung der Pflege abgezeichnet. Und auch in Deutschland nahm die Zahl derjenigen zu, die sich für ein pflegewissenschaftliches Studium interessierten und sogar bereit waren, Studiengebühren zu bezahlen. Lockten doch eine interdisziplinäre wissenschaftliche Ausbildung mit Spezialisierungsmöglichkeiten in den Bereichen Krankenpflege, Kinderkrankenpflege sowie Altenpflege und die sich daraus womöglich ergebenden beruflichen Perspektiven. Außerdem wurden Kenntnisse in den Bereichen wie Medizin, Gesundheitswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Biologie, Philosophie, Theologie, Geschichte und vor allem Ethik vermittelt.

 

1.1 Ist die Akademisierung der Pflege gescheitert?

 

Die akademische Weiterqualifizierung von Pflegefachkräften erfolgt in Deutschland an Fachhochschulen, zum Beispiel an der Hochschule Fulda. Insgesamt gibt es heute bundesweit 48 Hochschulen mit pflegewissenschaftlichen Studienangeboten. In Rheinland-Pfalz sollte die Philosophisch-Theologische Hochschule in Vallendar (PTHV/heute Vinzenz Pallotti University) mit gebührenpflichtigen Angeboten eine in der Region Koblenz-Mittelrhein bestehende Lücke schließen.

 

Die PTHV warb mit überschaubaren Strukturen und einer Qualifizierung im in einer eigenen Fakultät, die im Rang einer Universität arbeitete. Vor allem Letzteres war deutschlandweit ein Alleinstellungsmerkmal. Der Einstieg der Waldbreitbacher Schwestern über die Marienhaus Holding als Mitträger der finanzschwachen kleinen Universität machte den erheblichen Ausbau der bislang vom Pallottinerorden getragenen Hochschule möglich.

 

Nach dem hoffnungsvollen Start im Jahr 2006 war im Frühjahr 2023 jedoch Schluss. Dabei galt die PTHV als führend, beispielsweise bei der Entwicklung von Konzepten für die soziale Teilhabe von Patienten. Die Reaktion: Bestürzung in den Fachmedien und in der Region. Ein Hauptargument war, dass sich die Hoffnung, dass sich die Pflege in Deutschland akademisieren würde, sich nicht in dem ursprünglich erwarteten Maße erfüllt hatte. Indirekt bedeutete dies, dass es für Absolventen bei Weitem nicht genügend und vor allem angemessen dotierte Stellen gab, die ihrer Qualifikation entsprochen hätten.

 

Wer angesichts der eingeschränkten Perspektiven überhaupt noch Pflegewissenschaft studieren wollte, wandte sich den Fachhochschulen zu, die für das Erststudium grundsätzlich keine Gebühren erheben. Für die Fakultät in Vallendar mit ihren 250 Studenten wurde es dagegen so eng, dass man bei den gebührenpflichtigen Pflegestudienplätzen schließlich die Notbremse zog.

 

Der eigentliche Grund für das Aus ist jedoch an anderer Stelle zu suchen: Die Waldbreitbacher Marienhaus Holding war bereits zum Jahresende 2020 als Mitträgerin der Hochschule ausgestiegen. Aus heutiger Perspektive überrascht der Zeitpunkt nicht, zumal auch die Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen 2021 letztmalig Studenten des Dualen Studiengangs Pflege aufgenommen werden sollten.

 

Wie wir noch sehen werden, war 2020 das Jahr, in der angesichts veränderter Rahmenbedingungen alle Einrichtungen der Marienhaus-Gruppe auf den Prüfstand gestellt wurden und es in der Konsequenz vor allem zur Schließung kleinerer Kliniken, zum Beispiel in Adenau, Bendorf, St. Goar und Oberwesel kam. Die Beteiligung an einer kleinen Universität passte da nicht mehr ins Konzept. Übrig blieb nur noch die Ausbildung von Fachlehrern für Pflegeberufe an Berufsschulen, die an die Universität Koblenz verlagert wurde.

 

Der frühere Standort der Doppeluniversität Koblenz-Landau war zum Stichtag 1. Januar 2023 nach mehrjähriger Vorbereitung verselbstständig worden. Für den Bereich Pflege bedeutet das: Zumindest bei der Ausbildung von Berufsschullehrern übernimmt das Land seit dem Wintersemester 2023/24 die volle Verantwortung für das Studium und dessen Finanzierung.

 

Ist damit die Akademisierung der Pflege in Rheinland-Pfalz gescheitert? Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten, zumal die Ausbildung in anderen Disziplinen des Gesundheitssektors vorrangig an den Hochschulen erfolgt. Auch in der Hebammenausbildung in Rheinland-Pfalz geht der Trend nämlich in Richtung Akademisierung. So wird die Ausbildung von Hebammen an den rheinland-pfälzischen Hebammenschulen perspektivisch komplett eingestellt. Die Hebammenschulen in Koblenz, Mainz und Speyer werden nur noch übergangsweise weitergeführt. Der Duale Bachelor-Studiengang an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen nahm zum Wintersemester 2021/22 letztmalig Neueinsteigerinnen auf. Allerdings nimmt der in Ludwigshafen angebotene konsekutive Masterstudiengang „Innovative Versorgungspraxis in der Pflege im Hebammenwesen“ nach wie vor Bewerber an.

 

An ihre Stelle der bisherigen konventionellen Hebammenausbildung tritt nun das neue akademische Angebot der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Der neu eingerichtete siebensemestrige Studiengang (Regelstudienzeit) in Mainz trägt den Titel Hebammenwissenschaft und schließt mit dem akademischen Grad Bachelor of Science ab (B. Sc.). Dieser Studiengang ist am Fachbereich 04 – Universitätsmedizin angesiedelt und wertet die Ausbildung der Teilnehmerinnen erheblich aus. Das Studium beginnt immer im Wintersemester, wobei 30 Plätze zur Verfügung stehen. Wie Gesundheits- und Wissenschaftsminister Clemens Hoch in der Sitzung des Wissenschaftsausschusses am 29. November 2023 ausführte, könnte das Angebot bei steigender Nachfrage auch noch ausgebaut werden können.

 

Auch für den Berufsalltag wurde ein neues Angebot geschaffen. Bereits am 13. Oktober 2023 hatte das Gesundheitsministerium bekannt gegeben, dass das Land die Einrichtung von insgesamt sieben hebammengeleiteten Kreissälen fördert. Diese sollen an der Stadtklinik Frankenthal, am Klinikum Worms, im Mutterhaus der Borromäerinnen in Trier, im Diakonie-Krankenhaus Bad Kreuznach, in der Hunsrück-Klinik der Kreuznacher Diakonie in Simmern sowie an den Standorten des Westpfalzklinikums in Kaiserslautern und in Kirchheimbolanden eingerichtet werden sollen.

 

Beim sogenannten Hebammenkreißsaal handelt es sich um ein zusätzliches Betreuungskonzept zur ärztlich geleiteten Geburt, sodass Eltern zwischen einem ärztlich oder hebammengeleiteten Kreissaal wählen können.

 

Auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens ist man bestrebt, Berufsbilder durch akademische Angebote attraktiver zu machen. So stellte das Wissenschaftsministerium und die Hochschule Kaiserslautern am 24. Mai 2024 am Campus Zweibrücken den neuen Bachelor-Studiengang „Physican Assistant“ vor. Der hybride und berufsintegrierte Studiengang soll im Wintersemester 2024/25 starten.

Grundsätzlich neu ist der Studiengang „Physican Assistant“ nicht. So ist zum Beispiel die Akademie der Universitätsmedizin (UMM) Mannheim in Kooperation mit anderen Hochschulen ebenfalls in diesem Bereich aktiv.

 

Bundesweit gibt es aktuell rund 20 Hochschulen und eine Berufsakademie, die den Studiengang anbieten. Dass es aktuell 3000 Studenten in diesem Bereich gibt, zeigt, dass das Angebot sehr attraktiv ist. Es war also allerhöchste Zeit, dass auch Rheinland-Pfalz mit einem entsprechenden Angebot einsteigt, um auch die Fachkräfte im Land zu halten, die an einer stetigen Weiterqualifizierung auf akademischen Niveau interessiert sind.

 

Grundsätzlich ist mit der Ausbildung zum „Physican Assistant“ der Einstieg in ein neues Berufsbild an der Schnittstelle zwischen akademischer Medizin und patientennaher Versorgung verbunden. Teilnehmer erhalten während des Studiums umfassende medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten, um ärztlich delegierbare Tätigkeiten ausführen zu können.

 

1.2. Negative Auswirkungen auf Personalentwicklung

 

Zwar erscheinen die Entwicklungen in Vallendar auf den ersten Blick als regionales Phänomen, doch steht das Beispiel bei näherer Betrachtung für einen besorgniserregenden Trend: Hat doch der Liquiditätsentzug im Bereich der Kliniken grundsätzlich direkte negative Auswirkungen auf eine Personalentwicklung mit attraktiven Rahmenbedingungen – und damit fast zwangsläufig auf die Motivation der Mitarbeiter, vor allem im Bereich Pflege. Diese Feststellung gilt nach Einschätzung der FREIEN WÄHLER auch für die ambulanten medizinischen Einrichtungen, was eigentlich ein Paradoxon ist, weil gerade diese Einrichtungen infolge der Krankenhausreform trotz ihrer großen Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Fachkräften an Bedeutung gewinnen sollen und deshalb dringend gebraucht werden.

 

Der Alltag wird inzwischen im stationären und ambulanten Bereich von Einschränkungen für die Beschäftigten geprägt – und das, obwohl auch im medizinischen Bereich fast täglich über Fachkräftemangel gesprochen wird. Beispiele sind Einschnitte beim Weihnachtsgeld und Notlagentarife. Dazu kommt, dass die Gehälter sehr oft zu niedrig sind, was das Beispiel der Medizinischen Fachangestellten zeigt. Der 2023 geltende Online-Entgeltatlas der Agentur für Arbeit6 nennt für diese Berufsgruppe eine Gehaltsspanne von 2304 bis 3303 Euro brutto, wobei das übliche Niveau bei 2778 Euro liegt. Ganz anders sieht es im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung aus: Hier liegt bei den nicht so breit aufgestellten Sozialversicherungsfachangestellten die Spanne zwischen 3630 und 4981 Euro brutto. 50 Prozent der gezahlten Gehälter liegen bei 4282 Euro.

 

„Vor diesem Hintergrund nun bei den am Patienten Arbeitenden weiter sparen zu wollen und gleichzeitig anders zu moralisieren, ist fast mehr als zynisch“, bringt es Manfred Reeb auf den Punkt. Er teilt damit die Einschätzung des Virchowbundes und warnt zudem vor einer Abwanderung von Fachkräften in andere Wirtschaftszweige oder deren Auswanderung. Dazu passt eine Pressemitteilung des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes vom 24. Oktober 2023. Darin rechnete Dr. Markus Beier vor, dass es bundesweit bereits knapp 5000 offene Hausarztsitze gebe. Der Co-Bundesvorsitzende des Verbandes geht davon aus, dass sich die Situation bis 2025 drastisch verschärfen wird. Aus seiner Sicht wird bis hin die Zahl der offenen Hausarztstellen bundesweit auf 11.000 steigen.

 

Die Zahl der offenen Stellen für Medizinische Fachangestellte dürfte sich dann in ähnlichen Situationen bewegen. „Das können die Hausarztpraxen irgendwann nicht mehr auffangen“, so Markus Beier wörtlich. Schon jetzt seien viele Praxen überlastet. Aktuell versorgt jeder Hausarzt im Quartal rund 700 Patienten.  Auch Co-Bundesvorsitzende Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth warnte: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die hausärztliche Versorgung massiv Gefahr läuft, wegzubrechen. Die Auswirkungen dieser Entwicklung haben wir bereits in der Vergangenheit gesehen. Diesen Winter [2023/24] rechnen wir mit einer noch angespannteren Lage. Dieses Thema muss endlich ganz oben auf die Prioritätenliste und damit auf den Schreibtisch des Bundesgesundheitsministers. Es braucht einen koordinierten und nachhaltigen Plan, wie die hausärztliche Versorgung stabilisiert werden kann, bevor es zu spät ist und die Menschen ohne wohnortnahe, hausärztliche Versorgung dastehen.“

 

Und was tut die Bundesregierung? Sie will erreichen, dass Apotheken bestimmte Dienstleistungen erbringen dürfen, die bisher Sache der Ärzte waren. Ein Beispiel ist die Beratung von Blutdruckpatienten. Die Bundesärztekammer meldete bereits im Juni 2022 Bedenken gegen eine Mitte Juni getroffene Vereinbarung zwischen dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband an, die die Umsetzung regeln soll. Abgesehen von der fachlichen Argumente gab es auch wirtschaftliche Gründe, gegen die neue Regelung mobil zu machen, weil finanzielle Ressourcen abgezogen würden, die besser den Arztpraxen zugutekommen sollten.

 

Mitte Oktober 2023 legte die Kammer nach. Anlass war die Ankündigung des Bundesgesundheitsministers, in den Apotheken sogar von den Kassen bezahlte Vorsorgeuntersuchungen einzuführen. „Eines muss man Karl Lauterbach lassen: Bei seinem Versuch, medizinische Leistungen aus der ärztlichen Versorgung herauszunehmen und in andere Bereiche zu verlagern, agiert er durchaus kreativ“, betonte Dr. Edgar Pinkowski. „Was medienwirksam als niederschwelliger Check-up in der Apotheke angepriesen wird, stellt in Wahrheit ein gravierend in ärztliche Zuständigkeiten eingreifendes Parallelangebot dar“, so der Präsident der Landesärztekammer weiter.

 

Ist diese Verlagerung als Kompensation für die aktuell schwierige Situation der Apotheken zu sehen? ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände hatte bereits am 14. Juni und am 27. September 2023 im Rahmen von bundesweiten Protesttagen auf die auf die missliche Lage vieler Apotheken hingewiesen. Der November 2023 wurde sogar komplett zum Protestmonat erklärt. Ein Hintergrund: Ende des dritten Quartals 2023 wurde mit bundesweit nur noch 17.733 Apotheken ein historischer Tiefstand gemeldet. „Die wohnortnahe Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten gerät durch wirtschaftlichen Druck auf die Apotheken immer mehr in Gefahr, dass die Apothekenzahl inzwischen auch im Europavergleich immer stärker sinkt“, ließ der Verband wissen und wies darauf hin, dass die Gesamtzahl der Apotheken nun das Niveau von 1979 erreicht hatte.

 

Auch ABDA plädierte für die Stabilisierung bewährter Strukturen und stellte sich gegen Leistungskürzungen. Die Bundesvereinigung sprach von einer zerstörerischen Apothekenreform. Schon bald könne es Apotheken ohne Notdienste, Rezepturen und letztendlich auch ohne Apothekerinnen und Apotheker geben, hieß es weiter.

Und erneut drängte sich der Eindruck auf, dass die Bundesregierungen einen Kahlschlag im Bereich der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung durchführen und die einzelnen Sektoren des Gesundheitssystems gegeneinander ausspielen will.

 

1.3. Ärzte verlassen Deutschland

 

Auch bei der Entwicklung der Ärztezahlen könnte besser sein. Manfred Reeb verweist in diesem Zusammenhang auf die offizielle Ärztestatistik mit dem Stichtag 31. Dezember 2022: Demnach hat die Zahl an deutschen Staatsbürgern, die zum ersten Mal Mitglied bei einer Ärztekammer in Deutschland wurden, im dritten Jahr in Folge abgenommen. Zum Jahresende 2022 lag sie mit 8608 knapp 5 Prozent unter dem Wert des Jahres 2019. Und auch für Mediziner aus dem Ausland ist die Perspektive, Arzt in Deutschland zu werden, nicht mehr so reizvoll wie früher. „Erstmeldungen von ausländischen Staatsbürgern, welche in der Vergangenheit für Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt für Ärztinnen und Ärzte sorgten, liegen in etwa auf dem Wert von 2019“, fasst Manfred Reeb zusammen.

 

Die Abwanderung von Medizinern hat sogar zugenommen. So verließen 2022 2290 Ärzte Deutschland. Diejenigen, die im Laufe des Jahres in den Ruhestand eingetreten waren, sind in dieser Zahl nicht erhalten. Insgesamt war die Zahl der Abwanderung um rund 20 Prozent als die des Vorjahres. Doch damit nicht genug: Bereits 2020 war die „Abwanderungsquote“ um 15 Prozent höher als 2019. „Vor diesem Hintergrund ist es für die Patienten menschenverachtend, bei dieser Ausgangslage und der sich verschlechternden demografischen Lage sowie des zunehmend nicht mehr für alle umsetzbaren medizinischen Fortschritts nun die Rahmenbedingungen noch weiter zu verschlechtern und den Exodus weiter zu beschleunigen.  Zu beachten ist, dass es sich bei den Neuzugängen meist um Berufsanfänger handelt, während die Auswandernden meist ausgebildete und erfahrene Fachärzte sind“, lautet das Fazit von Manfred Reeb. Für ihn ist die in der Öffentlichkeit als großer Wurf dargestellte Krankenhausreform nichts anderes als eine Luftnummer. Und nicht nur das: Auch die politisch gewollte Stärkung des ambulanten Bereichs bringt aus Sicht der Kritiker keine Verbesserungen, da die Probleme hier ganz ähnlich liegen. Mehr noch: Die Stimmung unter den Praxisbetreibern kann durchaus als explosiv bezeichnet werden.

 

1.4. Verbände warnen vor Praxenkollaps

 

Auf Verbandsebene wurde im Sommer 2023 sogar vor einem „Praxenkollaps“ gewarnt. Am 18. August 2023 kam es in Berlin sogar zu einem Krisentreffen, an dem Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, den Kassenärztlichen Vereinigungen, Verbänden und niedergelassenen Ärzten teilnahmen. Unter anderem wurde ein Forderungskatalog samt Lösungsvorschlägen erstellt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wurde aufgefordert, bis zum 13. September 2023 Stellung zu nehmen. Um es vorweg zu sagen: Der Minister meldete sich nicht.

 

Den Teilnehmern ging es übrigens nicht nur um eine verbessert finanzielle Ausstattung, sondern auch um mehr Anerkennung der Arbeit von Ärzten, Psychotherapeuten und medizinischen Fachangestellten. Konkret wurde eine tragfähige Finanzierung, die Abschaffung von Budgetierung und Regressen und ein Bürokratieabbau gefordert. John Afful, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, brachte die Misere wie folgt auf den Punkt: „Angesichts hoher Inflation, steigender Energie- und Personalkosten sowie der weiterhin bestehenden Tatsache, dass ein Großteil der erbrachten Leistungen einfach nicht vergütet wird, ist das Angebot der der Kassen, die Versorgungsfinanzierung um 2,1 Prozent zu erhöhen, einfach nur frech.“

 

Armin Beck, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KV Hessen ergänzte:A „Wir haben viel zu lang hingenommen, dass uns die Gesundheitspolitik in Berlin am ausgestreckten Arm verhungern lässt. Damit ist jetzt Schluss.“

 

Diese beiden Aussagen sind nur zwei von vielen. Generell lässt sich sagen: Es geht nicht nur um Geld, sondern um eine komplette Neuausrichtung des medizinischen Versorgungsmodells. Aus Sicht der teilnehmenden Mediziner gehöre die hausärztliche Teampraxis die Zukunft. Das bedeute, dass ärztliche Aufgaben neu delegiert werden und medizinische Fachberufe aufgewertet werden müssen. Auch sei es erforderlich, Versorgungsaufgaben neu zu verteilen und Honorare entsprechend anzupassen.

 

1.5. Ärzte sehen schwarz – für Zukunft ihrer Praxen

 

Dass es in den Reihen der niedergelassenen Ärzte gärt, zeigt die Tatsache, dass es nicht beim Krisentreffen blieb. Mehrere Protestaktionen folgten. So hatte die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz für den 13. September 2023 im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Wir sehen schwarz – für die Zukunft unserer Praxen“ – zu einer „Protesttagung“ ins ehemalige Kurzentrum nach Lahnstein eingeladen, die auch außerhalb der Landesgrenzen viel Beachtung fand.

 

Nach Schätzung des Autors dieser Zusammenstellung folgten rund 300 Mediziner der Einladung zur Veranstaltung. Die Stimmung war gereizt, die Wortbeiträge wurden oft von Zwischenrufen unterbrochen – vor allem bei den Beiträgen des im nördlichen Westerwald beheimatete CDU-Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel. Er ist Mitglied des Gesundheitsausschusses und verwies auf mögliche Effizienzsteigerungen bei gleichzeitiger Entlastung von Ärzten und Mitarbeitern in den überlasteten Praxen durch das Vorantreiben der Digitalisierung. Seine Vision: Patienten können sich per App so vorbereiten, dass ein Arztbesuch entfallen oder zumindest verkürzt werden könne.

 

Der Widerspruch folgte prompt: Die Digitalisierung funktioniere wegen fehlerhafter, nicht standardisierter Hard- und Software hinten und vorn nicht. Die Politik solle erst einmal durch Vereinheitlichung dafür sorgen, dass für alle wirklich anwenderfreundliche Lösungen zur Verfügung stehen. Auch gehe die Wunschvorstellung der Politik, dass Patienten via App die Ärzte und ihre Mitarbeiter entlasten, völlig an der Praxis vorbei. Eine Kernaussage: Das persönliche Miteinander von Arzt und Patient könne nicht ersetzt werden, Apps zur Vorbereitung oder Selbstdiagnose seien wenig sinnvoll.

 

Der Ort war übrigens nicht zufällig ausgewählt worden, hier hatten sich Regierung und SPD-Opposition vom 1. bis 4. Oktober 1992 im Rahmen einer Klausurtagung auf das Gesundheitsstrukturgesetz verständigt, das – wie bereits zuvor ausgeführt – 1993 in Kraft treten sollte.

 

Zuständiger Minister war damals Horst Seehofer (CSU). 30 Jahre „danach“ wollten die niedergelassenen Ärzte darauf aufmerksam machen, dass die damals in Gang gesetzten Bedarfsplanungen und Budgetierungen nicht in die Zeit passten. Die Botschaften, die in einem Grundsatzpapier zusammengefasst wurden: Der Bürokratismus habe den Ärzten die Lust auf eine eigene Praxis ausgetrieben. Der Beruf des niedergelassenen Arztes müsse wieder attraktiver werden. Die Folgen seien vor allem im ländlichen Raum nicht zu übersehen.

 

Um mehr Geld ging es natürlich auch. Aus Sicht der Ärzte, die vor allem Reformen in der Bedarfsplanung und den Wegfall der Budgetierung fordern, sei die Anpassung der Vergütungen nach den Pauschalen nicht in dem Umfang angepasst worden, wie es eigentlich nötig gewesen wäre. Ferner wurde kritisiert, dass die damalige Reform alles nur verkompliziert hat. „Warum nicht einfach eine Gebührenordnung?“, fragte einer der Teilnehmer. Andere wiesen darauf hin, dass das Problem der Verweigerung der Annahme von Patienten hausgemacht sei. Fakt ist, dass die Budgets „gedeckelt“ sind und die Ärzte bei Überschreitung quasi ehrenamtlich arbeiten würden. Das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hatte die Streichung der Neupatientenpauschale mit dem Beginn des Jahres 2023.

 

Für Rheinland-Pfalz lieferte die Kassenärztlichen Vereinigung folgende Zahlen: Demnach haben die Fachärzte im Land im Jahr 2022 rund 10 Millionen Behandlungen vorgenommen. Nach Schätzungen der KV wurden rund 10 Prozent der erbrachten Leistungen für rund 350.000 Patienten, die die Budgetierung als Zwangsrabatt bezeichnet, nicht bezahlt. Das entspricht rund 1 Million Behandlungen. Demnach müssten die Fachärzte im Land jährlich etwa fünf Wochen unbezahlt arbeiten. Weiterhin rechnete die KV vor, dass dies insgesamt dem Arbeitspensum von 270 Fachärzten entspreche. Ein weiteres Fazit: Die Fachärzte würden rund 350.000 GKV-Versicherte ohne Honorar behandeln, weil sie jeden Tag einen Zwangsrabatt von rund 183.000 Euro gewähren müssten.

 

Schon vor dem Krisentreffen in Berlin und der Protestaktion in Lahnstein hatte der Virchowbund für die neu gestartete Kampagne „Praxis in Not“ und für seinen 2. Oktober 2023 geplanten bundesweiten Protesttag geworben. Zunächst hatten sich neun, dann insgesamt 18 Verbände am Aufruf des Virchowbundes beteiligt. „Trotz berechtigter Tarifsteigerungen bei unsere Medizinischen Fachangestellten können wir nicht mit unseren Gehältern oft nicht mit Krankenhäusern und Krankenkassen konkurrieren“, brachte es Dr. Dirk Heinrich auf den Punkt. Der Verbandsvorsitzende wies auch darauf hin, dass die Streichung der oben bereits benannten Neupatientenregelung in vielen Praxen zu Einnahmeeinbußen von 10 Prozent geführt habe. Ein weiterer Kritikpunkt: Die Praxen würden bei ihren Digitalisierungsvorhaben weitgehend alleingelassen.

 

Alles andere als erfreuliche Nachrichten kamen auch von der Allianz Deutscher Ärzteverbände, die sich in einem auf den 14. August 2023 datierten offenen Brief direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt hatten. In dem Schreiben wurde massive Kritik an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Dieser lasse vor dem Hintergrund der gerade angelaufenen Honorarverhandlungen zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen die gebotene Neutralität. Mehr noch: Sie spricht von einem Eingriff des Ministeriums in die Tarifautonomie.

 

Die Allianz hatte in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder auf die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen für Mediziner hingewiesen. Grund für den aktuellen Protest: Laut Verband habe das Bundesgesundheitsministerium ein „Faktenblatt“ an ausgewählte Redaktionen versandt. Darin sei die Umsatzsituation der Vertragsärzte ohne Betrachtung und der Behandlungsumfänge dargestellt worden. Das Papier sei „einseitig, in seinem Kern tendenziös und wäre ohne weitere Quellenangaben auch dem Kassenlager“ zuzuordnen.

 

Diese Aussage zeigt einerseits, dass es auch mit dem Verhältnis zwischen den niedergelassenen Ärzten und den Kassen nicht zum Besten bestellt ist, außerdem wird deutlich, dass die Situation offenbar anders ist, als in der Bundes- und Landespolitik dargestellt. Drängt sich doch für Außenstehende aktuell der Eindruck auf, dass der Anteil von Krankenhäusern in der Fläche zurückgefahren und die ambulante Versorgung ausgebaut werden solle. Die Allianz Deutscher Ärzteverbände sieht dagegen eine Verlagerung weg von der ambulanten zur stationären Versorgung. Erneut stellt sich die Frage: Will die Bundespolitik die Akteure mit dem Ziel gegeneinander ausspielen, alle medizinischen Leistungen zu konzentrieren? Die Auswirkungen für die ärztliche Versorgung in der Fläche wären einem solchen Fall verheerend.

 

Die Ärzteallianz kritisierte auch, dass das Ministerium den Fokus auf die Umsatzentwicklung legt und die Kostensteigerungen weitgehend außer Acht zu gelassen hat. Außerdem werde der Eindruck erweckt, dass die Arztpraxen während der Corona-Krise unlauter verdient hätte. Die Sonderbelastungen und -kosten für die Praxen würden nicht berücksichtigt. „Durch den einseitigen Fokus auf Umsätze zeichnet das Bundesministerium für Gesundheit ein tendenziöses Bild, dass weder besseren Wissens verbreitet wird. Die Unfähigkeit des BMG, Strukturreformen auf den Weg zu bringen, die nachhaltig gewährleisten, dass Mittel zielgerichtet und effizient eingesetzt werden, ist keine Entschuldigung für die einseitige Parteinahme für einen einzelnen Akteur im Gesundheitswesen, in diesem Fall für die Gesetzlichen Krankenkassen“, heißt es im offenen Brief an den Kanzler wörtlich.

 

1.6. Kommt die rein staatliche ambulante Versorgung?

 

Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein weiterer Beitrag des Virchowbund-Vorsitzenden Dr. Dirk Henrich, der über das Online-Angebot (Bezahlschranke) der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abrufbar ist. Der Facharzt für HNO und Allgemeinmedizin warf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in seinem FAZ-Gastbeitrag vor, er wolle die quasi unternehmerisch tätigen niedergelassenen Ärzte bewusst schwächen und den Weg in eine Staatsmedizin ebnen. Er begründet dies mit der Tatsache, dass die vom Ministerium bisher angestoßenen Reformen die ambulante Versorgung in den Arztpraxen völlig außer Acht lasse.

 

Dirk Henrich führt weiter aus, dass das für Hamburg eingeführte Modell der „Gesundheitskioske“ zur Versorgung von Bedürftigen nun flächendeckend16 missbraucht werden solle. „Es ist die Gelegenheit, auf die Lauterbach seit 20 Jahren wartet. Entstandene Versorgungslücken sind das Feigenblatt, das ambulante Gesundheitswesen gleich komplett umzubauen, faktisch zu verstaatlichen. Dazu passt es, dem Staat Mitspracherecht in den Zulassungsausschüssen zu geben und Kommunen als Träger und Betreiber von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zu ermächtigen. Jetzt müssen nur noch die lästigen ärztlichen Praxisinhaber peu à peu ausgehungert werden und dann gibt es in der Primärversorgung viele Hausärzte weniger und viele Community Health Nurses mehr. Doch was geschieht mit den niedergelassenen Fachärzten? Diese sollen – so war es schon früher Lauterbachs Idee – zurück ans Krankenhaus, man erinnere sich nur an das von ihm oft wiederholtes Mantra der ,doppelten Facharztschiene‘. Die ,revolutionäre‘ Krankenhausreform soll es richten“, so der Vorsitzende wörtlich.

 

Dirk Henrich befürchtet, dass das Gesundheitswesen bereits in wenigen Jahren zu 70 bis 80 Prozent in staatlicher Hand sein wird und erinnert an das Wirken der in Kreisen von Medizinern regelrecht verhassten früheren SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, deren Berater Karl Lauterbach war. In der aktuellen Weichenstellung sieht der Verbandschef schwerwiegende Versäumnisse zu Lasten der niedergelassenen Ärzte. Dazu schreibt er: „Eigentlich müsste dieser Reform eine Ambulantisierung vieler heute noch stationär erbrachter Leistungen mit Zugang für beide – Praxen und Krankenhäuser – vorausgehen. Gutachter und Verbände haben hierfür etwa 2500 Leistungen identifiziert. Das Bundesgesundheitsministerium wird wohl aber mit nur 30 Leistungen starten. Mit diesem Schutzzaun für das Krankenhaus, der absichtlich durch den Wegfall der Neupatientenregelung verschärften wirtschaftlichen Lage der Fachärztinnen und Fachärzte und dem Aussitzen der seit 30 Jahren überfälligen Reform der Gebührenordnung für Ärzte durch Lauterbach, werden die Praxen systematisch ausgehungert. Den Rest erledigt eine mit Zwang eingeführte, für Ärzte weitgehend nutzenfreie, teure Digitalisierung. Ein flächendeckendes Sterben von Facharztpraxen durch frühe Pensionierungen und abgeschreckten Nachwuchs wird die Folge sein. Je dünner dann die Facharztpraxisdichte wird, umso leichter können nach und nach Krankenhäuser zur kompletten ambulanten fachärztlichen Versorgung ermächtigt werden. Ist das erstmal geschafft, richtet die schiefe Ebene des Wettbewerbs, der durch die duale Finanzierung der Krankenhäuser entsteht, den Rest. Dann ist die Welt des Karl Lauterbach wieder im Lot: Primärversorgung in kommunalen Primärversorgungszentren durch Gemeindeschwestern und den Restbestand an Hausärzten, fachärztliche Versorgung ambulant und stationär am Krankenhaus."

 

1.7. Signale aus dem Norden des Landes – Modelle

für die Zukunft?

 

Übertreiben Virchowbund-Vorsitzender Dik Heinrich und die Kassenärztlichen Vereinigungen? Diese Frage muss man sich als neutraler Leser zwangsläufig stellen. Wer jedoch die Info-Veranstaltung erlebte, zu dem die Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz (ZIRP) und das zur BBT-Gruppe gehörende Katholische Klinikum Koblenz-Montabaur für den 15. September 2023 in die Stadthalle Montabaur eingeladen hatten, musste einräumen, dass im Bereich der ambulanten Versorgung einiges in Bewegung ist – auch bei der Beteiligung von Kommunen an Medizinischen Versorgungszentren. Und so manches Konzept, das im Rahmen des Forums vorgestellt wurde, dürfte vielen „klassischen“ niedergelassen Ärzten wenig gefallen haben. Ging es doch um neue Konzepte für die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum unter besonderer Berücksichtigung der Notfallversorgung.

 

Der Anlass für die von Dr. Ursula Kramer (Inhaberin Sanawork/Freiburg) moderierten Veranstaltung: Die Novelle des am 23. Juli 2015 in Kraft getretenen Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GSGV)17, die im Juni 2023 als Referentenentwurf vorgelegt wurde, formuliert die vernetzte Versorgung als Ziel. Zu diesem Zweck sind unter anderem die Einrichtung von der umstrittenen Gesundheitskioske sowie den Aufbau von Primärversorgungszentren vorgesehen.

 

Ein weiterer Grund, das Forum zu veranstalten war das geplante Digital-Gesetz, das seit dem 1. August 2023 als Referentenentwurf vorliegt und einen Digitalisierungsschub in der medizinischen Versorgung bringen soll.19 ZIRP-Geschäftsführerin Heike Arend, die zum Stichtag 1. November 2023 als Geschäftsführende Direktorin zum Landkreistag Rheinland-Pfalz wechseln sollte, fasste das Thema so zusammen: Es gehe um neue institutionelle und digitale Möglichkeiten sowie die Nutzung digitaler Lösungen durch die Patienten. Im Mittelpunkt stand also alles, was für viele der Teilnehmer der Protestveranstaltung ein rotes Tuch ist.

 

„Man kann im ländlichen Raum nicht einfach mal eine Stunde fahren“, bekannte Clemens Hoch in seinem Grußwort. Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister betonte, dass die medizinische Versorgung im ländlichen Raum aktuell grundsätzlich gut sei. Und das solle aus seiner Sicht auch so bleiben. Allerdings stelle sich jetzt die Frage, wie die Zukunft mithilfe digitaler Transformationsprozessen gestaltet werden könne? Hoch verwies aber auch darauf, dass Digitalisierung bei der Zukunftsgestaltung nur Handwerkszeug sei. Medizinische Versorgung müsse planbar sein. Aber: Für den Notfall und Dinge, die nicht planbar sind, ist es entspannter, wenn Krankenhaus in der Nähe ist. Hoch verwies dabei vor allem auf die Wichtigkeit der Notfallversorgung.

 

Der Minister sagte auch, dass die vernetzten Praxen im Westerwald bereits digitale Möglichkeiten nutzen. Künftig müssen digitale Helfer auch medizinisch eingesetzt werden, etwa bei der Betreuung von Schlaganfallpatienten. Der Minister führte weiter auch, er wolle eine hohe Effizienz ohne Doppelstrukturen erreichen. Ein Instrument könne eine zentrale Bedarfsplanung sein (also genau das, was die KV und die Ärzte als Eingriff in ihre Selbstverwaltung sehen).

 

„Wir steuern so, dass ein Arzt gefunden wird“, so Hoch wörtlich. Und weiter: Es gebe zu wenig Ärzte und Kinderärzte im ländlichen Raum, deshalb müsse koordiniert werden. Er nannte die Niederlande als Vorbild: Dort gibt es diese zentrale Koordination bereits – ebenso die Bürgernummer und die Elektronische Patientenakte. Der Minister verwies darauf, dass im Nachbarland dieselben Datenschutzbestimmungen wie in Deutschland gelten würden und kritisierte, dass hierzulande das Vertrauen in die Notfallversorgung und in die Telemedizin nicht groß sei. Deshalb würden Patienten das Wochenende abwarten und dann montags in die Praxen kommen. Das Ergebnis: Überlastung.

 

„Wir haben ein unendliches Vertrauen in analoge Dinge“, kritisierte der Minister und benannte die Folgen. Demnach sei beispielsweise aktuell der Missbrauch analoger Rezepte durch Dritte leicht möglich. Er räumte aber auch ein, dass bei der Digitalisierung Nachbesserungsbedarf gibt, weil vieles noch viel zu kompliziert sei. Aus Sicht des Ministers ist gerade angesichts der Ärztemangels im ländlichen Raum die Einrichtung von gut vernetzten Versorgungszentren, von denen es einige bereits als Insellösung bestehen, perspektivisch der richtige Weg.

 

Und wie sieht es im Bereich des Rettungsdienstes aus? In den landesweit sieben Rettungsdienstbereichen erscheinen die Strukturen wesentlich straffer, auch weil bereits 2020 das novellierte Rettungsdienstgesetz umfassend novelliert wurde, um eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung auch in Zukunft zu gewährleisten. Im Alltag ist dabei das Deutsche Rote Kreuz (DRK) die dominierende Kraft. Es verfügt landesweit über 432 Rettungsmittel und leistet im Jahr fast 542.000 Einsätze. Die Gesamtzahl der Einsatzkilometer lag bei 20 Millionen.

 

Das DRK ist im Auftrag der Behörden als öffentlich-rechtlicher Rettungsdienst tätig. So ist zum Beispiel die zuständige Behörde für den DRK Kreisverband Koblenz die Kreisverwaltung Mayen-Koblenz. Martin Maser, Geschäftsführer des Kreisverbandes, betonte bei der ZIRP-Veranstaltung in Montabaur, dass das DRK 85 Prozent des Rettungsdienstes abdecke, in der Vorhaltung seien es sogar 90 Prozent. Und: Landesweit hat das DRK 2500 Mitarbeiter, für die es am Standort Nackenheim sogar ein eigenes Bildungsinstitut gibt. In diesem Zusammenhang lobte Martin Maser die Aufwertung des Berufsbildes durch die Möglichkeit der Ausbildung zum Notfallsanitäter. Die rechtlichen Voraussetzungen waren mit dem „Gesetz über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters“ vom 22. Mai 2013 geschaffen worden.

 

Der Geschäftsführer verwies in diesem Zusammenhang auch auf die die Folgen der Abschaffung des Zivildienstes, die die Bedeutung des Freiwilligendienstes noch einmal verstärkt haben. Vor diesem Hintergrund dürften auch die großzügigen Übergangsfristen für Rettungsassistenten, deren Arbeit der des Notfallsanitäters entsprach. Diese endeten jedoch zum Stichtag 31. Dezember 2023. Wer danach als Notfallsanitäter arbeiten will, musste entsprechende Prüfungen nachweisen.

 

Inzwischen zeichnet sich auch in diesem Bereich ein Trend zur Akademisierung an. Der Nachwuchs kann den akademischen Grad eines Bachelors erwerben und anschließend noch ein Masterstudium dranhängen, in dem eine Spezialisierung in Bereichen wie Betriebswirtschaft, Katastrophenschutz und Notfallpädagogik möglich ist. Das Ziel ist klar formuliert: Einerseits soll die Ausbildung für den interessierten Nachwuchs attraktiver gemacht werden, andererseits gilt es, mehr medizinische Kenntnisse vertieft werden. In der Konsequenz heißt das aber auch – und das entspricht genau den Vorstellungen des Bundesgesundheitsministeriums –, dass Notärzte entlastet werden, da sie nicht mehr immer am Einsatzort präsent sein müssen. Sie könnten sich zwecks weiterer Behandlung der Patienten beispielsweise per Telemedizin zuschalten.

 

Kritiker sehen in diesem Modell eine Schwächung der Position der Ärzte und eine deutliche Verschlechterung der Versorgungsqualität. Auch zeigte die Veranstaltung, dass es illusorisch ist, eine Notfallversorgung im ländlichen Raum ohne die Beteiligung von Kliniken zur organisieren. Dafür sind die Fallzahlen einfach zu hoch. Christian Caspari, Leitender Arzt an der Stabsstelle Notfallmedizin am Katholischen Klinikum wies darauf hin, dass allein hier pro Jahr 45.000 Notfallpatienten behandelt werden – Patienten, deren Aufnahme nicht einfach vorweg eingeplant werden könne. In diesem Bereich seien auch der Digitalisierung enge Grenzen gesetzt, weil jeder Patient individuell behandelt werden sollte.

 

Die Digitalisierung müsse Individualität der Patienten berücksichtigen. Die Digitalisierung stoße besonders im Falle von Hochbetagten an ihre Grenzen, war eine der Kernaussagen von Christian Caspari. Der Notfallmediziner hob auch hervor, wo einiges im Argen liegen. So hätten die behandelnden Ärzte keinerlei Informationen über die Patienten. Und: Einweisungen würden, wie schon vor vielen Jahren, in dreifacher Ausführung mit dem Nadeldrucker ausgedruckt. Ein weiterer Punkt ist die Medikation, für die es sogar einen bundeseinheitlichen Medikationsplan gebe. Dieser sei jedoch nicht verpflichtend. In der Praxis sehe es so aus, dass alles händisch geändert werde, so Caspari weiter.

 

Eine Erkenntnis aus der Veranstaltung: Gerade in letztgenannten Punkten könnte die Digitalisierung dazu beitragen, die Qualität erheblich zu verbessern und die Akteure zu entlasten. Caspari rechnete vor: Wenn durch Verbesserungen nur eine Minute gespart würde, könnte man – gemessen an den oben bereits genannten 45.000 – Patienten bereits 20 Arbeitstage sparen. Voraussetzung hierfür ist allerdings das Vorhandensein entsprechender Leitungskapazitäten, um beispielsweise die Übermittlung der Ergebnisse von Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren zu ermöglichen.

 

Hellhörig wurden die teilnehmenden Ärzte vor allem bei dem Teil der Veranstaltung, bei dem es um Versorgungskonzepte für die Zukunft ging. Vorgestellt wurde unter anderem das Modell „Landarzt plus“, dass in der Verbandsgemeinde Montabaur umgesetzt wurde. VG-Bürgermeister Dr. Hans Ulrich Richter-Hopprich (CDU) stellte das von der Kommune in Zusammenarbeit mit der BBT-Gruppe (der Trägerin des Katholischen Klinikums Koblenz-Montabaur) geschaffene Medizinische Versorgungszentrum als Herzstück eines integrierten Versorgungskonzeptes vor.

 

Der Bürgermeister betonte, es sei eine komplette Neuplanung erforderlich gewesen, weil es in der VG Montabaur 17 niedergelassene Ärzte im Rentenalter gebe, für die kein Nachfolger in Sicht gewesen sei. Darüber hinaus hätten sogar in der Kreisstadt selbst mehrere Mediziner ihre Praxen ersatzlos aufgegeben. Das Ziel, über Zuschüsse und Werbung Nachfolger zu finden, sei nicht erreicht worden, so Richter-Hopprich weiter.  Der VG-Bürgermeister wies auch darauf hin, die Folge seien lediglich Mitnahmeeffekte und Verschiebungen in der Verbandsgemeinde gewesen. In der Konsequenz habe es Probleme mit der regionalen Verteilung und mit einzelnen Disziplinen gegeben.

 

Mit dem Modell „Landarzt plus“ beschreiten die VG Montabaur und die BBT-Gruppe bewusst einen anderen Weg – angestellte Ärzte im MVZ sollen es nun richten. Vorteile für die Mediziner: Flexible Arbeitszeitmodelle sowie erfolgsunabhängige, geregelte Löhne. Das kommt offenbar gut an. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es Absolventen ab dem 30. Lebensjahr in den ländlichen Raum zieht, wenn sie Planungssicherheit haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass solche Modelle die in eigenen Praxen tätigen Mediziner und deren Selbstverwaltung beeinträchtigt.

 

Befürworter halten mit dem Argument dagegen, dass die Wege kurz bleiben und die Patienten auch an den MVZ-Standorten ihre persönlichen Ansprechpartner haben. Für Montabaur heißt das: Eine Filiale des MVZ ist bereits in Planung. Und der VG-Chef ließ bei der Veranstaltung ließ durchblicken, dass das neue Konzept bereits Tausende Behandlungen ermöglicht habe, die sonst nicht hätten erbracht werden können. Nüchtern betrachtet heißt das aber auch, dass die Befürchtungen der Verbände, dass Klinken über Ausgründungen perspektivisch auch die ambulante Behandlung im ländlichen Raum zu ihren Gunsten prägen werden, alles andere als abwegig sind.

 

Sehr konkret geworden ist die Umsetzung neuer medizinischer Versorgungskonzepte auch im Landkreis Mayen-Koblenz, der zu den 73 deutschen Kommunen gehört, die vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen sowie der KfW gefördert werden. Im Rahmen der Initiative „Smarten Region MYK10“ des Landkreises werden gleich mehrere Projekte im Bereich Digitalisierung vorangetrieben. Wichtigster Teil ist dabei der Ausbau der digitalen Infrastruktur, es gibt aber auch weiterführende Projekte, zum Beispiel in den Bereichen „Smart Cities“ und Telemedizin.

 

Bei der Telemedizin liegt der Schwerpunkt im Bereich der Kardiologie. Hier ist man inzwischen sehr weit gekommen. Das bereits 2022 gestartete Projekt „Herz.Gesund“ wird nun am St. Nikolaus-Stiftshospital Andernach weitergeführt, wo ein Telemedizinisches Zentrum eingerichtet wurde – übrigens das erste seiner Art am Mittelrhein. Hier werden jetzt mithilfe einer speziellen Software Herzpatienten telemedizinisch überwacht, wobei derzeit nur Patienten mit Herzinsuffizienz über das neue Zentrum überwacht werden. Sinn dieses neuen Ansatzes ist, Vitaldaten täglich zu ermitteln und sofort an den behandelnden Kardiologen weiterzuleiten, der bei Unregelmäßigkeiten sofort reagieren kann.

 

2. Ein neuer Medizincampus

 

Im Jahr 2020 nahmen bundesweit 149.170 Ärzte und 28.116 Psychotherapeuten an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Etwa 70 Prozent von ihnen erbrachten ihre Leistungen in eigenen Niederlassungen. Das meldete die Fachpublikation Arzt & Wirtschaft unter Berufung auf die Arztstatistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für das Jahr 2019. Das bedeutete zwar im Vergleich zu den Vorjahren eine leichte Steigerung, doch zeichnete sich bereits damals der Trend ab, dass viele Mediziner und Psychotherapeuten schon allein wegen der besseren Arbeitszeiten (Stichwort Teilzeitarbeit) eine Festanstellung bevorzugten.

 

In Zahlen heißt das: Die Zahl der Angestellten in diesen Bereichen war binnen eines Jahres um 9 Prozent auf 39.477 gestiegen. Die Tendenz der Vorjahre setzte sich damit fort. Offenbar können sich vor allem immer mehr Mediziner vorstellen, in ein Angestelltenverhältnis in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) einzutreten – also in ein Umfeld, das zunehmend von großen nationalen und internationalen Beteiligungsgesellschaften beherrscht wird.

 

In den vergangenen Jahren gab es aber auch Entwicklungen, die auf lange Sicht deutlich bedrohlichere Formen annehmen könnten. Dazu gehört die nach wie vor hohe Abwanderungsbereitschaft von Medizinern angesichts der sich in Deutschland laufend verschlechternden Rahmenbedingungen. Bereits im November 2023 sprach Focus online von einem drohenden Exodus junger Mediziner und berief sich dabei auf eine unveröffentlichte Studie der Ruhr-Universität Bochum. Grundlage war die Befragung von insgesamt 4000 jungen Medizinern.

 

Das ernüchternde Ergebnis: Schon damals signalisierten 70 Prozent der Befragten, im Ausland arbeiten zu wollen. Dagegen wollten sich nur 22 Prozent als Ärzte niederlassen. Bände sprechen auch die weiteren Aussagen. So konnten sich 38 Prozent der Befragten eine patientenferne Tätigkeit vorstellen. Und nur 17 Prozent der Medizinstudenten konnten sich vorstellen, dass sie später als Hausärzte tätig sein würden.

 

Schon die wenigen Daten zeigen: Die aktuelle Nachwuchskrise bei Ärzten ist hausgemacht, schon vor Jahren wurde es versäumt, die Weichen so zu stellen, dass die Rahmenbedingungen auch für künftige Medizinergenerationen attraktiv bleiben würden. Dazu passt der MB-Monitor, den der Marburger Bund Niedersachsen25 am 13. September 2022 vorstellte. Zwar hatten im Zeitraum vom 20. Mai bis 19. Juni 7135 per E-Mail Interesse an einer Teilnahme gezeigt, doch konnten am Ende „nur“ 1300 Antwortbögen detailliert ausgewertet.  Das Ergebnis ist, dass sich die Ärzte zwar mehr Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit wünschen, in der Realität ein erhebliches Maß an Überstunden leisten. So gaben 17 Prozent der Krankenhausärzte an, 9 bis 19 Überstunden pro Woche zu leisten.

 

Ein weiteres Ergebnis, das aus der Umfrage auf die Verhältnisse in Niedersachsen hochgerechnet wurde: Pro Woche werden 28.000 unbezahlte Überstunden geleistet, was etwa 2700 Vollzeit-Stellen entspricht, die Ärzte mit ihren Überstunden abdecken. Es ist also kein Wunder, dass sich 70 Prozent der befragten Ärzte mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden zeigten. 40 Prozent konnten sich sogar einen Berufswechsel vorstellen. Der Hauptgrund für die Unzufriedenheit waren Bürokratie und umfassende Dokumentationspflichten.

 

Aus diesen Aussagen lässt sich die Erkenntnis ableiten, dass es nicht weniger, sondern mehr Mediziner braucht, um die klaffenden Lücken zu schließen. Angesichts der Tatsache, dass sich Mediziner der geburtenstarken Jahrgänge schon in naher Zukunft in den Ruhestand verabschieden werden, dürfte sich die Personalsituation auch bei den Ärzten weiter verschärfen. Ungeachtet dessen spiegeln die Verhältnisse an den Universitäten immer noch die Fakten wider, die vor Jahren geschaffen wurden, um eine „Ärzteschwemme“ zu verhindern.

 

Aktuell bieten 39 Hochschulen in Deutschland den Studiengang Humanmedizin an. Nach Angaben der Stiftung für Hochschulzulassung standen laut Stiftung für Hochschulzulassung mit Sitz in Dortmund 9948 Studienplätze für 35.567 Personen zur Verfügung.27 Das heißt: Auf einen Platz kamen drei bis vier Bewerber. Das heißt aber auch, dass es nach wie vor genügend Interessenten für den Arztberuf gibt und es keinen Mangel an Nachwuchsmedizinern zu geben bräuchte. Die Realität ist – wie bereits dargestellt– jedoch eine andere. Inzwischen geht der Virchowbund davon aus, dass man den Ärztemangel auf Dauer nur in den Griff bekommen kann, wenn pro Jahr mindestens 5000 Medizinstudienplätze zusätzlich eingerichtet werden. Außerdem bedürfe es eines klaren Bekenntnisses von Politik und Kassen zur Freiberuflichkeit der Ärzte in Wort und Tat.

 

2.1 Die Ausgangssituation in Reinland-Pfalz

 

Auch in Rheinland-Pfalz gibt es zu wenig Studienplätze im Fach Humanmedizin, wobei der Mangel im klinischen Teil des Studiums besonders gravierend ist. Auch wenn die Landesregierung die Zahl der Plätze leicht erhöht hat, reichen die Kapazitäten bei weitem nicht aus. 2022 fehlten 155 Studienplätze für den klinischen Teil des Medizinstudiums.28 Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung zwar die Kapazitäten erhöht, sie favorisiert aktuell neben Mainz den Standort Trier, wo es seit 2022 einen Medizincampus gibt. Dort werden 41 Medizinstudenten klinisch ausgebildet, wobei die Kapazitätsgrenze bereits erreicht ist.

 

Trotz dieser Verbesserung dürften die Kapazitäten bei Weitem nicht ausreichen. Das zeigen auch die Klagen von Studenten, die das Physikum erfolgreich bestanden haben und keinen Platz für die klinische Ausbildung erhalten haben, bei den Verwaltungsgerichten. Das Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) in Koblenz und Kooperationspartner in der Region Koblenz-Mittelrhein können dazu beitragen, die Lücke zu schließen. Und nicht nur das. Das BwZKrhs hat sich klar positioniert und will sich an der Realisierung eines weiteren Medizincampus maßgeblich beteiligen.

 

Die Reaktionen in Mainz waren lange verhalten, man konnte über weite Strecken des Jahres 2023 nicht ahnen, dass es wenige Tage vor Weihnachten doch noch eine positive Wendung geben würde: Am 8. Dezember 2023 unterzeichneten Gesundheitsminister Clemens Hoch, der damalige Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Ulrich Baumgärtner, Prof. Dr.  Ulrich Förstermann, Dekan der Universitätsmedizin Mainz, und Alexander Wilhelm, Geschäftsführer des Landeskrankenhauses in Andernach, eine Absichtserklärung zur Schaffung eines Medizincampus in Koblenz. Demnach sollten eigentlich schon im Wintersemester 2024/25 bis zu 25 Fünftsemester im BwZKrhs, im Landeskrankenhaus Andernach, im Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein (GKM) und im Katholischen Klinikum Koblenz-Montabaur den klinischen Teil ihres Medizinstudiums beginnen.

 

Im Früherbst 2024 zeigte sich, dass dieser ambitionierte Zeitplan nicht zu halten war. Der Start für den Koblenzer Medizincampus wurde verschoben. Jetzt sollen die ersten 25 Studenten im Sommersemester 2025, den klinischen Teil ihres Studiums beginnen können. Das Gesundheitsministerium begründete die Verschiebung mit dem erheblichen Aufwand, der mit der Schaffung des Medizincampus verbunden sei.

 

Die Medienberichterstattung legte den Schluss nahe, dass weitere Verzögerungen nicht ausgeschlossen werden können. Unverändert blieb der Ansatz, dass die Zahl der Studienplätze am Medizincampus Koblenz stufenweise auf 50, im „Endausbau“ auf 96 steigen soll. Das ist allerdings deutlich weniger, als von der FREIEN WÄHLER-Landtagsfraktion ursprünglich gefordert. Dort war man von einer Gesamtzahl im dreistelligen Bereich ausgegangen.

 

Die Entscheidung hat auch für die vorklinische Ausbildung an der Universität Mainz folgen. Hier soll die Zahl von 450 auf 500 aufgestockt werden. Mit der Veränderung wird auch die Gesamtzahl der Medizinstudiengänge von zwei auf drei steigen: einer ist wie bisher komplett am Unicampus Mainz angesiedelt, ein zweiter in Mainz und am Medizincampus Trier, der dritte dann in Mainz und Koblenz.

 

Im Wintersemester 2027/28 sollen Studenten erstmals verpflichtend an den Medizincampus Koblenz wechseln. Damit wird auch eine von der FREIEN WÄHLER-Landtagsfraktion immer wieder erhobene Forderung zumindest teilweise erfüllt.

 

Das Motiv für die Gründung des neuen Medizin-Campus:  Gerade in Rheinland-Pfalz ist der Bedarf an jüngeren Ärzten ist groß, zumal hier jeder vierte niedergelassene Arzt älter als 60 Jahre ist. Vor diesem Hintergrund hatte die Landesärztekammer bereits 2022 gefordert, die Zahl der Medizinstudienplätze um 10 bis 15 Prozent zu erhöhen. Darüber hinaus verwies die Kammer darauf, dass inzwischen 1,8 Ärztinnen und Ärzte erforderlich seien, um einen ausscheidenden Kollegen zu ersetzen. Begründet wird dies unter anderem mit dem steigenden Wunsch nach Teilzeitangeboten für Mediziner. Auch spiele der Wunsch, keinen wirtschaftlichen Zwängen zu unterliegen, eine gewisse. Rolle.

 

Zum Stichtag 30. Juni 2021 gab es nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz insgesamt 7.824 Ärzte und Psychotherapeuten, die an der ambulanten vertragsa?rztlichen und psychotherapeutischen Versorgung teilnahmen. Die Zahl der Hausa?rzte in Rheinland-Pfalz gab die KV damals mit 2.667 an, wobei der Altersmedian von Hausärzten im Land bei 57 Jahren lag. Nur elf dieser 2.667 Mediziner waren unter 35 Jahre alt, 273 sind 70 Jahre und älter. Zum Stichtag waren landesweit 240 Hausarztstellen unbesetzt, wobei es starke regionale Unterschiede gab.33

Auch die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz mit ihrem Präsidenten Peter Heinz fordert mehr Studienplätze, warnt aber auch davor, eine neue Ärzteschwemme zu produzieren.

 

Anders Dr. Christoph Gensch (CDU). Der Gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion nannte im März 2022 den Bedarf von 200 Studienplätze pro Jahr zusätzlich. Hintergrund: Rheinland-Pfalz stellt jährlich insgesamt 450 Studienplätze bereit, allerdings nur für den vorklinischen Teil des Studiums. Nach Angaben von Christoph Gensch sei diese Zahl seit 30 Jahren unverändert. Dagegen halte Sachsen, das gemessen an seiner Einwohnerzahl von knapp über 4 Millionen mit Rheinland-Pfalz vergleichbar sei, 615 Studienplätze pro Jahr bereit. Jürgen Hoffart, Geschäftsführers der Landesärztekammer, weist darüber hinaus darauf hin, dass es wenig Sinn habe, den Ärztemangel mithilfe von Absolventen aus Nicht-EU-Staaten abzufedern. Diese Mediziner würden in ihren Heimatländern fehlen.

 

Viel problematischer ist die Situation im klinischen Teil des Studiums. Die Universitätsmedizin Mainz verwies 2022 auf 432 Studenten im ersten klinischen Semester, für die es aber nur 277 Studienplätze gab. Unter dem Strich fehlten also bereits 2022 155 klinische Studienplätze.35 Mit dem neuen Medizincampus in Koblenz dürfte sich die Situation entspannen. Es bleibt die Frage, wer das Ganze finanziert. Die Antwort: Für die einmalig anfallenden Kosten für die Anbindung der Vorklinik in Mainz und die Anbindung des neuen Medizincampus Koblenz sowie eines eigenen Studienganges Mainz/Trier stellt das Wissenschaftsministerium der Universität Mainz rund 1 Million Euro zur Verfügung. Für den jährlich entstehenden Mehrbedarf bei der Ausbildung der Studenten in der Vorklinik schafft das Land ein Personalkostenbudget von weiteren 1,5 Millionen Euro. Die Erstinvestitionen im niedrigen zweistelligen Millionenbereich und die laufenden Kosten werden das Bundeswehrzentralkrankenhaus und die weiteren beteiligten Kliniken übernehmen.

 

2.2. Bundeswehr investiert massiv

 

Dass die Initiative, die letztendlich zum Erfolg führte, vom Bundeswehrzentralkrankenhaus ausging, überrascht nicht. Bereits 2016 hatte Generalstabsarzt Dr. Norbert Weller, seinerzeit Kommandeur des BwZKrhs, die Gründung eines Medizincampus ins Spiel gebracht und damit eine alte Debatte über die Gründung einer Medizinischen Fakultät am Hochschulstandort Koblenz neu befeuert.   Die Zeit war aber damals noch nicht reif. Die massiven Investitionen des Bundes in den Ausbau des Bundeswehrstandortes Koblenz-Lahnstein änderte offenbar die Situation grundlegend, zumal das Bundeswehrzentralkrankenhaus einen Schwerpunkt bildet. Allein in bauliche Maßnahmen wurden und werden insgesamt rund 300 Millionen Euro investiert, wobei allein für das neue Operations- und Funktionsgebäude beim Baubeginn 2022 rund 221 Millionen Euro eingeplant waren. Zu diesem Zeitpunkt waren nach Aussage des Mainzer Amt für Bundesbau auf Grundlage der Entwicklungs- und Zielausbauplanung der Jahre 2013 und 2014 rund 46,5 Millionen Euro investiert worden. Gebaut wurde ein neues Bettenhaus mit 80 Zimmern und einer Kapazität von 160 Betten, eine neue Rettungswache, ein neues Unterkunftsgebäude und ein Parkhaus investiert worden.

 

Viel Geld soll auch in die neue technische Ausstattung investiert werden. Die Bundeswehr geht davon aus, das modernste medizinische Geräte in einem Gesamtwert von deutlich über 600 Millionen Euro angeschafft werden. Die infrastrukturellen Voraussetzungen sind also bereits ausgezeichnet und werden für die kommenden Jahre aktuell sogar noch weiter ausgebaut.

Die Bundeswehr kann und will also dazu beitragen, den Mangel an Ausbildungsplätzen im klinischen Bereich in Rheinland-Pfalz zu beheben, wovon das gesamte Land Rheinland-Pfalz profitieren könnte. Auch aus finanzieller Sicht könnten sich Vorteile ergeben, zumal die Universitätsmedizin Mainz, die gemessen an den Studenten- und Absolventenzahlen bundesweit an dritter Stelle steht, ein hohes finanzielles Defizit hat. Eine Beteiligung des Bunds über die Bundeswehr könnte eine erhebliche Entlastung beim Aufbau zusätzlicher Kapazitäten für den klinischen Teil der Medizinerausbildung in Mainz bringen.

 

2.3. Das Ziel

 

Infolge des Medizinermangels und das Abwandern von Studenten ins Ausland, vor allem auch nach Ungarn und in die baltischen Staaten, erscheint es ratsam, das Angebot in Rheinland-Pfalz auszubauen, wobei zivile und militärische Kliniken ähnliche Ziele haben. Eine besondere Rolle spielt deshalb die Ausbildung von Medizinern für den eigenen Bedarf. Ein weiteres Motiv ist es, Mediziner für die rheinland-pfälzischen Regionen auszubilden.

Auch wenn es bei der Bundeswehr aktuell kaum einen Ärztemangel gibt, ist das Interesse groß, zusätzliche Ausbildungskapazitäten zu schaffen. Derzeit geht man davon aus, dass die Beschäftigungsquote bis 2026 bei 98 bis 99 Prozent liegt, man wünscht sich jedoch die Zahl der Dienstposten zu erhöhen, um diese Quote auf 100 Prozent und mehr zu steigern. Denn: Auch bei der Bundeswehr ist die Flexibilisierung der Arbeit schon allein wegen der individuellen Familienplanung schon seit Jahren ein großes Thema.

 

2.4 Campus Koblenz

 

Die Idee, zumindest die klinische Ausbildung von Medizinern in einer eigenen Fakultät nach Koblenz zu holen, reicht, wie eingangs angedeutet, mindestens in die frühen 1990er-Jahre zurück, also in die Phase kurz nach der Gründung der Doppeluniversität Koblenz-Landau, die aus der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Rheinland-Pfalz entwickelt worden war. Zu dieser Zeit standen die großen Klinikfusionen in der Region Koblenz-Mittelrhein noch bevor. Ideengeber für eine mögliche Ausbildung von Medizinern waren Chefärzte des Evangelischen Stifts St. Martin, des Kemperhofs, des Marienhofs und, schon damals, des Bundeswehrzentralkrankenhauses. Unterstützt wurde die Idee unter anderem von örtlichen Politikern und dem Anfang des Jahres 1993 gegründeten Freundeskreis der Universität in Koblenz.

 

Die Voraussetzungen schienen eigentlich gut zu sein, zumal schon allein mit Blick auf die Kapazitäten die Krankenhausversorgung im Oberzentrum als ausgezeichnet beurteilt wurden. Aber: Die Diskussion wurde zu einer Zeit geführt, in der von einer Ärzteschwemme gesprochen wurde. Die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz weist darauf hin, dass in den 1990er-Jahren rund 6000 der ursprünglich bundesweit jährlich zur Verfügung stehenden 16.000 Studienplätze abgebaut worden waren. Dies war eine Entscheidung, die sich rächen sollte, was schon allein der Blick auf die bereits genannten aktuellen Zahlen zeigt.

 

Angesichts der seinerzeit wenig guten Ausgangslage scheiterten die Initiativen an der fehlenden Lobby in Mainz. Die Landesregierung sah seinerseits keinen Bedarf, scheute aber offensichtlich auch die Kosten, was zuletzt bei den Planungen für die Verselbstständigung des Campus Koblenz der Doppeluniversität Koblenz-Landau deutlich wurde.40 Präsident Prof Dr. Stefan Wehner wies kurz nach seiner Wahl zum ersten Präsidenten der neuen Universität Koblenz (Start: 1. Januar 2023) stattdessen auf die Potenziale im Bereich Health Data Intelligence, also an der Schnittstelle von Medizin und Informatik – auch im Verbund mit den örtlichen  großen Arbeitgeber CompuGroup Medical und Debeka sowie der Wirtschafts- und Wissenschaftsallianz Koblenz.

 

Dabei hatten bereits 2018 Vertreter mehrerer Krankenhäuser rund um Koblenz ein Eckpunktepapier für die klinische Ausbildung von Medizinern in Koblenz und Umgebung erarbeitet. Aktuell steht das Angebot des Bundeswehrzentralkrankenhauses, zunächst insgesamt 48 klinische Studienplätze für Medizinstudenten vom fünften bis zum zehnten Semester anzubieten – und das bereits ab dem Sommersemester 2024.42 Perspektivisch könnten an Koblenzer Kliniken sogar 120 neue klinische Studienplätze angesiedelt werden, wenn auch die anderen Krankenhäuser in Koblenz und Umgebung eingebunden würden.

 

Dennoch waren die Reaktionen auf einen möglichen Medizincampus Koblenz in Mainz lange verhalten. So wies Prof. Dr. Ulrich Förstermann darauf hin, dass das Studium im klinischen Studienabschnitt klinisch-theoretische Ausbildungsinhalte enthalte, die nur an einer medizinischen Fakultät vorgehalten werden können. Der Vorstand der Mainzer Unimedizin wies auch auf die relativ große Entfernung von Mainz nach Koblenz hin.

Skepsis bestand auch hinsichtlich der Kosten, dem ambitionierten Zeitplan und der Gleichwertigkeit der Lehre. Dagegen wird der Vorstoß des Bundeswehrzentralkrankenhauses im Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein und im Katholischen Klinikum Koblenz-Montabaur begrüßt. Rückendeckung gibt es auch aus der Rhein-Mosel-Fachklinik, dem Hauptstandort des Landeskrankenhauses. Auch hier kann man sich vorstellen, den theoretischen Unterricht in Kleingruppen zu übernehmen.

 

2.5 Arbeiten im Verbund

 

Die für das Campus-Projekt Verantwortlichen in den Reihen der Bundeswehr verweisen auf bundesweit gut funktionierende Netzwerke und sehen sich auch für den theoretischen Teil in der klinischen Ausbildung von Medizinstudenten gewappnet. Dank der neuen technischen Möglichkeiten des Onlineunterrichts könnte zum Beispiel das komplette Know-How des Fachbereichs Humanwissenschaften der Universität der Bundeswehr in München genutzt werden, um zum Beispiel psychologische oder sportmedizinische Kompetenzen zu erwerben. Und auch am Universitäts- und Hochschulstandort Koblenz sowie auf dem RheinAhrCampus der Hochschule Koblenz gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Zusammenarbeit, etwa im Bereich der Sportmedizin oder bei den Bildgebungsverfahren für den medizinischen Bereich. Hier gibt es bei der Zusammenarbeit der örtlichen Kliniken und Hochschulen einen Erfahrungsschatz, der über viele Jahre aufgebaut wurde.

 

2.6 Ein Trainingszentrum für das nördliche Rheinland-Pfalz

 

Unabhängig von den Bemühungen für die Gründung eines Medizin-Campus Koblenz in Zusammenarbeit mit dem Bundeswehrzentralkrankenhaus sind die Initiativen einzubezieen, die schließlich zur Realisierung des im September 2023 im Metternicher Feld eröffnete Bildungs- und Forschungszentrums (BFI) des Gemeinschaftsklinikums Mittelrhein führten. Dieses neue Zentrum hat für das nördliche Rheinland-Pfalz Modellcharakter. Hier wirken insgesamt 94 Mitarbeiter, darunter 56 Lehrkräfte und zwei Honorarkräfte.

 

In der Einrichtung, die auch mit den weiteren Kliniken in der Region zusammenarbeitet, haben Assistenzärzte beispielsweise die Möglichkeit, sich zum Facharzt ausbilden zu lassen. Aber auch für Pflegekräfte ist das BFI eine feste Anlaufstelle. Im Zentrum werden auch gemeinsame Projekte angestoßen, zum Beispiel in den Bereichen Medizin, Pflege, Therapie, Management und Bildung.46 Auch die Infrastruktur ist beachtlich. Es gibt sogar ein Audimax mit 200 Plätzen und 23 Klassenräume. Dazu kommen vier besonders ausgestattete Räume, darunter einen für einen voll funktionsfähigen Operationssaal. Auch an die intensivmedizinische Ausbildung wurde gedacht. Im Laufe des Jahres 2024 sollte auch noch Kreißsaal dazukommen. Denn: Allein im Bereich Gynäkologie/Geburtshilfe soll es 120 Studienplätze geben. Davon sind 60 für den noch jungen Studiengang zur Ausbildung von Hebammen der Universität Mainz vorgesehen.

 

Insgesamt nimmt das noch junge FBI vieles vorweg, was der eigentliche Medizin-Campus Koblenz leisten soll, nur mit dem Unterschied, dass die neue Einrichtung mit Blick auf die Zielgruppen deutlich breiter aufgestellt ist als das rein akademische Modell am Bundeswehrzentralkrankenhaus.

 

3. Ausbildung in der Pflege

 

Intensive Bemühungen zur Nachwuchsgewinnung bräuchte es auch in der Pflege, zumal die Bemühungen, die Berufe auch in diesem Bereich durch eine Akademisierung attraktiver zu machen, nicht den gewünschten Erfolg brachten. Dabei sahen vor nicht allzu langer Zeit die Ausbildungszahlen gar nicht schlecht aus.

 

Inzwischen gibt es eine Trendumkehr. Wie das Statistische Bundesamt Anfang April 2023 mitteilte, hatten 2022 nur noch 52.300 Auszubildende eine Ausbildung zu Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann begonnen.47 Das waren 7 Prozent beziehungsweise 4000 Nachwuchskräfte weniger als 2021. Insgesamt gesehen befanden sich Ende 2022 insgesamt rund 110.800 Pflegefachfrauen und 35.800 Pflegefachmänner in spe in der Ausbildung für einen Pflegeberuf. Der Frauenanteil in diesen Berufen lag bei 76 Prozent, in der Ausbildung bei 74 Prozent.

 

Allerdings wies das Statistische Bundesamt auf mögliche Nachmeldungen und die unsichere Datenlage. Dazu kommt, dass der „historische“ Vergleich von Ausbildungszahlen recht aufwendig ist, was an den Auswirkungen des Pflegeberufereformgesetzes (PflBRefG) von 2017 liegt. Die Folge war, dass seit 2020 nur noch der Ausbildungsberuf Pflegefachmann/Pflegefachfrau mit angeboten wird. Durch diese Vereinheitlichung wollte man die Ungerechtigkeiten, vor allem im Falle der vergleichsweise völlig unterbezahlten Altenpfleger beseitigen.

 

Mit Blick auf die Bundesländer zeigt die Statistik ein uneinheitliches Bild. Während die Zahl der Anfänger in den Pflegeberufen insgesamt um 7 Prozent zurückging, ist sie in Rheinland-Pfalz um 19 Prozent gestiegen. In Zahlen heißt das: Waren hier 2021 noch 1854 Nachwuchskräfte in die Ausbildung gestartet, wurden nun 2202 junge Frauen und Männer gemeldet. Die an und für sich gute Entwicklung wird durch den Vergleich mit Sachsen relativiert. Hier ging die Zahl der Auszubildenden zwar um 2 Prozent zurück und zwar von 3435 auf 3375.

 

Da die Einwohnerzahlen in beiden Bundesländern ähnlich sind, könnte man aus den Zahlen schließen, dass in Rheinland-Pfalz zu wenig Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, um den Mangel an Nachwuchskräften zu lindern. Man muss in diesem Zusammenhang allerdings auch sehen, dass Rheinland-Pfalz das einzige Bundesland ist, das für 2022 ein Plus meldete.

 

Obwohl wegen der Einführung des neuen Berufsbildes Vergleiche hinken, spricht man bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) man von einer besorgniserregenden Entwicklung. „Wir brauchen dringend eine Trendumkehr. Doch aktuell besteht die Gefahr, dass die Zahl der Auszubildenden in den kommenden Jahren weiter sinkt. Unsere große Sorge ist, dass regionale Krankenpflegeschulen infolge von Klinikschließungen und -insolvenzen selbst schließen müssen“, kommentierte Dr. Gerald Gaß die aktuellen Zahlen. Der DKG-Vorstandsvorsitzende verweist darauf, dass die Krankenpflegeschulen unmittelbar an Krankenhäusern angedockt sind und auch in deren Trägerschaft stehen.

 

Das bedeutet: Wenn ein Krankenhaus schließt, ist auch die Krankenpflegeschule betroffen. Infolge der Schließung fallen daher Ausbildungsplätze für Pflegekräfte weg, was perspektivisch Auswirkungen auf den regionalen Arbeitsmarkt hat, weil keine Nachwuchskräfte mehr zur Verfügung stehen. Die Folgen dieses Mangels wird nicht nur die Krankenhäuser, sondern auch die ambulante Krankenpflege betreffen.

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